Logo Friedenskooperative


Erstellt:
März 1998


 nächster
 Artikel

FriedensForum 2/1998


Hallenser Friedensarbeit bei Spiel und Spaß

Jens Walther, Christof Starke

Zum sechsten Mal werden sich Mitte März Schüler, Studenten und Erwachsene von Halle aus auf die über 1000 km weite Fahrt zu uns in die zentralbosnische Stadt Jajce begeben. Während eines dreiwöchigen Workcamps werden sie das vom vierjährigen Krieg betroffene Land, seine Menschen und Kultur kennenlernen und einige von ihnen werden die hier früher geschlossenen Freundschaften erneuern oder vertiefen. Seit 1996 organisiert der Friedenskreis Halle e.V. diese dreiwöchigen Einsätze.

Sie gelten vor allem aber praktischer Hilfe beim Wiederaufbau von Wohnhäusern. In der wunderschön im Schnittpunkt dreier Täler gelegenen Stadt Jajce und den umliegenden Dörfern lebten 1992, vor dem Bosnienkrieg, 40.000 Menschen - ein buntes Gemisch von Moslems, Kroaten und Serben. Ein 38 Meter hoher Wasserfall, zwei große Seen an der Pliva, einem romantischen Fluß, eine orientalisch geprägte Altstadt, die bosnische Königsburg und das Gebäude, in dem Titos Partisanenrat im November 1943 den konzeptionellen Grundstein für das spätere sozialistische Jugoslawien legte - das alles waren einst Anziehungspunkte für jährlich tausende in- und ausländische Besucher.

Heute zeigt die Stadt ein trostloses Bild. Die mit Holzschindeln gedeckten typisch muslimischen Häuser der Altstadt sind fast alle vollständig zerstört, die serbisch-orthodoxe Kirche und das katholische Kloster sind gesprengt, von den ehemals sieben Moscheen sind die wenigen Reste kaum zu erkennen und auch ein Großteil der Wohnhäuser sind von Plünderungen und Zerstörungen betroffen. Die beiden großen Industriebetriebe, die neben dem Tourismus das zweite wirtschaftliche Standbein der Stadt waren, haben ihre Produktion in nur begrenztem Umfang wieder aufnehmen können. Für die sozialen und kulturellen Einrichtungen der Stadt ist der Neubeginn noch viel schwerer zu bewältigen.

 zum AnfangAuch jetzt, nach den Kommunalwahlen vom Sommer 1997, wird die Stadtverwaltung von der kroatischen nationalistischen Partei HDZ dominiert. Sie proklamierte Jajce zur kroatischen Ortschaft. Die von ihr betriebene Politik erschwert Muslimen die Rückkehr, und für Serben ist sie nahezu unmöglich. Die etwa 20.000 Menschen, die heute hier leben, sind zum überwiegenden Teil kroatische Bauernfamilien aus der ländlichen Umgebung. Viele in anderen bosnischen Städten und auch in Deutschland lebende Jajcaner, denen wir bisher begegnet sind, wagen wegen des gespannten politischen Klimas in der Stadt und der wirtschaftlichen Unsicherheit noch nicht die Rückkehr. Ziel der Camps des Friedenskreises war und ist es, bei gemeinsamer Arbeit vorwiegend älteren, mittellosen muslimischen und kroatischen Familien beim Wiederaufbau ihrer Häuser zu helfen und ihnen die notwendigsten Baumaterialien kostenlos zur Verfügung zu stellen. Containerweise haben wir Schutt und Müll aus ehemaligen Wohnzimmern geräumt, Dächer repariert, Granatlöcher in Wänden vermauert und Sanitäranlagen notdürftig hergerichtet. Die große Dankbarkeit für selbst die kleinsten Hilfen und die bosnische Gastfreundschaft haben uns dabei immer wieder tief beeindruckt. Oft reichte uns die Zeit nicht, um alle Einladungen zu Kaffee und Pita, einem bosnischen Nationalgericht, anzunehmen. Zwei Camps im Sommer 1997 galten außerdem der Verwirklichung unserer Idee eines Begegnungs- und Kulturzentrums für Kinder und Jugendliche. Für den Ausbau stellte die Stadtverwaltung ein reparaturbedürftiges altes Gebäude zur Verfügung, das einst Gymnasium und Bibliothek beherbergte. Seit November 1997 arbeiten wir, zwei Freiwillige des Friedenskreises, erstmals längerfristig hier. Wir - das sind der Motorradmechaniker Jens Walther und der Sozialpädagogik-Student Christof Starke. Jeden Dienstag treffen wir uns mit zehn bis fünfzehn Kindern zum Basteln und Spielen. Ein Fotolabor mit in Halle gespendeten Apparaten und Materialien haben wir inzwischen eingerichtet und einen Kurs mit dem Titel "Vom eigenen Bild bis zum fertigen Abzug" begonnen. Wir spielen mit Jugendlichen Tischtennis, finden allerlei Anlässe für Feste und unternehmen mit ihnen Ausflüge in andere bosnische Städte bis nach Sarajewo und Mostar. Doch die meiste Zeit verwenden wir Hallenser noch für Bauarbeiten. Da die Räume des "Alten Gymnasiums" auch von Freiwilligen einer anderen Organisation, von einer Musikschule, einer Bibliothek und einem katholischen Jugendverband genutzt werden, bauen wir ein weiteres Haus für unsere eigene multiethnische Sozialarbeit aus.

