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Erstellt:
Juli 1998

FriedensForum 4/1998


European Peace Congress Osnabrück 1998

Versuch einer ersten Auswertung

Mohssen Massarrat

(...) Im folgenden werden auf der Basis der vorliegenden Berichte aus den 3 Foren mit den Ergebnissen aus den Arbeitsgruppen ausschließlich handlungsorientierte Projekte aufgelistet, die in den Arbeitsgruppen erarbeitet bzw. diskutiert und in den Foren und dem Abschlußplenum des Kongresses vorgestellt worden sind:

1. Das Menschenrecht der Gewissensfreiheit zur
    Kriegsdienstverweigerung verwirklichen


Dieses Projekt wurde im Zuge der Kongreßvorbereitungen durch den Arbeitsausschuß "Menschenrecht Kriegsdienstverweigerung" entwickelt und inhaltlich durch den "Appell: Das Menschenrecht der Gewissensfreiheit zur Kriegsdienstverweigerung verwirklichen" fundiert. Es darf davon ausgegangen werden, daß das Projekt auch nach dem Kongreß vor allem wegen dessen internationaler Bedeutung weiterverfolgt wird.

Federführung und Kontaktadresse: Günter Knebel, Evangelische Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer in Bremen, Carl-Schurz-Str. 17, 28209 Bremen, Tel. 0421/344037; Fax 0421/3491961

2. Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure

Auch dieses Projekt existiert im Prinzip seit längerer Zeit und wurde im Zuge der Kongreßvorbereitungen durch den Arbeitsausschuß "Kriegszustände - sich dem Militarismus widersetzen" unter der Federführung von Connection e.V. und Pro Asyl auf eine breitere Grundlage gestellt. Geplant ist für die nächste Zeit die Erstellung eines europäischen Schwarzbuches zu Menschenrechtsverletzungen im Militär, eine gemeinsame Aktion von kurdischen und türkischen Kriegsdienstverweigerern aus Westeuropa vor dem Europaparlament, und eine weitere Vernetzung von Anti-Kriegsinitiativen.

 zum AnfangFederführung und Kontaktadresse: Rudi Friedrich, Connection e.V., Gerberstr. 5, 63065 Offenbach, Tel. 069/82375534, Fax 069/82375535

3. Europäische Kampagne Ziviler Friedensdienst

Der zivile Friedensdienst ist das Herzstück eines Gesamtkonzepts ziviler Konfliktbearbeitung, das als Alternative zu militärisch gestützter "Friedenssicherung" entwickelt und umgesetzt werden muß.

Zivile Friedensdienste arbeiten als international zusammengesetzte Teams mit dem Ziel der Gewaltprävention und Konfliktnachsorge, der Versöhnungs- und Menschenrechtsarbeit in Krisengebieten. Sie werden bevorzugt in Langzeiteinsätzen auf Anfrage von Partnergruppen im Zielgebiet tätig.

Zivile Konfliktbearbeitung ist Aufgabe der Zivilgesellschaft. Die Verantwortung für die Tätigkeit des Zivilen Friedensdienstes muß daher bei den nichtstaatlichen Koordinierungsgremien und deren jeweiligen Kooperationspartnern liegen.

Das Forum Ziviler Friedensdienst in der Bundesrepublik Deutschland hat bisher für das Projekt wertvolle Aufbauarbeit geleistet. Nun gilt es, diese Arbeit gemeinsam in der Bundesrepublik und in Europa auszubauen.

Federführung und Kontaktadresse: Helga Tempel und Heinz Wagner, Forum Ziviler Friedensdienst, Ringstr. 9a, 32427 Minden, Tel. 0571/850779, Fax 0571/20471

4. Kampagne "Fünf für Frieden"

Weltweit werden täglich 5 Milliarden DM für Militär und Rüstung ausgegeben. Jeden Tag sterben über 40.000 Menschen an den Folgen von Kriegen, Hunger und Armut. Fünf für Frieden steht für eine mindestens fünfprozentige jährliche Kürzung der Verteidigungshaushalte zugunsten von Abrüstung, Konversion, Zivilen Friedensdiensten und Entwicklungshilfe. Ziel der internationalen Initiative ist es, die Abrüstung voranzutreiben und unumkehrbar zu machen.

