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Erstellt:
Juli 1998


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FriedensForum 4/1998


Kosovo/a

Statt NATO-Säbeln ist eine zivile Politik mit Perspektive notwendig

Andreas Buro

Im Kosovo (serbische Bezeichnung) zerschießen serbische Sonderkommandos, Polizei und Militär Dörfer. Sie vertreiben und töten kosova-albanische (albanische Bezeichnung) Dorfbewohner. Gegen die langjährige serbische Unterdrückung und Entrechtung der Kosova-Albaner haben einige von ihnen zu den Waffen gegriffen und die "Befreiungsarmee" UCK gebildet. Der bisherige beispielhaft gewaltfreie Widerstand der albanischen Bevölkerung gegen die serbische Unterdrückung droht unter dem Ansturm nationalistischer Militanz von beiden Seiten zusammenzubrechen. Soll der Kampf um den Kosovo/a wie in Bosnien militärisch-zerstörerisch ausgetragen werden?

Der Westen hat den friedlichen Widerstand der Kosova-Albaner im Stich gelassen

Das Ausmaß der Entrechtung der Albaner und die Brisanz der Situation im Kosovo ist im Westen seit vielen Jahren bekannt. Nicht nur friedensbewegte Gruppen mahnten immer wieder. Trotzdem wurde der Kosovo-Konflikt im Dayton-Abkommen ausgeklammert. Ferner erfuhr die gewaltfreie Politik der Kosova-Albaner vom Westen keine wirksame Unterstützung im Sinne vorbeugender Konfliktbearbeitung. Die westlichen Regierungen, die nicht müde werden, ihnen nicht genehmen Terrorismus anzuprangern, versagten so denjenigen die Unterstützung, die über viele Jahre friedlich um eine politische Kompromißlösung rangen. Die NATO-Staaten setzten in ihrer Balkanpolitik vielmehr darauf, daß der Kriegstreiber Milosevic und die ihn stützenden, zum Teil offen faschistischen Kräfte die Ruhe auf dem Balkan nach Dayton aufrechterhalten würden.

 zum AnfangSeitdem dieses skrupellose geo-politische Konzept - wie vorhergesagt - zu scheitern beginnt, drohen die NATO-Staaten jetzt mit Militärschlägen und preisen ihre Bereitschaft zu angeblich humanitärer Militärintervention. In Wirklichkeit haben sie diese "Situation des Einsatzes des letzten Mittels" wesentlich selbst mit verursacht - ein weiterer Schritt zur Militarisierung von Außenpolitik!

Militärintervention könnte den Krieg ausweiten

Dabei rückt eine Lösung der Kosovo-Problematik in weite Ferne. Das Prinzip der Unverrückbarkeit der Grenzen durch militärische Gewalt verbietet die Bildung eines eigenen Kosova-Staates, während mittlerweile ein großer Teil der Kosova-Albaner eine Autonomie-Lösung innerhalb Jugoslawiens ablehnt und einen eigenen Staat fordert. Eine NATO-Intervention würde jedoch die Separatisten unter den Kosova-Albaner stärken und den Konflikt auf Mazedonien mit seiner großen albanischen Minderheit und auf Albanien ausweiten. Dann wird ein Großalbanien gefordert werden und der ganze Balkan aus den Fugen geraten. Die angeblich friedenstiftende Militäraktion läuft Gefahr, die jetzigen gewalttätigen Auseinandersetzungen zum Balkan-Krieg auszuweiten.

Zerstörerische Mißachtung internationalen Rechts

Nun rächt sich, daß die NATO-Staaten den Aufbau einer gesamteuropäischen Friedensordnung, wie sie noch in der Pariser Charta von 1990 versprochen wurde, zugunsten von NATO-Osterweiterung und NATO-Interventionen sabotiert haben. Wie sehr dabei nur noch auf die eigene Macht gebaut wird, zeigt sich in der Bereitschaft führender westlicher Politiker, einschließlich des Bundesverteidigungsministers, die NATO-Intervention auch ohne Zustimmung des Weltsicherheitsrates unternehmen zu wollen. Die geballte Militärmacht soll offensichtlich internationales Recht überflüssig machen. Diese Vorgehensweise entwertet und zerstört letztlich diese wichtige internationale Institution.

