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Erstellt:
März 1998


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FriedensForum 7/1998


Militärische Braunzone, die neue Bundeswehr unter Generalverdacht!

Tobias Pflüger

Die Meldungen über rechtsextreme "Vorfälle" in der Bundeswehr gehen täglich munter weiter. "Sieg Heil"-Rufe bei einer Bundeswehrfeier in Holzdorf. Die Staatsanwaltschaft von Schweinfurt stellt das Verfahren gegen die am "Hammelburg"-Video beteiligten Soldaten ein, da keine Gewaltverherrlichung vorliege. Die öffentlich gewordenen rechtsextremen Vorfälle bei der Bundeswehr haben Seriencharakter.

Die Debatte bekam jetzt mit der Vorlage des Berichtes der Wehrbeauftragten Claire Marienfeld für das Jahr 1997 eine neue Qualität. Eine Hauptaussage der Wehrbeauftragten war folgende: "Die gebotene Distanz zur Wehrmacht fehlt an einigen Stellen." Minister Volker Rühe tat dies als, so wörtlich, "Unsinn" ab.

Repressives Klima

Einige Soldaten klagen spätestens seit dem Bekanntwerden der Roeder-Affäre und der Anweisung von Generalinspekteur Hartmut Bagger, alle rechtsextremen Vorfälle zu melden, über ein "Klima der Denunziation". Ein Soldat der Elitekampftruppe Kommando Spezialkräfte (KSK) berichtete mir von durchgeführten Razzien, bei denen auch vor dem privaten Bereich der Soldaten nicht halt gemacht wurde. In einer der Militärzeitschriften, die vom Verteidigungsministerium herausgegeben werden, wird genau beschrieben, welche Vergehen wie disziplinarrechtlich und juristisch zu handhaben sind. Mit autoritär-repressiven Mitteln wird von der Bundeswehrführung versucht, offensichtlich rechtsextremes Verhalten von Soldaten zu unterbinden. Zugleich wurden (Ex-)-Soldaten, die rechtsextremes Verhalten gemeldet haben, geschnitten, verprügelt und von der Bundeswehrführung denunziert. Soldaten, die Zeugen eines rechtsextremen "Vorfalles" sind, ist zu raten, ihn einerseits intern zu melden, aber ihn andererseits auch zugleich (presse)-öffentlich zu machen, nur dann ist gewährleistet, daß der Sache nachgegangen wird. Meine These ist, dieses - für eine Armee typische - repressive Vorgehen wird dazu führen, daß viele rechtsextreme Vorfälle erst gar nicht das Licht der Öffentlichkeit erreichen werden. Dies gilt besonders für Zweifelsfälle (war das rechtsextrem oder nur dumm oder rechtskonservativ?). Das ist um so bedauerlicher, als daß klar ist, daß die bisherigen "Fälle" nur die Spitze eines Eisberges sind. Das Vorgehen der Bundeswehrführung trägt also nicht zur Erhellung bei, das ist ja auch nicht in ihrem Interesse.

 zum AnfangRechtslastige Militärzeitschriften

In einzelnen Militärzeitschriften wird dagegen kommentiert, daß die Bundeswehr strukturell rechtslastig sei. Es sei die Gesellschaft, in der rechtsextremes Gedankengut virulent wäre, die Bundeswehr nur ein Spiegelbild der Gesellschaft. Die Sichtweise mit Schlagseite der Militärchronisten der Bundesrepublik zeigt sich etwa in einem Kommentar von Gerhard Hubatschek in seinem IAP-Dienst Sicherheitspolitik: "Wenn ein Mann wie Roeder, den kein Offizier oder Unteroffizier gekannt hat und dessen Name auch Abgeordneten und der weit überwiegenden Mehrzahl der Journalisten nichts gesagt hätte, von einem (kleinen) Schulstab zu einem Vortrag eingeladen wird, so ist dies ein `neonazistischer Vorfall` nur dann, wenn einem der Initiatoren der neonazistische Hintergrund bekannt gewesen wäre. Da unterstellt werden kann, daß dies nicht der Fall war, rechtfertigt eine saubere und faire Differenzierung nicht, von einem `rechtsextremistischen` oder `neonazistischen` Vorfall zu sprechen". Und weiter zum Vortragsthema von Roeder bei der Führungsakademie der Bundeswehr: "Die Umsiedlung der Deutschen in den Raum Königsberg (!)": "Zum damaligen Zeitpunkt ist auch die Möglichkeit der Umsiedlung von Rußlanddeutschen innerhalb Rußlands absolut seriös diskutiert worden. Die Einladung Roeders war daher nichts anderes als eine peinliche und dumme Panne." Folgerichtig heißt es weiter: "Auch zeigt sich, daß in dem einen oder anderen Fall, gemessen an Recht und Gesetz, zu hart reagiert wurde."

