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vom:
06.12.1999


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FF 6/99 "Kultur des Friedens":

  SP: "Kultur des Friedens"

Generalnenner Kultur

Warum die Kulturlinke auf Kapitalismuskritik verzichtet

Martin Janz

Viele Linke haben sich von der materialistischen Gesellschaftskritik abgewandt und entdecken in der Populärkultur Ausdrucksformen von Widerstand. In der Repräsentation von Minderheiten, in der Aneignung von Popmusik, Mode oder Fernsehen entdecken sie subversive Potentiale. Damit gibt die Kulturlinke nicht nur die Unterscheidung von Kultur und Ökonomie auf. Sie verliert zudem den kritischen Bezug zum Gehalt von Kultur und Kunst, der über die bestehenden Verhältnisse hinaus weist.


Ohne den Bezug auf Kultur scheint heute im akademischen Betrieb nichts mehr zu gehen. Der cultural turn innerhalb der Sozialwissenschaften, mittlerweile selbst Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, soll den alten Begriff, der Kultur als von der Ökonomie getrennte Sphäre auffasst, durch einen "neuen, anthropologischen Kulturbegriff, der die gesamten menschlichen Arbeits- und Lebensformen umfasst" ersetzen. (FR, 8.6.99).

Auch die Linke hat ihren cultural turn vollzogen. Er besteht in der Überwindung des alten Basis-Überbau-Modells. Dieses Theorem war in seiner mechanistischen Variante, d.h. als starre Entgegensetzung und der aus ihr resultierenden Logik, Phänomene des kulturellen Überbaus aus der Ökonomie abzuleiten, immer schon Ausdruck einer verkürzten Theorie und deshalb zurecht Gegenstand linker Theoriedebatten. Heute jedoch wird unter Rückgriff auf Gramscis Hegemonie- und Foucaults Machttheorie der Gegensatz von ökonomischer Basis und kulturellem Überbau komplett über Bord geworfen zugunsten eines Begriffs von Kultur, der alle Lebensbereiche umfassen möchte. Theoretische Heimat der Kulturlinken sind die cultural studies.(1) Raymond Williams, mittlerweile einer ihrer Klassiker, prägte den richtungsweisenden Kulturbegriff - culture as a whole way of life.

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In dieser Vorstellung wird Kultur zu jenem "Generalnenner", wie er im Kulturbetrieb der industrialisierten Massenkultur aufgeht. Selbsternannte Experten, die Kulturkritiker, klassifizieren, verwalten und bestimmen den Preis der zum "Kulturgut" versachlichten Werke. Dieser administrative Umgang der modernen Kulturmanager vermag selbst das seichteste Musical oder andere populärkulturelle Ereignisse zum hochkulturellen Erlebnis zu erheben. Ihren theoretischen Ausdruck finden diese Formen von Kulturalisierung im Konzept von "Kultur als Lebensweise" und in der Aufwertung von Populärkultur innerhalb der cultural studies. Kultur als Kunst weicht einem Konzept von Kultur als Prozess "bedeutungshervorbringender Formen und Praktiken". Die Verfasstheit der Gesellschaft als Ganze jenseits einer "demokratisch-partizipativen Kommunikationsgemeinschaft", wie sie die cultural studies begreifen, gerät so aus dem Blickfeld. Während ein materialistischer Kulturbegriff die gesellschaftlichen Sphären Ökonomie, Politik, Kultur als Erscheinungsformen einer in sich widersprüchlichen Einheit betrachtet, zerfällt - wie in jeder postmodernen Theorie - Gesellschaft auch in den cultural studies in die bloße Summe ihrer Einzelteile. Weil aber die Einzelteile kein für sich isoliertes Dasein führen, kommt auch postmoderne Theorie nicht umhin, Namen für das gesellschaftlich Ganze und die Vermittlungen der Einzelteile auszuweisen: Sprache, Macht oder aber Kultur.

Reich der Freiheit
Mit dem akademischen und linken cultural turn soll die mit der neuzeitlichen Veränderung der Produktionsverhältnisse sich herausbildende Vorstellung überwunden werden, die Gesellschaft sei geteilt in einen Bereich des Notwendigen und Zweckmäßigen und in eine Sphäre, die den schönen Dingen des Lebens vorbehalten ist. Kultur ist in diesem Verständnis dem letztgenannten Bereich jenseits der materiellen Produktion und Reproduktion vorbehalten - der Sphäre des Schönen, Wahren und Guten, dem Reich der Freiheit.

