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Erstellt:
04.08.1997


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FriedensForum 4/1997


Strategische Gewaltfreiheit in der nach-bosnischen Welt

Michael Randle

Eine historische Gelegenheit vertan

Am Anfang dieses Jahrzehnts schien strategische Gewaltfreiheit - in der Folge der osteuropäischen Revolutionen in 1989, der Niederschlagung des Putsches gegen Gorbatschow 1991, dem Zusammenbruch der Apartheit in Südafrika und Entwicklungen in früheren Jahren in verschiedenen anderen Ländern, vor allem den Philippinen, Chile und Korea - historische Bedeutung erlangt zu haben.


Doch stattdessen brachte das Ende des Kalten Krieges eine Ära blutiger Konflikte, die zudem nicht leicht durch effektive gewaltfreie Aktion bearbeitet werden konnten. Im Ergebnis vergrößerte sich die Distanz des Konzeptes der gewaltfreien Sozialen Verteidigung zur praktischen Politik. Jene osteuropäischen Länder, in denen ziviler Widerstand eine Schlüsselrolle bei der Überwindung der sowjetischen Hegemonie spielte, stehen heute Schlange, um der NATO beizutreten.

Schwachpunkte von Friedensvorschlägen enthüllt

Was für Soziale Verteidigung gilt, kann zu gewissem Grade auch auf die anderen alternativen, nicht-nuklearen Verteidigungsstrategien angewendet werden, die von den Friedensbewegungen in den achtziger Jahren vertreten wurden.

Doch der Golfkrieg und Bosnien zeigten gemeinsam die Schwachpunkte dieser Vorschläge auf und spalteten die Friedenskoalition. Im Golfkrieg benötigten die Alliierten die größten offensiven strategischen Kräfte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und die modernsten Offensivwaffen, um Husseins Truppen zu vertreiben. In Bosnien ergriff die UN eher einen Peacekeeping- als einen kriegsführenden Ansatz und erlitt infolgedessen eine demütigende Niederlage. Als schließlich eine Art Lösung im Prinzip von allen Parteien akzeptiert wurde, wurde die Kriegsführung der NATO benötigt, um diese Lösung durchzusetzen. In Bosnien wie in Haiti war militärische Intervention zu einem gewissen Grade erfolgreich.

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Mutige Versuche durch internationale Friedensgruppen, sich in Bosnien zwischen die Fronten oder zwischen das Militär und seine zivilen Ziele zu stellen, erwiesen sich als ineffektiv. Erfolgreicher waren da schon Gruppen wie das Balkan Peace Team in Kroatien, das sich langfristig und in enger Zusammenarbeit mit lokalen Friedensgruppen in der Region engagiert. Letzlich sind es solche einheimischen Organisationen, die den Schlüssel zu effektiver gewaltfreier Aktion in der Hand haben. Es ist vielsagend, daß viele von diesen militärische Intervention zur Beendigung des Blutvergießens befürworteten.

Krieg wurde vermieden, aber kein politischer Sieg

Im Kosovo ist die Situation eine andere. Die albanische Mehrheitsbevölkerung hat Nichtzusammenarbeit und andere Formen gewaltfreier Aktion eingesetzt, um Widerstand gegen die Aufhebung der Autonomie durch Belgrad 1989 zu leisten. Doch während ein Krieg vermieden werden konnte, wurde auch kein politischer Erfolg errungen, vor allem weil die serbischen Behörden nicht besonders auf die Kooperation der lokalen Einwohner angewiesen sind und weil die internationale Gemeinschaft es versäumt hat, die Frage aufzugreifen und Druck auf Milosevic auszuüben, die Autonomie des Kosovo wiederherzustellen.

Dies bringt uns zur Ursprungsfrage zurück. Es ist deutlich, daß gewaltfreie Aktionsmethoden in manchen Situationen wirksamer als in anderen sind. Manchmal sind sie überhaupt nicht wirksam, zumindest nicht in der erforderlichen Zeitspanne. Ihr Erfolg ist wahrscheinlicher, wenn der Gegner letztlich auf die Kooperation derjenigen, die Widerstand leisten, angewiesen ist und wenn andere Faktoren ihn daran hindern, extreme Gewalt anzuwenden. Solche Hindernisse können Unsicherheit in der Frage, wo die Loyalitäten der Armee oder der Polizei liegen oder Verwundbarkeit durch Sanktionen darstellen. Am geringsten ist die Wahrscheinlichkeit ihrer Wirksamkeit, wenn das Ziel des Gegners ethnische Säuberung oder sogar Genozid ist und wenn diejenigen, die diese Verbrechen begehen, die Loyalität fanatischer bewaffneter Anhänger besitzen.

Gewaltfreie Aktion, aber nicht isoliert

Unglücklicherweise sind es Konflikte dieses Typs, die mehr und mehr zunehmen, da multi-nationale Staaten wie Jugoslawien und die Sowjetunion oder jene Staaten, deren Grenzen in Kolonialzeiten gezogen wurden, auseinanderbrechen. Ich denke, daß wir gewaltfreie Aktion nicht isoliert von Initiativen auf diplomatischer, politischer und manchmal auch bedauerlicherweise der militärischen Ebene sehen sollten. Wir müssen auch anerkennen, daß in manchen Fällen Konfliktlösung und Mediation eine Rolle spielen sollten; beides Ansätze, die in der Vergangenheit gerne von den VertreterInnen radikalerer gewaltfreier Aktion abgelehnt wurden.

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Angemessene gewaltfreie Aktion wird ihren Nutzen beweisen

Um mit einem positiven Ton zu schließen: Die strategischen Erfolge gewaltfreier Aktion in den letzten zehn oder fünfzehn Jahren sollten nicht einfach beiseitegewischt werden. Während es geringen Raum für gewaltfreie Aktion während eines Krieges oder gegen ein völkermordendes Regime geben mag, kann gewaltfreie Aktion in unteren Eskalationsebenen manchmal entscheiden, ob eine Situation zu solchen Extremen eskaliert. In Burma und Nigeria bietet ziviler Widerstand die schwache Hoffnung, einen voll-eskalierten Bürgerkrieg und neue Schlachtfelder zu vermeiden. Es sind solche kritischen Situationen, wenn sie sorgfältig analysiert werden, die schließlich von gewaltfreier Aktion überzeugen oder nicht überzeugen und die Grenzen ihrer Wirksamkeit bestimmen werden.

Dieser Beitrag wurde stark gekürzt der "Cicilian-Based Defence" Vol 11/4, Winter 1996 entnommen. Übersetzung: Redaktion (CS).

Michael Randle ist als Aktivist und Wissenschaftler seit den 50er Jahren mit gewaltfreier Aktion befaßt. Derzeit ist erKoordinator des Nonviolent Action Research Project an der Universität Bradford, England.
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