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Erstellt:
November 1997


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FriedensForum 1/1998


Lokale Agenda 21 und Frieden

Martin Singe

In vielen Städten der Bundesrepublik laufen gegenwärtig von Basisinitiativen, Städten und Kommunen angestoßene Prozesse zur Umsetzung einer Lokalen Agenda 21. Dabei geht es um die Umsetzungen der Beschlüsse der Umweltkonferenz von Rio (1992) auf lokaler Ebene. Meist sind dabei Umwelt- und 3.Welt-Initiativen einbezogen. Die Bonner Pax-Christi-Gruppe zeigt anhand eines Diskussionspapiers für den Bonner Lokale-Agenda-Prozeß, wie notwendig und chancenreich es ist, sich auch als Friedensgruppe einzumischen. Wir dokumentieren das Papier vor allem als Anregung für andere Friedensgruppen, auch in ihren lokalen Agenda-Prozeß friedenspolitisch einzugreifen.

Über 170 Staaten der Erde haben sich 1992 bei der Umwelt-Konferenz in Rio de Janeiro für eine nachhaltige ökologische Entwicklung und einen umfassenden Nord-Süd-Ausgleich ausgesprochen. Die bisherigen Umsetzungen und Konkretisierungen auf Welt-, bzw. Regierungsebenen sind jedoch mangelhaft bis ungenügend. Weder im Nord-Süd-Verhältnis noch in den zentralen Problemfeldern einer auf Ressourcenerhalt bedachten Umweltpolitik wurden reale Fortschritte erreicht. Dies hängt vor allem damit zusammen, daß die reichen Industrienationen keine umwelt- oder entwicklungspolitisch motivierten Restriktionen hinsichtlich ihrer profitorientierten Wirtschaftsweise zulassen wollen.

Angesichts des Versagens der Regierungen richten sich gegenwärtig viele Hoffnungen auf kommunale Handlungsansätze. Auch die Stadt Bonn hat inzwischen (1997) einen Beschluß zur Erarbeitung und Umsetzung einer Lokalen Agenda 21 gefaßt und die Charta der Europäischen Städte und Gemeinden auf dem Weg zur Zukunftsbeständigkeit (Charta von Aalborg) unterzeichnet.

 zum Anfang Die Pax-Christi-Gruppe Bonn will sich im Rahmen der Lokalen Agenda 21 engagieren und insbesondere friedenspolitische Akzentsetzungen einbringen. Unser Engagement dabei geschieht in der Tradition unserer bisherigen Arbeit im Rahmen des konziliaren Prozesses für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.

Gründe für eine friedenspolitische Akzentsetzung im Agenda-Prozeß:

Die Konferenz von Rio hat selbst den Zusammenhang von Entwicklungs-, Ökologie- und Friedenspolitik betont. So heißt es z.B. in Prinzip 24 der Rio-Deklaration "Krieg zerstört die Möglichkeit der nachhaltigen Entwicklung." Prinzip 25 lautet: "Frieden, Entwicklung und Umweltschutz hängen eng miteinander zusammen und sind unteilbar."

Die gegenwärtige Sicherheitspolitik der Bundesregierung im Kontext der NATO steht den politischen Absichtserklärungen von Rio diametral entgegen. Die nach dem Kalten Krieg beschlossene neue NATO-Strategie (Rom 1991) und die Verteidigungspolitischen Richtlinien (Bonn 1992) gehen davon aus, daß das Militär künftig vor allem dazu da sei, wirtschaftspolitische Interessen und Einflußzonen weltweit abzusichern sowie Instabilitäten ebenso weltweit entgegenzutreten. Deshalb geschieht aktuell die Umorientierung der NATO-Armeen auf weltweite out-of-area-Einsätze. Die neue Sicherheitspolitik ist aus der engen Sicht nationaler Interessen der nördlich-reichen Länder formuliert. Diese neue Sicherheitspolitik ist mit den Zielsetzungen von Rio nicht vereinbar: Statt eines Nord-Süd-Ausgleichs dient diese Politik der Stabilisierung des gegenwärtigen ungerechten Nord-Süd-Ausbeutungs-Verhältnisses. Statt das immense menschliche (Rüstungsforschung militärisches Personal), ökonomische (Waffenproduktion) und ökologische (Truppenübungsplätze, Militärverkehr) Ressourcen verbrauchende Militär weltweit abzurüsten, werden neue Legitimationen für militärische "Sicherheits"politik geschaffen und ebenfalls alle übrigen Staaten - direkt oder indirekt - ermuntert, sich ebenfalls starke militärische Sicherheitsapparate zuzulegen bzw. aufrechtzuerhalten und auszubauen.

Gegenwärtig ist weder auf NATO-Ebene noch auf bundesrepublikanischer Regierungsebene ein Umdenken in der sicherheitspolitischen Orientierung in Sicht. Auch im Falle einer neuen Regierungszusammensetzung (rot-grün) ist nicht mit einer grundsätzlichen Umorientierung zu rechnen.

