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Erstellt:
Juli 1998


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FriedensForum 4/1998


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Die atomare Abrüstung nach Indien und Pakistan

Oliver Meier

Die elf nuklearen Tests im Mai 1998, mehr aber noch die Erklärungen der indischen und pakistanischen Regierungen, beide Staaten seien jetzt Atommächte stellen die größte Herausforderung für die nukleare Rüstungskontrolle seit dem Abschluß des nuklearen Nichtverbreitungs-Vertrages (NPT) 1968 dar. Zwar ist schon lange bekannt, daß nicht nur die beiden südasiatischen Staaten atomwaffenfähig sind, sondern daß auch Israel über Atomwaffen verfügt. Die Existenz dieser drei de facto-Atommächte neben den fünf offiziellen, im NPT erwähnten Kernwaffenstaaten China, Frankreich, Großbritannien, USA und Rußland (als Nachfolger der Sowjetunion) konnte bisher aber geduldet werden, weil Indien, Pakistan und Israel weder den NPT unterschrieben, noch die Anerkennung ihres Atommachtstatus gefordert hatten.

Dieses Stillhalteabkommen ist von der indischen Regierung aufgekündigt worden. Unter Berufung auf die Nichteinhaltung der Abrüstungsverpflichtung der im NPT genannten Atommächte hat Indien sich zum Atomwaffenstaat erklärt und verlangt nun auch von anderen Staaten, als solcher behandelt zu werden. (Pakistan fordert eine solche Anerkennung nicht, allerdings haben mehrere pakistanische Regierungsmitglieder offen erklärt, daß Pakistan ein kernwaffenfähiger Staat ist.) Eine formelle Anerkennung verweigern bisher aber alle Staaten. Sie befürchten, daß ein solcher Schritt das Ansehen Indiens steigern würde und andere Staaten zur Nachahmung ermutigen könnte. Zudem wird befürchtet, daß eine Anerkennung Bemühungen zur Eindämmung der Verbreitung von Atomwaffen erheblich komplizieren würde. Schließlich würde die Aufnahme Indiens und Pakistans in den Club der Atomwaffenstaaten Ansätze zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Südasien zerstören.

 zum AnfangEine implizite oder explizite Gleichstellung Indiens und Pakistans mit den alten Atommächten soll also vermieden werden. Zugleich besteht international ein breiter Konsens, daß eine Isolation der neuen de facto-Kernwaffenstaaten kontraproduktiv wäre. Die internationale Ächtung Indiens und Pakistans würde kurzfristig eine Vermittlung im Konflikt über Kaschmir unmöglich machen und so die Gefahr einer (nuklearen) Eskalation der Krise erhöhen. Außerdem würde die ohnehin vorhandene Lagermentalität in beiden Gesellschaften verstärkt und die Kooperation mit solchen Gruppen in Indien und Pakistan erschwert, die eine antinukleare Politik befürworten. Gemeinsames Ziel der internationalen Bemühungen ist es schließlich, Indien und Pakistan zur Abrüstung zu bewegen. Dies ist aber nur im Rahmen internationaler Verträge wie etwa des Teststopp-Abkommens (CTBT) möglich. Von einem Staat gleichzeitig die rüstungskontrollpolitische Kooperation einzufordern, während man ihn gleichzeitig isoliert und sanktioniert, ist schwierig.

Die Kernfrage im Umgang mit den beiden neuen Atommächten ist also, wie Indien und Pakistan in die internationale Rüstungskontrolle einbezogen werden können, ohne daß ihr neuer Status hingenommen wird, oder sie für die Atomtests gar belohnt werden. Trotz der einmütigen Verurteilung der indischen und pakistanischen Tests unterscheiden sich die Antworten von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen auf diese Frage erheblich. Ein eher realistisch orientierter Ansatz befürwortet die implizite (oder gar offene) Anerkennung der Tatsache, daß es acht und nicht nur fünf Atomwaffenstaaten in der Welt gibt.

Eine bunte Mischung aus Vertretern der amerikanischen "Realpolitik" wie Henry Kissinger aber auch Abrüstungsbefürworter argumentieren, daß eine Leugnung der realen Entwicklung kontraproduktiv ist. Erstere meinen, daß internationale Politik sich an Realitäten (und vor allem militärischen Machtverhältnissen) orientieren müsse, letztere sehen den Bedarf nach einer breit angelegten Abrüstungspolitik, die alle Atommächte miteinbeziehen muß. Im Rahmen einer solchen Politik müßten letztendlich alle acht Atomwaffenstaaten über die Abschaffung von Atomwaffen verhandeln.

