Logo Friedenskooperative


Erstellt:
12.05.1999


 nächster
 Artikel

FriedensForum 3/1999


Clinton ließ Atomkoffer auf dem NATO-Gipfel zurück

Olivier Minkwitz

Bill Clinton ließ am Wochenende den Koffer, der die Aktivierungs- und Abschusscodes für die Nuklearraketen enthält, auf dem NATO-Gipfel stehen.

Für 45 Minuten war der amerikanische Präsident und Oberbefehlshaber der Streitkräfte vom wichtigsten Gepäckstück der Welt getrennt. Der Präsident verließ das International Trade Center vorzeitig mit der Staatslimosine, ohne den Begleiter, der den Koffer ständig bei sich trägt, mitzunehmen. Der Offizier, der sich immer in unmittelbarer Nähe des Präsidenten aufhält, wurde in der Hektik des Gipfels nach einer vorzeitig beendeten NATO-Konferenz zurückgelassen und musste die 1,5 km zum Weißen Haus zu Fuß zurück gehen.

Für die Sicherheit des Koffers und somit für die Kommunikation zwischen dem Präsidenten der Vereinigten Staaten und den Nuklearstreitkräften ist das Verbindungsbüro des Pentagons im Weißen Haus zuständig.

Die Aktentasche - die den militärischen Scherznamen "Fußball" trägt - enthält das Handbuch und eine Bedienungsanleitung für den Präsidenten. Mit Hilfe von Cartoons sind darin die verfügbaren nuklearen Optionen und die Auswirkungen für jedermann leicht verständlich dargestellt.

In der Regel wird jeder Präsident in die Handhabung des Koffers beim Amtsantritt eingewiesen. Seit den 80er Jahren geschah dies jedoch nicht immer nahtlos und nach Angaben eines ehemaligen Direktors der Verbindungsstelle im Weißen Haus weiß der Präsident nicht einmal, wie der Koffer zu öffnen ist. "Sollte der Offizier, der den "Fußball" trägt eine Herzattacke bekommen oder bei einem Attentat ums Leben kommen, dann müsste das verdammte Ding aufgesprengt werden", sagte der Direktor in einem Interview.

 zum AnfangEbenso wird auch der "Single Integrated Operational Plan" (SIOP), der die über tausend einprogrammierten Ziele der Atomraketen enthält, fast jährlich überarbeitet. Als Folge daraus ist nicht immer sichergestellt, dass der Präsident oder sein legaler Nachfolger als Oberkommandeur der Nuklearstreitkräfte über die nuklearen Optionen im Bilde ist und die Atomwaffen im Notfall befehligen kann. Außer dem Präsidenten bekommen jeweils der Vizepräsident, der Verteidigungsminister, der Generalstab und die Oberbefehlshaber der nuklearen Teilstreitkräfte eine Version des Handbuches. Letztere geben in der Regel die Kommandoautorität nach unten ab, für den Fall, dass die militärische Elite bei einem nuklearen Angriff ausgeschaltet oder die Kommandostruktur unterbrochen wird. Eine ganze Reihe anderer nichtmilitärischer Personen, die nach amerikanischem Gesetz als Nachfolger des Präsidenten zu bestimmen sind, so zum Beispiel der Sprecher des Repräsentantenhaus, der Sprecher des Senates und der Außenminister, werden nicht mit dem Handbuch versehen.

Der Vizepräsident Johnson wusste nach der Ermordung von John F. Kennedy 1963 nichts von der Existenz und des Inhaltes des Koffers, der während der Eisenhower Administration in den 50er Jahren eingeführt wurde.

Im Gegensatz zum weithin verbreiteten Glauben enthält der Koffer nicht den Zündschlüssel oder Abschussknopf für die Atomraketen. Im Koffer sind neben dem SIOP Handbuch die persönlichen Codes enthalten, die der Präsident braucht, um sich gegenüber den Kommandeuren der Nuklearstreitkräfte zu identifizieren. Nur so kann der Präsident den Einsatz der Waffen autorisieren. Die Autorisierungscodes werden zwar von der geheimen Behörde für Nationale Sicherheit (NSA) erstellt, bleiben jedoch auch immer im militärischen Besitz. Außer dem Präsidenten haben die nationalen Kommandostellen der nuklearen Teilstreitkräfte im Pentagon und über das Land verteilte Befehlsstellen die Autorisierungscodes. Das Militär und die Kommandeure im Feld brauchen die persönlichen Codes des Präsidenten nicht zur Aktivierung und Zündung der Raketen, falls sich dieser nicht identifizieren kann. Das Pentagon hält sich somit technisch die Möglichkeit offen, die Raketen auch ohne die Autorisierung durch den Präsidenten zu zünden.

Die Probleme mit der Sicherheit der Identifizierungscodes sind nicht neu. In der Vergangenheit wurden die Codes schon öfters verlegt. Nach einem Attentatsversuch auf Ronald Reagan war der Koffer verschwunden und tauchte erst nach mehreren Stunden wieder auf.

Der Sprecher des Weißen Haus meinte zu der jüngsten Panne nur, "wir sind sicher".

Quellen:

New York Times, 25.4.1999.

Washington Times, 25.4.1999.

 zum AnfangStephen I. Schwartz ."The Football" in ders.(Hg.): "Atomic Audit. Cost and Consequences of US Nuclear Weapons since 1940". Brookings Institution Press: Washington, DC 1998. S.222. (Im Internet: http://www.brook.edu/fp/projects/nucwcost/box3-4.htm)

Hans M. Kristensen. "The Living SIOP" in ders.: "Nuclear Futures: Proliferation of Weapons of Mass Destruction and US Nuclear Strategy".

BASIC Research Reports: Washington u. London 1998. S.9f.

Paul J. Bracken. "The Command and Control of Nuclear Forces". Yale University Press: London u. New Haven 1983.

Bruce G. Blair. "Strategic Command and Control". Brookings Institution Press: Washington, DC 1985.

Olivier Minkwitz, oliviermi@yahoo.com; BASIC ++1 (202) 785 1266; Home ++1 (202) 895 4579; FAX ++1 (202) 387 6298



Olivier Minkwitz ist Redakteur und Mitherausgeber der antimilitarismus information (ami) in Berlin und arbeitet zur Zeit für den British American Security Information Council (BASIC) in Washington, DC
 zum Anfang

 nächster
 Artikel

Übergeordnetes Thema:

Atomwaffen
Atomwaffen

Einige weitere Texte (per Zufallsauswahl) zum Thema

Atomare Rüstungskontrolle u.Abrüstung:
Die atomare Abrüstung