Diese Kampagne existiert seit einiger Zeit und wird durch das Rüstungs-Informationsbüro Freiburg vorbereitet.

Federführung und Kontaktadresse: Rüstungs-Informationsbüro RIB, Umkircher Str. 37, 79112 Freiburg/Br., Tel. und Fax 07665/51868

5. Kampagne für einen Friedenssteuerfonds

Die Idee einer politischen und über die aus Gewissensgründen und individueller Kriegssteuerverweigerung hinausgehende Initiative entstand im Zuge der Kongreßvorbereitungen und wurde im April 98 auf einer dazu organisierten Tagung in Berlin weiterentwickelt und im Kongreß vorgestellt. Dem Kampagnenvorschlag liegt die Überzeugung zugrunde, daß die moderne Kriegsdienstverweigerung die Kriegssteuerverweigerung sein wird.

Jede/r Steuerzahler/in trägt heutzutage durch den Anteil seiner/ihrer Steuer am nationalen Militärbudget dazu bei, Militär, Rüstung und Krieg mitzufinanzieren. Wer sich dem verweigern will, ist in der Regel mit einem staatlichen Steuererfassungssystem konfrontiert, das ihm und ihr keine Möglichkeit der Aussonderung einräumt. Wer aus Gewissensgründen den militärrüstungs- und kriegsbezogenen Steueranteil verweigern will, wird daran durch eine rigide Steuergesetzgebung gehindert, die nicht nur die Aussonderung des Kriegssteueranteils verhindert, sondern auch dem Staat rigorose Durchgriffsmöglichkeiten auf Einkommen und Vermögen der Verweigerer sichert.

 zum AnfangErforderlich sind deshalb Gesetzesinitiativen für einen Friedenssteuerfonds, die dem Steuerzahler/der Steuerzahlerin die Möglichkeit einräumen, den dem Militärbudget entsprechenden prozentualen Anteil ihrer Steuer über die Einzahlung in einen Friedenssteuerfonds zivilen Formen der Konfliktbearbeitung und der zivilen Umgestaltung (Konversion) zugute kommen zu lassen.

Der Erfolg dieser Kampagne hängt allerdings davon ab, daß ihr Ziel von sozialen Bewegungen und weit darüber hinaus auch von gesellschaftlichen Kräften innerhalb von Gewerkschaften, Kirchen und Parteien angenommen wird.

Daher müßte die Kampagne durch ein breites Bündnis von großen Friedens- und Menschenrechtsorganisationen, in Kooperation mit den existierenden Kriegssteuerinitiativen, die über wichtige Erfahrungen verfügen, vorbereitet und durchgeführt werden.

Vorläufige Kontaktadresse: Netzwerk Friedenssteuer, c/o Günter Lott, Hauptstr. 1a, 69231 Rauenberg, Tel. 06222/52741, Fax 06222/62702

6. Einrichtung einer internationalen
    Friedensuniversität


Es ist ein Skandal, daß für die militärische Ausbildung weltweit enorme Summen ausgegeben werden und für die Ausbildung der zivilen Konfliktbearbeitung so gut wie keine Mittel zur Verfügung stehen.

Zur Überwindung dieser Lücke wird als ein erster Schritt vorgeschlagen, eine internationale Friedensuniversität zu gründen, die sowohl wissenschaftliche wie praktische Qualifikationen vermittelt, die akademische Fächer, wie Friedenspädagogik, Friedenspublizistik, Konfliktmanagement/zivile Konfliktbearbeitung, Friedens- und Konfliktforschung, Futurologie, mit den praktischen Qualifikationen in Trainingskursen und Kurzstudiengängen für die Tätigkeiten des zivilen Friedensdienstes unter einem Dach vereinigt, die friedenspädagogische Curricula für die dezentrale Anwendung überall in der Welt entwickelt, eine Art Friedens- und Kulturzentrum darstellt, die den gegenwärtig vorhandenen wenigen Einrichtungen in der Welt neue Impulse gibt, sie miteinander vernetzt und friedenspolitischen Erfahrungs- und Wissensaustausch weltweit fördert.

Auch dieses Projekt erfordert hohe Anstrengungen und die breite Unterstützung weit über die Friedensbewegung hinaus. Die Tatsache, daß relevante politische Kräfte in Osnabrück Interesse zeigen, daß das Projekt in Osnabrück realisiert wird, stellt einen kleinen Hoffnungsschimmer dar.

