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Erstellt:
Januar 1998


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FriedensForum 1/1998


Abschiebepraxis in die Türkei

Amke Dietert-Scheuer

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellte im Oktober `97 eine Kleine Anfrage zur "Abschiebepraxis in die Türkei" an die Bundesregierung. Darin werden abgeschobene Kurden mit ihren schlimmen Erfahrungen in der Türkei vorgestellt - Folterungen, "Verschwinden", Anklagen auf der Grundlage politischer Vorwürfe. Nachstehend dokumentieren wir die Liste.

In seinem Urteil vom 24. März 1997 vertritt das Bundesverfassungsgericht die Auffassung: "Soll der Asylsuchende bei angenommener regionaler Gruppenverfolgung auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden, so setzt dies verläßliche Feststellungen darüber voraus, daß der Betroffene dort nicht in eine ausweglose Lage gerät. Er muß danach in dem in Betracht kommenden Gebiet nicht nur vor politischer Verfolgung hinreichend sicher sein; es dürfen ihm dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existentielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde (...). Eine existentielle Gefährdung kann sich auch daraus ergeben, daß der Asylbewerber am Ort der Fluchtalternative für sich das wirtschaftliche Existenzminimum weder aus eigener Kraft noch mit Hilfe Dritter gewährleisten kann" (Urteil des BVerfG vom 24. März 1997, S. 8 f.).

Die folgenden Schicksale abgeschobener kurdischer Asylbewerber belegen die außerordentliche Gefährdung in der Türkei. Sie zeigen, daß für eine solche Gefährdung allein die Zugehörigkeit zur kurdischen Ethnie ausreichend sein kann:

 zum AnfangDer aus der Provinz Mardin stammende 27jährige Kurde Abdussemat A. wurde zusammen mit seiner Frau und drei Kindern am 22. Oktober 1996 nach Istanbul abgeschoben. Familie A. wurde nach der Übergabe durch die deutschen Beamten noch am Flughafen über politische Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland verhört. Nach Angaben von Frau Menfiat A. wurden sie hierbei beschimpft und geschlagen. Die Ehefrau Menfiat A. und ihre drei Kinder wurden noch am selben Tag freigelassen. Als sie in der Nacht mit den Kindern freigelassen worden sei, habe man ihr gesagt, ihr Mann sei schon längst frei. Sie habe vergeblich stundenlang vor dem Polizeigebäude auf ihren Ehemann gewartet. Da sie weder ihre Papiere noch ihr Gepäck zurückerhalten habe, sei sie tagelang in Istanbul herumgeirrt, bis es ihr gelang, Kontakt zu Angehörigen aufzunehmen. Ihre Familienangehörigen sind nach der Zerstörung ihres Dorfes Kerfef nach Midyat geflohen. Sie haben ihr abgeraten, in ihre Heimatregion zurückzukehren, da die Familie nicht für ihre Sicherheit garantieren könne. Frau A. hielt sich mit ihren Kindern in Istanbul versteckt und ist mittlerweile in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt (FR, 7. Oktober 1997).

Herr A. ist seitdem verschwunden, von ihm fehlt noch immer jegliche Spur. Frau A. wie auch Freunde und Bekannte aus der Bundesrepublik Deutschland halten es für ausgeschlossen, daß Herr A. die Familie im Stich gelassen hat. Herr Abdussemat A. sei von türkischen Behörden der PKK-Unterstützung beschuldigt worden. Aus Angst vor der Contraguerilla ist er im Januar 1988 in die Bundesrepublik Deutschland geflohen. Herr A. war auch in der Bundesrepublik Deutschland politisch aktiv. Es steht stark zu befürchten, daß Herr A. noch immer in Polizeihaft ist oder nicht mehr am Leben ist.

Der Kurde Hasan K. kam im September 1992 nach Deutschland und wurde am 20. Dezember 1996 abgeschoben. Bei der Flughafenpolizei wurde er von einem Kommissar als "Terrorist" beschuldigt. In einem Brief an seinen Vater vom 3. Januar 1997 schildert er, daß er unter starken Schlägen gezwungen wurde, Aktivitäten für die PKK (u. a. in Deutschland) einzugestehen. Später wurde er weiterer Folter ausgesetzt: Er wurde der Bastonade unterworfen, seine Hoden wurden gequetscht und ihm wurde mit weiterer Folter bei der politischen Polizei gedroht. Daraufhin entschloß sich Hasan K., eine Beteiligung an zwei Demonstrationen und Newroz-Feierlichkeiten zuzugeben.

