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November 1998


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FriedensForum 6/1998


Mit militärischen Schlägen hoffte man Milosevic "zur Vernunft zu bringen". Bombardieren oder nicht? Alle wissen wie, aber niemand weiß wozu.

Der Kosov@-Krieg ist eigentlich eine NATO-Krise

Roland Brunner

"Humanitäre Verpflichtung", "politische Notwendigkeit", "sicherheitspolitisch unumgänglich", mit solchen Begriffen hantierte die Nato, als sie im September mit militärischen Maßnahmen der Krise und dem Krieg im Kosov@ Herr werden wollte. Ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrates und ohne politische Konzepte sollte der Frieden gegen Milosevic herbeigebombt werden.

Wer rettet die Nato?

Schon im Frühjahr zeichnete sich das Versagen internationaler Politik ab. Im Juni begann sich die Nato der Kosov@-Sache anzunehmen und innerhalb kurzer Zeit waren alle militärischen Vorbereitungen abgeschlossen und Einsatzpläne vorbereitet. Mit Flugmanövern über Albanien und Fugzeugträgern vor der Küste sollte Milosevic militärische Nato-Macht demonstriert werden, um ihn zu politischen Zugeständnissen zu bewegen. Der Unlogik des Militärischen gehorchend wurden diese Drohpotentiale immer weiter hinaufgefahren bis zur Nato-Bombendrohung. Irgendwann einmal müsse Milosevic doch nachgeben. Die Nato verfing sich so in ihrer eigenen militärischen Dynamik. Die Vertrauenswürdigkeit der Nato stehe auf dem Spiel, hieß es bald aus dem Hauptquartier dieser militarisierten Politik.

Weltweit war bei aller Ratlosigkeit eines klar: Mit Bomben aus der Luft ist Frieden im Land nicht zu haben. Auch in der Schweiz war der Konsens unisono, von Friedensbewegten bis zu Militärvertretern und quer durch alle Medien: "Die Drohgebärde ist weder militärisch noch politisch in eine erfolgversprechende Strategie eingebettet. (...) Die westliche Welt hat sich monatelang und wider besseres Wissen mit Lügen und Versprechungen abgefunden. Diese Mitschuld mit Luftangriffen aus dem Gedächtnis zu bomben, wäre in sinnloser Weise verspätet." So kommentiert Peter Fürst im "Tages-Anzeiger" die militaristische Sinnlosigkeit (3.10.98). "Hinter der demonstrativen militärischen Stärke verbirgt sich nicht unbedingt politische Stärke. (...) Die USA haben keine langfristigen Vorstellungen über die Zukunft des Balkans, das erschwert auch die Erreichung kurzfristiger Ziele", doppelte er am 13.10.98 nach, um am Tag darauf auf der Titelseite zu kommentieren: "Der Waffengang wäre ein militärisches und völkerrechtliches Abenteuer gewesen. Mit der ersten Bombe gegen Milosevic hätte sich die Nato auf die Seite der Kosovo-Albaner gestellt und wäre damit knietief im Balkansumpf versunken."

 zum AnfangAber auch die kaum als militärkritisch bekannte "Neue Zürcher Zeitung" fragte sich in einem Leitartikel (10.10.98): "Was nützen Nato-Luftangriffe?", um festzuhalten: "Was mit Luftschlägen jetzt noch bewirkt werden könnte, ist unklar. (...) Auch in Kosovo mangelt es, wie schon während sehr langer Zeit in Bosnien, an einem von Washington und den wichtigsten europäischen Verbündeten unter Einschluß Rußlands getragenen politischen Konzept, wie die Balkanregion kurzfristig befriedet und lanfristig stabilisiert werden könnte. (...) Einerseits kommt eine Intervention zum jetztigen Zeitpunkt für die Kosovo-Albaner zu spät - und vereinzelte Luftangriffe, nur um Milosevic zu,bestrafen`, machen weder militärisch noch politisch Sinn. Sieht das Bündnis andererseits von Angriffen ab, ohne daß dem starken Mann in Belgrad substantielle Zugeständnisse abgerungen werden konnten, so hat es seine Glaubwürdigkeit gänzlich verspielt." Deutscher und deutlicher kann man wohl nicht zugeben, daß die militaristische Allmachtsphantasie sich selber in die Ecke manövriert hat. Obwohl über den Unsinn dieses Nato-Militarismus Konsens bestand, begann doch sofort wieder die Diskussion in der Schweiz, ob man nicht mittels dringlichem Bundesbeschluß auch Schweizer Soldaten erlauben müßte, bei diesem Unsinn dabeizusein.