Perspektive eröffnen und den Dialog mit den Gesellschaften aufnehmen

Unter sozialer und wirtschaftlicher Not leidende Menschen, Eltern, die um ihre Söhne bangen, BürgerInnen, die die verheerenden Wirkungen des nationalistischen Kriegskurses durchschaut haben - und das sind zusammen nicht wenige - ihnen allen und den noch Zögernden muß eine Perspektive für eine friedliche, kooperative Entwicklung auf dem Balkan aufgezeigt werden. Die Menschen aller Gruppierungen undVölker können dadurch begreifen, daß sie gegeneinander nur verlieren werden, aber im Miteinander über ethnische Grenzen hinweg alle gewinnen können.

Die Perspektive besteht im Beginn einer Balkan-Kooperation, die als langfristiges Ziel eine Verbindung mit der EU ermöglicht. Daran können sich alle Völker beteiligen, die kooperationsbereit sind und auf gewaltsamen Konfliktaustrag verzichten. Hierüber ist mit den Gesellschaften, also den BürgerInnen in Serbien, Montenegro, und selbstverständlich in Kosovo/a ein offener und öffentlicher Dialog in den vielfältigsten Formen so zu entwickeln, daß er nicht von den Herrschenden unterbunden werden kann. Das Gespräch mit den taktierenden Milosevics, die nur ihren Machterhalt im Auge haben, ist unzureichend. Die Menschen selbst müssen ihren Friedenswillen in allen Bereichen entfalten. Das bedeutet gleichzeitig einen großen Schritt in Richtung Demokratisierung.

 zum AnfangEine "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit" in Südosteuropa?

Aus dem Ausland, aus den vielen Staaten Europas muß die Botschaft von oben und unten kommen: Wir sind an Eurer Seite und für Euch, wenn ihr Euren Geschwisterkampf beendet und Euch zur Kooperation zusammenfindet. Westpolitiker werden nach den erforderlichen Finanzmitteln fragen. Doch eine solche Politik ist viel billiger als militärische Interventionen. Sie ist für alle, einschließlich der EU-Staaten, viel zukunftsträchtiger. Das politische Instrument, um eine solche Kooperation in Gang zu setzen, könnte eine institutionalisierte Dauerkonferenz sein, wie sie im Ost-West-Konflikt in der Form der "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE, heute OSZE) recht erfolgreich praktiziert wurde.

Einen solchen Prozeß der Überwindung von Krieg einzuleiten, verspricht auch, die sich neu aufbauenden Mauern in Europa zwischen Ost und West und vor allem gegenüber Rußland abbauen zu können. Selbstverständlich können sich alle europäischen Staaten an diesem Prozeß beteiligen. In ihm geht es nicht mehr um den scheinbar ethnischen Konflikt zwischen Kosova-Albanern und Serben, sondern zwischen kooperationsbereiten Kräften auf dem Balkan und nicht-kooperations-bereiten, die Vorteile für sich mit Gewalt zu erreichen suchen.

Druck durch Embargo ist nicht auszuschließen

Milosevic und die Kräfte, die ihn stützen, sind anscheinend noch immer bereit, für ihre Herrschaftsziele ganze Gesellschaften zu terrorisieren und nationalistisch zu verhetzen. Gegen sie ist das Instrument des Embargos einzusetzen und zwar so, daß die humanitären Belange der Bevölkerung berücksichtigt werden. Durch den grenzüberschreitenden öffentlichen Dialog muß der Bevölkerung vermittelt werden, mit welchem Ziel, das letztlich auch ihnen nutzt, das Embargo eingesetzt wird. Wir erinnern uns an das Votum der schwarzen Bevölkerung in Südafrika für eine Fortsetzung des Embargos gegen die Apartheid.

Was tun? Schritte der zivilen Konfliktbearbeitung

Im gegenwärtigen Jugoslawien bröckelt vielerorts der nationalistische Kitt: In Montenegro will man sich nach außen öffnen, Polizisten verweigern den Kampfeinsatz im Kosovo, Mütter fordern ihre Söhne aus der Armee zurück. Das aufkommende zivilgesellschaftliche Bewußtsein gilt es zu stärken. Die Bereitschaft, ethnische Borniertheit zu überwinden, muß aus der Gesellschaft selbst kommen.

 zum AnfangVon allen Ebenen und Institutionen der Gesellschaften soll die Aufforderung an beide militante Seiten ausgehen, den gewaltsamen Kampf von sich aus und ohne Bedingungen einzustellen, weder Kosova-Albaner noch im Kosovo lebende Serben zu vertreiben, sondern ihre Rückkehr zu fördern.