Obwohl das Wort "Kultur" ursprünglich sowohl Bodenbearbeitung als auch "Pflege der geistigen Güter meint" und damit die Sphäre der Handarbeit nicht eindeutig von geistiger Tätigkeit trennt, entspringt der bürgerliche Begriff der Kultur aus der "radikalen Trennung geistiger und körperlicher Arbeit" (Adorno), der Trennung von Handarbeit und Kopfarbeit. Dabei handelt es sich jedoch nicht um soziologische Kategorien, mit denen soziale Wirklichkeit beschrieben, d.h. geordnet und klassifiziert wird. Denn natürlich erfordert handwerkliche Arbeit (wie jede Arbeit) geistige Anstrengung, wie ja auch künstlerische Tätigkeit Arbeit ist. Mit der Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit ist jene fundamentale Spaltung innerhalb der Gesellschaft gemeint, die es ermöglicht, dass eine privilegierte Gruppe - sei`s machtpolitisch durchgesetzt, sei`s ökonomisch bedingt - von der unmittelbaren Produktions- und Reproduktionsarbeit freigesetzt ist und sich in der Lage sieht, sich Tätigkeiten zu widmen, die nicht primär dem materiellen Überleben ihrer selbst und der Gesellschaft dienen. Reines, abstraktes Denken ebenso wie reine Kunst sind Resultat einer solchen Klassenspaltung.

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Im einheitlichen Kulturbegriff der cultural studies wird diese Trennung geleugnet, unmittelbare Einheit gemimt. Anstatt die Trennung von Ökonomie/Notwendigkeit und Kultur/Freiheit kritisch zu reflektieren, wird Kultur, wie dies in Ethnologie, Anthropologie und Soziologie üblich ist, als Summe aller Institutionen, Bräuche, Werkzeuge, Normen, Wertordnungssysteme, Präferenzen, Bedürfnisse usw. in einer konkreten Gesellschaft verstanden. "Kultur als Lebensweise" soll im Konzept der cultural studies den als elitär kritisierten Begriff von "Kultur als Kunst" ersetzen. Damit wird aber darauf verzichtet, die ihrem Selbstverständnis nach "zweckfreie Kunst" in ihrem negativen Bezug zur bestehenden Gesellschaft und ihrer Reproduktionsform zu untersuchen. "Denn kein authentisches Kunstwerk und keine wahre Philosophie hat ihrem Sinn nach je sich in sich selbst, ihrem Ansichsein erschöpft. Stets standen sie in Relation zu dem realen Lebensprozess der Gesellschaft, von dem sie sich schieden." (Adorno/a, S. 12) Gleichzeitig affirmiert Kultur diese Form der gesellschaftlichen Reproduktion. Die entrückte geistig-seelische Welt der Kultur verspricht den Menschen jenes Glück und jene Emanzipation, die ihnen im alltäglichen Lebenskampf versagt bleiben. Not, Leiden und Ungerechtigkeit dauern unterhalb der zum Akt der Feierstunde erhobenen kulturellen Sphäre fort (s. Marcuse).

Doch die im bürgerlichen Kulturbegriff formulierten Glücksversprechungen werden von Adorno und Marcuse nicht einfach als bloße Idee zurückgewiesen. Aus der Einsicht, dass die Trübsal des materiellen Lebens nicht alles gewesen sein kann, halten sie an den Ideen des Bürgertums in emanzipatorischer Absicht fest. Zwar wird im bürgerlichen Bewusstsein die Idee einer menschlichen Gestaltung der Gesellschaft von der Sphäre der materiellen Praxis abgespalten und ins transzendente Reich der Kultur verbannt, doch die Idee ist dadurch nicht desavouiert: Der bürgerliche Kulturbegriff bewahrt das Bild "einer Existenz, die hinausweist über den Zwang, der hinter aller Arbeit steckt" (Adorno/a, S. 16). Materialistische Philosophie nimmt "die Sorge um das Glück ernst und kämpft um seine Realisierung" (Marcuse, S. 68). Das praktische Scheitern dieser Realisierungsversuche ist jedoch kein Argument dafür, das zum theoretischen Programm zu erheben, was sich mit der bürgerlich-affirmativen Kultur historisch ereignet: die Zurücknahme der Kultur in den materiellen Lebensprozess. Diese Selbstaufhebung der Kultur vollzieht sich zum einen in der Indienstnahme der Kultur zum Zwecke der Propaganda im autoritären Staat, zum anderen in die Entwicklung zur vollständig kommerzialiserten Massenkultur - das Reich der Freiheit als Reich der Freizeit.