Die Nato im Dilemma

Eine Nato-Intervention würde allerseits als einseitige Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates betrachtet. "Militärisch zu intervenieren heißt unter den gegebenen Bedingungen, jene Kräfte im Kosovo zu unterstützen und zu legitimieren, die seit mehreren Jahren und verstärkt seit der Vereinbarung von Dayton mit Gewaltmitteln gegen Einrichtungen der Belgrader Zentralregierung in der Provinz und gegen dort lebende Serben vorgehen", schreibt z.B. August Pradetto, Professor für Politikwissenschaften am Institut für internationale Politik an der Universität der Bundeswehr Hamburg in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" (Nr. 9/98).

 zum AnfangAuch international wäre eine Intervention kaum vertretbar, gibt es doch ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates keine völkerrechtliche Grundlage dafür. Im Gegenteil: Eine Intervention würde direkt gegen den Grundsatz des Verbots von Gewaltanwendung in internationalen Beziehungen verstoßen und müßte daher als verbotene Kriegshandlung ausgelegt werden. Demgegenüber könnte sich Serbien auf die UNO-Charta berufen, die in Artikel 51 "das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung" postuliert. Die Nato-Intervention würde so für die UNO zur "Bedrohung des Weltfriedens" und müßte eigentlich sofort zu einer Intervention durch den UNO-Sicherheitsrat gegen die Nato führen. "Die Stellungnahme der USA und der Nato, man brauche kein UNO-Mandat, war wohl Teil eines diplomatischen Versuchs, die Serben zum Einlenken zu bewegen und Druck zu machen", meint Bardo Fassbänder, wissenschaftlicher Assistent am Institut für Völker- und Europarecht der Humboldt-Universität Berlin gegenüber dem "Tages-Anzeiger" (13.10.98). Eine allfällige Bombardierung Serbiens bezeichnet er als "recht deutliche Überschreitung der völkerrechtlichen Grenzen", um dann festzuhalten: "Die Amerikaner haben sich im Laufe der Geschichte manches herausgenommen. Es ist für eine Großmacht immer eine Versuchung, nach ihren nationalen Interessen zu handeln und die völkerrechtlichen Regeln außer acht zu lassen. In der Tat sind die letzten Aktionen der USA besonders bedenklich."

Die Frage nach dem politischen Ziel einer allfälligen Nato-Intervention wagte schon bald niemand mehr zu stellen. Eine Unabhängigkeit des Kosov@ kam nicht in Frage. Ein Protektorat wollte und will niemand. Die Tatsache, daß es den meisten Ländern nur darum ging, "Flüchtlingsströme" nach Westeuropa zu verhindern, wagte niemand auszusprechen. Das erklärte Ziel des Westens, weder Unabhängigkeit noch Status quo, sondern Rückkehr zu einer modifizierten Autonomie des Kosov@, litt von Anfang an unter der Schwierigkeit, daß es weder von Belgrad noch von den Kosova-Albanern akzeptiert wurde.

Offensichtlich war die Nato-Bombendrohung mehr ein Machtkampf innerhalb der Nato (USA gegen Europa) und eine Machtdemonstration gegenüber Rußland. Während man sich in Bosnien-Herzegowina wenigstens noch mit dem politischen (Irr-)Glauben aus dem Kalten Krieg rechtfertigen konnte, ein Gleichgewicht der (militärischen) Kräfte mit Hilfe und Absicherung durch internationale Truppen könnte den Waffenstillstand bringen, der zum Frieden erwachsen würde, ist eine solche Illusion im Kosov@ von vorneherein hoffnungslos. Ein Gleichgewicht der Kräfte zwischen den Terrorverbänden der serbischen Armee und Polizei einerseits und der UCK - einer bewaffneten Truppe, die die Veränderung der Grenzen mit Waffengewalt anstrebt - ist politisch legitim nicht zu haben. Das Dilemma der Nato war deshalb ein doppeltes, ein politisches wie ein militärisches.

