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Erstellt:
Juli 1998


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FriedensForum 4/1998


Desertion aus der Wehrmacht: Aus der Geschichte lernen

Ludwig Baumann

Es freut mich sehr, daß ich diesen Europäischen Friedens-Kongreß miterleben kann. Ich möchte Ihnen heute einiges über meine Erfahrungen als Deserteur der deutschen Wehrmacht berichten, denn ich glaube, Desertion, Verweigerung des Kriegsdienstes und Wehrkraftzersetzung sind für die Geschichte des Menschenrechts der Kriegsdienstverweigerung, das leider in vielen Ländern immer noch nicht respektiert wird, von besonderer Bedeutung.

Auf Hitlers Weisung "Der Soldat kann sterben, der Deserteur muß sterben" wurden wir Deserteure, Wehrkraftzersetzer und Kriegsdienstverweigerer mit über 30.000 Todesurteilen und mehreren 10.000 Zuchthausstrafen verfolgt. Über 20.000 Todesurteile wurden vollstreckt. Überlebt haben das Grauen in den KZs und Strafbattaillonen keine 4.000 von uns. Heute sind wir vielleicht noch 200.

Mein Freund Kurt Oldenburg und ich desertierten 1942, weil wir Hitlers Krieg nicht mehr mitmachen wollten. Wir wurden an der Grenze verhaftet und in Bordeaux zum Tode verurteilt. Wie ich heute aus meiner Akte weiß, wurde das Urteil 7 Wochen später in 12 Jahre Zuchthaus umgewandelt - was ich aber nicht erfuhr. Ich lag 10 Monate in der Todeszelle - Tag und Nacht an Händen und Füßen gefesselt. Jeden Morgen früh, wenn die Wachen wechselten, dachte ich: "Jetzt holen sie dich!", und wenn sie an der Zelle vorbei waren, dann war ich wieder für einen Tag gerettet. Es war ein Grauen, daß mich heute noch traumatisch verfolgt. Gequält haben sie uns so, weil wir zusammen mit Geiseln einen Ausbruch geplant hatten. Es waren ca 90 Männer, einige von ihnen noch Kinder. Eines Tages wurden die Angehörigen der Geiseln auf den Gerichtshof getrieben, und wir, die zum Tode verurteilten Deutschen, mußten zur Abschreckung dabei sein. Und da sah ich Frauen und Mütter, die ihre Männer und Kinder in den Arm nahmen, sie schrieen und wollten sie nicht loslassen. Ich sah Soldaten der Wehrmacht, die sie brutal auseinanderrissen - und die Geiseln wurden alle brutal umgebracht. Von da an habe ich den Krieg und den Faschismus gehaßt.

 zum AnfangNach Jahren im KZ kamen wir zum Strafbataillon, und diese Strafbataillone wurden nur noch an der zusammenbrechenden Ostfront dort eingesetzt, wo mit der militärischen Vernichtungspolitik, der sogenannten "verbrannten Erde", alles niedergemacht worden war - ganze Dörfer mit ihren Einwohnern. Dort wurden wir reingeschmissen, um mit unserem Leben den deutschen Rückzug zu decken. Fast keiner von uns hat das überlebt, auch mein Freund Kurt nicht.

Nach der Befreiung waren die meisten von uns Überlebenden körperlich und seelisch zerbrochen und doch hofften wir auf eine bessere Zukunft. Wir wurden aber weiterhin nur als Feiglinge und Vaterlandsverräter beschimpft und bedroht, bis wir es selber glaubten. Erst Anfang der 80er Jahre mit der Friedensbewegung bekamen wir unsere ersten Verbündeten. Der Kampf um unsere öffentliche Anerkennung und Rehabilitierung begann Mitte der 80er Jahre mit dem Aufstellen von Denkmälern für Deserteure, die in vielen Städten heftige Diskussionen hervorrief. Im Oktober 1990 konnten wir endlich unsere Bundesvereinigung gründen. Wir, das waren 37 alte Menschen, fast alle gebrechlich und arm geblieben - kaum einer hatte Anschluß an die Gesellschaft gefunden. Seitdem kämpfen wir für unsere Rehabilitierung, für die Aufhebung unserer Urteile - für unsere späte Würde.

Unser Kampf ist darum so schwer, weil die Richter, welche uns damals verurteilt hatten, über den Krieg hinaus Karriere machten. Diese "Blutrichter", so werden sie inzwischen in einem Urteil des Bundesgerichtshofs bezeichnet, haben die Nachkriegsrechtsprechung entscheidend mitgeprägt. Hätten sie uns rehabilitiert, hätten sie sich selbst als Mordgehilfen anklagen müssen.

Im Deutschen Bundestag behaupten unsere Gegner, daß mit unserer Rehabilitierung alle Soldaten der Wehrmacht ins Unrecht gesetzt würden. Aber ich habe aus unserer Geschichte gelernt, daß die Soldaten immer dazu mißbraucht wurden - und sie haben sich auch mißbrauchen lassen -, alles zu zerstören: fremde Länder, das eigene Land und meist auch sich selbst. Nie hat einer hinterher sagen können, was der, den er umbrachte, ihm denn getan hat. Im 2. Weltkrieg kam noch hinzu, daß ja auch hinter der Front nur solange millionenfach in den Vernichtungslagern gemordet werden konnte, wie die Fronten verteidigt wurden, d.h. solange die "soldatischen Pflichten" erfüllt wurden. Aus dieser Geschichte zu lernen, heißt für mich, sich zu fragen, ob die Soldaten nur früher mißbraucht wurden, oder ob sie auch heute in dieser Gefahr stehen?

 zum AnfangNun habe ich ja Diktaturen erlebt und erlitten, und deshalb ist mir Demokratie ein hohes, verteidigungswürdiges Gut. Ich glaube aber, was heute militärisch verteidigt wird, das nehmen wir oft gar nicht mehr wahr: Da sind ein paar reiche Länder - es sind unsere Länder -, die über 70% der Schätze und Ressourcen unserer Erde verpulvern und sie damit zerstören, die die armen Länder ausbeuten und dort auch noch ihren Giftmüll abladen. Sie sind die Nutznießer dieser unmenschlichen Weltwirtschaftsordnung, bei der jeden Tag - auch heute - viele 10.000 Menschen qualvoll verhungern. Solange wir diese Verbrechen an der Erde und an den Menschen "verteidigen", kann es keinen Frieden geben!

Es ist ja ein Wahnsinn: Wer im zivilen Leben einen Menschen umbringt, der ist normalerweise ein Mörder, wenn aber militärisch das Töten von Menschen befohlen wird, wird der Gehorsame nicht zum "Mörder", sondern zum Helden und bekommt einen Orden. Ich verstehe diesen Europäischen Friedens-Kongreß auch als Zeichen dafür, daß der Aufstand der Gewissen gegen die Institution des Krieges begonnen hat und weitergeht, daß die Zeit gekommen ist, den Krieg abzuschaffen. Ich wünsche uns allen die Kraft und das Durchhaltevermögen, sich niemals mehr von denen da oben dazu mißbrauchen zu lassen, Menschen anderer Völker und sich selbst umzubringen. Das ist auch heute meine Hoffnung für das Leben und für den Frieden.



Ludwig Baumann ist Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz
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