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Erstellt:
November 1997


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FriedensForum 7/1998


Frieden mit der NATO?

Barbora D. Kasparowa

Auf den ersten Blick könnte es so erscheinen, daß der Mitgliedschaft in der NATO nichts im Wege steht. Die Sozialen Demokraten allerdings stellen Bedingungen für ihr Einverständnis. Sie möchten, daß ein Referendum über den Einstieg in die NATO entscheidet. Obwohl die wichtigsten Parteien für den Eintritt in die Allianz sind, unterstützen die tschechischen Bürger diesen Schritt am wenigsten - viel weniger als die Bürger in den anderen Ländern, die sich um eine Mitgliedschaft in der NATO bewerben. Das erste Mal nach einigen Jahren des sinkenden Interesses der Bürger ist es zu einer Trendwende gekommen. Dennoch sind immer noch weniger als die Hälfte der Bürger in der Tschechischen Republik einverstanden. Dagegen sind ein Drittel der Gefragten, ein weiteres Drittel ist unentschieden.

Die Wähler der einzelnen Parteien sind in ihrer Zustimmung zur Nato-Mitgliedschaft sehr unterschiedlich. Die Wähler der rechten Parteien befürworten zu 83 % den NATO-Eintritt, die der Allianz zu 63 % und die der Christlich-Demokratischen Union zu 53 %. Von den Wählern der Sozialdemokratischen Parteien befürworten allerdings nur 29 % den Eintritt. Deshalb beschuldigen die Regierungsparteien die Sozialdemokraten, daß sie zwar ein Referendum herbeiführen wollen, daß sie sich aber gleichzeitig nicht darum kümmern, ihre Wähler positiv auf die NATO-Mitgliedschaft einzustimmen. Der Eintritt in die NATO wird also der ernsthafteste außenpolitische Akt der Tschechischen Republik bis zur Jahrhundertwende, und schon jetzt ist klar, daß dies nicht einfach abläuft.

 zum AnfangWarum sind so viele Bürger gegen den Eintritt in die NATO?

Dies hat seine Wurzeln in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart. Die Tschechoslowakische Republik hatte mit der Auswahl ihrer Verbündeten und mit der Erfüllung ihrer abgeschlossenen internationalen Verträge kein Glück. Vor dem zweiten Weltkrieg wurden die Tschechen von Frankreich und Großbritannien liegen gelassen und für Hitler-Deutschland durch die Unterschreibung des Münchener Abkommens freigegeben. Nach dem Krieg wurde das Land von den Verbündeten im Jahre 1968 besetzt und die sowjetische Armee blieb als Besatzungsarmee mehr als zwei Jahrzehnte im Land. Was die gegenwärtigen Ursachen anbelangt, wissen die Bürger, daß die tschechische Republik in diesem Jahrhundert in der besten Sicherheitssituation ist. Obwohl es einige Risiken, die aus bestimmten Destabilisierungen in den postkommunistischen Staaten vernommen werden, gibt, stärkt sich die Überzeugung, daß der Kulminationspunkt bereits überwunden ist. Davon zeugt die Beendigung der Kämpfe in den kaukasischen Republiken und des Krieges im ehemaligen Jugoslawien. Unter diesen Bedingungen zweifelt ein Teil der Bürger daran, daß es sinnvoll wäre, Finanzmittel für die Tätigkeiten auszugeben, die mit der NATO-Mitgliedschaft verbunden sind. Sie sind paradoxerweise dafür, daß das Land seine Sicherheit abgesichert bekommt und daß es eine gute Armee hat, aber persönlich möchten sie nicht sehr viel dafür tun. Das Grundproblem ist der Stand der Information. Ein Teil der Menschen ist immer noch unter dem Einfluß der früheren Propaganda, die davon ausging, daß die Nato in erster Linie eine aggressive Organisation ist. Sie haben also deshalb keine Möglichkeit, Fakten zu erfahren über die Transformation der Nato in der neuen Zeit nach der politischen Wende. Allgemein wird mit unserer Zugehörigkeit zum Westen und seinen Werten argumentiert. Der Eintritt in die Nato wird präsentiert als eine historische Chance, als die einzige wirkliche Alternative, als eine großzügige und mutige Lösung. Aber auch etwas zurückhaltendere Politiker und Fachleute sind bei nach einer objektiven Analyse der Risiken und der Verteidigungsmöglichkeiten der Meinung, daß die Ausweitung der Nato und der Eintritt der Tschechischen Republik eine rationelle und die wahrscheinlich einzige Lösung sei. Aus der Geschichte wissen wir, daß in der Sicherheitspolitik nicht gute oder schlechte Entscheidungen gefällt werden, sondern mehr schlechte und weniger schlechte Entscheidungen. Sonst hätte es nicht so viele Kriege gegeben.

Dennoch kann man - zusammenfassend - annehmen, daß bei uns das Interesse überwiegen wird, ein Mitglied der Allianz zu werden. Allerdings geht es noch darum, die Bürger im größeren Umfang für dieses Projekt zu gewinnen. Überzeugte Bürger würden sich mehr interessieren für die Sicherheitspolitik des Staates und für die eigene Verteidigung. Die Sozialdemokraten befinden sich in einer schwierigen Situation. Aber auch sie haben eine Gelegenheit, die Bürger mit qualifizierten Argumenten zu überzeugen. Dies könnte ihnen unter der Voraussetzung gelingen, daß sie neben der Mitgliedschaft in der Nato sich für eine stärkere Europäische Union und für die UNO engagieren.

Barbora Kasparowa ist Vorsitzende des John Lennon`s Friedensclub
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