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Erstellt:
November 1998


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FriedensForum 6/1998


Friedensbewegung hält die Vereinbahrungen in der Außen- und Sicherheitspolitik für "nicht akzeptabel"

Die neue Regierung braucht den Druck der Straße

Thomas W. Klein

Interview mit Jürgen Grässlin - Buchautor (u.a. Lizenz zum Töten: Wie die Bundeswehr zur internationalen Eingreiftruppe gemacht wird), Sprecher des Dachverbandes der Kritischen AktionärInnen Daimler-Benz, Vorsitzender des Rüstungsinformationsbüro Baden Württemberg (RIB) und als Zwölfter der baden-württembergischen Landesliste von B90/Grüne nicht in den Bundestag eingezogen.

Jürgen, in einer Erklärung, die von zahlreichen Organisationen der Friedensbewegung herausgegeben wird, und auch von Dir mitunterschrieben wurde, heißt es u.a. die Koalitionsvereinbarungen zwischen SPD und Bündnisgrünen seien "unbefriedigend und für uns nicht akzeptabel". Was ist aus friedenspolitischer Sicht unakzeptabel?

Jürgen Grässlin: Der Verteidigungshaushalt wird nicht angetastet und damit praktisch die Rühe-Politik der Verstetigung des Etats auf dem Niveau der Ost-West-Konfrontation fortgesetzt. Dabei bestünde gerade jetzt die Möglichkeit, quantitativ und qualitativ abzurüsten. Genau das fordern wir mit unserer Initiative "FÜNF FÜR FRIEDEN": die kontinuierliche Reduzierung des Verteidigungsetats um mindestens 5 Prozent degressiv pro Jahr. Ohne sofortigen Einstieg in die Abrüstung der Bundeswehr - und das heißt auch Verzicht auf die geplanten neuen Waffenbeschaffungen bei Kampf- und Transportflugzeugen, bei Helikoptern und militärischen Transportflugzeugen und anderen Großwaffensystemen - ist die geplante Wehrstrukturkommission eine unglaubliche Mogelpackung.

 zum AnfangDie Friedensbewegung fordert z.B. den Ausstieg aus dem Eurofighter-Projekt. Ist der, nachdem die Verträge unterschrieben sind, überhaupt noch möglich?

Jürgen Grässlin: Wenn sich die Vertragspartner einigen, können Verträge natürlich jederzeit gekündigt werden. Aus dem Eurofighter-Projekt müssen wir meines Erachtens sofort aussteigen. Hält die DASA (Daimler-Benz-Aerospace) an ihren astronomischen Regreßforderungen fest, dann sollte die neue Regierung den Herren in Ottobrunn klarmachen, daß der Eurofighter das letzte Waffensystem gewesen ist, das die Bundeswehr bei der DASA kauft. Schließlich gibt es auf dem Weltmarkt noch eine Reihe weiterer Anbieter. Der kleiner werdende Bedarf der Bundeswehr kann auch im Ausland gedeckt werden - dazu benötigt sie die DASA nicht. Insofern müßte eine gütliche Einigung gleichermaßen im Interesse der neuen Regierung wie der DASA liegen. Außerdem streben wir in Hinblick auf den Erhalt der Arbeitsplätze ja einen massiven Einstieg in die Rüstungskonversion an. Auf diesem Wege können langfristig wesentlich mehr sinnvolle und sichere Arbeitsplätze geschaffen werden.

In der Erklärung der Friedensbewegung heißt es: Die auch von den Bündisgrünen vor der Wahl geforderte Auflösung der "Krisenreaktionskräfte" und des "Kommando Spezialkräfte" sei eine Frage der Glaubwürdigkeit, da nur so eine tatsächliche europäische Friedensordnung aufgebaut werden könne. Gegenwärtig wird z.B. in der Friedensforschung genau das Gegenteil festgestellt: Eine Entmachtung von UN und OSZE und eine Instrumentalisierung der NATO für machtpolitische Interessen. Muß vor diesem Hintergrund die Diskussion nicht viel grundsätzlicher geführt werden. Und was ist aus der Forderung "Raus aus der NATO" bzw. "Auflösung der Militärblöcke" geworden? Hat die noch irgendeine Aktualität?

Jürgen Grässlin: Die SPD hat sich in dieser entscheidenden Frage ohne Abstriche durchgesetzt. Die NATO-Fixierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik könnte tatsächlich dann allmählich aufgebrochen werden, wenn es gelänge, alternative Sicherheitsstrukturen in Europa aufzubauen, und vor allem die OSZE zu stärken. Am Beispiel Kosovo sehen wir doch dieser Tage, daß weder militärische Gewalt noch ihre Androhung den Konflikt tatsächlich löst. Selbst die Bundeswehr interessiert sich inzwischen für zivile Konfliktbearbeitung und hat sich bei der Friedensbewegung nach Referenten erkundigt. Eine gestärkte OSZE und reformierte UNO schwächt automatisch die interventionistische NATO. Ich sehe im Moment zwar keine realsitische Möglichkeit für einen deutschen NATO-Austritt, aber unser Ziel sollte die Selbstauflösung der NATO sein. Schließlich existiert ihr Widerpart, der Warschauer Pakt, schon seit 1991 nicht mehr.

1991/92 war die Position "Für Bundeswehreinsätze auch out-of area" eine Minderheitenpostion innerhalb der CDU/CSU. Unter Rühe avancierte sie zur Regierungslinie. Heute wird sie sogar von SPD und Bündnisgrünen bei Abstimmungen im Bundestag mitumgesetzt. Hat die Friedensbewegung in den letzten Jahren ihre gesellschaftspoliti-sche Relevanz eingebüßt, den Rückzug angetreten, resigniert?

 zum AnfangJürgen Grässlin: Ich gebe zu, wir sind in die Devensive geraten. Und zwar vor allem deshalb, weil die Interventionsdebatten weniger mit rationalen als mit rein moralischen Argumenten geführt wurden. Wenn Rühe oder Scharping oder Fischer sagen, man müsse intervenieren, weil der Winter kommt und die Flüchtlinge im Kosovo erfrieren und verhungern, dann erzeugt das Wirkung. Dabei ließe sich das Flüchtlingsproblem durch die Öffnung der Grenzen und eine Aufnahme der Betroffenen lösen. Die Befürworter von Militäreinsätzen verschweigen geflissentlich, daß der Militäreinsatz in erster Linie weitere Flüchtlingsbewegungen nach Italien und Zentraleuropa verhindern soll. Was aber ist mit den Millionen von Flüchtlingen im Kongo, in Burundi, dem Sudan und anderswo? In mehr als 30 Ländern der Erde wird gegenwärtig Krieg geführt, gibt es notleidende Zivilbevölkerung und Flüchtlinge, die vor dem Hungertod stehen. Die gesellschaftliche Relevanz des Pazifismus und der zivilen Konfliktprävention und -bearbeitung ist größer denn je. Wir müßten uns als Basisbewegung wieder stärker bemerkbar machen. Die Zeiten der Resignation sind vorüber. Es gibt nun eine Regierung, die mit vergleichweise hohem moralischen und gesellschaftspolitischen Anspruch angetreten ist: Dessen Einhaltung müssen wir einfordern - dazu gehört natürlich auch der Druck von der Straße.

Interview: Thomas Klein

Thomas W. Klein ist Pressesprecher der Kampagne gegen Rüstungsexport in Wiesbaden
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