Am nächsten Tag ordnete der Staatsanwalt seine Freilassung an. Trotzdem wurde er von den Flughafenpolizisten zur politischen Polizei (Abteilung zur Bekämpfung des Terrorismus) gebracht. Mit verbundenen Augen wurde er zu seinen Aktivitäten befragt. Er wurde brutal geschlagen und ihm wurde gedroht, daß er aufgehängt werde, Stromstöße erhalte und daß ihm ein Polizeiknüppel in den After gesteckt und er unfruchtbar gemacht werde. Da ein Zellengenosse unter der Folter sehr übel zugerichtet worden war, legte Hasan K. aus Angst erneut ein "Geständnis" ab. In den fünf Tagen bei der politischen Polizei wurde er zweimal unter Schlägen und Bastonade verhört.

 zum AnfangAuf dem Weg zur Staatsanwaltschaft wurde er geschlagen und bedroht, weiter gefoltert zu werden, wenn er dort seine Aussage nicht bestätigen würde. Unter Hinweis auf die Folter widerrief er sein "Geständnis" sowohl vor der Staastanwaltschaft als auch beim Haftrichter. Der Richter ordnete jedoch Untersuchungshaft an. Herr K. wurde am 2. April vom Staatssicherheitsgericht Istanbul freigesprochen und freigelassen. Über eine Revision des Urteils liegen keine Informationen vor (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS "Auswirkungen von Menschenrechtsverletzungen in der Türkei auf den Auslieferungs- und Abschiebeverkehr mit der Bundesrepublik Deutschland", Antwort: Drucksache 13/7350).

Mit Schreiben vom 5. Juni 1997 berichtet das Auswärtige Amt: "Abgesehen von den Einlassungen Kutgans und den Angaben seiner Rechtsanwältin (...) liegen dem Auswärtigen Amt keine Hinweise vor, aufgrund derer sich die Foltervorwürfe in diesem Fall verifizieren ließen".

Am 26. Febr. 1997 wurde der aus der Türkei stammende Kurde, Abdulhalim S. mit Flug Nr. JP 1615 von Frankfurt über Ljubljana nach Istanbul abgeschoben. Die Maschine landete am 27. Febr. 1997 um 2.15 Uhr in Istanbul. Herr S. wurde noch am Flughafen verhaftet und dort zwei Tage festgehalten. Am 1. März wurde er in die Zentrale der Anti-Terror Einheit gebracht und dort nach eigenen Angaben zwei Wochen lang mit Elektroschocks gefoltert. Er wurde dann am 3. Mai 1997 in das Gefängnis in Mardin gebracht, aus dem er am 28. Juni 1997 entlassen wurde.

Mit Schreiben vom 8. April 1997 teilte das Auswärtige Amt jedoch mit: "Das Generalkonsulat teilt nunmehr mit, laut Auskunft der Flughafenpolizei Istanbul sei Herr S. mit türkischem Personalausweis eingereist und nach Überprüfung durch die Flughafenpolizei noch am selben Tag wieder freigelassen worden. Gegen ihn liege auch kein Haftbefehl vor".

Herr S. floh erneut in die Bundesrepublik Deutschland und befindet sich seit dem 25. September in Abschiebehaft in Berlin.

Am 7. Dezember wurden der Asylbewerber Müslim A., seine Ehefrau und sein vierjähriger Sohn Mikael in die Türkei abgeschoben. Bei der Sicherheitsüberprüfung durch die Istanbuler Polizei wurde ihm eröffnet, daß es in Tunceli, seinem Heimatort, "ein kleines Problem" gebe. Gegen eine Summe von 50 Mio. TL würde ihn die Polizei freilassen unter der Auflage, nach Tunceli zu fahren und sich bei der dortigen Polizeibehörde zu melden. Nachdem Herr A. zumindest einen Großteil des geforderten Bestechungsgeldes über Verwandte aufbringen konnte, wurde er schließlich freigelassen. Er begab sich allerdings nicht - wie von den Sicherheitsbehörden verlangt - nach Tunceli, sondern für mehrere Wochen zu Verwandten an einen anderen Ort. Von seinem Vater erfuhr er am Telefon, daß seine Wohnung bereits mehrere Male von der Polizei durchsucht worden sei und diese nach ihm gesucht habe. Daraufhin schaltete Herr A. einen Anwalt ein. Über diesen erfuhr er, daß gegen ihn in Kayseri ein Verfahren beim Staatssicherheitsgericht wegen separatistischer Propaganda anhängig ist (Artikel 8 Abs. 1 des Anti-Terror-Gesetzes).

