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Erstellt:
Juli 1998


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FriedensForum 4/1998


Von Osnabrück nach Den Haag

Ein weiter Schritt zur Realisierung der pazifistischen Idee

Werner Dierlamm

"Wir sind kein uniformer Haufen. Wir haben nicht die Hybris, wir verkündeten die letzte Wahrheit. Wir müssen weiter diskutieren." So Mani Stenner am letzten Tag des Friedenskongresses in Osnabrück. Diskussionsbedarf gibt es nach meiner Überzeugung vor allem in der Frage, wie sich die Friedensbewegung zur "herrschenden Politik" verhalten soll. Dazu möchte ich einige Behauptungen zur Diskussion stellen.

1. Ohne Mitwirkung der "herrschenden Politik" können wir unsere pazifistischen Ziele nicht erreichen

Ein paar Beispiele:

* Tausende haben in Mutlangen für den Abzug der
  Pershing II-Raketen demonstriert und blockiert.
  Dies Ziel wurde erreicht. Aber ohne Reagan und
  Gorbatschow wäre keine einzige Rakete
  weggeschafft worden;

* weltweit haben Antiapartheidgruppen eine Ende der
  Rassentrennung in Süd-Afrika gefordert. Aber erst
  als de Klerk seinen Platz Nelson Mandela räumte,
  kam der Umschwung zustande;

* es ist wahr, was Anne Cummings aus Nordirland in
  Osnabrück gesagt hat: "Bei uns kam der Frieden
  nicht durch das Militär, sondern von den Leuten,
  die die Gewalt leid waren." Es ist aber ebenso
  wahr, daß die sich jetzt anbahnende Friedenslösung
  ohne die Regierung in London und Dublin, ohne
  eine umfassende Kooperation auf vielen Ebenen
  nicht möglich gewesen wäre.

2. Träger eines politischen Mandats müssen zu Kompromissen bereit sein

Es ist das Recht und die Pflicht von NGO`s oder von Verfassern und Verfasserinnen von Appellen, Memoranden und Resolutionen, ihre Vorstellungen kompromißlos zu formulieren und radikale Forderungen vorzutragen. Gewählte Abgeordnete dagegen, Frauen oder Männer, sind gezwungen, zu einer Vereinbarung mit den Abgeordneten der anderen Parteien zu kommen. Das deutlichste Beispiel dafür liefert gegenwärtig die Grüne Partei. Von der Stunde an, wo sie zur Regierungspartei wird und die Macht mit anderen Mächtigen teilt, ist sie zu schmerzlichen Abstrichen an ihren ursprünglichen Forderungen und Vorstellungen gezwungen. Es ist sinnlos und ungerecht, sie deswegen zu verurteilen. Nur eine allein herrschende diktatorische Partei könnte kompromißlos ihre Vorstellungen durchsetzen. Das können Pazifisten anderen nicht zugestehen und für sich selbst nicht wollen.

 zum Anfang3. Es ist nötig, daß wir die kritische Distanz zur herrschenden Politik mit einem kritischen Dialog und der Bereitschaft zur Zusammenarbeit verbinden

Übereinstimmend wurde in Osnabrück immer wieder darauf hingewiesen, daß zivile Konfliktbearbeitung im Zusammenwirken der gesellschaftlich verantwortlichen Kräfte geschehen müsse: Um solche Konflikte wie in Nord-Irland lösen zu können, braucht es einen Einsatz auf vielen Ebenen;

* Horst-Eberhard Richter (Mitgründer IPPNW):
  Kooperation mit allen gesellschaftlichen Gruppen
  ist notwendig;

* Andreas Buro: vielseitige Friedensstrategien,
  viele Akteure, Netzwerke, horizontale Verbindungen
  sind unerläßlich.

Ich bin der Meinung, daß zu den gesellschaftlich verantwortlichen Kräften auch Regierungen, Parlamente, Parteien und sogar militärische Organisationen gehören. Darum plädiere ich dafür, die Lösung, die vor Jahren die neue Ostpolitik Willy Brandts begleitete: "Wandel durch Annäherung" - heute nicht nur auf unser Verhältnis zur PDS, sondern auch zur "herrschenden Politik" anzuwenden. Sie ist nicht das "Reich des Bösen". Wenn wir davon überzeugt sind, daß die pazifistische Idee politisch realisiert werden kann und ihr Zukunft gehört, sollten wir uns vor dieser Annäherung nicht fürchten.

4. Die UNO ist unser potentieller Bundesgenosse

Sie steht nicht nur auf der Seite der Mächtigen, sondern auch der Ohnmächtigen. Sie vertritt nicht nur die Erste Welt, sondern auch die Zweidrittelwelt. Nach ihrem Selbstverständnis will sie "künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges bewahren" (Präambel der UN-Charta). Kofi Annan ist nicht einfach ein Erfüllungsgehilfe der USA. Im Irak hat er den Funken des Krieges, der von Clinton schon an die Lunte gelegt war, wieder ausgetreten.