Die beiden vorletzten Aussagen sind entlarvend. Erstens konnten sich die Offiziere ja auf Billigung des Themas durch die Regierungspolitik verlassen und zweitens im Sinne eines solchen Ansatzes war es tatsächlich eine Panne, daß die Roeder-Affäre bekannt wurde.

Die genannten rechtslastigen Kommentatoren der Militärzeitschriften reihen sich ein in die sonstige Berichterstattung in diesen Zeitschriften. Ulrich Sander hat insbesondere anhand der Zeitschrift "Informationen für die Truppe" (IFDT) die Rechtslastigkeit von Militärpublikationen nachgewiesen. Nach dem Artikel über "Rechtsextremistisches Verhalten von Soldaten - eine dienstrechtliche Betrachtung" findet sich in der vom Verteidigungsministerium herausgegeben Zeitschrift "Truppenpraxis" ein Artikel mit dem Untertitel "Zwang zur Vorneverteidigung". Darin beschreibt ein ehemaliger stellvertretender Kommandeur des IV. Korps die Notwendigkeit der militärischen "freien Operation" für die neue Bundeswehr, bekannt aus Reichswehr und Wehrmacht. Bisher war das nicht möglich: Es "konnte der Raum `nach vorne`, also über die Grenze des gegnerischen Territoriums hinaus, nicht für Operationen gedacht werden, weil damit der politisch-strategische Charakter des Bündnisses als Allianz zur Verteidigung an Glaubwürdigkeit verloren hätte."

 zum AnfangGenau diese Mischung aus Repression gegen offenen Rechtsextremismus und den gleichzeitigen Rückgriff auf Wehrmachts- und Kriegstraditionen macht den Charakter der neuen Bundeswehr aus. Der Chef des Grundsatzreferats im Katholischen Militärbischofsamt, Harald Oberhem, wurde von dpa am 10.11.1997 unter der Überschrift "Rechtsextremismus Folge von Auslandseinsätzen" folgendermaßen zitiert: Im Auslandseinsatz frage ein Soldat nicht, wie sein Vater in der Bundeswehr diente, sondern was sein Großvater in der Wehrmacht des Dritten Reichs gemacht habe. "Da geht es dann um deutsche Soldaten im Krieg bis zum Nachsingen von Wehrmachtsliedern, die in der Bundeswehr bisher keine Rolle spielten." Im Spiegel 29/1997 bringt das der Zeitsoldat Ralph Verlande, 22, im Zivilberuf Gas- und Wasserinstallateur aus Leer in Ostfriesland, auf den Punkt "Mein Großvater war Fallschirmjäger im Zweiten Weltkrieg, mein Cousin Sanitäter in Somalia, mein Onkel im Einsatz in Kambodscha - ich folge unserer Tradition."

Es fehlt also nicht, wie die Wehrbeauftragte sagt, an einigen Stellen die Distanz zur Wehrmacht. Die Distanz ist nicht (mehr) gewollt. Es gibt eine Kontinuität von der Wehrmacht zur neuen Bundeswehr, die auch mit Kampfeinsätzen weltweit eingesetzt werden soll. BUNDES - WEHR - MACHT - KRIEG. Schließlich muß aus Kriegseinsätzen Deutscher für zukünftige Kriegseinsätze Deutscher gelernt werden! Die alte Bundeswehr, offiziell zur Landesverteidigung da, hat geschichtlich gesehen nur den Charakter einer Übergangsarmee gehabt.

Die berühmte Formulierung von Volker Rühe von der Wehrkundetagung 1995 "Die Wehrmacht war als Organisation des Dritten Reiches, in ihrer Spitze, mit Truppenteilen und mit Soldaten in Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt. Als Institution kann sie deshalb keine Tradition begründen. Nicht die Wehrmacht, aber einzelne Soldaten können traditionsbildend sein - wie die Offiziere des 20. Juli, aber auch wie viele Soldaten im Einsatz an der Front" ist nur noch Stückwerk. Der Schwerpunkt verlagert sich zusehends auf den letzten Teilsatz.

