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Erstellt:
November 1997


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FriedensForum 1/1998


Multilateral Agreement on Investment (MAI):

Das Volk wird nicht informiert

Maria Mies

Im Juni dieses Jahres erfuhren Gewerkschafterinnen und Gewerkschater anläßlich der 85. Jahrestagung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) in Genf, daß bereits seit 2 Jahren in Paris bei der Organisation of Economic Cooperation and Development (OECD) Geheimverhandlungen über ein "Multilateral Agreement on Investment" (MAI), ein multilaterales Abkommen über den Schutz von Auslandsinvestitionen, geführt werden.

Obwohl die IAO bei der OECD als Beobachterin mit am Verhandlungstisch sitzt, bekamen die Gewerkschafter den Originalentwurf des MAI nicht zu Gesicht. Die Auszüge, die ihnen jedoch ausgehändigt wurden, reichten aus, um ihnen klar zumachen, daß mit der Unterzeichnung des MAI durch die Regierungen der 29 OECD-Staaten, des Clubs der reichsten Industrieländer der Welt, die endgültige, nun auch politische Weltherrschaft der multinationalen Konzerne, das Ende sowohl des Nationalstaates als auch des Sozialstaates angesagt ist. In einer Erklärung an die Delegierten der IAO-Versammlung geben sie nach einer kurzen Analyse des MAI ihrer Empörung und Besorgnis Ausdruck. Sie fordern die sofortige Veröffentlichung des MAI und eine breite Diskussion in der Bevölkerung.

Die deutsche Delegation informierte sofort die Spitze des DGB, die Führung der SPD, die Presse und schickte eine Delegation zum Bundeswirtschftsministerium. Die Delegation stellte fest: "Ein so weitgehender Vertrag stellt ohne Zweifel die Souveränität der Völker, der Nationalstaaten mit ihren freigewählten Parlamenten und Regierungen in Frage. Wir sind der Meinung, daß keine Regierung das Recht hat, ein Abkommen zu unterzeichnen, das die Souveränität der Völker zugunsten der schrankenlosen Durchsetzung der Interessen der multinationalen Konzerne einschränkt ... Wir fordern die Veröffentlichung des MAI!"

 zum AnfangDr. Zimmer vom BMWi erklärte, es sei ein Mißverständnis, daß im MAI Fragen der Souveränität, der Arbeitsschutzrechte, der Tariffreiheit, des Umweltschutzes berührt würden. Wenn die Verhandlungen abgeschlossen seien, werde das Ergebnis dem Bundestag zugeleitet, der sicherlich zustimmen würde. Die Frage, warum die ganze Sache geheim gehalten würde, beantwortete er nicht. Er erklärte lediglich: "Es ist legitim, den normalen Bürger nicht zu fragen, unter welchen Rahmenbedingungen ein Unternehmen im Ausland investieren kann." Den Originaltext bekamen sie nicht.

MAI - neue Bill of Rights

Worum geht es beim MAI? Angeblich "nur" um den "Schutz" von Investitionen im Ausland. Aber warum dann diese Geheimhaltung? Der Originaltext des Vertragsentwurfes wurde im Frühjahr dieses Jahres unter strengster Geheimhaltung unter den Regierungen der OECD-Länder verteilt. Doch im April wurde der Originaltext Tony Clarke, einem Aktivisten des Canadian Centre for Policy Alternatives (CCPA), zugespielt, der eine Analyse erstellte, die in ganz Kanada Empörung hervorrief und eine breite Kampagne gegen das MAI auslöste.

Tony Clarke schreibt, daß es beim MAI darum geht, einen ganzen Satz neuer globaler Regelungen für Investitionen durchzusetzen, die den multinationalen Konzernen unbegrenzte Rechte und Freiheiten gewähren, überall in der Welt zu kaufen, zu verkaufen, zu besitzen, zu produzieren, wo und wie sie wollen, und dabei von keiner nationalen Gesetzgebung in Bezug auf Arbeitsrechte, Umweltschutzgesetze, Menschenrechte, KonsumentInnenrechte mehr behindert werden dürfen. Das MAI sei in der Tat eine neue "Bill of Rights", eine neue "globale Verfassung einer einheitlichen Weltwirtschaft", wie Renato Ruggiero, Präsident der Welthandelsorganisation WTO, es ausdrückte. Diese neue Verfassung gilt aber nur für das transnationale Kapital. Die Regierungen, die das MAI unterzeichnen, haben die Pflicht, die Rechte der Bürger zugunsten des global operierenden Kapitals zu beschneiden und ein günstiges Investitionsklima herzustellen. Die Investoren wollen nur Rechte und Freiheiten, aber keinerlei Verpflichtung gegenüber den Gastländern.

Ziele des MAI

Beim MAI geht es um die Übertragung politischer Rechte und politischer Macht an die Multis. Dazu gehört unter anderem, daß in- und ausländische Investoren den gleichen juristischen Status wie Nationalstaaten haben. Die Politik steht nicht mehr über der Wirtschaft. Sie hat ihr vielmehr zu dienen.

Die Multis definieren, was "Investitionen" sind. Dazu gehören "jedes beliebige Guthaben", jedes vertraglich gewährte Recht; jede Form von intellektuellem Eigentum und allgemeiner: jedwedes materielle und immaterielle, mobile oder immobile Eigentum. Also auch Geschäfte mit Patenten auf pflanzliche, tierische, menschliche Gene, Investitionen aus Spekulationen, aus Waffen- und Drogenhandel, Investitionen aus den Summen, die aus Geldwäsche entstanden sind.

 zum AnfangAusländische Investoren müssen wie inländische behandelt werden; sie werden sogar bevorzugt. Wenn inländische Investoren zum Beispiel noch durch Arbeits- und Umweltschutzauflagen eingeschränkt werden, so gilt das für ausländische Unternehmen nicht. Andererseits genießt das ausländische Unternehmen alle Steuer- und Subventionsvorteile, die auch einem inländischen gewährt werden.