Alle Politikfelder, die von der Agenda 21 berührt werden, haben sowohl bundes-, landes- und regionale/kommunale Aspekte. Genauso ist es mit den friedenspolitischen Implikationen der Agenda 21. Als lokale Gruppe in Bonn sehen wir uns als Mitglied der Internationalen katholischen Friedensbewegung Pax Christi deshalb dazu herausgefordert, unsere Impulse in die Bonner Lokale Agenda 21 einzubringen, auch wenn dieselben grundsätzliche bundespolitische Zusammenhänge betreffen. Diese Spannung besteht ebenfalls in den entwicklungspolitischen und ökologischen Bereichen. Bei allen diesen Themenfeldern sind trotz bundespolitischer Stagnation kommunale Handlungsmöglichkeiten notwendig und entsprechende Ansätze gegeben. Wir wollen im folgenden darstellen, welche friedenspolitischen Akzentuierungen wir in den Bonner Agenda-Prozeß einbringen wollen.

 zum AnfangDa gemäß Ratsbeschluß der Stadt Bonn Fachforen zum Agenda-Prozeß eingerichtet werden sollen, ist zu prüfen, ob ein eigenständiges Fachforum "Friedenspolitische Akzentuierungen des Agenda-Prozesses" einzurichten ist. In jedem Fall müssen in dem vorgesehenen Expertengremium "Fachbeirat Lokale Agenda 21" Friedens- und Rüstungskonversions-Forscher vertreten sein.

Wir möchten vier Themenkomplexe ansprechen:

1. Friedens- und sicherheitspolitische Handlungsfelder;

2. Förderung der Fähigkeiten zu gewaltfreiem Konfliktaustrag im kommunalen Alltag;

3. Förderung eines gewaltfreien Zusammenlebens von Deutschen und Ausländern - für eine aktive Integrationspolitik;

4. Friedenspreis.

Alle an die Stadt Bonn gerichteten Forderungen sind durch entsprechende Ratsbeschlüsse und in praktischer Kooperation mit den zuständigen Einrichtungen der Stadt sowie den Bonner Gruppen und Initiativen, die friedenspolitisch bzw. im Agenda-Prozeß aktiv sind, schrittweise umzusetzen.

1. Friedens- und sicherheitspolitische Handlungsfelder

- Da die aktuelle militärgestützte Sicherheitspolitik weder den ökologischen noch den auf einen gerechten Nord-Süd-Ausgleich gerichteten Forderungen der Agenda 21 gerecht wird, tritt die Stadt Bonn der offiziellen Sicherheitspolitik der Bundesregierung in öffentlichen Stellungnahmen und in ihrem kommunalen Handeln entgegen.

- Bonn wird zur (atom-)waffenfreien Stadt erklärt und jegliche Lagerung oder Durchfahrt von (Atom-)Waffen wird untersagt. In Bonn werden keine weiteren Betriebe angesiedelt, die an Rüstungsgütern verdienen. Keine in Bonn ansässige Firma darf von Rüstungsexporten profitieren. Noch vorhandene rüstungsproduzierende oder an Waffenteilen verdienende Firmen werden von einem noch einzurichtenden Konversionsfachrat der Stadt beraten, um die Produktion schrittweise auf zivile, sinnvolle Güter umzustellen und die Arbeitsplätze entsprechend umzuwidmen. Die Stadt Bonn unterstützt geeignete Fortbildungen und Umschulungen für die Angestellten. In diesem Kontext ist die Kooperation mit dem BICC (Bonn International Center for Conversion) zu suchen.

- Wegen des Zusammenhangs der zivilen mit der militärischen Nutzung der Atomenergie aber auch wegen der umweltpolitischen Folgen der zivilen Nutzung der Atomenergie widerspricht die Stadt jeglicher weiteren Nutzung von Atomenergie. Es wird auf die Schließung von im Kontext der Atomenergie stehende Unternehmen und Einrichtungen hingearbeitet. Zügen und Fahrzeugen mit nuklearem Material wird die Durchreise durch die Stadt Bonn verweigert. Bonn macht sich schrittweise unabhängig von Nuklearstrom.

 zum Anfang - Die Stadt Bonn und die in Bonn ansässigen Friedensinitiativen intensivieren die Beratung für Kriegsdienstverweigerer. In Bonner Schulen dürfen Jugendoffiziere künftig nur dann tätig werden, wenn gewährleistet ist, daß auch von externen Kräften über das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung informiert wird. Die Stadt berät Organisationen und Institutionen, die friedenspolitisch sinnvolle Zivildienstplätze einrichten wollen.

- Die Stadt Bonn setzt sich für Flüchtlinge und Deserteure aus Kriegsgebieten ein. Bonn beschließt, Aufnahmeplätze für ein Kontingent von Deserteuren bereitzustellen und dies deutschen Auslandsvertretungen in Kriegs- und Krisengebieten mitzuteilen, damit von dort aus Visa für verfolgte Deserteure erstellt werden können.