In einer solchen Gleichsetzung von alten und neuen Atommächten sehen andere Staaten und Nichtregierungsorganisationen allerdings bereits eine indirekte Anerkennung des neuen Status von Indien und Pakistan. Die beiden Staaten hätten dann genau das erreicht, was zumindest Indien will, nämlich gleichberechtigt in den nuklearen Club aufgenommen werden. Es sei eine Frage der Prinzipien und der Konsequenzen, den beiden selbsternannten Atommächten jegliche Belohnungen vorzuenthalten und sie für ihren Verstoß gegen den internationalen Trend zur Abrüstung auch zu sanktionieren. Indische und pakistanische nukleare Aufrüstung zu belohnen und gleichzeitig Abrüstung zu fordern, sei eine so widersprüchliche Politik, daß die Grundfesten des NPT erschüttert würden, denn dieser Vertrag basiere genau auf der Vereinbarung, daß die Atomwaffenstaaten sich zur Abschaffung von Atomwaffen verpflichten, während die Nichtatommächte dafür auf den Kernwaffenbesitz verzichten. Darüber hinaus sei es erst 1996 mit viel Mühen gelungen, den CTBT zur Unterschrift auszulegen. Wenn den beiden einzigen Regierungen, die das seit den französischen und chinesischen Atomtests existierende Moratorium durchbrochen haben, jetzt auch noch das Zuckerbrot der Anerkennung vor die Nase gehalten werde, so komme das einer Verhöhnung derjenigen Staaten gleich, die seit Jahrzehnten dem Atomwaffenbesitz abgeschworen haben. Egal welche Richtung im Umgang mit Indien und Pakistan sich durchsetzen wird, klar ist schon jetzt, daß die Existenz zweier neuer, selbsterklärter Nuklearwaffenstaaten in Südasien die alten Fronten in der nuklearen Rüstungskontrolle kräftig durcheinandergewirbelt hat. Bevor Indien und Pakistan elf atomare Sprengsätze zündeten, war die Diskussion um die nächsten Schritte in der nuklearen Abrüstung so festgefahren, daß ein Ausweg kaum ersichtlich war. Bezeichnenderweise war drei Tage vor den ersten indischen Tests ein Vorbereitungstreffen des nuklearen Nichtverbreitungs-Vertrages (NPT) im Streit darüber wie mit der dritten, nicht anerkannten Atommacht Israel umgegangen werden soll, ergebnislos auseinandergegangen. Mittlerweile mehren sich die Anzeichen, daß sich der internationale Druck auf die Atomwaffenstaaten, mit der nuklearen Abrüstung ernstzumachen, erhöht. So forderten die Außenminister von Ägypten, Brasilien, Irland, Mexiko, Neuseeland, Slowenien, Schweden und Südafrika in einer am 9. Juni vorgelegten gemeinsamen Erklärung, daß eine Voraussetzung zur Beschleunigung der Abrüstung in "einer klaren Verpflichtung zu der zügigen, vollständigen und endgültigen Abschaffung ihrer Nuklearwaffen und ihrer nuklearen Fähigkeit" der fünf Atomwaffenstaaten und der drei atomwaffenfähigen Staaten besteht. Damit ist ein erster Vorschlag über die Einbeziehung Indiens, Pakistans und Israels in die Rüstungskontrolle auf dem Tisch.

Für die Friedensbewegung ist es wichtig, in der Frage des Umgangs mit Indien und Pakistan klare Positionen zu beziehen, wenn sie entscheidet, ob sie derartige Initiativen unterstützt. Dabei haben es Nichtregierungsorganisationen insofern einfacher, als das Endziel für sie klar ist: Indien und Pakistan müssen ihre Atomwaffen abschaffen, wie alle anderen Kernwaffenstaaten auch. Aber in der Frage, wie dieses Ziel erreicht werden soll, müssen unangenehme Entscheidungen getroffen werden: Darf man der indischen Argumentation folgen, die Weigerung der Kernwaffenstaaten abzurüsten habe die eigene Entscheidung, Atomwaffen zu testen, mitverursacht? Oder ist die indische Position genauso unglaubwürdig wie die der anderen Atomwaffenstaaten, weil tatsächlich innen- und außenpolitische Machtinteressen den Ausschlag gegeben haben? Sind Sanktionen gerechtfertigt und welche Funktion können sie haben? Ist der NPT ein wirksames Mittel, eine weitere Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern? Oder ist dieser Vertrag wirklich "diskriminierend", wie die indische Regierung argumentiert, weil er der Mehrzahl von Staaten den Besitz von Atomwaffen verbietet?

 zum AnfangNur wenn es gelingt, das Problem des politischen Umgangs mit den beiden neuen Atommächten zu lösen, könnten sich die Atomtests möglicherweise als heilsame Schocks für die atomare Abrüstung herausstellen. Andernfalls drohen sich die politischen Fronten zwischen Abrüstungsbefürwortern und -gegnern weiter zu verhärten. Die Existenz zweier neuer Atomwaffenstaaten könnte dann sogar zur Rechtfertigung des eigenen Besitzes von Nuklearwaffen benutzt werden.



Oliver Meier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS) in Genf.

E-Mail:   meier@maxess.ch
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Atomwaffen
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