 zum AnfangDen Preis zahlen die anderen

Die Bombendrohung der Nato führte sofort zu einer Verschärfung des innenpolitischen Klimas in Jugoslawien. Milosevic wälzte den Druck einfach auf andere ab. Dragan Velikic, Schriftsteller und Publizist, schreibt in der "Weltwoche" vom 15. Oktober: "Ganz gleich, ob es zum Militärschlag durch die Nato kommt, allein die Drohung hat innenpolitisch dieselbe Wirkung erzeugt, als wären schon Bomben gefallen. (...) Seriöse Menschen fürchten sich mehr vor dem, was einer Bombardierung folgen würde, als vor der Bombardierung selber." Veran Matic, Präsident der Vereinigung unabhängiger elektronischer Medien ANEM, erklärt: "Luftangriffe gegen Jugoslawien legen eine gefährliche Waffe in die Hände all der konservativen und nationalistischen Kräfte hier. Sie führen zu Verzweiflung und Orientierungslosigkeit bei all denen, die sich während all der Jahre gegen die Politik des Hasses und der Gewalt gewehrt haben. Das Gefühl der serbischen Nation, Opfer einer internationalen Verschwörung zu sein, würde verstärkt und einen Geist der Rache und des Isolationismus stärken, genau wie sich dies Milosevic seit seiner Machtübernahme in Serbien immer gewünscht hat." Eine Intervention würde die serbische Bevölkerung hinter Milosevic einen, wie er es selber nie schaffen würde. Die demokratischen und oppositionellen Kräfte, die der Westen - wenn auch nur viertelherzig - in den letzten Jahren unterstützt hat, würden damit ebenso zerstört wie die Einsicht, daß längerfristig Stabilität und Sicherheit im Balkan nur durch die Demokratisierung der Region zu erreichen ist. Stattdessen würde die Nato direkt den Ultra-Nationalisten Vojislav Seselj an die Macht bomben. Zoran Cirjakovic, Belgrader Journalist für das US-Magazin "Newsweek", schreibt im "Tages-Anzeiger" (24.10.98): "Ich weiß nicht, ob die Drohungen der Nato den Krieg in Kosovo wirklich beenden können. Im unglücklichsten Fall könnten sie allem Blendwerk des Milosevic-Regimes ein Ende setzen und dessen Übergang in eine waschechte Diktatur beschleunigen." Ob dies wirklich im Interesse des Westens, aber auch der Kosov@-AlbanerInnen sein kann? Es gibt keine Lösung der Probleme in Bosnien oder im Kosov@ ohne Demokratie in Serbien; es gibt keine Demokratie in Serbien mit Milosevic; es gibt keine Alternative zu Milosevic, solange dieser auch durch die internationale Politik immer wieder gestützt wird. Milosevic hat mit seiner Unterschrift unter die Pax Holbrooke die Nato gerettet - und die Nato hat mit dem Abkommen wieder einmal Milosevic gerettet. So weit, so schlecht.

Die OSZE rettet das Gesicht der Nato

Das Abkommen, das der US-Diplomat Richard Holbrooke im Geheimen und hinter dem Rücken der kosov@-albanischen Führung mit Jugoslawiens Präsident Milosevic ausgehandelt hat, rettete die Nato zumindest vorläufig aus dem selbstverschuldeten Dilemma, indem der Ball der OSZE weitergespielt wurde. Eine OSZE-Mission mit 2000 unbewaffneten Beobachtern soll den Abzug der serbischen Spezialeinheiten und die Einhaltung eines beiderseitigen Waffenstillstandes sowie der Menschenrechte überwachen, um die Rückkehr der Vertriebenen und Flüchtlinge zu ermöglichen. Diese Kosovo Verification Mission (KVM) unter der Leitung des Amerikaners William Graham Walker steht aber auf wackligen Füßen - nicht weil ihr das militärische "Backing" fehlen würde, sondern weil politisch das ganze Abkommen in der Luft hängt. Die Umsetzung des Abkommens und der zugrunde liegenden UNO-Resolution wurde von den politischen Kräften des Kosov@ bisher nicht angenommen. "Es dürfte für den Westen womöglich schwieriger werden, die Albaner zu politischen Konzessionen zu bewegen, als die Serben, denen der Autonomie-Plan eher entgegenkommt", kommentiert die NZZ am 14.10.98. Tatsächlich wurde Milosevic erneut zum Partner des Westens gemacht, der - ob mit oder ohne militärische Prügel - für den Frieden verantwortlich sein soll. "Der Westen setzt in Kosovo erneut auf Milosevic", schreibt "Tages-Anzeiger"-Korrespon-dent Peter Fürst (24.10.98) und fährt weiter: "Nur die Serben selbst können verhindern, daß Milosevic sein Volk in den kollektiven Untergang führt. Der Westen kann dabei helfen, indem er mit Milosevic nicht weiterverhandelt, sondern ihn total isoliert."

 zum AnfangAuch die NZZ kommentiert in einem Leitartikel auf der Titelseite (17.10.98) hart: "Worum es dem Westen bei der Kosovo-Krise eigentlich geht, darüber läßt sich nur spekulieren. (...) Der Eindruck verstärkt sich, daß hier hastig ein Deal abgeschlossen wurde, dessen Konsequenzen kaum jemand abzuschätzen vermag. (...) Kurzfristiges Agieren in Krisen und die Suche nach einer auf längere Sicht haltbaren Strategie sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Die Mindestanforderung an eine sinnvolle Krisenbewältigung müßte sein, daß sie die Situation nicht verschlimmert und Wege für künftige Lösungen nicht verbaut. Der Verdacht, daß genau dies in Kosovo geschehen ist, läßt sich nicht verdrängen." Die "Pax Holbrooke" kennt bisher zwei Sieger: Die Nato und Milosevic. Der Militarismus ging auf beiden Seiten gestärkt hervor. VerliererInnen sind die oppositionellen Kräfte in Serbien (siehe Chronik der Repression). Kosov@-AlbanerInnen scheinen mit dem ganzen nichts zu tun zu haben, waren sie doch weder bei der Entstehung des Abkommens noch bei seiner Ausarbeitung einbezogen.



Roland Brunner ist Redakteur der Schweizer Zeitschrift "Monatsmagazin - MOMA", Zürich
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