Erstellt: April 1998 nächster Artikel | FriedensForum 3/1998 Deutsche Linke und Israel Jörn Böhme Eine (selbst)kritische Auseinandersetzung mit dem Thema "Die bundesdeutsche Neue Linke und ihr Verhältnis zum Staat Israel" gibt es seit den 80er Jahren. Viel ist darüber publiziert worden (1) und sowohl im Nahen Osten wie in Europa haben sich inzwischen grundlegende politische Veränderungen vollzogen. In diesem Artikel sollen deshalb die wesentlichen Entwicklungslinien in Erinnerung gerufen werden. Außerdem geht es um Aspekte, die ungeachtet des eigenen politischen Standpunktes bei künftigen Diskussionen über die deutsch-israelischen Beziehungen aktuell bleiben werden. 1. Die Haltung zum Staat Israel war bei vielen neulinken Gruppen in der Regel stärker von der innenpolitischen Situation in der Bundesrepublik bestimmt, als von den Ereignissen im Nahen Osten. Vor 1967 dominierte die Solidarität mit Israel. Dies ging einher mit der Opposition gegen all diejenigen Kräfte in der Bundesrepublik, denen eine mangelnde Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus vorgeworfen wurde. 2. Bei fast allen neulinken Gruppen kippte die pro-israelische Einstellung infolge des 6-Tage-Krieges vom Juni 1967 in zum Teil wenigen Wochen um. Durch die Besetzung der Westbank und des Gazastreifens und vor dem Hintergund des Vietnam-Krieges sowie der Unterstützung der israelischen Politik durch den Springer-Konzern wurde die PLO als nationale Befreiungsbewegung entdeckt. In der Existenz des Staates Israel wurde nun die zentrale Ursache des Nahostkonfliktes gesehen. ðÜber alle sonstigen ideologischen Differenzen und Spaltungen hinweg entstand innerhalb der neuen Linken in dieser Frage einen Konsens. Er entsprach in etwa dem, was die Evangelische Studentengemeinde (ESG) noch 1984 zwei Arbeitsheften voranstellte "(...) Nur mit der Überwindung dieser Ideologie, mit der durchgreifenden De-Zionisierung der jüdisch-israelischen Gesellschaft kann eine Lösung der Palästina-Frage gelingen und damit eine erneute menschliche Katastrophe verhindert werden."(2) 3. In den 70er Jahren enstand eine breite Palästina-Solidaritätsbewegung, die aus dieser Einstellung heraus agierte. Hatte es schon hier verschiedentlich Versuche gegeben, Zionismus und Nationalsozialismus gleichzusetzen, so erreichte diese Denkweise einen Höhepunkt, als die Palästina-Solidaritätsbewegung bereits zerfallen war. 1982 im Libanon-Krieg prägten Parolen wie "Holocaust in Beirut" und "Auschwitz im Libanon" die neulinke Berichterstattung. Diese Äußerungen wurden gleichzeitig Ansatzpunkt für eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis der bundesdeutschen Neuen Linken zum Staat Israel. 4. Diese Auseinandersetzung wurde in den kommenden Jahren anhand verschiedener Anlässe weitergeführt, zu denen auch diverse Reisen von Delegationen der Grünen in den Nahen Osten gehörten, denen eine antiisraelische Haltung attestiert wurde. Anfang der 90er Jahre, zu einem Zeitpunkt, als dieser Streit endlich überwunden schien, brach die Kontroverse im Zusammenhang mit der Golfkrise und dem zweiten Golfkrieg in ungeahnter Schärfe aus. Hier standen sich u.a. diejenigen gegenüber, für die der Krieg gegen den Irak um die Annexion Kuwaits nur ein weiteres imperialistisches Abenteuer um die Kontrolle von Ölquellen war und diejenigen, die jedenfalls nach Beginn des Krieges mit Hinweis auf die Bedrohung Israels vor einem Waffenstillstand das irakische Militärpotential nennenswert reduziert wissen wollten. Im Schubladendenken (der Medien) hieß das "Bellizisten gegen Pazifisten". In dieser Zeit fiel auch der berühmt-berüchtigte Satz des damaligen Sprechers der GRÜNEN, Christian Ströbele, die irakischen Raketenangriffe auf Israel seien die logische, fast zwingende Konsequenz der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern und den arabischen Staaten. Heute scheint das alles lange her, wobei nicht ganz klar ist, ob dieses Empfinden davon zeugt, daß derlei Positionen nachdenkend überwunden wurden, oder ob sie nur tabuisiert sind. Unabhängig davon, wie man diese Frage beantwortet und unabhängig von der Frage politischer Standorte bleibt die Auseinandersetzung und der Streit über folgende Aspekte der deutsch-israelischen Beziehungen notwendig: 1. Der Versuch, die Shoah, also die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden während der Zeit des Nationalsozialismus zu begreifen. Das Problem in weiten Teilen der Neuen Linken war, daß Auschwitz in ökonomische Kategorien gepreßt wurde und damit das, was dort geschah, nicht einmal ansatzweise verstanden werden konnte. Auschwitz war in diesen Kategorien die schlimmste Form der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Dieses Erklärungsmuster ging jedoch am Kern der Verbrechen vorbei, wurde doch die Vernichtung der Juden entgegen der ökonomischen und militärischen Notwendigkeiten vollzogen. Dieser Umstand sowie die quantitative und zeitliche Dimension der Verbrechen widersetzen sich dem rationalen Verstehen. Der Versuch, die Shoah zu begreifen, muß deshalb als offener, nicht abzuschließender Prozeß verstanden werden. 2. Zionismus, Antizionismus Wie erwähnt, war seit 1967 für die neue Linke die Opposition zum Konzept eines mehrheitlich jüdischen Staates konstitutiv für ihr Verhältnis zu Israel. Diese Position spielt zum Teil heute keine Rolle mehr, zum Teil wurde sie als falsch befunden.(3) In der Kritik an den Osloer Verträgen, an der Asymetrie zwischen israelischer und palästinensischer Seite und den andauernden Menschenrechtverletzungen spiegelt sich zum Teil erneut die umfassende Kritik am Zionismus. Demgegenüber gilt es zur Kenntnis zu nehmen, daß die Mehrzahl der Israelis in einem mehrheitlich jüdischen Staat leben möchte und daß auch für die Mehrheit der Juden, die nicht in Israel leben, Israel als jüdischer Staat eine zentrale Bedeutung hat. | |
zum Anfang | Natürlich gibt es zu benennende Ungerechtigkeiten im Zusammenhang mit der Entstehung des Staates Israel als jüdischer Staat und auch mit seiner Entwicklung. Doch ich finde, daß man gerade als Deutscher kein Recht hat, von Israelis und Juden eine Abkehr vom Konzept eines mehrheitlich jüdischen Staates als Voraussetzung für Kontakte, Kommunikation, Zusammenarbeit, oder sonst etwas zu verlangen.
