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September 1998


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FriedensForum 5/1998


Chiapas auf dem Weg zum Frieden?

Marion Ladich

"Berücksichtigt man die natürlichen Grenzen des Menschen, hat die Vermittlung (...) ihre Aufgabe erfüllt, denn der Prozeß des Dialogs kann nicht ohne Folgen für seinen eigenen Verschleiß abgebrochen werden. Ich stelle mit aller Deutlichkeit fest, daß eine Etappe im Friedensprozeß beendet ist (...)."

Don Samuel Ruiz, Bischof der Diözese San Cristobal de las Casas in Mexicos südlichstem Bundesstaat Chiapas, schrieb dies in seinem Rücktrittsschreiben von der Vermittlerorganisation CONAI (Nationale Vermittlungskomission) im Juni diesen Jahres. In der deutschen Presse war zu lesen, der nun schon seit fast vierzig Jahren für die indigene Bevölkerung aktive Bischof sei am Ende seiner Kräfte angelangt und würde aufgeben. Davon kann keine Rede sein, wie er selbst betonte, vielmehr ist die Auflösung der Vermittlerorganisation ein deutliches Warnsignal. Die beiden großen Konfliktparteien, Regierung und aufständische IndĄgenas, stehen nun ohne Vermittler da, der von beiden Seiten akzeptiert wird. Die Hoffnung auf eine friedliche Lösung des mittlerweile über viereinhalb Jahre andauernden Konflikts ist dadurch zunächst in weite Ferne gerückt: Denn mit militärischen Mitteln, statt über den friedlichen Dialog, scheint ein beständiger und gerechter Frieden nicht ereichbar zu sein.

Die Anfänge

Am 1. Januar 1994 erhob sich in Chiapas die Guerillabewegung EZLN (Nationale Zapatistische Befreiungsarmee), zeitgleich mit dem Beitritt Mexicos zum nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA. Bis dahin lebte die marginalisierte indigene Bevölkerung Mexicos schon unter schlechten Bedingungen, aber im Zuge des Bündnisses mit den USA und Kanada sollte ihnen nun auch noch das wenige Land genommen werden, das sie in traditioneller Subsistenzwirtschaft bearbeiten. So forderten sie mit ihrem "Ya Basta!" (Es reicht!) vor allem eine Landreform und darüber hinaus eine Verbesserung des Schul- und Gesundheitssystems und das Recht auf freie Ausübung ihrer Religion und Kultur.

 zum AnfangMit diesen Forderungen richteten sich die Indigenas an die mexicanische Regierung, die zunächst versuchte, den Aufstand schnell mit Waffengewalt niederzuschlagen. Allerdings wurde dieser Versuch - nicht zuletzt durch die rasch einsetzenden internationalen Proteste - vereitelt. Stattdessen begannen im Februar 1994 erste Friedensgespräche.

Regierungsvertreter und Vertreter der EZLN begannen einen Dialog, bei dem unter der unabhängigen Vermittlung des Bischofs Don Samuel Ruiz Konditionen für einen gerechten Frieden ausgehandelt werden sollten. In mehreren Verhandlungsrunden sollten Themen wie Kultur, Religion, Recht, Selbstbestimmung, Bildung, Gesundheit u.a. behandelt werden. Dabei waren den Verhandlungsrunden Befragungen in den Dörfern zwischengeschaltet. Auf diese Weise konnte gewährleistet werden, daß die Mitglieder der Basis der EZLN die bereits erarbeiteten Vorschläge ausführlich diskutieren und darüber abstimmen konnten. Dieser basisdemokratische Ansatz machte es möglich, daß die Bedürfnisse der indigenen Bevölkerung unmittelbar durch die von ihr gewählten Vertreter in den Dialog einfließen konnten.

Schließlich kam es im Sommer 1996 zu ersten Verhandlungsergebnissen: die "Abkommen von San Andres" wurden unterzeichnet. Diese enthielten unter anderem ein Recht auf mehr Selbstbestimmung und freie Ausübung indigener Kultur. Obwohl dies zunächst als großer Erfolg gewertet wurde, zeigte sich jedoch schon bald, daß es von Regierungsseite keinerlei Bestrebungen gab, diese Verpflichtungen in Gesetzesform zu bringen. Im August `96 wurde daraufhin der Dialog von Seiten der EZLN abgebrochen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Als Antwort auf diese Situation und auf die anhaltende militärische Repression, die immer noch in Chiapas herrscht, trat Don Samuel Ruiz zwei Jahre nach Abruch des Dialogs von seiner Vermittlerposition zurück und in Folge darauf löste sich die CONAI auf.

Wort und Tat

Von Beginn des Konfliktes an, genauso wie zu Zeiten des Dialogs, glänzte die mexicanische Regierung durch ihre Janusköpfigkeit. Trotz der Verhandlungen ging der sogenannte "Krieg niederer Intensität", der in Chiapas herrscht, mit unverminderter Härte weiter. Die ständig steigende Zahl der Vertriebenen beläuft sich mittlerweile auf ca. 18 000.

Während die Regierung auf der einen Seite Verhandlungen mit den Aufständischen führt, leitet sie auf der anderen eine großangelegte Militäroffensive ein, wie im Frühjahr 1995, bei der mehrere hundert Indigenas ums Leben kamen. Während die Regierung den Sprecher der EZLN, Subcomandante Marcos, an den Tisch des Dialogs zurückbittet, heuert sie gleichzeitig Paramilitärs an, die beim bislang schlimmsten Massaker im Dezember 1997 45 Indigenas ermordeten. Während die Regierung ein Abkommen unterschreibt, das den indigenen Gemeinden mehr Selbstbestimmung zugesteht, führt sie genau dort, wo dies umgesetzt wird, Militäroperationen durch, mordet, plündert und inhaftiert deren demokratisch gewählte Vertreter.

 zum AnfangSieht man sich diese Ansammlung von Lügen und falschen Versprechungen an, ist es fast erstaunlich, daß der Dialog nicht schon früher abgebrochen wurde und daß auch die Vermittlerorganisation so lange durchhielt. Doch welche andere Wahl bestand für die indigene Bevölkerung? "Wir haben nichts zu verlieren", sagen sie, "außer unserer Würde." Die Hoffnung liegt nun - wieder einmal - stark auf einer Hilfe von außen. Vielleicht war da der Besuch des UN-Generalsekretärs Kofi Annan im Juli diesen Jahres in Mexico-Stadt ein neuer Richtungszweig.



Marion Ladich ist Mitarbeiterin der Informationsstelle Lateinamerika (ila)
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