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Reich der Freizeit
Die zunehmende Verflechtung von Kultur und Ökonomie durch das Zur-Ware-Werden der Kultur im sich entwickelnden Kapitalismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - am weitesten fortgeschritten in den USA - wird 1944 im dortigen Exil von Adorno und Horkheimer als Kulturindustrie charakterisiert. Der Ausdruck Industrie bezieht sich dabei weniger auf den Produktionsvorgang selbst, als vielmehr auf die Standardisierung der kulturellen Waren und auf die Rationalisierung der Verbreitungstechniken. Kulturwaren richten sich - wie alle anderen Waren - primär nach dem Prinzip ihrer Verwertung und nicht nach ihrem Gehalt. Dadurch ebnet sich der Unterschied zwischen der Verwertungslogik des gesellschaftlichen Systems und der Logik des Werks (der Sache selbst) ein. Zwar existierte auch bürgerliche Kultur nicht außerhalb und unabhängig vom Markt, sondern war an dessen Voraussetzungen von jeher gebunden. Doch innerhalb der Kulturindustrie ändert sich der Warencharakter der Kunst derart, dass Kunst und Kultur als autonome Bereiche aufhören zu existieren. "Kultur ist eine paradoxe Ware. Sie steht so völlig unterm Tauschgesetz, dass sie nicht mehr getauscht wird; sie geht so blind im Gebrauch auf, dass man sie nicht mehr gebrauchen kann. Daher verschmilzt sie mit der Reklame. .... Reklame wird zur Kunst schlechthin, mit der Goebbels ahnungsvoll sie in eins setzte, l`art pour l`art, Reklame für sich selber, reine Darstellung gesellschaftlicher Macht" (H/A, S. 145f).(2) Kulturwaren werben für sich selbst - wie etwa Musik, die qua Rundfunk verbreitet wesentlich der Reklame von Tonträgern dient, die man kaufen muss, um Musik hören zu können. Sie werben gleichzeitig für die verwaltete Welt: "Der kategorische Imperativ der Kulturindustrie hat, zum Unterschied vom Kantischen, mit der Freiheit nichts mehr gemein. Er lautet: du sollst dich fügen, ohne Angabe worein; fügen in das, was ohnehin ist, und in das, was, als Reflex auf dessen Macht und Allgegenwart, alle ohnehin denken." (Adorno/b, S. 67)

Der emanzipatorische Gehalt von Kunst und Kultur könnte hingegen darin bestehen, dass im Kunstwerk Subjektivität nicht einfach bloß in der Form reproduziert wird, wie sie in der kapitalistischen Gesellschaft vorliegt - als Subjektivität, die die anderen Individuen nur als Objekt wahrnehmen kann -, sondern dass im Kunstwerk die Form einer gesellschaftlichen Beziehung der Individuen vorscheint, die sich von der verdinglichten fundamental unterscheidet. Eine Kritik von Kultur als Ware reflektiert die gesellschaftlichen Kräfte, die einer solchen nichtverdinglichten Subjektivität entgegenstehen. Zugleich wird kulturindustriell verordnetes Amüsement radikal angegriffen: "Amusement ist die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus. Fun ist ein Stahlbad. Die Vergnügungsindustrie verordnet es unablässig." (H/A, 123/126) In diesen Auffassungen sehen Vertreter der cultural studies, denenzufolge "der lustvolle Umgang mit Populärkultur eine produktive Form des Widerstandes sein kann" (Winter, S.38), das ressentimentgeladene Werk von ewiggestrigen verspießerten bildungsbürgerlichen Spaßverderbern. Hatte die Kritische Theorie noch ein Bewusstsein von der Dialektik der Kultur - "Von Kultur reden war immer schon wider die Kultur" - und ein Bewusstsein davon, dass in der industriellen Kultur alle Bereiche der geistigen Produktion dem Zweck unterliegen, eine Subjektivität herzustellen, die sich nahtlos in die Waren- und Reklamewelt einfügt, affirmiert die kulturalistische Wende diesen Prozess der Vereinheitlichung. Im Basis-Überbau-Modell klang noch der Unterschied von Ökonomie und Kultur an, der es ermöglichte, die Warenform zu reflektieren, die sowohl Ökonomie als auch Kultur beherrscht. Da die Kulturtheorie diesen Unterschied aus dem Denken verbannt und Kultur als "diskursive Formation" begreift, steht ihr nunmehr ein Begriff von Kultur zur Verfügung, der den Prozess der Vereinheitlichung und Standardisierung der Kultur ins Denken verlängert. Kultur wird so zur Universalkategorie einer Theorie, die ihrem Selbstverständnis nach Universalkategorien zugunsten von Partikularität und Singularität zu überwinden meint.

