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März 1998


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FriedensForum 2/1998


Polizeigewalt gegen Bürgerprotest

Elke Steven

Wie bereits in den letzten drei Frühjahreszeiten steht auch dieses Frühjahr wieder ein Transport von hochradioaktivem Müll in ein bundesdeutsches Zwischenlager an. Symbolhaft werden diese Transporte genutzt, um den Widerstand eines großen Teils der Bürger und Bürgerinnen gegen die Nutzung der Atomenergie und für den Ausstieg aus derselben zu verdeutlichen. Alljährlich ist dies auch eine Zeit, in der sich zeigt, wie erst mit Worten, dann mit Polizeigewalt gegen den Bürgerprotest vorgegangen werden kann.

Dieses Frühjahr steht der Transport von sechs Castorbehältern aus Neckarwestheim und Gundremmingen nach Ahaus an. In dem rot-grün regierten Land Nordrhein-Westfalen liegt darin ein deutlicher Konfliktstoff mit der Bundesregierung. Die Koalititonsvereinbarung sieht den Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie vor, das Zwischenlager in Ahaus sollte dem Atommüll aus Nordrhein-Westfalen vorbehalten bleiben. Bisher sind dort die hochradioaktiven Abfälle aus dem stillgelegten Atomkraftwerk in Hamm-Uentrop eingelagert. Im letzten Herbst 1997 wurde jedoch - gegen den Willen der Landesregierung - der Ausbau des Lagers und die Einlagerung von Atommüll aus anderen deutschen Atomkraftwerken genehmigt. Nun stehen dem Land Nordrhein-Westfalen die Proteste gegen diesen Transport ins Haus und es läuft Gefahr, den Gegner in den Demonstrierenden zu sehen, statt in denen, die diese Transporte notwendig machen, genehmigen und daran verdienen. Sicher, alle müssen bedenken, daß dieser Transport, wie auch alle weiteren, nur politisch verhindert werden kann. Das müssen auch die Demonstrierenden wissen und in ihre Aktionen einbeziehen. Die Landesregierung und die eingesetzten Polizeien müssen jedoch dafür sorgen, daß das Demonstrationsrecht wirksam geschützt wird, damit die Demonstrierenden genau diese Möglichkeit haben, auf eine Verhinderung solcher Transporte politisch einzuwirken. Der Konflikt zwischen den Demonstrierenden und denen, die diesen konkreten Transport schützen müssen, wird bestehen bleiben. Wie mit diesem Konflikt umgegangen wird, zeigt jedoch, wie ernst die Bürgerrechte genommen werden.

 zum AnfangVerbal haben sich Landesregierung, Polizeipräsident und Einsatzleiter immer wieder gegen diesen Transport ausgesprochen und sich zum Schutz des Demonstrationsrechtes bei diesem Transport bekannt. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement bezeichnet die Transporte immer wieder als "Provokation" und nicht notwendig". Die Landesregierung kündigte "Widerstand" (Kölner Stadt Anzeiger, 2.2.1998) an, der Landesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen verabschiedete eine Erklärung, in der die TeilnehmerInnen ankündigten, daß sie bundesweit zu Demonstrationen gegen das Zwischenlager mobilisieren wollen. Der grüne Polizeipräsident von Münster ist erklärter Atomkraftgegner und hat selbst an Demonstrationen gegen die Nutzung der Atomkraft teilgenommen.

Trotz dieser inhaltlichen Übereinstimmung begann zu Beginn dieses Jahres zunächst die Diffamierung der zu erwartenden Demonstranten und Demonstrantinnen. Die Nichtachtung des Demonstrationsrechts beginnt bei den Zuschreibungen, bei den in den Medien veröffentlichten Erwartungen über die Demonstration und ihre TeilnehmerInnen. Schon war wieder von "Krawall-Touristen" (focus 9.2.1998) die Rede. Achim Baumann, Chef des NRW-Verfassungsschutzes, meldete "bundesweite Aktivitäten von gewaltbereiten Autonomen". Polizeidirektor Horst Haase "fürchtete" "eine hohe Gewaltbereitschaft". "Gorlebener Zustände" wurden - ungeachtet der tatsächlichen Vorgänge im Wendland vor und während der letzten Castortransporte - als Gewaltszenarien abschreckend beschworen. Es wurde behauptet, daß die Aggressivität mit jedem Transport zunehme, da die Atomkraftgegner jeden ankommenden Transport als Niederlage erlebten. Diese Befürchtungen können mit Sicherheit nicht aus den Erfahrungen der letzten drei Jahre hergeleitet werden. Zwar stieg die Anzahl der Protestierenden jeweils erheblich, nicht aber die Aggressivität, zumindest nicht die der Protestierenden.

