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Erstellt:
April 1998


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FriedensForum 3/1998


Über die Schwierigkeiten des Friedensprozesses

Wer totgesagt wird, lebt länger?

Christine Schweitzer

Das Osloer Abkommen von 1993 und folgende Vereinbarungen von 1994 und 1995 leiteten den "Friedensprozeß" im Nahen Osten ein, an den sich zumindest bis zur Ermordung Itzakh Rabins alle Hoffnungen auf eine nachhaltige Lösung des arabisch-israelischen Konfliktes richteten. Aber die Regierung unter Netanjahu hat nicht vor, die Vereinbarungen in der vorgesehenen Form umzusetzen, sondern will die Kontrolle über einen nennenswerten Teil der Westbank behalten.

Regelungen des Osloer Abkommens

Im Osloer Abkommen von 1993 wurde die Gründung der palästinensischen Autonomieverwaltung und Wahl eines Palästinensischen Rates (Parlament) geregelt. Die Autonomie der Palästinenser bezieht sich auf Erziehung und Kultur, Gesundheits- und Sozialwesen, Besteuerung und Tourismus. Alle anderen Bereiche (Außenbeziehungen z.B., aber auch die Frage des zukünftigen Status von Jerusalem und die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge) sind Israel vorbehalten geblieben bzw. sollten zum Gegenstand von späteren Verhandlungen mit dem Ziel einer endgültigen Friedenslösung werden.

In folgenden Abkommen (Gaza-Jericho-Abkommen von 1994, "Interimsabkommen" von 1995, zuletzt dem Hebron-Abkommen von 1997) wurden Einzelfragen geregelt. Im für die Situation in den palästinensischen Gebieten besonders folgenreichen "Interimsabkommen" wurde die Westbank "kantonisiert" und praktisch als Flickenteppich drei "Zonen" zugeteilt, die man sich aber nicht als zusammenhängende Gebiete vorstellen darf. Zur "Zone A" (3,5 % der Westbank) gehören die größeren Städte Jenin, Nablus, Tulkarem, Kalkiliya, Rammallah und Bethlehem. Sie stehen allein unter vollständiger Kontrolle der Autonomieverwaltung. "Zone B" umfaßt 420 Kleinstädte und Dörfer. Während die Zivilverwaltung hier in Händen der Palästinenser liegt, behält sich Israel die übergreifenden Sicherheitsfragen vor. Und "Zone C", die 73 % der Westbank ausmacht, ist in alleiniger Kontrolle Israels verblieben.

 zum Anfang"Land für Frieden" allein genügt nicht

Bis zum Sommer 1998 sollte sich Israel aus 90% der Westbank zurückgezogen haben und bis Mai 1999 die Verhandlungen über den endgültigen Status der Palästinensischen Gebiete abgeschlossen sein. Beides nicht geschehen: Ein Rückzug hat (außer aus kleineren Teilen Hebrons) nicht stattgefunden; Verhandlungen über einen endgültigen Status haben nicht einmal begonnen. Der Slogan "Land für Frieden" verkam zu einer Diskussion um Prozentzahlen an Land (z. B. 13 %), das dem Autonomiegebiet zugeschlagen werden soll.

Doch zeigt ein Blick auf die Situation in Israel und den Palästinensischen Gebieten, daß die Probleme des Friedensprozesses wesentlich komplizierter sind. Mindestens drei Problemkreise können ausgemacht werden:

1. Rasante Verschlechterung der Situation der Zivilbevölkerung in den palästinensischen Gebieten nicht trotz, sondern wegen des Friedensprozesses.

19 % (in Gaza 36%) der Bevölkerung hier lebt inzwischen unter der Armutsgrenze. Die Arbeitslosigkeit ist - vor allem durch die Absperrung der Autonomiegebiete und damit dem Verlust von Arbeitsplätzen in Israel - stark gestiegen. Gleichzeitig hat die Autonomieverwaltung große Mühe damit, ein funktionierendes Staatswesen selbst in den Bereichen, in denen sie zuständig ist, aufzubauen. Die "Kantonisierung" der Westbank, die Israel erlaubt, Absperrungen von Gebieten innerhalb der Westbank vorzunehmen, hat zu einer massiven Verschlechterung der Lebensverhältnisse in dieser Region im Vergleich zu vor 1995 geführt. Vettern- und Mißwirtschaft prägen den "öffentlichen Sektor"; internationale Hilfsgelder verschwinden. Palästinensische Menschenrechtsgruppen klagen ganz offen über gravierende Menschenrechtsverletzungen durch die palästinensische Polizei, die anscheinend ihr bestes tut, den Foltermethoden der israelischen Polizei um nichts nachzustehen.