Das bedeutet weder, daß ich als Deutscher die Politik israelischer Regierungen nicht kritisieren darf, noch, daß Deutsche keine kritischen Fragen zur Geschichte des Zionismus stellen dürften. Aber es ist eben genau der Unterschied, der in der Alltagssprache so oft untergeht: ob nämlich die Politik der Regierung eines Staates kritisiert wird oder dieser Staat (in seiner Existenz). 3. Antisemitismus und Antiamerikanismus Beide Vorurteilskategorien sind hier zusammen benannt, weil sie zum Teil ineinander übergehen können. Der Streit hierüber wird auch weiterhin notwendig sein, denn aufgrund der Geschichte der deutschen Gesellschaft in diesem Jahrhundert und der Rolle, die Antisemitismus darin spielte, wäre es vermessen, zu glauben, nach Auschwitz gäbe es keinen Antisemitismus mehr, bzw. die nach 1945 Geborenen wären frei davon. Statt das Thema zu tabuisieren, muß eine (selbst)kritische und offene Auseinandersetzung gefördert werden. Daß das Problem des Antiamerikanismus aktuell bleibt, hat die jüngste Irak-Krise von Anfang 1998 gezeigt. Reflexartig wurde in zahlreichen Analysen von Gruppen aus der Friedensbewegung die Politik der USA als allein verantwortlich für die Krise dargestellt. Einem solchen Denken hat Fred Halliday in einem lesenswerten Aufsatz folgendes entgegengehalten: "Zu einem Zeitpunkt, an dem das westliche Ideal angeblich triumphiert, ist es unabdingbar, sich eine kritische Haltung gegenüber der Führungsmacht der kapitalistischen Welt und dem Modell, das sie verkörpert, zu bewahren. Aber das muß ein ausgewogenes Urteil sein, ohne jene traditionellen und automatisch abrufbaren Allgemeinplätze. Jene in Europa und den USA, die über lange Zeit hinweg die Kritik an der US-Gesellschaft und ihrer Außenpolitik wachgehalten haben, wären gut beraten, mit den allzu bequemen Denunziationen zu brechen und die sich bietenden neuen Möglichkeiten zu nutzen."(4) Die Frage wie Kritik an israelischer Regierungspolitik aussehen kann, wenn sie nicht anti-israelisch, oder antisemitisch ist, wird immer wieder neu beantwortet werden müssen. Hier liegt der Punkt der nicht vorhandenen und nicht wünschenswerten Normalität. Normalität im Alltag ist, worüber nicht nachgedacht, was in der Regel nicht in Frage gestellt wird. Nachdenken ist im Zusammenhang mit den deutsch-israelischen Beziehungen aber notwendig. Hilfreich wäre es dabei, wenn die kritisierenden Deutschen zu ihrer Position selbst stehen und nicht - wie in der Vergangenheit oft geschehen - auf diejenigen Israelis bzw. Juden verweisen, die dieselbe Position vertreten. Anmerkungen: 1. Siehe vor allem die umfassende Untersuchung von Martin Kloke: Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses, Frankfurt/M. 1994 (2. erweiterte und aktualisierte Aufgabe). Inzwischen liegt auch eine umfangreiche Publikation über das Verhältnis der DDR zum Staat Israel vor: Angelika Timm: Hammer, Zirkel, Davidstern. Das gestörte Verhältnis der DDR zu Zionismus und Staat Israel, Bonn 1997 2. Friedhelm Ernst (Hrsg): "Der schwierige Weg nach Palästina", Arbeitsheft 1: Nahost: Stimmen der Opposition. Palästina zwischen Krieg und Staatsgründung, Darmstadt 1981; Arbeitsheft 2: Zionismus, Opposition und Bi-Nationalität, Stuttgart 1984 3. So heißt es in einem Editorial der in Freiburg erscheinenden Zeitschrift "blätter des informationszentrums 3. welt" im Oktober 1997: "Kritik am Zionismus kann aber nur als eine allgemeine Kritik am Nationalismus erfolgen. Das jedoch ist nicht das Anliegen des Antizionismus. Und damit ist das Anliegen des Antizionismus nicht (mehr) unseres." 4. Fred Halliday: Halbe Wahrheiten. Antiamerikanische Selbstblockaden der Linken, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 1/92, S.105-110 Jörn Böhme ist langjähriges Mitglied des DIAKs. E-Mail: joern.boehme@gruene-fraktion.de | |
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