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Erstellt:
07.07.1999


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FriedensForum 4/1999


Der Nato-Angriff ist illegal und moralisch verwerflich

Das Elend der Beschützten

Reinhard Merkel

"Dieser Krieg", sagt Bundeskanzler Schröder, "ist politisch und moralisch legitim." Irritiert fragt man sich: und rechtlich? Oder wäre er dies ebenfalls, wenn er jenes wäre?

Nein. Dieser Krieg der Nato ist illegal, und er war es von Anfang an. Der rasche Wechsel der offiziellen Kriegsziele schließt die Rechtfertigungslücke nicht, sondern erweitert sie ins Bodenlose. Der Kosovo-Krieg ist aber auch illegitim und keiner ethischen Rechtfertigung zugänglich. Das ist nicht der kalte Blick eines moralblinden Rechtspositivismus, denn das Verdikt reicht über den Vorwurf der Widerrechtlichkeit des Krieges weit hinaus. Er verletzt nicht einfach nur das Völkerrecht. Er zerstört die Bedingungen jeder Verrechtlichung der internationalen Beziehungen.

Die völkerrechtliche Grundlage des Angriffs

Normatives Fundament für den Nato-Einsatz ist das Prinzip der Nothilfe. Es ist nicht bloß ein moralisches, sondern ein rechtliches Prinzip von universaler Reichweite: das der Notwehr, die zugunsten Dritter eben "Nothilfe" heißt. Damit können die Luftangriffe der Nato zunächst einen durchaus stabileren Grund reklamieren als den Flugsand einer populären Gesinnungsethik, die hier einen Konflikt zwischen Recht und Moral und umstandslos den Vorrang dieser vor jenem behauptet. Das Völkerrecht erkennt inzwischen den Rechtsstatus von Individuen auch im Bereich seiner Zuständigkeit an: Sie sind Inhaber eines Mindeststandards fundamentaler Menschenrechte, zu deren interner Garantie jeder Staat gegenüber allen anderen (erga omnes) verpflichtet ist. Hier gibt es daher ein Durchgriffsrecht der internationalen Gemeinschaft auf die Legitimationsgrundlagen des souveränen Staates.

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Damit wird die Nothilfe gegen rabiate Verletzungen jenes Minimalstandards zum Rechtstitel auch für intervenierende Fremdstaaten. Verbreitet, aber irrig ist der Einwand, schon das Fehlen einer Ermächtigung der Intervention durch den Weltsicherheitsrat mache diese rechtswidrig, so wie umgekehrt die Annahme verfehlt ist, ein solcher Sicherheitsratsbeschluß allein könne eine an sich rechtswidrige Intervention legalisieren. Sowenig das Notwehr- und damit auch das Nothilferecht der Staaten untereinander von einer formellen Bestätigung durch den Sicherheitsrat abhängen kann (was Artikel 51 der UN-Charta ausdrücklich klarstellt), da sich Notlagen nicht nach Gremienbeschlüssen richten, sowenig kann dies für die Nothilfe zugunsten der "neuen" Völkerrechtssubjekte gelten: der in ihren Menschenrechten schwer und massenhaft verletzten Individuen. Auf der Hand liegt, daß Ausnahmen vom Gewaltverbot nur in den engen Grenzen klarer Kriterien für Form, Richtung und Maß legitim sind.

Nothilfe mit untauglichen Mitteln?

Deren erstes heißt "Erforderlichkeit". Keine noch so berechtigte, noch so dringende, gegen noch so grausamen Terror gerichtete Hilfsaktion kann Gewaltanwendung rechtfertigen, die für ihr Ziel nicht erforderlich ist. Logische Bedingung der Erforderlichkeit eines Mittels ist dessen Tauglichkeit zum beabsichtigten Zweck. Untaugliche Gewaltmittel sind niemals erforderlich und immer Unrecht. Was ein taugliches Mittel ist, weiß man freilich oft erst hinterher; die Entscheidung ist daher stets belastet mit Risiken der Prognose. Tauglich im Rechtssinne ist schon, was vor seinem Einsatz vernünftigerweise als tauglich gelten kann. Ein unerwarteter nachträglicher Fehlschlag ändert an der Rechtmäßigkeit des Gewaltmittels nichts.

Für den Luftkrieg der Nato liefern diese Kriterien ein zwingendes Resultat: Wer hätte bereits vor dem Aufstieg des ersten Bombers den leisesten Zweifel an der in jedem Leitartikel präsentierten Erwartung gehabt, daß Serbien die Luftschläge zum Anlaß nehmen würde, genau das Elend, zu dessen Unterbindung sie beschlossen wurden, ins Unermeßliche zu verschärfen? Die beklemmende Überlegung, ob die Nato für die Verschärfung dieser Not geradezu mitverantwortlich sei, mag durchaus auf sich beruhen. Immerhin stellt die Empörung der westlichen Regierungen schon über die bloße Frage ein Muster an Selbstbetrug dar: Wer sehenden Auges einem erkennbar tatgeneigten Verbrecher in die Hände spielt oder ihm zusätzliche Motive liefert, kann sich keineswegs schlechthin von der Zuständigkeit für dessen nachfolgende Taten freizeichnen. Außer Zweifel steht aber, daß eine gewaltsame Nothilfe, die das Elend der Beschützten vergrößert untauglich und damit Unrecht ist.