 zum AnfangElite als Gefahr" und militärische Braunzone

Die neue Bundeswehr wurde in Hauptverteidigungskräfte einerseits und die 53.400 Mann starken Krisenreaktionskräfte (KRK) andererseits aufgeteilt. Diese KRK sind insbesondere für weltweite Einsätze (einschließlich reiner Kampfaktionen) auch außerhalb des NATO-Gebietes vorgesehen. Diese Krisenreaktionskräfte und insbesondere die neue Elitekampftruppe Kommando Spezialtruppe (KSK) sind für Neonazis besonders interessant (vgl. hierzu IMI-Infoblatt 3, Das Kommando Spezialkräfte). Die unterschiedliche Wertigkeit der verschiedenen Bundeswehrteile und der bei der Bundeswehr neue Elitegedanke führen zu Reaktionen bei den Soldaten. General a.D. Gerd Schmückle bezeichnet den Elitegedanken in einer Armee als "hochgefährlich". Die Eliteeinheit KSK ist auch für rechtsextremistische Militärzeitschriften, wie die jetzt auch am Kiosk erhältliche Deutsche Militärzeitschrift (DMZ) besonders interessant. In der DMZ wird eine militärische Braunzone deutlich: Dort inserieren rechtsextreme Verlage wie der Tübinger Grabert- bzw. Hohenrain-Verlag genauso wie Herausgeber anderer Militärpublikationen wie z.B. Bernard & Graefe.

Bundeswehr unter Generalverdacht?

Steht nun die Bundeswehr unter Generalverdacht? Ja, die Bundeswehr als Gesamtes steht unter Generalverdacht, auch und gerade die Generäle! Vier Namen, vier Karrieren in der militärischen Braunzone: Generalmajor a.D. Gerd Schultze-Rhonhof, General Günther Kießling, Franz Uhle-Wettler und sein Bruder. Das Beispiel Schultze-Rhonhof, Autor der rechten Wochenzeitung "Junge Freiheit" zeigt auf, wie schwierig es für offizielle Stellen ist, mit Angehörigen der militärischen Braunzone umzugehen. Zuerst bezeichnete der stellvertretende Leiter des baden-württembergischen Verfassungsschutzes Hans-Jürgen Doll Schultze-Rhonhof in den ARD-Tagesthemen als rechtsextremen Kreisen nahestehend, Helmut Rannacher, der Chef des Verfassungsschutzes in Baden-Württemberg, nahm das dann wieder zurück. Denn: Schultze-Rhonhof vermeidet offen rechtsextreme Äußerungen. Seine Kritik am Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu "Soldaten sind Mörder" war aber zumindest "grenzwertig". Schultze-Rhonhof ist auch noch zu sehr eingebunden in die offiziellen Bundeswehrstrukturen. Das zeigen auch zwei Anzeigen für sein Buch "Wozu noch tapfer sein" in "Bundeswehr aktuell" vom 12.01.1998 und im "Parlament" vom 31.01.1998.

Wie reagieren nun die verschiedenen politischen Gruppen auf die zwangsläufigen rechtsextremen Vorfälle bei der Bundeswehr?

Von der Wehrbeauftragten Claire Marienfeld bis hin zur parlamentarischen Opposition und etwas darüber hinaus wird gefordert: "Wir brauchen mehr politische Bildung in der Bundeswehr", "Es muß eine sozialwissenschaftliche Studie über die Bundeswehr her" und "Das Prinzip der `inneren Führung` muß wieder gestärkt werden." Meiner Ansicht nach gehen all diese Forderungen am Kernproblem vorbei. Denn sowohl mit mehr politischer Bildung als auch mit einer sozialwissenschaftlichen Studie über die Bundeswehr kann die strukturell bedingte Rechtslastigkeit der Bundeswehr nicht behoben werden. Die Strukturen, der Aufbau, der Charakter der Bundeswehr sind verantwortlich für rechtsextremes Verhalten von Soldaten! Das Prinzip der `inneren Führung` ist längst zur puren Farce und zur Papierhülse geworden. Es läßt sich unter den neuen Bedingungen der Bundeswehrarbeit (auch Kampf- und Kriegseinsätze) nicht mehr beleben, die internen Bedingungen sind härter geworden.

 zum AnfangWeitere Vorschläge sind: Die Bundeswehr "demokratiekompatibel" (Winni Nachtwei) zu machen oder die Forderung nach "Linke in die Bundeswehr" (Ralf Fücks). Die Bundeswehr funktioniert nach Befehl und Gehorsam, dieses Grundprinzip von Armeen (anders können Armeen nicht funktionieren) kann nie demokratiekompatibel sein. Demokratie und Armee widersprechen sich zwangsläufig, es sei denn unter Demokratie würde eine Demokratie mit Ausnahmebereichen verstanden. Zum Vorschlag "Linke in die Bundeswehr" habe ich in meinem Kommentar in der Graswurzelrevolution Februar 1998 alles gesagt, was gesagt werden muß. Eigentlich wäre dieser Vorschlag nicht ernstzunehmen, wenn er nicht z.B. bei Bündnisgrünen und SPD aufgegriffen werden würde. Wer dazu aufruft "Linke/r zur Bundeswehr", macht sich schlicht zum nützlichen Idioten für die laufende Militarisierung.

