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September 1998


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FriedensForum 5/1998


Friedensritt 1998 von Offenbach nach Bonn

Axel Seng

Jahrtausendelang eroberten Soldaten hoch zu Roß fremde Länder und unterdrückten andere Völker. Seit 1981 satteln wir unsere Pferde für Frieden, Abrüstung, Umwelt und Menschenrechte. In den letzten Jahren hat sich vieles verändert, was wir bei aller Kritik in diesem Land für selbstverständlich hielten. Freunde und Freundinnen werden verfolgt für ihr gewaltfreies Engagement von einem "Rechtsstaat", der lieber die Atomindustrie schützt als unsere Gesundheit. Sie werden verurteilt für ihr Verantwortungsbewußtsein, ihren Einsatz für Flüchtlinge und gegen lebensbedrohende Technologie im militärischen und zivilen Bereich.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Widerstand, aus gutem Grund vor fünfzig Jahren in unser Grundgesetz aufgenommen, sind nicht mehr selbstverständlich; Abbau der BürgerInnenrechte (Lauschangriff, Kriminalisierung der KritikerInnen ....), die Auflösung aller solidarischer Elemente, die es bisher noch in unserer Marktwirtschaft gab, diskriminierende Gesetze gegen Fremde und gegen wirtschaftlich Schwächere -- für uns ließen sich all diese Themen in diesem Jahr nicht mehr trennen, stecken dahinter doch immer wieder ähnliche Macht- und Wirtschaftsinteressen, die unsere Träume vom demokratischen Rechtsstaat ad absurdum führen. Uns fiel ein Motto ein, an das sich vielleicht noch die eine oder der andere erinnert. Die Regierung Kohl trat damit an. Damals haben wir noch gelacht, weil wir nicht verstanden, wie bitter ernst es gemeint war:

 zum AnfangDie geistig moralische Wende!

- Sie scheint uns eher das geistig moralische ENDE zu sein.


Unter diesem Motto trafen am Freitag den 24.07. die ersten FriedensreiterInnen in unserem Startquartier in Offenbach ein. Am Samstag legte unsere kleine Schar (sechs Pferde samt ReiterInnen und drei Drahtesel mit Flugblätter verteilenden FahrerInnen) gleich richtig los. Theaterprobe im Schnelldurchlauf, Pferde satteln und mit Transparenten schmücken, Begleitfahrzeug mit den nötigen Requisiten beladen und....ABRITT. Zusammen mit der BI gegen den Abschiebeknast und anderen OffenbacherInnen zogen wir in die Offenbacher Innenstadt. Dort angekommen fand unsere erste Kundgebung mit Redebeiträgen und unserem Theaterstück "Asyl" statt - übrigens ein Stück, das vor 4 Jahren auf dem Friedensritt in Erfurt uraufgeführt wurde, das bis heute nichts an Aktualität eingebüßt hat und dessen Hauptdarsteller unsere Pferde sind. Anschließend ging es weiter zum Abschiebeknast, einem Ort, an dem Menschen gefangen gehalten werden, die nichts verbrochen haben und eine gewaltsame Abschiebung in das Land erwarten müssen, aus dem sie vor Verfolgung, Krieg und Hunger geflohen sind. Dort befestigten wir am Zaun eine Denk-Tafel, die die Ordnungskräfte noch am selben Tag entfernten. Auf der Kundgebung sprach auch ein türkischer Kriegsdienstverweigerer, der nicht als Asylant anerkannt wird und von der Abschiebepraxis bedroht ist.

Der nächste Tag führte uns über Frankfurt, der heimlichen Hauptstadt unseres Landes, in der die wirtschaftlich Mächtigen sitzen und in Aufsichtsräten über Dinge entscheiden, die uns alle angehen aber meist nicht zu unser aller Wohl. Zusammen mit den "Ordensleuten für den Frieden" und anderen Gruppen besuchten wir stellvertretend die Zentrale der Deutschen Bank mit einer Mahnwache und der Aktion "Peanuts für alle" (es wurden Erdnüsse an alle Anwesenden verteilt).

In den folgenden Tagen ritten wir durch den Taunus und den wunderschönen Westerwald in Richtung Bonn. Wann immer sich Gelegenheiten boten, machten die Radfahrer halt und unterhielten die Passanten mit Straßenmusik.

Last but not least erreichten wir am 8.8.1998 Bonn, die Stadt, in der noch die politische Macht tagt und für September wieder einmal um unsere Zustimmung wirbt.

Unsere Abschlußkundgebung auf dem Friedensplatz wurde mit Life- Musik des Rock- und Bluesmusikers "White Man Molle" begleitet. Im Straßentheater stellten wir die "Steine" vor, die uns in den Weg gelegt wurden. Auf selbstgebastelten Steinmodellen hatten wir Kritikpunkte gesammelt, die uns und den Menschen, die wir unterwegs trafen, einfielen und auch eine Kehrseite gefunden; es gibt Möglichkeiten, es anders zu machen. Mit Phantasie, Lust und der gemeinsamen Erkenntnis, nicht alles die Politiker machen zu lassen, gelang es uns im Theaterstück, den Blick auf die Zukunft wieder freizubekommen. Hoffentlich bald auch im richtigen Leben.

 zum AnfangDie Steine mit den Kritiken und Wünschen überreichten wir den Bundestagsabgeordneten, die unserer Einladung, sich mit uns an der Bannmeile zu treffen, gefolgt waren: es kamen Rolf Köhne von der PDS und Angelika Beer, verteidigunspolitische Sprecherin von Bündnis 90 / Die Grünen. Guido Westerwelle von der FDP zog es vor das Essen im nahegelegenen Restaurant nicht zu unterbrechen.

Wer jetzt neugierig geworden ist und mehr erfahren oder beim nächsten Ritt dabeisein will (ob mit Pferd oder Rad), möge sich bei Schulamit Weil, Deesberger Allee 8, 32547 Bad Oeynhausen, Tel.: 05733/969973 melden.



Axel Seng ist aktiv in der Initiative "ReiterInnen für den Frieden"
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