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Erstellt:
Juli 1998


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FriedensForum 4/1998


Die Lehren aus demNordirland-Friedensprozeß

Anne Cummings

Nordirland hat kürzlich das Ende langer Verhandlungen erreicht, die aus vielen Jahren der Gewalt entstanden waren. Viele Faktoren trugen dazu bei, daß der Prozeß stattfand. Faktoren wie Teilnehmer in den Verhandlungen, welche anderen Länder beteiligt waren, die Länge und Natur des Konfliktes, die Opfer und ihre Familien, die paramilitärischen Organisationen und der ökonomische Einfluß des Konfliktes.

Ich arbeite für eine kleine Organisation und habe mit vielen Menschen in Vorbereitung für diesen Vortrag gesprochen. Gemeinsam dachten wir, daß, wenn Nordirland sich vorwärts bewegen und seine künftigen Generationen Frieden haben sollen, bestimmte Dinge in unsere Gesellschaft eingebaut werden müssen:

1. Es ist unbedingt erforderlich, daß die Regierung
   jedes Landes, das sich in Konflikt befindet, sich
   systematisch der Förderung organisierter
   Aktivitäten zwischen den Gemeinschaften widmet.
   Eine Regierungsabteilung muß geschaffen werden,
   die Zeit und Unterstützung der Organisation der
   Friedensbewegung gibt und die Qualität und
   Quantität der Arbeit an der Basis sicherstellt.
   Viele Organisationen arbeiten auf der Basisebene
   mit Opfern des Konfliktes, paramilitärischen
   Gruppen und Jugendlichen aus benachteiligten
   Gebieten, die wenig Hoffnung für die Zukunft
   haben. Diese Organisationen bestehen aus
   engagierten Individuen, die viel Zeit und Energie
   für die Lösung des Nordirland-Konfliktes
   einsetzen, aber wenig Anerkennungen von Regierung
   oder Behörden erhalten. Es ist essentiell, daß die
   Regierung Arbeit und Engagement von Menschen für
   Aktivitäten zwischen den Gemeinden anerkennt.

2. Gegenwärtig sind die meisten Schulen in Nordirland
   segregiert in Form von katholischen und
   protestantischen Schulen, die von Kindern zwischen
   4 und 18 Jahren besucht werden. Integrierte
   Erziehung und die Einführung von Beziehungen
   zwischen den Gemeinden innerhalb der Schulen fängt
   langsam an, muß aber zu einer Priorität im
   Bildungssystem werden. Dies könnte der erste
   Schritt zu weiteren Integrationsmaßnahmen in der
   Gesellschaft (Wohnen, Arbeit) werden.

3. Nummer Drei ist das Justizsystem. Die Regierung
   muß mehr Vorsorge für die Unterstützung von
   Opfern treffen und einen Geist der Vergebung und
   Verständigung fördern. In Nordirland war es
   wichtig, daß politische Gefangene in den
   Friedensprozeß einbezogen wurden, weil sie
   wesentlich bei der Schaffung und Einhaltung von
   Waffenstillständen waren. Nur sehr wenige
   politische Gefangene werden nach ihrer Freilassung
   wieder straffällig und einige wurden sogar
   Friedensaktivisten. Das Thema der Freilassung
   politischer Gefangener wird umstritten sein und
   muß mit Sensibilität angegangen werden. Ihre
   Freilassung sollte auch abhängig gemacht werden
   von Waffenstillständen und Bewährungsauflagen.

4. Jeder Friedensprozeß muß vom Volke kommen, er muß
   sich von unten nach oben entwickeln. Nur so kann
   es gehen. In dem kürzlichen Referendum stimmten
   71% der Bevölkerung Nordirlands für das
   Friedensabkommen. Dieses Abkommen war das
   Dokument, an dem Politiker über zwei Jahre
   gearbeitet hatten. Kirchen, Gewerkschaften,
   Wirtschaft, Industrie und Friedensorganiationen
   sollten - und tun es - Politiker unter Druck
   setzen, eine friedlichere und gerechtere
   Gesellschaft zu schaffen. In Nordirland würden dem
   Frieden viele Investitionen folgen, die wiederum
   mehr Arbeit schaffen und die Selbstschätzung
   befördern würden.