Insgesamt ist zu verstehen, warum die Mehrzahl der BewohnerInnen der Palästinensischen Autonomen Gebiete dem Friedensprozeß sehr kritisch gegenüber steht: Er hat ihnen in ihrem alltäglichen Leben eher Verschlechterung als Verbesserungen gebracht.

2. Zunehmender Verlust an Zusammenhalt in der israelischen Gesellschaft

Es genügt nicht, wie es manchmal geschieht, den Zustand der israelischen Gesellschaft in Gegensatzpaaren ("Religiöse" kontra "Sekulare", "rechts" = Likud kontra "links" = Arbeitspartei, "Ashkenasen" = europäischstämmige Juden kontra "Sepharden" = orientalisch/nordafrikanische Juden und "Juden" kontra "Araber") zu beschreiben. Alle diese Gegensätze bestehen, aber zerfallen ihrerseits in Untergruppen, die teilweise viel weniger miteinander gemein haben als jede von ihnen mit eine der anderen Gruppen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Bei den "Religiösen" finden sich z.B. jene Zionisten, die Israel mit dem jüdischen Territorium aus der Zeit der Bibel gleichsetzen und durch Siedlungen eine Rückgabe der Westbank an die Palästinenser zu verhindern suchen wie jene Orthodoxe, für die der Staat Israel selbst eigentlich Gotteslästerung ist, weil er erst mit der Rückkehr des Messias errichtet werden dürfe. Anhänger des Friedensprozesses finden sich in fast allen politischen Lagern, zu recht wird darauf hingewiesen, daß die meisten neuen israelischen Siedlungen in den palästinensischen Gebieten in der Zeit der Regierung der Arbeitspartei geplant wurden.

 zum AnfangZu den innergesellschaftlichen israelischen Problemen gehört auch eine massive Restrukturierung und Neubewertung bislang zentraler gesellschaftlicher Bereiche. Die beinahe allmächtige Gewerkschaft Histadrut, die praktisch das gesamte Wohlfahrts- und Sozialwesen unter sich hatte, versucht, sich als Gewerkschaft im westlichen Sinne zu reformieren, nachdem sie fast alle ihre Betriebe und anderen Einrichtungen schließen oder an den Staat abgeben mußte.

Ebenso sehen viele BeobachterInnen die israelische Armee in einer Krise. Sie war bis vor wenigen Jahren die unangezweifelte "Schule der Nation" und Karriere im Militär war Voraussetzung für eine Karriere im zivilen Bereich. Diesen Status hat sie inzwischen verloren, die Likudregierung verzichtet - im Gegensatz zur vorherigen Regierung - darauf, den Generalstab vor wichtigen Entscheidungen zu konsultieren und viele Bürger sehen mit immer kritischerem Auge auf "ihre" Armee. VertreterInnen der Friedensbewegung rechnen damit, daß im Falle eines Einmarsches der Armee in die palästinensischen Gebiete sehr viele Männer und Frauen den Wehrdienst verweigern würden.

3. Der eigentliche "Sicherheitsbereich"

Für Israel steht die Frage der "Sicherheit" im Mittelpunkt des Problemfeldes "Friedensprozeß". Das Trauma der Kriege, die dieses gerade 50 Jahre alte Land für die Bewahrung seiner Existenz führen mußte, haben wie natürlich die Shoah das Sicherheitsbedürfnis seiner BürgerInnen geprägt. Szenen wie in der jüngsten Golfkrise Ende 1997, wo PalästinenserInnen mit Jubel die Drohung Saddam Husseins quittierten, Israel zu bombardieren, tragen genausowenig zur Vertrauensbildung bei wie die ständige Bedrohung durch Bombenanschläge der Hamas.

Aber muß "Sicherheit" territorial gedacht werden? Die arabischen Nachbarn haben in den letzten 15 Jahren einen langen Weg hin zu Anerkennung der Existenz Israels in ihrer Mitte zurückgelegt. Und sogar die Scudangriffe des Iraks 1991 zeigten eigentlich die Antiquiertheit eines Sicherheitsbegriffes, der auf weite Pufferzonen setzt und deshalb um Prozente feilscht.

 zum AnfangAusblick

Vorhersagen über die Zukunft des Friedensprozesses sind angesichts all dieser Problemlagen schwer zu machen. Die intensiven Vermittlungsbemühungen der USA und Westeuropas zeigen bislang nicht viel Erfolg. Es bleibt nur zu hoffen, daß nicht erst eine neue drastische Verschlechterung der Lage (etwa eine neue "Intifada") eintreten muß, bevor der Konflikt "reif" zur Bearbeitung ist.



Christine Schweitzer ist Redakteurin des FriedensForums.
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