Reich des Pop
Populärkultur erheischt im kulturalistischen Denken der neuen Linken jenen exklusiven Stellenwert, den hohe Kultur als Ort der aus der materiellen Praxis verlagerten Glücksversprechungen und menschlicher Werte im bürgerlichen Bewusstsein inne hatte. Die in der Aneignung von Populärkultur alltäglich auftretenden "Widerständigkeiten" werden zum zentralen Forschungsfeld der cultural studies, das sie auf der Suche nach subversiven Potentialen durchpflügt. Tatsächlich subversiv jedoch wäre der Genuss, "der vom Tauschwert sich emanzipiert" (Adorno/c, S. 20). Doch die Kulturlinke hat sich davon verabschiedet, Kultur und Gesellschaft im Kontext der marxschen Wertkritik zu reflektieren. Begriffe wie Tauschwert und Gebrauchswert sind dem kulturalistischen Paradigmenwechsel zum Opfer gefallen. Es fehlen damit jegliche Kriterien zur Beurteilung des subversiven Gehalts popkultureller Artefakte. So füllt dann etwa das "Nichtmitmachen" diese Leerstelle und avanciert zum Synonym für Widerständigkeit, wie das Beispiel der Rezeption von HipHop zeigt: "HipHop ist eine nur noch antiintegrationistische Musik, das ist ihr Nenner, das ist das, was alle ihre Anhänger auf der ganzen Welt eint: nicht mitmachen" (Diederichsen, S. 54). Im Anschluss räumt Diederichsen selbst ein: "Aber jede Negation führt zu Positionen, und die reichen dann von neoutopischen Linken Ideen, über Separatismus, religiösen Wahn und Nationalismus bis zum individualistischen (Gangster) Karrierismus" (ebd.). Weshalb HipHop zunächst "nur noch antiintegrationistisch" sein soll und erst in der Folge rassistisch oder nationalistisch rezipiert wird, mag nicht so richtig einleuchten, zumal der Autor ein paar Seiten zuvor einräumt: "HipHop ist von Anfang an verstrickt" (S. 11). Trotz dialektischer Versatzstücke, die durch die Texte des Kulturlinken geistern (jede Negation führt zu Positionen), scheint er es mit Widersprüchen nicht so genau zu nehmen.

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Reich der Politik
Mit HipHop geht ein neues Verständnis von Politik einher. War die "idealistische Musik" des Rock`n`Roll verknüpft "mit Utopien, mit Kommunismus", "steht im Mittelpunkt von HipHop die Rettung des Bestandes, im Zweifelsfall des eigenen Lebens" (ebd.). Während Politik zur Zeit des Rock`n`Roll die falschen Verhältnisse überwinden und die Utopie einer herrschaftsfreien Gesellschaft verwirklichen wollte, geht es heute in Politik und Musik in erster Linie darum, Formen zu (er)finden, in denen gesellschaftliche oder ethnische Gruppen bzw. Minderheiten sich darstellen können. Postmoderne Identitätspolitik (Politik der Lebensstile) geht davon aus, dass Politik und Kultur nicht zu trennen sind. Innerhalb der kulturalistischen Wende übernimmt Diederichsen zufolge Pop die Funktion einer neue Darstellungsform linker Politik. Pop, so Diederichsen in einem sechs Jahre nach seinen Texten zu HipHop veröffentlichten programmatischen Text, habe "Bilder, Stimmungen und Metaphern von Verhältnissen" und mache sie "diskutierbar, bevor sie abstrakt erfasst sind." Denjenigen, die diese poppige Darstellung liefern, gelinge eine "prägnante Darstellung von Zusammenhängen, die noch nicht gesehen wurden und werden konnten."