Unterstützung aller Kräfte und Gruppierungen, die sich für eine friedliche Lösung einsetzen. Diese Unterstützung kann in vielfältiger Form erfolgen. Durch Bereitstellung finanzieller Mittel, durch Einladungen ins Ausland, um den Gruppen ein internationales Forum zu geben, durch Bereitschaft der Medien, die gewaltfreie Arbeit bekannt zu machen, durch die Ausrichtung von Regionalkonferenzen, auf denen sich Friedens- und Anti-Kriegsgruppen, Gruppen aus verschiedenen Staaten der Region besprechen und Zusammenarbeit vereinbaren können usw.

Humanitäre Hilfe und Solidarität werden erkennbar, wenn die bisherigen Kriegsopfer unterstützt werden, so daß zerstörte Dörfer wieder aufgebaut werden können.

Einleitung und Unterstützung von Dialogen über internationale Beobachtergruppen, Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlings-, Menschenrechts- und Friedensorganisationen.

Deserteure und Kriegsdienstverweigerer, soweit sie fliehen können, müssen aufgenommen werden und Flüchtlinge sind aus den Aufnahmeländern nicht zurückzuschicken, solange die Gefahr besteht, daß sie in Serbien zum Kriegsdienst in den Kosovo geschickt werden und sie selbst eine sichere Rückkehr nicht für möglich halten.

Die Entfaltung einer Perspektive für zukünftige Entwicklung und Vertrauensbildung gehören zusammen. Darum ist es wichtig, daß auf vielen Ebenen (Kirchen, Gewerkschaften, Berufsverbänden, Wissenschaft, Medizinern, Wirtschaftsleuten usw.) Serien von Zusammenkünften organisiert werden, in welchen Erwartungen und Möglichkeiten der Entfaltung von Zusammenarbeit erörtert werden.

Von der EU sollten Konsultationsgespräche über Balkanzusammenarbeit, erforderliche Vorbereitungsschritte und Verfahren eingeleitet werden.

Diese und viele andere Schritte der Deeskalation, sowie des Aufbaus von Vertrauen und Kooperationsfähigkeit werden durch einen Stopp des Konfliktaustrages auf der militärischen Ebene, einschließlich der militärischen Interventionsdrohungen der NATO gefördert.

Die Bearbeitung des Konfliktes mit zivilen Mitteln ist dringlich

Es gibt keinen Grund, der Gewaltorientierung der NATO-Politiker zu folgen, die absichtlich oder nur aus politischer Unfähigkeit den Kosovo-Konflikt an den Rand des Krieges haben treiben lassen. Aus deren Versagen versuchen die Militärs eine Dauerlegitimation für ständige Aufrüstung zu schmieden. Man müsse ja, wie die verruchte Politik Belgrads zeige, überlegenes Militärpotential als "letztes Mittel" zur Verfügung haben.

Eine humane, zukunftsträchtige Friedenspolitik zu entwickeln, haben bisher die Bundesrepublik und alle anderen NATO-Staaten, die dem Anschein nach so humanitär-fürsorglich militärisch intervenieren wollen, fahrlässig oder aus Interesse an weiterer Aufrüstung versäumt. Wie heuchlerisch diese Politik der dem Anschein nach "humanitären" Militärintervention ist, begreift man sehr schnell, wenn man der Frage nachgeht, warum die NATO nicht längst in der Türkei militärisch eingegriffen hat, um der Vertreibung der Kurden aus ihren Siedlungsgebieten - bisher etwa 3 Millionen mit um die 3 000 Dörfern - ein Ende zu setzen. Die Situation dort ist viel fürchterlicher als im Kosovo/a. Doch unter NATO-Freunden scheinen Menschenrechte nicht zu zählen.

 zum AnfangGegen die Gewaltorientierung der NATO ist die Forderung nach einer Politik zu stellen, die Konflikten vorbeugt, sie mit politischen und zivilen Mitteln deeskaliert und in ihrer Nachbearbeitung Perspektiven für die sinnvolle und friedliche Fortentwicklung verankert.



Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie
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