Erstellt: April 1998 nächster Artikel siehe auch: FF 1/98 - Kasernen- Namen | FriedensForum 3/1998 - Analyse, Bewertung und Maßnahmen zur Bekämpfung - Bundeswehr und Rechtsextremismus Helmuth Prieß Mit dem "DARMSTÄDTER SIGNAL" hat sich im September 1983 eine Gruppe von 20 Zeit- und Berufssoldaten und Mitarbeiter/Innen der Bundeswehr erstmals an die Öffentlichkeit gewandt, um ihr NEIN zur Stationierung neuer Atomraketen in Ost und West zum Ausdruck zu bringen. Hieraus entwickelte sich der Arbeitskreis DARMSTÄDTER SIGNAL mit mehr als 150 Mitgliedern. Unterstützt wird der Arbeitskreis vom Förderkreis ds, dem über 300 Bürger/Innen angehören. Rechtsradikalismus ist ein zunehmendes Problem in Deutschland. Er äußert sich in der gesamten Gesellschaft u.a. in Fremdenfeindlichkeit und Verharmlosung des NS-Unrechtsregimes. Allerdings gibt es aus unserer Sicht - als Soldaten der Bundeswehr - deutliche Hinweise dafür, daß Rechtsradikalismus gerade in den Streitkräften auf besonders fruchtbaren Boden fällt. Dafür gibt es spezielle Ursachen: Menschen, die als Zeit- oder Berufssoldaten in der Bundeswehr Dienst tun, gehören überwiegend zum national-konservativ denkenden Teil unserer Gesellschaft. Das gilt für Streitkräfte weltweit. Die meisten Zeit- und Berufssoldaten der Bundeswehr haben eine besondere Neigung zu hierarchischen Führungsstrukturen. Ihnen gefällt das Prinzip von Befehl und Gehorsam mehr als demokratische Entscheidungsfindung. Sekundärtugenden wie Ordnung, Pünktlichkeit, Sauberkeit und Disziplin haben einen herausragenden Stellenwert, während Kreativität, Spontanität, Individualität und Zivilcourage eher als Störfaktoren empfunden werden. Viele von ihnen haben eine Abneigung gegenüber dem Prinzip der Mitbestimmung. | |
zum Anfang | Bei der Auswahl und Förderung von Unteroffizieren und Offizieren werden Soldaten mit rechtskonservativem Denken begünstigt, kritisch denkende dagegen werden benachteiligt.
Probleme von Ausländern und Asylbewerbern sind vielen Soldaten fremd; oft werden diese Gruppen als Fremdkörper unserer Gesellschaft empfunden. Das Gros der Zeit- und Berufssoldaten ist ausländerdistanziert und minderheitenfeindlich eingestellt. Viele Zeit- und Berufssoldaten sind gegenüber den Verbrechen der Nazidiktatur unsensibel. Die Mitwisserschaft und Mittäterschaft der Wehrmacht wird z.T. sogar geleugnet. Es gibt in der Bundeswehr seit ihrer Aufstellung eine reaktionäre Kontinuität. Auch der unkritische Rückgriff auf Symbole und Traditionen der deutschen Militärgeschichte, die Politik der Hardhöhe, die Bundeswehr aus der intensiven Diskussion über die Wehrmacht herauszuhalten, und die Scheu der Bundeswehr selbst, sich an ihr zu beteiligen, fördern rechtsradikale Tendenzen unter Soldaten. Die "Politische Bildung" wird seit Jahren vernachlässigt. Wenn Zeitprobleme auftreten, wird sie als erstes vom Dienstplan gestrichen. Sie wird in zu großen Gruppen und meist mit falschen Methoden (z.B. Frontalunterricht statt Diskussion) durchgeführt. Politische Bildung für Offiziere und Unteroffiziere auf Bataillons-, Brigade-Ebene und "darüber" findet, obwohl gemäß Zentraler Dienstvorschrift 12/1 befohlen, fast nicht statt! Mit der seit vielen Jahren, besonders seit dem Golfkrieg 1991, wachsenden Bereitschaft junger Bürger, den Kriegsdienst mit der Waffe gemäß GG Art 4 Abs.3 zu verweigern, entfernte sich auch die Zusammensetzung der Wehrpflichtigen zunehmend vom sog. "Spiegelbild der Gesellschaft". Längst gilt die Devise: "Links verweigert, Rechts geht zum Wehrdienst" (s. auch Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr 1993 ). Die Militärpolitik der weltweiten Kampfeinsätze hat die Akzeptanz der Bundeswehr bei rechtsextremen Jugendlichen erhöht. Sie leistet damit einer "Rambo"-Mentalität in der Truppe Vorschub. Die Bundeswehr ist heute weniger denn je ein Spiegelbild der Gesellschaft! Bewertung Unsere Analyse und die zahlreichen rechtsradikalen Vorfälle, die nur die Spitze eines Eisberges darstellen, zeigen, daß es sich beim Rechtsradikalismus in der Bundeswehr um ein schwerwiegendes strukturelles Problem handelt. Es wurde von den politisch und militärisch Verantwortlichen bisher als Einzelfallproblematik heruntergespielt. Die offizielle Verharmlosungsstrategie hat das Wuchern rechtsradikaler Tendenzen in der Bundeswehr weiter begünstigt. Gleiches gilt für etliche Ablenkungsmanöver wie z.B. die Behauptung, Kritiker stellten die Bundeswehr unter "Generalverdacht". Wer jahrelang das Problem verharmlost, wer die Öffentlichkeit irreführt, wer die Aufklärung über das Innenleben der Bundeswehr behindert, wer das Wuchern rechtsradikaler Tendenzen somit begünstigt, ist seiner politischen Verantwortung nicht gerecht geworden und muß zurücktreten! | |