Hat die Linke erst die "Unmöglichkeit, Politik zu machen, ohne Kultur zu betreiben" eingesehen, dann, so Diederichsen, besteht die Möglichkeit zu einem "Programm für eine nichtidentitäre Politik der Kultur und der Lebensformen." Zudem sei es falsch, den Pop- bzw. Kulturlinken vorzuwerfen, sie würden Politik durch Kultur ersetzen, weil noch jede politische Bewegung ihren eigenen Lebensstil pflege und ohnehin eine bestimmte "Kultur" (Sprache, Kleidungscode, Verhaltensnormen etc.) mit sich brächte. Hier ist Diederichsen in gewisser Weise zuzustimmen, denn tatsächlich kommt in der Popkultur die herkömmliche linke Politik erst zu sich selbst. Im Prinzip entsprach der Großteil der linken Politik nach 68 bereits einer Politik der Lebensformen. Autonomes Scene-Outfit und Punk-Musik, Internationale Solidaritätsbewegung mit ihrer Begeisterung für Latino-Musik, Anti-Atomkraft- und Friedensbewegung mit ihrer Vorliebe für folkloristische Klänge heimischer Liedermacher - die Liste der linken "Kulturpolitik" ließe sich beliebig fortsetzen. Doch sollte daraus nicht gefolgert werden, die Traditionslinke sollte endlich einsehen, "dass der blinden und uneingestandenen oder unterkomplexen Kulturpolitik der Linken endlich ein der Höhe ihres Anspruchs an sich selbst und an gesellschaftliche Entwürfe entsprechendes Aufmerksamkeitsniveau sich zugesellen müsste. So dass man endlich mit einer Politik anfangen kann, die sich keine Gedanken mehr zu machen braucht um ihr unwissentlich mitgeschlepptes ideologisches Gepäck in Gestalt von ´linker Kultur`" (S. 54).

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Eine so vom ideologischen Ballast befreite, zu sich selbst gekommene Politik braucht sich keine Gedanken mehr darüber zu machen, wie es sich mit dem Verhältnis von warenförmiger Gesellschaft und reklameförmiger Kultur verhält. Beide lassen sich im Konzept der Kulturlinken nicht voneinander unterscheiden. Alles ist Ware. Alles Kultur. Hatte die Kritische Theorie noch ein Bewusstsein davon, dass mit der Reklameform der Kultur nicht das Ende der Geschichte erreicht ist, dass es mit anderen Worten zwar kein richtiges Leben im falschen, dafür aber innerhalb der Kultur, sosehr sie auch Ware ist, den Vorschein einer diese falsche Form der Vergesellschaftung transzendierenden Individualität geben kann, hat sich die Kulturlinke mit ihren begrifflichen Instrumentarium der bestehenden Gesellschaft ganz und gar verschrieben. Voll auf der Höhe der Zeit, ergänzt sie die an allen Orten zu beobachtende Kulturalisierung und verklärt Populärkultur "als Ort von Befreiungskämpfen" (Diederichsen). Und eben darin besteht der affirmative Charakter der Popkultur. Wie jedes Unternehmen, das etwas auf sich hält, sich als Kunstmäzen inszeniert, jede Nation sich als Kulturnation (einschließlich Staatsminister für Kultur) präsentiert, jede regionale oder nationale Kultur in ein multikulturelles Gewand schlüpft, genauso sieht sich eine Linke, die "Politik machen" will, in der postmodernen Politik der Lebensformen dargestellt oder verwirklicht.