Jeder Investor aus einem Unterzeichnerland kommt automatisch in den Genuß der "günstigsten Bedingungen, die das betreffende Land einem Investor gewährt". Keine Regierung hat das Recht, den freien Gewinnstransfer zu behindern. Die Unternehmen sind nicht verpflichtet, ihn dort zu investieren, wo sie ihn gemacht haben.

Bei Streitfällen haben Investoren das Recht, von dem Gaststaat Schadensersatz für Verluste der Investition zu verlangen. Andererseits brauchen sie selbst keinen Schadensersatz für verursachte soziale und ökologische Schäden zu zahlen. Den Unterzeichnern ist verboten, "direkt oder indirekt zu enteignen ... in Ausnahme in Fällen im öffentlichen Interesse", die aber sofort angemessen entschädigt werden müssen.

Alle noch nicht privatisierten Staatsunternehmen oder "Staats-Monopole" - wie das MAI sie nennt - (also Post, Wasser, Erziehung u.s.w.) müssen ausschließlich nach wirtschaftlichen, das heißt gewinnmaximierenden Gesichtspunkten geführt werden. Wenn solche "Monopole" privatisiert werden, haben ausländische Investoren dasselbe Recht wie inländische, sie zu kaufen.

Die Regierungen haben die Pflicht, für politische Sicherheit und ein "günstiges Investitionsklima" zu sorgen. Dazu gehört unter anderem, die sogenannte "roll-back"-Klausel: Das heißt, alle Gesetze und Regeln eines Landes, die der Liberalisierung und Deregulierung noch entgegenstehen, müssen bis zu einem bestimmten Datum (sun-set-time) aufgehoben werden. Im Klartext heißt das: alle nationalen Regelungen zum Schutz von Arbeitern und Arbeitsplätzen, zum Schutz von "Standorten", Regelungen über Minimallöhne, Umweltschutzgesetze, nationale Menschenrechtsbestimmungen, Verbraucherschutzregeln, wenn sie nicht ausdrücklich von den Regierungen in Fußnoten aus dem Abkommen herausgenommen werden, sind aufzuheben.

In der sogenannten "stand-still"-Klausel verpflichten sich die unterschreibenden Regierungen, auch in Zukunft keine neuen Gesetze zu verabschieden, die nicht mit dem MAI übereinstimmen. Das heißt, die Deregulierungs- und Liberalisierungspolitik wird auch für die Zukunft festgeschrieben.

Das MAI-Abkommen gilt für 20 Jahre. Will ein Staat aus dem Vertrag austreten, muß er zunächst fünf Jahre nach der Unterzeichnung warten. Außerdem sind die ausländischen Investitionen in diesem Land für weitere 15 Jahre geschützt.

 zum AnfangHaupttriebkraft hinter dem MAI sind die USA und das U.S.-Council for International Business. Der Präsident dieses US-CIB warnte in einem Brief vom 31.3.1997: "Das MAI ist ein Abkommen der Regierungen, die internationalen Investoren und ihre Investitionen zu schützen und das Investitionsregime zu liberalisieren. Wir werden uns grundsätzlich allen Maßnahmen widersetzen, die darauf zielen, daß Regierungen oder Business bindende Verpflichtungen schaffen oder gar anwenden, die etwas mit der Umwelt oder mit Arbeit zu tun haben."

Anfangs war, wie Tony Clarke schreibt, die EU-Kommission dafür, das MAI im Rahmen der WTO und nicht in der OECD zu verhandeln. Aber die USA fürchteten, daß dann die Entwicklungsländer, als Mitglieder der WTO, das ganze Abkommen "verwässern" würden. Sie wollten ein "high standard"-Abkommen, das "die Interessen der US-Investoren im Ausland schützen solle". Die Drittweltländer sollen später diesem Abkommen beitreten können, allerdings unter der Bedingung, daß sie die von den OECD-Ländern im MAI festgeschriebenen Regeln akzeptieren. Herr Zimmermann vom BMWi bestätigte, daß das MAI "ein amerikanisches Kind" sei, "das wir von Anfang an unterstützt haben."

Also, den Schluß, den ich "normale Bürgerin" aus dem Ganzen ziehe, ist erstens der, daß wir nicht mehr informiert werden, wenn es um unsere Grundrechte, die Kontrolle über unser Leben, unsere Arbeit, unsere Ressourcen, um eine intakte Natur geht, sondern das solche Verhandlungen im Geheimen geführt werden.

Zweitens geht es um einen neuen, globalen Totalitarismus, bei dem das international operierende Kapital neben der ökonomischen nun auch die politische Weltherrschaft anstrebt. Und es sind die freigewählten Regierungen der reichen Staaten, die die Rechte ihrer Bürger und die Souveränität ihrer Länder an die transnationalen Konzerne ausliefern.

Drittens geht es um einen neuen globalen Kolonialismus, einen Kolonialismus nicht mehr nur zugunsten bestimmter nationaler Metropolen, sondern zugunsten des Kapitals pur.

Der Originaltext des MAI kann über Internet oder E-mail beim Canadian Centre for Policy Alternatives angefordert werden:

e-mail: ccpa@policy alternatives.ca.
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