 zum AnfangDa die Istanbuler Polizei den Reisepaß von Herrn A. einbehalten hatte, bemühte er sich um einen neuen Paß. Als er sich am 7. Juli 1995 zur Polizeidienststelle in Antalya begab, um seinen Paß abzuholen, wurde er sofort inhaftiert und zur Anti-Terror-Abteilung gebracht. Dort wurde er vier Tage hindurch mit verbundenen Augen schwersten Mißhandlungen - Schlägen und Bastonade - ausgesetzt. Die Sicherheitsbeamten wollten von Herrn A. Informationen über seine Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland erhalten. Ebenso wurde er befragt, ob er bestimmte Personen aus dem Umfeld der PKK, TIKKO, Dev Sol und Dev Yol kenne. Nachdem Herr A. angab, in der Bundesrepublik Deutschland nicht politisch aktiv gewesen zu sein und die genannten Personen nicht zu kennen, wurde er von der Existenz von Filmen, die seine Teilnahme an Demonstrationen in der Bundesrepublik Deutschland belegten, in Kenntnis gesetzt. Herr A. wurde nach den Verhören dem Staatsanwalt vorgeführt. Die Verhandlung gegen Herrn A. begann schließlich Ende August, fast vier Monate nach seiner Festnahme, und endete mit einem Freispruch. Er verließ auf illegalem Weg die Türkei und stellte einen Asylfolgeantrag. Mit Bescheid vom 23. April 1996 wurde Herr A. nach Artikel 16a Abs. 1 GG als asylberechtigt anerkannt (Quellen: Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sowie Bericht des Flüchtlings).

Der Kurde Ahmet K. wurde am 20. Aug. 1997 zusammen mit seiner Ehefrau und seinen fünf Kindern von Stuttgart nach Izmir abgeschoben. Die Bundesgrenzschutzbeamten nahmen gegen den heftigen Widerstand der Familie einen Koffer mit, in dem sich u. a. Spendenbescheinigungen für die ERNK und Fotos von einer Demonstration in Düsseldorf vom 21. April 1997 befanden. Die Grenzschutzbeamten überreichten den Koffer an die türkischen Sicherheitsbehörden. DieFamilie wurde von den Sicherheitsbehörden festgenommen. Während die Ehefrau und die Kinder nach zwei Tagen freigelassen wurden, wurde Ahmet K. wegen "Unterstützung der PKK" in U-Haft genommen und in das Gefängnis in Nazilli eingewiesen. Nach Auskunft seines Anwaltes soll das Verfahren Anfang Oktober vor dem SSG Izmir beginnen (FR,12. September 1997).

Nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom 7. Oktober 1997 wurde der 31jährige Kurde Ibrahim A. am 30. Juli d.J. mit dem Lufthansaflug LH 3818 von Frankfurt/Main nach Istanbul abgeschoben. Seither ist Ibrahim A. verschwunden. Die Istanbuler Flughafenpolizei gab an, Herr A. sei niemals in Istanbul angekommen.

 zum AnfangIm Bericht des Menschenrechtsvereins (IHD) Istanbul für August 1997 wurde u. a. über folgende Fälle berichtet:

Mehmet O. wurde am 18. Aug. 1997 um 13.30 Uhr von Deutschland abgeschoben und kam um 15.30 Uhr am Flughafen in Istanbul an. Bei den dortigen Kontrollen wurde er festgenommen. Nach eigenen Angaben wurde er von den Polizisten auf der Wache des Flughafens gefoltert: "Gleich bei Eintritt in die Wache begannen die Polizisten, mich zu schlagen. Sie fluchten ständig. Manchmal schlug mich einer, manchmal drei Polizisten auf einmal. Da ich meine Religion gewechselt hatte und Christ geworden war, fluchten sie auf meine Religion. Mein ganzer Körper schmerzte. Der Arzt sagte mir, daß aufgrund der Schläge meine Hörmembrane zerstört worden sei. Es tropft ständig aus meinem Ohr. Unter der Bedingung, daß ich bei der Staatsanwaltschaft keine Anzeige erstatte, wurde ich abends gegen 23.30 Uhr freigelassen". (vgl. Bericht des IHD, Istanbul, August 1997).

Aligül S. war am 13. Juni 1997 mit seiner Tochter aus Deutschland abgeschoben worden und wurde nachts gegen 2 Uhr der türkischen Polizei überstellt. Nach sieben Stunden bei der Flughafenpolizei wurde er der Abteilung zur Bekämpfung des Terrorismus überstellt. Seine Tochter wurde nach drei Tagen freigelassen. Nach eigenen Angaben wurde Aligül S. in der Polizeihaft Mißhandlungen, wie beständigen Schlägen, Beschimpfungen, Ziehen an den Haaren und Beleidigungen ausgesetzt. Man habe ihn aufgefordert, für die Polizei als Spitzel zu arbeiten und er sei nach 21 Tagen freigelassen worden. Er bat um Rechtsbeistand. Laut Saarbrücker Zeitung war Aligül S. aus dem Kirchenasyl abgeschoben worden und nach der Abschiebung 22 Tage "verschwunden". Die ganze Zeit habe er in einem stockdunklen Verlies zugebracht und sei völlig erschöpft in einer psychiatrischen Anstalt aufgewacht (vgl. Bericht des IHD, Istanbul, Aug. 1997).
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