Trotz der anhaltenden Serie rechtsextremistischer Vorkommnisse bei der Bundeswehr sind die offiziellen Umfrageergebnisse über Ansehen und Vertrauen bezüglich Bundeswehr sehr hoch. In einer von der Bundeswehr selbst in Auftrag gegebenen Umfrage, werden folgende Zahlen angegeben: "Wenn Sie zwischen Vertrauen und Mißtrauen entscheiden sollen, würden Sie dann sagen, daß Sie der Bundeswehr vertrauen, eher vertrauen, eher mißtrauen oder mißtrauen?" Vertrauen in die Bundeswehr (`vertrauen` + `eher vertrauen`) haben: 84% / Mißtrauen gegen die Bundeswehr (`mißtrauen` + `eher mißtrauen`) hegen: 15% (Quelle: EMNID-Sicherheitstrend, Januar 1998. 2000 Befragte im Alter von 16 Jahren und mehr). Untersuchungen von Wolfgang R. Vogt und Detlef Bald zeigten, daß die offiziellen zumeist von Emnid veröffentlichten Zahlen zur hohen Akzeptanz der Bundeswehr in der Bevölkerung nicht einmal in Zeiten des kalten Krieges zutrafen. "Die behauptete Akzeptanz der Bundeswehr und ihrer Sicherheitspolitik bestand nur rudimentär" (Bald). Es gab bis 1989 lediglich mehrheitlich eine oberflächliche Zustimmung allgemein zu "Verteidigung". Dieser Trend hat sich seit dem Ende des Warschauer Paktes nicht umgekehrt, im Gegenteil. Die Frage, die bleibt, haben die rechtsextremen Vorfälle zu einer Veränderungen von längerfristigen Einstellungen zur Bundeswehr geführt?

Der Glaube an die Bundeswehr ist noch hoch. "Der Einsatz der Bundeswehr dient ausschließlich friedlichen Zwecken." Stimme vollkommen / teilweise zu: 86% (Quelle: EMNID-Umfrage vom September 1997 im Auftrag des BMVg. Die repräsentative Stichprobe umfaßte 2300 Befragte über 16 Jahre.) Genau diesen nachweislich falschen Glauben gilt es durch Informationsarbeit gegenzusteuern.

 zum AnfangEinzige Konsequenz aus den strukturell bedingten Rechtslastigkeit der Bundeswehr kann nur sein, die Bundeswehr als solches zur Disposition zu stellen. Die Bundeswehr hat nicht ein Problem, sie ist das Problem. Es ist schwierig, trotz aller Richtigkeit, einfach die Abschaffung der Bundeswehr zu fordern. Deshalb bietet es sich jetzt anläßlich des Bundestagswahlkampfes an, mit Forderungen der Friedensbewegung nach ersten Schritten qualitativer Abrüstung in die Debatte zu gehen. "Qualitative" Abrüstung meint, die Abrüstung der Komponenten, die die neue "Qualität" der Bundeswehr ausmachen: Dies sind die "Verteidigungspolitischen Richtlinien" als Grundlagendokument für die neue Strategie der Bundeswehr. Dies sind die sogenannten Krisenreaktionskräfte (KRK) der Bundeswehr mit denen die weltweiten Einsätze durchgeführt werden sollen. Und dies sind die derzeit laufenden mindestens 215 neuen Beschaffungsprojekte in einer Höhe von mindestens 170 Milliarden DM, mit denen die Bundeswehr auch umgerüstet wird zu einer weltweiten Interventionsarmee. Dies bietet die Möglichkeit, die gefährlichsten Komponenten der neuen Bundeswehr zu thematisieren, Bündnispartner für die ersten Schritte zu finden und die eigentliche Forderung nicht aus dem Blick zu verlieren.

Bei der Informationsstelle Militarisierung können Materialien und Referent/inn/en zu allen Themen rund um die Bundeswehr angefordert werden: IMI, Burgholzweg 116/2, 72070 Tübingen, Telefon und Fax 07071-49154 und 07071-49159



Tobias Pflüger ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen.

E-Mail:   imi@gaia.de
Internet: http://www.gaia.de/imi/imi1.htm
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