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Erstellt:
Juli 1998


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FriedensForum 4/1998


Kosov@ nach Drenica

Christine Schweitzer

Die serbische Polizei- und Militäroperation, die in der Drenica-Region begann und sich jetzt auf andere Gebiete des Kosovo ausweitet, hat die Atmosphäre in der serbischen wie der albanischen Bevölkerung verändert. Es folgt ein kurzer Auszug aus einem umfassenden Bericht, den das jugoslawische Team des Balkan Peace Teams im Mai geschrieben hat und in dem der Einfluß von Drenica untersucht wird.

Sofort nach den ersten Massakern schlossen die meisten Läden und Cafes. In Erwartung noch von Schlimmeren wagten sich weder Serben noch Albaner aus ihren Häusern - außer um Vorräte an Mehl, Zucker und Öl für den Kriegsfall einzukaufen. Die meisten Menschen, die wir in diesen Tagen trafen, befanden sich in einem Zustand von Schock und Trauer und waren kaum fähig, normal zu handeln.

Frauen waren die ersten, die demonstrierten. Diesen Demos folgten große gemischte Demonstrationen. Heute gibt es jeden Tag einen Protestmarsch von 12.00 Uhr bis 12.30 Uhr. Wochentags werden keine Slogans getragen; Samstags gibt es Themen, Transparente und Gesänge.

Frauengruppen waren auch die ersten, die sich um die Überlebenden und Vertriebenen kümmerten, die die angegriffenen Dörfer verlassen hatten. Ihnen folgten AktivistInnen von lokalen Menschenrechtsgruppen und Journalisten. Die Berichte, die sie mitbrachten, wurden durch Mundpropaganda verbreitet und sowohl in den lokalen Medien wie im albanischen Fernsehen zusammen mit schockierenden Photographien veröffentlicht. Die albanische Gemeinschaft trauerte wochenlang.

 zum AnfangAnti-serbische Gefühle wurden sehr deutlich. Jeder Albaner fühlt sich als Teil einer großen "Familie", die alle Kosov@-AlbanerInnen einschließt. Dadurch hinterließen die Toten von Drenica einen tiefen Eindruck. Viele Serben haben Angst, daß offene Feindseligkeiten zwischen ZivilistInnen ausbrechen könnten. Viele haben Angehörige an sicherere Orte innerhalb Serbiens geschickt. Wir hören immer wieder, daß immer mehr Serben den Kosovo verlassen.

Manche SerbInnen fühlen Entsetzen, Scham und Schuld für das, was ihr Regime in ihrem Name getan hat. Diejenigen, die seit den Massakern versucht haben, ihre albanischen Freunde und Nachbarn anzusprechen, mußten große Angst vor Rückweisung überwinden.

In Reaktion auf die albanischen Proteste haben andere Kosovo-Serben ihre eigenen Proteste organisiert, in denen sie darauf bestehen, daß der Kosovo serbisch sei und in denen sie Schutz forderten. Von ihrem Rektor unterstützt organisierten serbische Studenten Proteste und Demos; der offensivste Slogan war "Gebt den Albanern nicht einmal Bleistifte". Drenica schockierte die Gemeinde der albanischen Studenten bis in die Knochen. Viele StudentInnen sind jetzt Vertriebene; manche haben Familienmitglieder oder Freunde verloren, manche verloren nur ihre finanzielle Unterstützung. Die Studenten-Union der parallelen Universität (UPSUP) riefen rasch auf, finanzielle Hilfe zu leisten und verteilten die eingehenden Spenden an rund 1000 StudentInnen.

Einer großen Zahl albanischer StudentInnen scheint es nicht länger sinnvoll zu sein, für die Öffnung von Schulgebäuden unter einem System einzutreten, daß zu solchen Massakern fähig ist.

Die Arbeit der AktivistInnen

Unter den AktivistInnen, deren Projekte nicht auf die eine oder andere Art mit humanitärer Hilfe oder Menschenrechtsarbeit zu tun haben, war das vorherrschende Gefühl das von Sinnlosigkeit. "Was nutzen unsere Aktivitäten, wenn Frauen und Kinder getötet werden?" Selbst jene, die in Dialoginitiativen involviert sind, drückten Zweifel aus, ob ihre Projekte noch funktionierten.

a) Frauenprojekte

Rund 20.000 Menschen haben die Drenica-Region verlassen und woanders Schutz gesucht: Serben und Montenegriner verließen zumeist den Kosovo, während AlbanerInnen hauptsächlich versuchten, in den umliegenden Gebieten Zuflucht zu finden. AktistInnen sagten, daß sie manchmal bis zu 100 Personen in einem Haus antrafen.