Anders als materialistische Kritik, die die kapitalistische Gesellschaft als falsche Allgemeinheit kritisiert und alle Verhältnisse abschaffen will, in denen der Mensch ein geknechtetes und erniedrigtes Wesen ist - Formulierungen, die der Popdiskurs nur noch mit einem höhnischen Lächeln quittiert -, bestreitet die Kritik der Kulturlinken die Existenz jeglicher Allgemeinheit und erklärt sie zur Projektion einer falschen Theorie. Außerhalb gesellschaftserklärender "Großtheorien", womit insbesondere der Marxismus gemeint ist, komme der Allgemeinheit keine Realität zu. Postmoderne Politik hat so auch das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem, zwischen denen Politik traditionellerweise vermitteln möchte, ins Museum verbannt. In seiner sozial-demokratischen Variante drückte sich dieses Verhältnis im Anspruch einer benachteiligten Gruppe oder Klasse aus, ihre besonderen Interessen und Bedürfnisse zum Allgemeinen zu erheben; in der radikal-demokratischen Fassung als die Utopie allgemeiner Freiheit, derzufolge individuelle Freiheit nur möglich ist, wenn die Freiheit aller realisiert ist.(3) Postmoderne Politik der Lebensstile hat demgegenüber die Dialektik von Besonderem und Allgemeinem insofern stillgestellt, als ihr Ziel allein darin besteht, jeder besonderen Gruppe gleichberechtigt ihren Platz im gesellschaftlich Ganzen zuzubilligen. Das Spiel der Differenzen innerhalb der Pluralität der Kämpfe führt aber zur stillschweigenden Preisgabe der Kritik des Kapitalismus als ein globales gesellschaftliches System. Das falsche Ganze wird so als unüberwindbar hingenommen.

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Beim lustvollen Umgang der kulturalisierten Linken mit den "kleinen Unterschieden" werden die großen begrifflich eingeebnet. Ökonomie und Kultur existieren zwar nicht unabhängig voneinander, sind aber gleichwohl mit relativer Autonomie ausgestattete Momente der kapitalistischen Gesellschaft. Als solche sind sie voneinander zu unterscheiden. Mit dem Generalnenner Kultur, einer im postmodernen Denken eigentlich verpönten Universalkategorie, kann diese Differenz jedoch nicht reflektiert werden. Kultur, nicht mehr als in Form und Inhalt die kapitalistische Vergesellschaftung reproduzierend, d.h. als Ideologie begriffen, sondern als diskursive Formation verstanden, entzieht sich einer Kritik, die sich nicht damit zufrieden gibt, das postmoderne Spiel der Differenzen und die Vergnügungen populärkultureller Praktiken zum Maß des Erreichbaren zu erheben.

Anmerkungen:
1Zur Enstehungsgeschichte der cultural studies siehe Dominik Bloedner, Cultural studies - Ein einführender Überblick, in: iz3w 225. Desweiteren das Kapitel Von "Kultur als Lebensweise" zu populären Künsten und ihrem Publikum: Die britischen Cultural Studies, ihre Wanderung in die USA und ihre gegenwärtige Rezeption in Deutschland, in: Christine Resch, Die Schönen Guten Waren, Westfälisches Dampfboot, Münster 1999

2Die Verschmelzung von Kunst und Reklame bestätigt sich heute in jeder Werbepause und wird sinnfällig, wenn im neuen VW-Werk in Dresden eine riesige Glaswand den Verkaufsbereich von der direkt angeschlossenen, betriebseigenen Oper trennt.

3Es geht mir nicht darum, traditionelle Politik gegen postmoderne Postpolitik stark zu machen. Hier ist nicht der Ort, traditionelle Politik einer materialistischen Kritik zu unterziehen.

Zitierte Literatur:

-Max Horkheimer/Th.W. Adorno: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt/M. 1971

-Herbert Marcuse, Über den affirmativen Charakter der Kultur, in: Kultur und Gesellschaft I, S. 56-100

-Th.W.Adorno (a), Kulturkritik und Gesellschaft, in: Prismen, Frankfurt/M. 1987, S. 7-26

-ders. (b), Résumé über Kulturindustrie, in: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, Frankfurt/M., 1967, S. 60-70

-ders. (c), Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens, in: Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt, Göttingen 1991, S. 9-45

-Rainer Winter, Spielräume des Vergnügens und der Interpretation, in: J. Engelmann (Hg.), Die kleinen Unterschiede, S. 35-48

-Dietrich Diederichsen, Schwarze Musik und weiße Hörer, in: Freiheit macht arm, S. 53-96


Martin Janz ist Mitarbeiter im iz3w. Der Artikel erschien zuerst in "blätter des iz3w" September 1999

E-Mail:  iz3w@link-s.cl.sub.de
Internet: http://www.rolf.de/iz3w
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