 zum AnfangDas in der Habsburger Zeit erbaute einstige Wohnhaus stellt uns eine liebenswerte kroatische pensionierte Lehrerin kostenlos zur Verfügung. Es wurde im Krieg stark beschädigt und war mehrere Jahre Regen und Schnee ausgesetzt. Sie freut sich, daß es nun ein vom Friedenskreis gespendetes neues Dach hat, unter dem bald vielerlei Freizeitangebote die jungen Jajcaner einladen werden. Die von uns für das Frühjahr geplante Eröffnung einer Selbstschrauber-Fahrradwerkstatt im Keller können die Kinder in der Nachbarschaft, die täglich vorbeischauen und uns helfen wollen, kaum erwarten. Weitere Räume sollen einer Musikband als Proberaum, einer kleinen Jugendzeitungsredaktion und thematischen sowie künstlerisch-gestalterischen Veranstaltungen und Kursen zur Verfügung stehen. Um die entsprechenden Arbeiten zu bewältigen, hofft der Friedenskreis stark auf die Teilnehmer der diesjährigen Workcamps. Während des bevorstehenden Camps vom 20.März bis 12.April soll - neben der Hilfe beim Wiederaufbau privater Wohnhäuser - die erste Etage unseres kleinen "Kulturhauses" fit gemacht werden. Im Sommer ist dann der Bau eines Spiel- und Sportplatzes im Garten des Kultur- und Begegnungszentrums geplant. Und um die Arbeit hier fortzusetzen, sucht der Friedenskreis außerdem Leute, die als Freiwillige mindestens acht Wochen, besser für etwa ein halbes bis ein Jahr an unsere bestehenden Projekte anknüpfen und eigene Ideen verwirklichen. Die Menschen in Jajce, das erleben wir täglich, brauchen noch auf längere Zeit Leute an ihrer Seite, die an dem vergangenen Krieg der Religionen und Ethnien nicht beteiligt waren, die ihnen zuhören, mit ihnen reden und feiern können. Die Workcamps und die Arbeit der lanfristig tätigen Freiwilligen, alle Spiel- und Arbeitsmaterialien, finanziert der Friedenskreis mit Geldern, die er durch vielerlei Spendenaktionen in Halle und Umgebung von Dauerspendern und einmaligen Spendern erhält.

Spendenkonto des Friedenskreises:382 300 888, Sparkasse Halle, BLZ: 800 537 62, Stichwort Bosnien.

Kontaktadresse: Friedenskreis Halle e.V., Große Klausstraße 11, 06108 Halle, Bürozeit: montags 16 bis 19 Uhr, Tel./Fax: 0345/2026700, e-Mail: frie-kr@mp-halle.cl.sub.de. Oder direkt in Jajce: Tel./Fax: +0387/88/658822, e-Mail: fk.jajce@mp-halle.cl.sub.de


Jens Walther und Christof Starke arbeiten für den Friedenskreis Halle in Jajce (Bosnien).

E-Mail:   fk.jajce@mp-halle.cl.sub.de
 zum Anfang

 nächster
 Artikel

Einige weitere Texte (per Zufallsauswahl) zum Thema

Lokale Friedensarbeit:
FF3/98 - Friedensmuseum Nürnberg