Die meisten Frauengruppen in Prishtina reduzierten ihre normale Arbeit, um sich auf humanitäre, psycho-soziale und Menschenrechts-Arbeit zu konzentrieren. Sie gingen in die Drenica-Region, um dort das an humanitären Gütern zu verteilen, dessen sie habhaft werden konnten, medizinische Hilfe zu leisten, die Berichte der Überlebenden anzuhören und Zeugenaussagen zu sammeln, was eigentlich genau passiert war. Alle Fraueninitiativen unterstützten neun Frauendemonstrationen. Die größte fand am 16. März statt, als zehntausende Frauen versuchten, nach Drenica zu marschieren. Jede trug ein Brot unter dem Arm als Symbol der Unterstützung der Überlebenden und Vertriebenen. Die Polizei stoppte sie.

b) Dialog-Initiativen

Trotz Drenica werden die schon etablierten Dialog-Initiativen auf der Ebene der Nichtregierungsorganisationen fortgeführt. Ein kleines Licht der Hoffnung.

* Die Nansen Gruppe: Kosov@-Serben und Albaner, die
  gemeinsam an einem zehnwöchigen Kurs der Nansen
  Friedensakademie in Norwegen teilgenommen haben,
  waren in der Lage, sich kennenzulernen und bis zu
  einem gewissen Grad Vertrauen zu entwickeln.
  TeilnehmerInnen aus Pristhina von fünf Nansen
  Kursen trafen sich letztes Jahr, um ein eigenes
  Dialog-Projekt zu beginnen. Nach Drenica hatten
  die Organisatoren nicht erwartet, daß ein
  geplantes Treffen in einem Ferienhotel
  zustandekäme, aber alle, die sich angemeldet
  hatten, nahmen teil und blieben bis zum Ende des
  Treffens.

* Pax Christi: Der niederländische und flämische
  Zweig von Pax Christi fördert den
  serbisch-albanischen Dialog seit 1995, wobei sie
  sich auf junge Leute aus Prishtina, Belgrad und
  anderen Städten in Serbien konzentrieren. Trotz
  Drenica war genug Vertrauen entstanden, daß jene,
  die eingeladen worden waren, im Mai an einem
  Treffen in Makedonien teilnahmen.

 zum AnfangDie Rolle des Balkan Peace Teams

In den Augen des BPT ist dies nicht die Situation, in der neue Dialog-Initiativen gegründet werden können. Aber wir können jene unterstützen, die an bestehenden Initiativen beteiligt sind. Dadurch, daß wir versuchen, so viel wie möglich anwesend zu sein, hoffen wir verfügbar zu sein und vor allem als ein unabhängiger Kanal von Information zu funktionieren. Wir haben eine besondere Rolle darin, AlbanerInnen wissen zu lassen, was kleine serbische Gruppen tun, um gegen den Krieg Widerstand zu leisten.

Schon vorher hatten die Belgrader Frauen in Schwarz ihre wöchentlichen Mahnwachen dem Kosovo gewidmet. Als die Reaktionen in der Öffentlichkeit nach Drenica unerträglich wurden, beschlossen die Frauen, sich eine Zeitlang von der Straße zurückzuziehen. Sie setzen aber ihre persönlichen Kontakte mit albanischen Freunden durch Besuche in Prishtina fort.

Das Humanitarian Law Center in Belgrad bekam einen Film in die Hände, der die Toten des ersten Massakers zeigt. Der Belgrader Kreis organisierte eine Vorführung vor rund 150 Personen. Eine Gruppe in Leskovac produzierte kurz vor dem Referendum in Serbien gegen ausländische Mediation 1.500 Kopien eines Flugblattes, das vor Krieg warnte.

Einige Belgrader StudentInnen, die über die gegenwärtige Situation frustriert sind, aber durch vorherige Treffen mit albanischen Studenten in Pristhina ermutigt waren, haben eine Anti-Kriegs-Kampagne gegründet. Sie wollen Flugblätter und Plakate verteilen.



Christine Schweitzer ist u.a. in der Steuerungsgruppe des Balkan Peace Teams
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