Solche Zuschreibungen und Voraussagen verfolgen mehrere - gefährliche - Zwecke. Zunächst einmal sollen sie den "normalen" Bürger abschrecken und Ängste bei den Nichtinformierten davor wecken, sich an Protesten zu beteiligen, die sie für berechtigt halten, vor deren Chaos und zugeschriebener Gewalt sie sich aber ängstigen. So soll die Solidarisierung großer Teile der Bevölkerung mit dem Protest verhindert werden. Vor allem übersehen solche Diffamierungen, daß die Teilnahme möglichst vieler Bürger und Bürgerinnen an dem Protest die Friedfertigkeit garantiert. Diese Zuschreibungen erfüllen aber gleich noch einen weiteren Zweck, sie rechtfertigen ein "hartes" und "durchgreifendes" Polizeikonzept im Vorhinein. Im Nachhinein läßt sich erst recht jedwede polizeiliche Gewalt vor einer Öffentlichkeit rechtfertigen, die früh genug auf "Chaoten" und "Gewaltbereite" vorbereitet worden ist. Es bereitet auch die einzelnen Polizeibeamten und -beamtinnen auf eine zu erwartende Gewalt vor, schürt ihre Ängste und rechtfertigt ihre martialische Ausrüstung. Das Auftreten der Polizei, die Demonstration ihrer Macht und Gewaltbereitschaft, ruft aber potentiell wiederum Gegengewalt hervor.

 zum AnfangSo zeichnete sich entsprechend ein Polizeikonzept ab, das - nach einem verbalen Bekenntnis zum Schutz des Demonstrationsrechts - dieses aushebeln würde. Weiträumige und langdauernde Demonstrationsverbote waren im Gespräch, Camps der Demonstrierenden sollten verboten werden. Schon ein mögliches Betreten der Bahngleise wurde vorbeugend als Straftat definiert. Schon ein Blockadeversuch sollte "konsequent beendet" werden. Nicht die Gleichrangigkeit des Demonstrationsrechts mit dem Ziel der Einlagerung des Atommülls spricht aus einem solchen Konzept, sondern die Vorrangstellung der schnellen Einlagerung.

Inzwischen finden erneut Gespräche zwischen BürgerInnen, organisierten Gruppen der Demonstrierenden, Polizeivertretern und VertreterInnen des Landtags statt. Es wäre zu hoffen, daß sich nicht nur einige Details ändern, sondern daß der diesem angedeuteten Konzept zugrunde liegende Geist sich ändert. Demonstrationsteilnehmer und -teilnehmerinnen sind keine GewalttäterInnen, aus Demonstrationen heraus werden keine Sabotageaktionen geplant oder gar vorgenommen. Es ist nicht zu leugnen, daß ab und zu kleine Gruppen bereit sind, aus Ärger und Frust mit Steinen zu werfen. Sie können jedoch in großen Demonstrationen meist eingebunden werden. Daß ein immer größerer Teil der Demonstrierenden bereit ist, Zivilen Ungehorsam zu leisten und in überschaubaren und klar eingegrenzten Aktionen Ordnungswidrigkeiten zu begehen, um deutlich zu machen, wie sehr durch die politischen Entscheidungen ihr Leben und ihre Zukunft bedroht sind, rechtfertigt nicht den Einsatz polizeilicher Gewaltmittel wie Knüppel und Wasserwerfer, sondern allenfalls das Wegtragen von SitzblockiererInnen und die Einleitung von Gerichtsprozessen.

Der Ausgang der Gerichtsverfahren im Wendland verdeutlicht allen, die es nicht aufgrund des eigenen Erlebens wissen, wie wenig der Widerstand gegen diese Transporte mit Gewalttaten zu tun hat.

Der Ermittlungsausschuß (EA) Gorleben berichtete zum Jahreswechsel 1997/98 über den derzeitigen Stand der Verfahren, wobei selbstverständlich nicht alle Verfahren dem EA bekannt sind. Nach dem Transport im Frühjahr 1995 sind 383 Ermittlungen eingeleitet worden. Davon sind 41 zur Anklage gekommen, bzw. mit einem Strafbefehl versehen worden. Dies hat zu 9 Verurteilungen, 23 Freisprüchen und zwei Einstellungen geführt. Der Ausgang von 7 Verfahren ist noch offen oder unbekannt. Eine Verurteilung bezieht sich auf eine Beleidigung durch die Frage "Sind Sie verrückt?", allerdings ist der Vollzug hier ausgesetzt. Aus einem Verfahren, das mit einem Freispruch endete, folgten zwei Anklagen gegen Polizeibeamte, da sie ihre Zeugenberichte voneinander abgeschrieben hatten. Ebenfalls aus 1995 resultieren Strafverfahren gegen PolizeibeamtInnen, einer ist wegen Körperveletzung durch den Einsatz von Tränengas verurteilt worden, ein weiter ist wegen gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr durch Hineinfahren in eine SchülerInnenblockade verurteilt worden.