zum Anfang | Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus in der Bundeswehr
1. Die politische und militärische Führung der Bundeswehr muß den Sachverhalt, daß Rechtsradikale in der Bundeswehr überproportional vertreten sind, endlich erkennen bzw. zugeben. 2. Die Streitkräfte brauchen ein neues, erweitertes Selbstverständnis: Rechtswahrung geht immer vor "Korpsgeist"! Wer Rechtsbruch meldet und damit auch Zivilcourage beweist, stärkt die Gemeinschaft der Staatsbürger in Uniform, - wer Rechtsbruch begeht oder deckt, stört sie! 3. Erforderlich sind sofortige wissenschaftliche Untersuchungen über Denk- und Verhaltensmuster von Soldaten aller Dienstgrade. Sie schaffen bessere Kenntnisse für wirksame Maßnahmen. Diese müssen in allen Bereichen/Ebenen der Führerausbildung als Handlungsanleitungen zum Umgang mit rechtsradikalen Soldaten umgesetzt und trainiert werden. 4. Die Schwerpunkte der Nachwuchswerbung und Öffentlichkeitsarbeit - z.B. Technikfaszination, Abenteuerromantik, "Professionalität", "Eine starke Truppe" und "Wir sind wieder wer"-Gefühl - müssen durch "Ernsthaftigkeit der Aufgabe", Verteidigung von Recht und Freiheit, und soziale Kompetenz abgelöst werden. Motto: Die Bundeswehr braucht demokratisch gesinnte, nachdenkliche Soldaten - Anpasser, Mitläufer und Rechtsradikale lehnen wir ab! 5. Der militärische Alltag, im wesentlichen geprägt durch Befehl und Gehorsam, Anpassung sowie ein "Droh- und Drucksystem", muß geändert werden. Kollegialer, menschlicher Umgang, das Gefühl, als Einzelner/ Untergebener ernst genommen zu werden, Übergabe von Verantwortung, leistungsfordernde und individuelle Dienstgestaltung müssen Hauptelemente des Dienstalltags sein. 6. Mehr als die militärische Dienstaufsicht muß die Kontrolle der Streitkräfte durch die ParlamentarierInnen und die Öffentlichkeit verstärkt werden. 7. Innerhalb der Bundeswehr muß die Diskussion über Politik und Gesellschaft sowie Fragen der Erziehung, auch zum Zweck der Selbsterforschung, angeregt werden. Kritische Stimmen sind einzubeziehen, - sie bereichern die Diskussion! 8. Hauptzielgruppe der "Politischen Bildung" müssen die Zeit- und Berufssoldaten sein! Die "Politische Bildung" muß ein Schwerpunkt der Aus- und Weiterbildung werden. Wo immer möglich muß sie durch zivile Lehrkräfte z.B. der Schulen, Kirchen, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, politischen Bildungseinrichtungen durchgeführt werden. 9. Bei Beurteilungen, Ausbildung und Förderung von Vorgesetzten müssen Kriterien wie partnerschaftliche Führung, pädagogische Fähigkeiten in der Aus- und Weiterbildung und soziale Kompetenz aufgewertet werden. 10. Bei Dienstzeitende eines jeden Soldaten müssen von einer unabhängigen Stelle Austrittsgespräche geführt und ausgewertet werden. Erkenntnisse aus diesen Gesprächen werden zur Verbesserung der Führungspraxis und zur politischen Bildung in der Bundeswehr genutzt. 11. Wir fordern eine Bildungsreform. Ziel ist dabei auch, die Universitäten der Bundeswehr aufzulösen. An ihre Stelle tritt das Studium für Offiziere an zivilen Universitäten. Davon erwarten wir mehr liberales Denken im Offizierkorps. Desweiteren schlagen wir vor, daß Berufssoldaten regelmäßig an Betriebspraktika im zivilen Bereich teilnehmen. 12. Traditionen aus vordemokratischer Zeit, besonders aus der Zeit der Wehrmacht, sind abzubrechen - sie verderben den Geist der Bundeswehr an der Wurzel! (siehe auch "Thesen zur Traditionspflege der Bundeswehr" des Darmstädter Signals vom 05.05.1989) | |
zum Anfang | Durch die Flure und Räume der Kasernen muß ein solcher demokratischer Sturm blasen, daß sich brauner Mief gar nicht erst entfalten kann!
Zeit- und Berufssoldaten, die weitere Informationen wünschen oder in unserem Arbeitskreis ds mitarbeiten wollen, wenden sich bitte an den Sprecher des Ak ds: - Oberstleutnant a.D. Helmuth Prieß, 53913 Swisttal 1, Quellenstr. 80, Tel.: 02254/1245, Fax.: 02254/82469 - Oberstleutnant Bertram Hacker, 81929 München, Leisnerweg 33, Tel.: 089/95720494, Fax.: 089/9572495 - Oberstleutnant a.D. Lothar Liebsch, 35392 Gießen, Max-Reger-Str. 3, Tel.: 0641/22966, Fax.: 0641/9203553 Wer unsere Friedensarbeit durch Mitgliedschaft im "Förderkreis ds e.V." unterstützen möchte, schreibt bitte an: - Oberstabsfeldwebel a.D Kurt Seutter von Loetzen, 53359 Rheinbach, Spechtweg 7, Tel.: 02226/14297, Fax.: 02226/7765 Ulm, 15. Februar 1998 OTL a.D. Helmuth Prieß ist Mitbegründer des Darmstädter Signals | |
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