5. Auch Generäle und Soldaten können sich wandeln und zu pazifistischen Überzeugungen kommen

Militärische Insider können die Kritik am System noch schärfer formulieren als es uns aus der Ferne möglich ist. Nicht nur Töchter von Generälen wie Bertha von Suttner haben sich von ihren militaristischen Vätern abgewendet, auch Generäle selbst denken um. Rabin, ehemaliger Falke, wurde wegen seines Einsatzes für den Frieden erschossen. Moshe Dayan gewann den Sechs-Tage-Krieg und wurde seines Sieges nicht froh. Seine ganze Familie will heute einen gerechten Ausgleich mit den Palästinensern. Ehemalige Atomgeneräle, die am besten wissen warum, fordern die Abschaffung aller Atomwaffen.

 zum AnfangIch halte auch die allmähliche Umwandlung militärischer Institutionen für möglich und sehe in der Entstehung der Blauhelme ein Indiz dafür - auch wenn zur Zeit wieder die schnellen Eingreiftruppen die alte Kanonenbootpolitik erneuern. Ich rechne damit, daß es auch den Militärs dämmern wird, daß Armeen anachronistisch sind. Wenn Soldaten sich eines Tages in eine Art von Polizisten verwandeln sollten, die auch Pazifisten für notwendig halten, können wir die Forderung, die Armeen abzuschaffen, fallen lassen ...

6. Der "Wandel durch Annäherung" kann allerdings auch uns selbst verwandeln

Es wäre zu viel verlangt, wenn wir nur von unseren politischen Gegnern Umdenken fordern würden, ohne selbst dazu bereit zu sein. Ich nenne einige Punkte, die ich heute anders oder deutlicher sehe als früher:

* Die "herrschende Politik" ist nicht pazifistisch. Darum kann ich kein pazifistisches Verhalten von ihr erwarten

Fast alle Staaten der Welt bilden Soldaten für den Krieg aus und planen ihren Einsatz. Auch die Vereinten Nationen sehen für bestimmte Situationen den Einsatz von Land- Luft- und Seestreitkräften vor (Artikel 42 der UN-Charta). Solange es so ist, kann die pazifistische Bewegung zwar einen radikalen politischen Kurswechsel hin zu einer gesetzlich verankerten Friedenspolitik fordern, wie es z.B. in dem Memorandum "Für eine Friedenspolitik ohne Militär" geschehen ist. Sie sollte sich aber nicht empören, wenn PolitikerInnen oder Soldaten sich auf die noch geltenden nicht-pazifistischen Gesetze berufen.

* Absolute Kriegsdienstverweigerung ist nicht immer durchzuhalten

Zu den katastrophalen Folgen einer nicht-pazifistischen Politik gehört, daß Situationen entstehen können, wo auch pazifistisch gesinnte Menschen sich der Mitwirkung im Krieg nicht mehr entziehen können: Beispiele:

- Bertrand Russell hat nach langem Widerstand dem
  militärischen Kampf gegen Hitler zugestimmt;

- Uri Avnery bereut nicht, daß er im Mai 1948 im
  Überlebenskampf des neu gegründeten Staates Israel
  mitgekämpf hat.

* Nicht jeder Krieg ist gleich

Vielleicht müssen gerade wir deutschen Pazifisten und Pazifistinnen uns klar machen, daß es nicht dasselbe ist, für Hitler oder gegen Hitler in den Krieg zu ziehen. Gerade deswegen müssen wir alles tun, damit Kriege nicht mehr entstehen. "Kriegsdienstverweigerung ist wichtig, Kriegsverhinderung ist noch wichtiger" (Uri Avenery). Gegen diesen Satz gab es, so viel ich sah und hörte, in Osnabrück keinen Widerspruch.

Wir wurden in Osnabrück von Collin Archer, Generalsekretär des Internationalen Friedensbüros in Genf, eindringlich zu der Dritten Friedenskonferenz von 10.-16. Mai 1999 nach Den Haag eingeladen, die von der niederländischen Regierung ausgerichtet wird. Wenn wir grundsätzlich der Meinung wären, es sei zu früh, mit Regierungen zu "kooperieren", dürfen wir also dieser Einladung nicht folgen. Wenn wir aber den Europäischen Kongreß in Osnabrück als einen Vorläufer der Weltfriedenskonferenz in Den Haag betrachten, wenn wir uns entschließen, in Den Haag mitzumachen und unsere Positionen dort einzubringen, dann haben wir uns schon für den Dialog mit den Regierenden entschieden.

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Werner Dierlamm ist Pfarrer im Ruhestand und langjähriger Vorsitzender von Ohne Rüstung Leben (ORL)
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