 zum AnfangWeitgehend unentschieden sind auch noch Ordnungswidrigkeitsverfahren aus 1995, die sich auf die Teilnahme an der verbotenen Demonstration beziehen. Allerdings ist das Versammlungsverbot ein Jahr später vom Verwaltungsgericht Lüneburg für rechtswidrig erklärt worden. Das Amtsgericht hat viele Angeklagte nach dem Widerspruch gegen die Bußgeldbescheide freigesprochen. Dem hat die Staatsanwaltschaft widersprochen. Das Oberlandesgericht Celle hat diese Verfahren an ein anderes Amtsgericht zurückverwiesen. Letztlich sind die meisten Verfahren noch immer offen. Abzuwarten ist der Ausgang einer Verfasungsbeschwerde. Bei dieser geht es um zwei Fragen. Das Verfassungsgericht soll entscheiden, - ob Schienen nicht genauso wie Straßen ein Ort sind, an dem Versammlungen stattfinden können, und daß folglich Eisenbahnregelungen wie die EBO genauso wie die Straßenverkehrsordnung bei einer Demonstration nachrangig sind. - ob nach einem im nachhinein rechtswidrig erklärten, zum Tatzeitpunkt aber vollziehbaren Versammlungsverbot überhaupt ein Bußgeld gegen die Festgenommenen verhängt werden darf.

1996 wurde nach dem Castor-Transport gegen 881 Menschen ermittelt. Davon kamen 62 zur Anklage, bzw. bekamen einen Strafbefehl. Hier kam es zu 10 Verurteilungen und 6 Freisprüchen. 46 Verfahren sind noch offen, bzw. waren dies zum Zeitpunkt der Auskunft der Landesregierung Niedersachsen auf eine kleine Anfrage (4/97). Inzwischen gibt es mehrere weitere Einstellungen und zwei Verurteilungen zu Bußgeldern von je 50,- DM.

Nach dem Transport im Frühjahr 1997 wurden 737 Ermittlungsverfahren von der Polizei eingeleitet. Ein großer Teil dieser Verfahren resultiert wiederum aus einer Einkesselung von Demonstrierenden durch die Polizei. Im Sommer 1997 erhielten viele von ihnen einen Anhörungsbogen. Bisher scheint es so, daß diese Verfahren nach und nach eingestellt werden. Zwei Ermittlungen wegen Verdacht auf Landfriedensbruch sind eingestellt worden, einer gegen Zahlung von 100,- DM. Neun Strafbefehle und acht Ordnungswidrigkeitsverfahren laufen noch, sechs Anklageschriften, davon vier wegen "Gefährlichen Eingriffs in den Schienenverkehr" (Anketten am Gleis), sind noch nicht entschieden. Ein Strafbefehl gegen eine Frau, die sich im Rahmen einer Gewaltfreien Aktion an die Schienen angekettet hatte, lautet beispielsweise auf 25 Tagessätze a 30 DM.

 zum AnfangDeutlich wird, ein großer Teil der Verfahren bezieht sich auf die Teilnahme an den Protestveranstaltungen trotz Demonstrationsverbotes. Ein weiterer Teil resultiert aus Aktionen Zivilen Ungehorsams, bei denen die Gerichtsverfahren als Teil der Aktion akzeptiert werden.

Obwohl es kaum möglich ist, Polizeibeamte nach strafbaren Handlungen erfolgreich zu verklagen, sind im Zusammenhang mit diesen Protestaktionen bisher Polizeibeamte wegen groben Gesetzesverstößen verurteilt worden. Die Klagen von Bürgerinitiative und bäuerlicher Notgemeinschaft gegen ca. 160 Polizeibeamte im Sommer 1996 führte zu keinem Erfolg. Die meisten Verfahren wurden eingestellt, in einigen Fällen wird noch immer ermittelt. Die beste Möglichkeit, auch diese Gewalttaten der Polizei zu verhindern, wäre jedoch ein Konzept, das auch die Polizei auf den friedlichen Widerstand vorbereitet, ihnen das Recht der Bürger und Bürgerinnen als selbstverständliches und schützenswertes Grundrecht nahelegt.

Elke Steven ist beim Komitee für Grundrechte und Demokratie die Koordinatorin der Demonstrationsbeobachtungen.

E-Mail:   Grundrechtekomitee@t-online.de
Internet: http://www.friedenskooperative.de/komitee/home.htm
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