5. Die Medien habe eine große Verantwortung für die
   Art der Berichterstattung über politische
   Ereignisse. Sie müssen Neuigkeiten auf faire und
   vorurteilsfreie Weise bringen, statt Gewalt in der
   Gesellschaft zu provozieren. Es sollte im
   Rechtssystem klare Regulierungen geben, um
   sicherzustellen, daß dies geschieht.

6. Polizei ist ein weiteres Themenfeld. Derzeit
   kommen rund 93% der Polizei Nordirlands aus der
   protestantischen Gemeinde. Von dieser Polizei wird
   erwartet, daß sie beiden Seiten der nordirischen
   Gemeinde fair und vorurteilsfrei begegnet. Die
   zukünftige Debatte über die Polizei muß alle
   Sektionen der Gemeinde einbeziehen, um
   sicherzustellen, daß die Polizei repräsentativ und
   verantwortlich ist und zur Rechenschaft gezogen
   werden kann.

7. Menschenrechte sind die Rechte jedermanns in
   unserer Gesellschaft. Nordirland hat keine
   Verfassung, die Menschen sind so daran gewöhnt,
   unter Notstandsgesetzen zu leben, daß sei nicht
   wissen, was echte Menschenrechte sind.
   Grundlegende Menschenrechte sollten die Grundlage
   für jedes Friedenabkommen und jede Gesetzgebung
   sein und die Verteidigung der Menschenrechte muß
   Teil jeder andauernden politischen Einigung sein.
   Ein typisches Beispiel ist die Diskussion um
   Demonstrationen. Die Sicht eines tpyischen
   Nordiren würde sein, daß da zwei Seiten der
   Gemeinschaft betroffen sind. Die eine Seite drückt
   ihr Recht auf Demonstrationen und Verteidigung
   ihres religiösen Glaubens aus und die andere
   formuliert ihr Recht, nicht eingeschüchtert zu
   werden und mitbestimmen zu können, was in ihrer
   Gemeinschaft passiert.

ğMan muß sich daran erinnern, daß beide Seiten in vollem Recht handeln und jede Beilegung des Konfliktes das Recht von allen umfassen muß, frei von Furcht und Drohung zu leben. Während der Friedensverhandlungen sprachen die Medien und Politiker darüber, "Konzessionen" an die eine oder andere Seite zu machen - einige dieser Konzessionen waren in Wirklichkeit grundlegende Menschenrechte, die Basis unserer Gesellschaft sein sollten. Wir müssen dafür kämpfen, eine Kultur zu schaffen, in der Menschenrechte in allen Teilen der Gesellschaft, einschließlich Polizei und Gerichten, respektiert und gewahrt werden.

8. Jede Friedenslösung muß eine ehrliche Anerkennung
   des Unrechts der Vergangenheit einschließen. Dies
   betrifft nicht nur unrechte Taten von
   Paramilitärs, sondern auch Anerkennung jener,
   deren Leben verändert oder verloren wurden als
   Resultat von Aktionen durch den Staat und seine
   Agenten. Bis dieses Thema angeschnitten wird,
   werden viele Menschen in Nordirland das Gefühl
   haben, daß sie immer noch gute Gründe haben,
   verbittert, mißtrauisch und verletzt zu sein.

Am 22. Mai 1998 wurde in Nordirland Geschichte gemacht. Obwohl die Mehrheit der Wähler nicht mit allem einverstanden war, was in dem Abkommen vorgeschlagen wurde, stimmten sie dafür, es anzunehmen. Der Grund hierfür ist in meinen Augen, daß die Menschen Nordirlands einen tiefen und dringenden Wunsch nach Frieden haben. Die meisten Menschen wollen die Untaten der Vergangenheit hinter sich lassen und nach vorne schauen. Dies könnte eine leuchtende Zukunft für Nordirland bedeuten, wenn die Menschen dort die Unterstützung bekommen, die sie brauchen, um den Frieden zu bewahren.

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