- In Fällen von Krisen und Kriegen versucht die Stadt Bonn in Kooperation mit den Bonner Friedensgruppen nach Möglichkeiten, Kontakt zu einer Partnerstadt oder friedenspolitisch engagierten Gruppen in dem betroffenen Land bzw. der betroffenen Region aufzubauen, um im Sinne gewaltfreier Konfliktbearbeitung unterstützend tätig zu werden. Es werden dann Mittel bereitgestellt, um z.B. präventiv-kriegsverhindernd Konflikte zu bearbeiten, in Kriegen de-esakalierend - etwa durch mediale Initiativen gegen Feindbildverhetzungen - einzugreifen und nach Konflikten Kriegsgeschädigte, Flüchtlinge und Versöhnungsinitiativen zu unterstützen. Das ganze Spektrum der Methoden und Möglichkeiten der zivilen Konfliktbearbeitung ist in solchen Fällen in Betracht zu ziehen. Bonn unterstützt Menschen, die in diesem Sinne einen unabhängigen zivilen Friedensdienst leisten wollen und beurlaubt für solche Einsätze z.B. städtische Beamte und Angestellte, wenn diese eine entsprechende Ausbildung bzw. hinreichende Fähigkeiten haben.

2. Förderung der Fähigkeiten zu gewaltfreiem Konfliktaustrag

- Die Stadt Bonn setzt sich dafür ein, daß auf kommunaler Ebene die Fähigkeiten zur gewaltfreien Konfliktbewältigung umfassend gefördert werden. Dazu gehören u.a.: Angebot von Konflikttrainings, Mediatorenausbildung, Gewaltfreiheits-Seminare für Jugendliche; entsprechende Lehrerfortbildungen; Unterstützung der Kampagne "Wege aus der Gewalt".

- Die Stadt Bonn unterstützt freiwillige unabhängige Friedensdienste und schafft Austauschstellen für den Europäischen Freiwilligendienst.

- Die Stadt Bonn unterstützt die Einrichtung von Konfliktberatungsstellen und Opferhilfen für die Betroffenen von (Gewalt-)Verbrechen und Kriminalität, damit diesen unbürokratisch materiell und vor allem psychosozial geholfen werden kann. Formen des Täter-Opfer-Ausgleichs, außergerichtlichen Tatausgleichs und Vermeidung strafrechtlicher Gewalt bei Rechtsprechung und Kriminalitätsbekämpfung sollen gefördert werden. Bonn trägt zu einer entkriminalisierenden Drogenpolitik bei.

 zum Anfang - Initiativen zur Bildung von Nachbarschaftsräten sollen gefördert und beraten werden.

- Foren und Bildungsveranstaltungen über Kriege, Kriegsursachen und alternative Formen der Sicherheits- bzw. Friedenspolitik werden regelmäßig angeboten.

- Vertiefende Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit der Stadt im Blick auf Zwangsarbeiter, Juden, Roma und andere Verfolgte; ggf. kommunale Rehabilitations- bzw. Wiedergutmachungsinitiativen.

3. Förderung eines gewaltfreien Zusammenlebens von Deutschen und Ausländern

- Bonn unternimmt verstärkte Anstrengungen, um ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger zu integrieren und sozial abzusichern. Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit muß entschieden entgegengetreten werden.

- Bonn schöpft alle vorhandenen Möglichkeiten aus, um Ausweisungen, Abschiebungen und Abschiebehaft von Ausländern und Flüchtlingen zu vermeiden. Bonn tritt der restriktiven und inhumanen Bundespolitik in diesen Fragen öffentlich entgegen.

- MigrantInnen ist kommunales Wahlrecht einzuräumen.

- Der Status jugendlicher Nicht-Deutscher, die hier aufgewachsen sind, muß gesichert werden.

- Nicht-Deutsche sind bei Stellenbesetzungen in städtischen Einrichtungen, z.B. Verwaltung, Kindergärten, zu berücksichtigen, um Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken und nichtdeutsche Ansprechpartner in den Einrichtungen zu haben.

- Den Bediensteten in städtischen Einrichtungen und Ämtern sollen Schulungen angeboten werden, bei denen sie ausländerfreundliche Verhaltensweisen und verständnisorientierte Kommunikationsformen einüben können.

- Die Bediensteten des Ausländeramtes werden seitens der Stadt hinreichend über die Hintergründe von Flucht und Migration unterrichtet, damit ein empathischer Umgang mit Flüchtlingen und Ausländern erreicht wird.

- Für alle Bevölkerungsgruppen sind Bildungsveranstaltungen über Fluchtursachen anzubieten.

- Es müssen Mittel bereitgestellt werden, damit Ärzte im Krankheitsfall von Ausländern ggf. Dolmetscher hinzuziehen können.

4. Bonn verleiht jährlich den Bonner Bertha-von-Suttner-Friedenspreis

an einzelne BürgerInnen oder Gruppen/Initiativen, die sich in besonderer Weise für Friedensförderung - gleich auf welcher Ebene - eingesetzt haben. Der Preis wird mit 10.000 DM dotiert.



Für die Pax Christi Gruppe Bonn: Martin Singe, Lennéstr. 45, 53113 Bonn

E-Mail:   Grundrechtekomitee@t-online.de
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Übergeordnetes Thema:

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