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Erstellt:
November 1997

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FriedensForum 6/1997


FI Nottuln beim 11. "Tschechisch-deutschen Dialog" in Marienbad - Ein weites Feld für die Friedensbewegung:

Verständigung und Ausgleich mit Tschechien

Robert Hülsbusch

"Es ist ein Teil unseres Schicksals,

sogar ein Teil unserer Identität.

Deutschland ist unsere Inspiration,

wie unser Schmerz."


Vaclav Havel, 17. Februar 1995

"Gegenseitige Vorwürfe nutzen uns heute nichts mehr! Weg mit den alten Wunden! An die Jugend geht unser Aufruf: Macht es besser, als wir es gemacht haben!" Dieser flammende Appell stammt von Dr. Jan Sumavsky (68), Geschäftsführer der Tschechischen Friedensgesellschaft. Seit 1985 richtet diese im böhmischen Marianske Lazne (Marienbad) jährlich einen "Tschechisch-deutschen Dialog" aus, an dem Friedensgruppen aus Tschechien (vormals aus der Tschechoslowakei) und der Bundesrepublik Deutschland teilnehmen. Drei Etappen kennzeichnen diesen "Dialog": Von 1985 an wurde auf beiden Seiten der Versuch gestartet, den Eisernen Vorhang zu überwinden und Begegnungen zu organisieren.

Nach 1989 wurde ein offener Dialog organisiert, der sich auch mit den schwierigen Fragen der gemeinsamen Vergangenheit befaßt. "Feindschaft überwinden!" war das Motto. Das Ergebnis dieses Prozesses wurde im vergangenen Jahr - anläßlich des 50. Jahrestages der Befreiung vom Hitler-Faschismus - in einem gemeinsamen Papier festgehalten und veröffentlicht. Darin hieß es u.a.:

"Für gute Nachbarschaftsbeziehungen ist eine gegenseitige Informiertheit, die die objektive Realität in unseren beiden Ländern widerspiegelt, von großer Bedeutung. Sie erschwert die Schaffung von Feindbildern auf der jeweils anderen Seite. Die vollkommene Durchlässigkeit unserer Staatsgrenzen für die Bevölkerung beider Staaten hat die Voraussetzung geschaffen, daß die Bürgerinnen und Bürger auf Grund von konkreten, persönlichen Erfahrungen ein eigenes Bild über ihr Nachbarvolk bekommen können.

 zum AnfangDie deutsch-tschechischen Beziehungen sind nicht nur die Angelegenheit der Regierungen. Es ist notwendig, direkte Beziehungen zwischen den Menschen zu entwickeln und zu fördern, wobei die Gewohnheiten und Gesetze des besuchten Landes beachtet und eingehalten werden müssen ...

Dazu möchten wir unseren Beitrag leisten. Ihr alle, die Ihr für gute deutsch-tschechische Nachbarschaftsbeziehungen seid, schließt Euch uns an."

(aus: Wir sind für gute Nachbarschaftsbeziehungen; Ergebnis eines deutsch-tschechischen Dialogs aus Anlaß des 50. Jahrestages der Beendigung des Zweiten Weltkrieges)

Wie schwierig es ist, diesen gemeinsamen Aufruf in die Tat umzusetzen, zeigte der 11. Marienbader Dialog, der am 27. und 28. April 1996 in dem wunderschönen tschechischen Kurort stattfand. Zum ersten Mal war die Friedensinitiative Nottuln, die seit einiger Zeit Kontakte zur Tschechischen Friedensgesellschaft unterhält, eingeladen. Deutlich wurden jedoch auch hoffnungsvolle Ansätze einer aktiven Verständigungspolitik zwischen Tschechen und Deutschen - ein weites Feld auch für die bundesdeutsche Friedensbewegung, die bisher Tschechien wenig Beachtung geschenkt hat.

