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Erstellt:
Dezember 1997

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FriedensForum 6/1997


Gibt es christliche NGOs in Tschechien?

Ilja Herold

Es ist heutzutage nicht einfach, in einer christlichen Kirche in der Tschechischen Rpublik mit freien Ansichten hervorzutreten. Theologisch, sowie, was den Typ der Frommheit betrifft, findet man unter den Kirchen zwar viele Unterschiede - doch jede Kirche oder Gemeinde schützt ihre eigene Position, und sie setzt voraus, daß die Mitglieder ihre Spezifitäten bewahren werden. Anders sieht die Lage aber vom politischen und gesellschaftlichen Standpunkt aus. Der Unterschied liegt darin, daß politisch alle tschechischen Kirchen wie ein Mann streng rechts stehen, antisozialistisch denken und sich den politischen und gesellschaftlichen Idealen der Marktpolitik und Bürgerdemokratie verbunden fühlen. Das politisch-alternative Denken wird dann folgerichtig ausgegrenzt und unterdrückt, sowie alles, was wie eine Kritik der Regierung, der Koalition, der Wirtschaft und der Politik aussehen könnte.

Alle Bestrebungen und Initiativen, alle Gruppen, alle Gedanken, die sich auf ökonomische, ökologische, sowie ganz allegemeine Friedensfragen beziehen oder sich mit den Fragen der Dritten Welt beschäftigen möchten, werden als verdächtig wahrgenommen und finden dann keinen Raum, kein Echo, keine Unterstützung und keinen Zutritt in die kirchliche Presse. Verdächtig sind auch inoffizielle und außerhalb der kirchlichen Strukturen stehende Kontakte nach Westen, verdächtig sind die Kontakte nach Genf, inkriminiert werden solche Institutionen wie die Christliche Friedenskonferenz CFK, das Ökumenische Friedensforum der Europäischen Katholiken ÖFFEK, und der Kairos.

 zum AnfangInnerhalb der Kirchen und Kirchengemeinden, oder diesen nah, findet man manche Bewegungen und Gruppen, die sich registrieren ließen und dann als eine bürgerliche Genossenschaft (unsere Form der NGO) existieren. Die Registrierung ist einfach und kostenlos, und es entstehen praktisch keine Verpflichtungen daraus. Die Anzahl dieser NGOs schätze ich als sehr hoch ein. Meistens, wie ich es sehe, finden sie ihren Sinn in der Arbeit mit Kindern und mit der Jugend, in karitativer Hilfe, oder im religionsfreundlichen Zusammentreffen. Falls aber eine solche Genossenschaft nicht irgendwie direkt an eine der kirchlichen Strukturen angebunden wird, bleibt sie nur lokal orientiert, ohne größeren Einfluß, und zeitlich und personell begrenzt. Ich zweifle daran, daß die Kirchenleitungen irgendeine Übersicht über solche NGOs besitzen.

Am Rande der nichtkatholischen Kirchen stehen auch noch diejenigen Genossenschaften, die sich jetzt mit den historischen Fragen beschäftigen. Solche NGOs, die bewußt und prinzipiell in der Kirche bleiben und da ein alternatives Denken zu der offiziellen Politik suchen und verfechten wollen, habe ich bisher nur drei gefunden. Eine Gruppe sind die "Christlichen Sozialen" (nicht "Sozialisten"), welche katholisch-ökumenisch denken, sich in eine politische Partei von sozial-demokratischer Prägung formieren möchten, sich um die Ideale des Centesimus Annus oszillieren und zum Ökumenischen Friedensforum der Europäischen Katholiken Kontakte pflegen. Die zweite Gruppe trägt in ihrem Namen die Worte "Gerechtigkeit und Nächstenliebe". Theologisch sehe ich diese Leute dem Pietismus näher, politisch stehen sie links, arbeiten praktisch, denken sozialistisch und sind durch einzelne Mitglieder mit der Kommunisten Partei verbunden. Die dritte Gruppe ist der "Christliche Dialog". Dieser konzentriert in sich Leute mit verschiedenem kritischen Denken von links bis rechts (auch Nichtchristen), und ist ein bißchen intelektueller. Mit der Welt kommuniziert die Gruppe mittels der Christlichen Friedenskonferenz oder Kairos.

Alle diese drei Gruppen sind ziemlich klein, arm, und bleiben ohne größeren Einfluß. Irgendwie sind sie nicht fähig, die jungen Leute anzusprechen. Innerhalb der Kirhen werden sie beschimpft, mißachtet, verdächtigt und ausgegrenzt. Unter sich pflegen sie aber gute Kontakte und eine sinnvolle Zusammenarbeit. Auch bestehen viele Kontakte zu den nichtchristlichen NGOs. Die Hauptformen der Arbeit sind thematische Zusammentreffen, Seminare zu aktuellen Problemen, die Herausgabe von einfachen Zeitschriften, das Aufsetzen von Petitionen und individuelle Gespräche und Korrespondenz, in kleinerem Maße auch karitative Arbeit.

Von großer Bedeutung für diese Arbeit sind die ausländischen Zeitschriften wie die Junge Kirche, Neue Wege, Der Überblick und Kritisches Christentum. Andere, und speziell die englische Presse, fehlen. Für persönliche Kontakte nach außen finden wir unter uns nicht genug jüngere Leute mit genügenden Sprachkenntnissen, wobei auch eventuelle Reisekosten für uns wegen der frevelhaften Wechselkurse sehr ungünstig sind und unsere Möglichkeiten streng limitieren.

 zum AnfangEs wäre wichtig, daß die tschechischen Leute, - und speziell die Kirchenleute - bei ihren ausländischen Kontakten - und diese gibt es häufig -, auch mit den alternativ denkenden Gruppen in Kontakt kämen. Gleich, ob sie wollen oder nicht. Unsere Leute sollten im Westen nicht nur mit dem hohen Verbrauchsniveau berauscht werden, sondern ihnen sollte auch von der realen Problematik der Welt gelehrt werden - was aber Aktivitäten von Seiten unserer Partner im Ausland voraussetzt.

Ing. Ilja Herold ist Mitglied der Leitung der christlichen Organisation Schalom.
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