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Erstellt:
November 1997


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FriedensForum 7/1998


Mit Günter Grass durch krasse Zeiten

Thomas W. Klein

"Müssen wir uns schämen für unser Land?" fragte nach dem Festakt die Bild-Zeitung in fetten Lettern auf der Titelseite. Günter Grass hatte mit seiner Laudatio auf den Schriftsteller Yasar Kemal, dem der "Friedenspreis des deutschen Buchhandels" verliehen wurde, eine heftige Diskussion entfacht.

Stein des Anstosses war eine von christdemokratischen Politkern als "ungeheuerliche Behauptungen" bezeichnete Passage am Ende seiner Rede, in der er die Türkei-Politik der Regierung angreift: "Wer immer hier die Interessen der Regierung Kohl/Kinkel vertritt, weiß, daß die Bundesrepublik Deutschland seit Jahren Waffenlieferungen an die gegen ihr eigenes Volk einen Vernichtungskrieg führende Türkische Republik duldet. Nach 1990 (...) sind sogar Panzer und gepanzerte Fahrzeuge der ehemaligen Volksarmee der DDR in dieses kriegsführende Land geliefert worden. Wir wurden und sind Mittäter. Wir duldeten ein so schnelles wie schmutziges Geschäft. Ich schäme mich meines zum bloßen Wirtschaftsstandort verkommenen Landes, dessen Regierung todbringenden Handel zuläßt und zudem den verfolgten Kurden das Recht auf Asyl verweigert."

Wenn Grass hier ein Vorwurf zu machen ist, dann sicher nicht der, er habe einen "intellektuellen Tiefstand" erreicht, wie es CDU-Generalsekretär Peter Hintze formulierte. Eine Laudatio ist kein Referat über Asylpolitik und deutschen Rüstungsexport, aber vielleicht hätte Grass noch etwas ausführlicher auf den kurz angesprochenen Sachverhalt eingehen sollen. An brisanten Fakten mangelt es nicht: In einem 1992 veröffentlichten Bericht von amnesty international wurden der türkischen Polizei Morde und Folter vorgeworfen. Insbesondere Spezialtruppen, u.a. ausgebildet von Offizieren der Bundesgrenzschutzeinheit GSG-9, seien für Terror verantwortlich. Unter der Überschrift "Todesschwadrone in der Türkei" nahm z.B. die Frankfurter Rundschau am 8. Mai 1992 diesen Bericht zum Anlaß, wenig Erfreuliches aus dem NATO-Partnerland zu berichten. Die Erkenntisse der Bundesregierung offenbarten dagegen hier, wie zu allen Zeiten, einen Zustand politisch gewollter Ahnungslosigkeit. Als amnesty feststellte: "Seit 1980 sind mehr als eine viertel Million Menschen aus politischen Gründen in Haft genommen worden, gefoltert wurden sie fast alle", entgegnete die damalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Irmgard Adam-Schwaetzer: "amnesty sagt, es würde systematisch gefoltert. Diese Hinweise haben wir nicht."

 zum AnfangNicht nur bezüglich der Menschenrechtsverletzungen ist dieser Bonner Realitätsverlust zu verzeichnen. Als ab 1991 die Türkei von der Bundesregierung den Großteil der Ex-NVA-Waffen erhielt, wurden diese kurze Zeit später im Kriegsgebiet eingesetzt. Doch trotz unzähliger Zeugenaussagen, Fotos und Filmbeiträge, die belegen, daß ein vertragswidriger Einsatz dieser Waffen (gegen die Zivilbevölkerung des Landes) stattfindet, blieb auch hier die Bundesregierung ihrer Politik der Verschleierung und Leugnung von Fakten treu. Klaus Kinkel erklärte gebetsmühlenartig: "Die Bundesregierung hat keine Erkenntnisse, daß in der Türkei deutsche Waffen im Einsatz sind."

Schade, daß die Mitglieder der Bundesregierung offensichtlich jahrelang keine Zeitung lasen. Andernfalls hätten sie sonst die Konsequenzen ihrer Politik vor Augen gehabt und zu ganz neuer Erkenntnisgewinnung kommen müssen; dabei genügte schon die Betrachtung einiger Schlagzeilen in der überregionalen Presse: "Ankara gibt den Einsatz deutscher Waffen gegen Kurden zu" (FAZ 28.3.92); "Türkei benutzt NVA-Waffen" (FR 17.7.92), "Deutsche Granaten gegen Kurden" (Britischer Bericht), "Türken beschossen Sirnak mit deutschen Granaten" (taz 17.9.92).

Die "ungeheuerlichen Behauptungen" mit den entsprechenden Fakten angereichert, ergeben ein klares Bild: Deutschland hat mehr Waffen in die Türkei geliefert, als alle anderen europäischen Länder zusammen. Während die Bundesregierung ab Beginn der neunziger Jahre zum wichtigsten Waffenlieferanten wurde und deutsches Kriegsgerät bei den stattfindenden Dorfzerstörungen und Vertreibungen in Kurdistan allgegenwärtig sind, reagiert die Bundesregierung sehr gereizt auf Kritik an ihrer Türkei-Politik. Vor dem Hintergrund der geschilderten Fakten äußerst verständlich, wenn auch, was die Reaktion von Pastor Hintze betrifft, politisch gesehen eine Dummheit. Klaus Kinkel hat hier einen Erfahrungsvorsprung - das Ganze ist für ihn seit Jahren kein Thema mehr: am Ende werden noch ganz andere Fragen gestellt, z.B. "Müssen wir uns schämen für unsere Regierung?" - Pastor Hintze weiß bestimmt eine Antwort!

Thomas W. Klein ist Presse- und Öffentlichkeitsreferent der Kampagne "Produzieren für das Leben - Rüstungsexporte stoppen!", Wiesbaden
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