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Der Einwand liegt auf der Hand: Die behauptete Untauglichkeit der Bombardierung als Nothilfe mag sich ja als bloß vermeintliche, als vorläufige erweisen. Wenn schon nicht für den sofortigen Verbleib, dann wird eben für die spätere Rückkehr der Albaner in ihre Heimat gebombt. Irgendwann muß auch ein skrupelloser Gewaltherrscher nachgeben, und wäre es dann, wenn außer Schutt und Asche nichts mehr vorhanden ist, was er beherrschen könnte.

Die Selbstzerstörung der Handlungsmaxime

Ganz gewiß. Aber der Einwand führt, verfolgt man ihn weiter, ins Bodenlose: zum gänzlichen Bankrott der Legitimation dieses Krieges. Dabei soll gar nicht vom Umkippen der Relation zwischen Mittel und Zweck ins irgendwann Unverhältnismäßige die Rede sein. Es geht vielmehr erneut um ein fundamentales Prinzip der Gerechtigkeit: Wer Gewaltanwendung mit der Hilfe für ein mißhandeltes Opfer legitimieren will, hat die "Kosten" seines Handelns, sofern er sie nicht dem Täter selbst aufbürden kann, auf sich zu nehmen. Keinesfalls darf er sie unschuldigen Dritten zuschieben.

So tonlos in seiner Abstraktion, malt sich dies inzwischen als Menetekel auf den Hintergrund des Kosovo-Krieges, als Hohn auf die damit angeblich verteidigten "Werte". Die Rede ist von der Tötung Hunderter serbischer Zivilisten, die Milosevic mehr hassen und für sein Wüten weniger verantwortlich sein mögen als die Regierungen der Nato-Staaten. Es ist von einer quälenden Abwegigkeit, wenn diesem Befund stets der Hinweis auf die weitaus größere Zahl getöteter Albaner entgegengesetzt wird: Keiner der getöteten serbischen Zivilisten - Kinder, Frauen, Alte - hat ein einziges der albanischen Opfer auf seinem Gewissen. Sehr wohl auf dem ihren haben die Verantwortlichen der Nato-Bomben jedes einzelne ihrer zivilen serbischen Opfer.

Wer aber bedrohten Menschen helfen will, legitimiert sich allein aus einer Norm, die es unter keinen Umständen erlaubt, dafür unschuldige Dritte zu töten. Ob er diese Tötungen "beabsichtigt" oder nur mit Bedauern, aber sehenden Auges "in Kauf nimmt", ist gänzlich belanglos. Denn eine Maxime, Unschuldige zu retten, indem man Unschuldige tötet, zerstört sich offenkundig selbst. Sie ist keiner Rechtfertigung fähig. Auch wer wenige Unschuldige tötet, um viele andere zu retten, verhält sich rechtlich wie moralisch verwerflich. Was hielte man von einem Transplantationschirurgen, der fünf todkranke Patienten rettet, indem er die dafür erforderlichen Organe durch Töten und Ausschlachten eines einzigen ahnungslosen Passanten beschafft? Oder, und näher an der Logik dieses Krieges: Wie würden wir eine Polizeiaktion zur Hilfe für mißhandelte Geiseln beurteilen, die nicht direkt gegen den Geiselnehmer vorginge, sondern den Wohnblock, in dessen Kellerräumen er sich verschanzt hält, bombardierte, um ihn zum Aufgeben zu nötigen - dabei den Tod von Dutzenden unschuldiger Bewohner als "Kollateralschaden" und selbstverständlich mit Bedauern in Kauf nehmend?

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Ein Nötigungskrieg - keine humanitäre Aktion

Das ist die bitterste Lehre dieses Krieges: Die Nato desavouiert mit ihren vorsätzlichen "Kollateral"-Tötungen (denn vorsätzlich sind sie auch ohne Tötungsabsicht) genau die rechtliche und ethische Norm, mit der sie ihren Kampf gegen einen Verbrecher legitimieren will. Welch eine reductio ad absurdum der eigenen Moral: Das "Weltbürgerrecht" der einen auf Heimat wird durchgesetzt, indem man das der anderen auf Leben vernichtet!

Der Beitrag erschien am 12.5.99 in der "Zeit" und wurde redaktionell gekürzt.



Reinhard Merkel lehrt Rechtsphilosophie und Strafrecht an der Universität Rostock.





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