Vorläufige Kontaktadresse: Prof. Dr. Mohssen Massarrat, Universität Osnabrück, 49069 Osnabrück, Tel. 0541/969-4156, Fax 0541/969-4600

7. Zivile Friedensräte auf nationalen, regionalen
    (EU) und globalen (UN) Ebenen


Es gilt zunächst zu überprüfen, inwiefern zivile Friedensräte für die mittel- und langfristige Friedenspolitik ohne Militär einen sinnvollen und realisierbaren institutionellen Rahmen darstellen, um dann gemeinsame Schritte und Konzepte für deren Realisierung zu entwickeln.

 zum AnfangZivile Friedensräte sollen aus nichtstaatlichen Friedens- und Menschenrechtsorganisationen möglichst aus Männer und Frauen paritätisch zusammengesetzt sein, rechtlich durch Staaten bzw. völkerrechtlich durch die UNO legitimiert und anerkannt sein, über ein eigenes Budget verfügen, alle Aktivitäten der zivilen Konfliktbearbeitung fördern und als Alternative zu Verteidigungsministerien bzw. UN-Sicherheitsrat und sozusagen als institutionelle Keimzellen der zivilen Konfliktregelung in einer künftigen Weltordnung konzipiert und aufgebaut werden. Zivile Friedensräte könnten konzeptionell den institutionellen Rahmen für die Unterstützung der zivilen Friedensdienste, für die Förderung des Aufbaus von Bildungs- und Forschungseinrichtungen, wie beispielsweise die Internationale Friedensuniversität, für den Schutz der Kriegsdienstverweigerer und Deserteure und für die Verwendung der Finanzmittel sein, die die Kampagnen Fünf für Frieden und Friedenssteuerfonds zum Ziel haben. Umgekehrt würden die oben beschriebenen Kampagnen das Interesse für den Aufbau von zivilen Friedensräten enorm verstärken. Sollten die Realisierungschancen eines zivilen Friedensrates für die UN sich als günstiger erweisen, so könnte ein diesbezüglicher Erfolg auf die Bildung von zivilen Friedensräten in den Einzelstaaten positiv zurückwirken.

Federführende Kontaktadresse: bisher keine

Wie weiter?

Die Friedensbewegung braucht keine neuen Vernetzungen und Büros, sondern neue gemeinsame Kampagnen und Projekte, dies hat der Kongreß deutlich gemacht. Gelänge es den deutschen und europäischen Friedensorganisationen, die bereits existierenden gemeinsamen Projekte weiterzuführen und die im Kongreß diskutierten neuen Projekte und Kampagnen arbeitsteilig und dezentral ins Leben zu rufen, so wäre in Richtung auf ein durch friedenspolitisch praktische Arbeit entwickeltes Gesamtkonzept ziviler Konfliktbearbeitung, das im "Memorandum Friedenspolitik ohne Militär" gefordert wird, ein entscheidender Schritt getan. (vgl. Kasten)

Käme es dazu, daß in der Bundesrepublik die Friedensbewegung neben den drei bereits existierenden für weitere vier gemeinsame Projekte und Kampagnen in nächster Zeit arbeitsteilig den Grundstein legt - eine zwar sehr optimistische, jedoch nicht unrealistische Annahme - so entstünde durch einen Erfahrungsaustausch zwischen den sieben sich ergänzenden Projekten und Kampagnen eine Vernetzung von neuer Qualität und eine qualitative Aufwertung des Netzwerkes Friedenskooperative der Friedensbewegung in Bonn, das bisher als Anlaufstelle für die Friedensbewegung in der BRD wertvolle Koordinierungsarbeit geleistet hat.

 zum AnfangDie Haager Konferenz 1999 bietet jedenfalls dann die hervorragende Möglichkeit, die hierzulande vorgenommenen Vorarbeiten und Initiativen für gemeinsame europäische Kampagnen einzubringen.



Prof. Dr. Mohssen Massarrat ist Vorsitzender des Trägervereins des European Peace Congress Osnabrück 1998
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Übergeordnetes Thema:

Initiativen/Soziale Bewegungen/Netzwerk
Was wir wollen - was wir tun

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