Das Thema der diesjährigen Tagung: "Erziehung der Jugend zur tschechisch-deutschen und internationalen Verständigung". Und gleich zu Beginn fand Prof. Erich John, selbst Sudetendeutscher und ehemals Leiter des Instituts für allgemeine Kulturwissenschaft an der Universität Leipzig, klare Worte: "Die Vergangenheit darf nicht über die Zukunft triumphieren, diese gar tyrannisieren. Wir Älteren werden die leidvolle Geschichte nicht vergessen, wir dürfen damit aber auch nicht die Jugend belasten!" In der Bildung der Jugend, bemängelte der Wissenschaftler, dominiere vielfach die politische Geschichte der Auseinandersetzungen und der Kriege. Diese Geschichte müsse ergänzt werden durch die Kulturgeschichte, hier durch die großen Gemeinsamkeiten zwischen Deutschen und Tschechen. Es sei eine sozialpsychologische und leider auch politische Realität, daß die unmittelbaren Nachbarn häufig die ärgsten Feinde seien. Eine europäische Zukunft könne nur gelingen, wenn die nächsten Nachbarn "Tschechien und Deutschland zu einer friedlichen Einigung und zu intensiven Beziehungen fänden. Antje Vollmer sprach in diesem Zusammenhang in ihrer Rede in der Karls-Universität Prag von einer symbiotischen Beziehung zwischen Tschechen und Deutschen. Vollmer damals wörtlich: "Gelingt die Nachbarschaft und die Symbiose, haben alle die glücklichsten Zukunftsaussichten. Zerbricht sie, wird oft noch die nächste Generation als Geisel genommen, um einen zukunfts- und lebensbedrohenden Streit der Vorfahren auszutragen." Wie schwierig ein gemeinsamer Weg ist, zeigten im Verlauf des Wochenendes immer wieder die Beiträge besonders der älteren Teilnehmer. Immer wieder führten die Gespräche zu der sehr emotional vorgetragenen, z.T. verbitterten Diskussion der Frage, wie heute das Münchener Abkommen von 1938 und die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem 2. Weltkrieg zu bewerten sei. Immer wieder der Versuch, für den "Transfer" der Deutschen Verständnis zu wecken. Jeder der älteren Tschechen kann da seine persönliche (Leid-)Geschichte aus der Zeit 38 bis 45 erzählen. Viel stärker noch als in Rußland oder in Polen ist die Geschichte präsent, bestimmt sie die Sicht der Gegenwart. Ein Grund dafür liegt sicher darin, daß der Ausgleich mit dem kleinen tschechischen Volk - anders als mit Russen und Polen - viel weniger Beachtung fand. Dies sowohl auf der Regierungsebene als auch auf Seiten der Friedensbewegung, Kirchen usw. Kennzeichnend auch: Die Friedensbewegung aus den alten Bundesländern, der alten BRD, fehlte bislang ganz bei den "Tschechisch-deutschen Dialogen" in Marienbad. Allein Friedensgruppen aus den neuen Bundesländern - vormals der DDR - vertraten die deutsche Seite - Ausdruck eines guten nachbarschaftlichen ("Bruder-")Verhältnisses zwischen Tschechen und DDR-Deutschen, das selbst durch den Einmarsch des Warschauer Paktes 1968 nicht gekippt werden konnte. Zum Tragen kommt hier auch die große Disproportionalität im Verhältnis Tschechien/Deutschland. Die kleine tschechische Republik ist sehr an guten Kontakten zum großen Nachbarn Deutschland interessiert, zum Teil in ökonomischer Hinsicht davon abhängig, während das Interesse Deutschlands an Tschechien nur marginal scheint.

Und dennoch gab und gibt es viele optimistische Perspektiven, die einen verallgemeinerten Pessimismus ungerechtfertigt erscheinen lassen:

Der diesjährige "Tschechisch-deutsche Dialog" konnte mit vielen Beispielen für einen aktiven Jugendaustausch aufwarten. So bietet die Prager Organisation "Europahaus" für deutsche Klassen Fahrten mit Familienunterkünften an. Die deutsche Robert-Bosch-Stiftung unterstützt mit großzügigen finanziellen Mitteln "ein derartiges Näherkommen der jungen Generation beider Völker". Gemeinsame Lehrertreffen gibt es bereits und sollen in Zukunft ausgebaut werden. Im nordrhein-westfälischen Soest findet im Landesinstitut für Schule und Weiterbildung ein Gesprächskreis zur deutsch-tschechischen Jugendverständigung statt, auf dem auch Teilnehmer des Marienbader Dialogs referieren. Eine länderübergreifende Schulbuchkommission durchforstet zur Zeit deutsche und tschechische Unterrichtswerke. Studententreffen, Familienbesuche, gemeinsame Tagungen von Redakteuren für Schüler- und Jugendzeitungen - all dies gibt es im Ansatz bereits und soll in Zukunft weiter ausgebaut werden.

Die bundesdeutsche Friedensbewegung sollte sich hier einklinken. So schlagen wir ein gemeinsames Treffen mit der Tschechischen Friedensgesellschaft vor. Kontinuierlicher Austausch, regelmäßige gegenseitige Besuche und gemeinsame Projekte könnten geplant werden.

 zum AnfangIn seiner großen Rede vom 17. Februar 1995 hat der Tschechische Präsident, Vaclav Havel, deutlich gemacht, warum der Austausch notwendig ist: "Für die Deutschen ist das Verhältnis zu den Tschechen verständlicherweise nicht von einer derartig fundamentalen Bedeutung, es ist für sie jedoch wichtiger, als manche von ihnen vermutlich zugeben würden: Traditionell ist es einer der Tests, der auch den Deutschen ihr Selbstverständnis enthüllt. Mehrere Male ist Deutschlands Beziehung zu uns ein wahres Spiegelbild seiner Beziehung zu Europa gewesen." Und Antje Vollmer fügte in ihrer Rede in der Karls-Universität Prag hinzu: "Solange die Tschechen noch nicht in Europa angekommen sind, solange die deutsche Politik nicht alles tut, um diesen Weg zu öffnen, so lange ist sie selbst nicht in dem neuen Europa angekommen, das die Chance unserer gegenwärtigen geschichtlichen Situation und unserer Zukunft ist. Solange die Tschechen nicht neben uns sind, sind auch wir nicht da, wo wir sein wollen."

Die Friedensinitiative Nottuln vermittelt gerne Kontakte (auch für Schulklassen und Jugendgruppen) nach Tschechien: FI Nottuln, c/o Robert Hülsbusch, Rudolf-Harbig-Str. 49, 48301 Nottuln, Tel.: 02502/9754, Fax: 02502/8589

Robert Hülsbusch ist Sprecher der Friedensinitiative Nottuln.
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