Die GRÜNEN nach 8 Jahren Afghanistan-Krieg

von Uli Cremer

Als Regierungspartei unterstützten die GRÜNEN die deutsche Beteiligung am Afghanistan-Krieg von 2001 bis 2005. Es begann, als Bundeskanzler Schröder im Herbst 2001 im Bundestag erfolgreich die Vertrauensfrage stellte und so eine Regierungsmehrheit für den OEF-Krieg herbeiführte. Nur wenige GRÜNE Abgeordnete stimmten damals dagegen. Mehr Ablehnung gab es in der Partei. Sogar der BDK-Beschluss 2001, der den OEF-Krieg in Afghanistan prinzipiell unterstützte, griff die in der Partei geäußerten Sorgen um die Entwicklung in Afghanistan auf, die eine große Minderheit der Partei bereits damals zu einer Ablehnung des Kriegseinsatzes und einer Absage an eine militärische Lösung veranlassten.

“Wir haben kritisiert, dass im Krieg eine große Zahl unbeteiligter Zivilisten und zivile Einrichtungen von Bomben und Raketen getroffen wurden. Nicht nur viel zusätzliches Leid, Tod und Zerstörung sind die Folge, sondern auch neuer Hass und Bereitschaft zu Gewalt, die neue politische Probleme schaffen. Eine wirksame Eindämmung terroristischer Gewalt wird dadurch schwieriger. Ein großer Teil der Grünen Partei, Kreis- und Landesverbände, halten dies für falsch und haben dagegen votiert[i].”

Der ISAF-Einsatz fand bei den GRÜNEN größeren Anklang, auch wenn er von Anfang an auf einem Kapitel-VII-Mandat (Kampfeinsatz) beruhte. In den rotgrünen Regierungsjahren wurde auf Initiative Deutschlands der ISAF-Einsatz von Kabul nach und nach auf das ganze Land ausgeweitet und 2003 unter NATO-Kommando gestellt[ii].

Bis 2005 dominierte die Linie “Ohne Enduring Freedom keine ISAF”. Damals verteidigte Winni Nachtwei im Bundestag noch eine Verlängerung des OEF Mandats, denn die Konsequenz eines Endes des Bundestagsmandats für OEF sei „ganz eindeutig und klar: volle Bewegungs- und Anschlagsfreiheit für die Taliban- und andere Terrorgruppen und Zerstörung des UN-mandatierten Stabilisierungsprozesses, [der] schon schwierig genug ist. (..) Ohne Enduring Freedom keine ISAF, Stabilisierungschance für Afghanistan. [iii]

Langsames Abrücken vom Militäreinsatz
Nach dem Ende der Regierungsbeteiligung rückte die GRÜNE Partei insgesamt langsam von dem Militäreinsatz ab: Auf der BDK 2006 in Köln wurde erstmals über eine damals noch in der Öffentlichkeit tabuisierte “Exitstrategie” diskutiert. Das immer weiter wachsende Engagement der Bundeswehr auch im Rahmen von ISAF und die entsprechende Unterstützung durch die Mehrheit der Bundestagsfraktion traf auf zunehmende Kritik, die in einem Sonderparteitag am 15.9.2007 in Göttingen mündete. Zwar bekannte sich die BDK weiter prinzipiell zum ISAF-Einsatz und forderte den jährlichen „Strategiewechsel“. Aber erstmalig empfahl eine BDK den Bundestagsabgeordneten, dem Bundestagsmandat für ISAF (u.a. wegen Integration der Tornados) nicht zuzustimmen – woran sich tatsächlich auch die Mehrheit der Abgeordneten hielt.

Inhaltlich rückte man von OEF ab. Winni Nachtwei sah nunmehr in dem Einsatz "ein Nachwuchsförderprogramm für die Taliban"[iv]. Da auch viele SozialdemokratInnen an OEF herumnörgelten, löste der Bundestag das Problem 2008 elegant: Er verlängerte das OEF-Mandat, sah darin aber keine Stationierung von Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan mehr vor. Insofern ist die 2009er Forderung des GRÜNEN Bundesvorstandes, „eine Verlängerung des Mandats für die Operation Enduring Freedom (OEF) auch weiterhin abzulehnen“ für den Afghanistan-Krieg relativ bedeutungslos und dient mehr als Beruhigungspille für uninformierte Parteimitglieder.

2009 wurde der langsamen Abkehr vom Afghanistan-Krieg jedoch ein Ende gesetzt: Bei der Abstimmung über den AWACS-Einsatz im Juli stimmte die Mehrheit der Bundestagsfraktion wieder mit der Regierung. Und als am 8. September 2009 im Bundestag über den von der Bundeswehr initiierten Luftangriff auf die Tanklastwagen debattiert wurde, stellte sich die Fraktionsspitze klar hinter den ISAF-Einsatz. Jürgen Trittin kritisierte lautstark die miserable Kommunikation des Bundesverteidigungsministers, da man so die Akzeptanz der Bevölkerung für den Einsatz schwerer erreichen würde: „Vertuschen, leugnen und, wenn es gar nicht anders geht, sich für das entschuldigen, was man vorher bestritten hat. Diese Haltung macht die Akzeptanz dieses Einsatzes in der Bevölkerung, in diesem Deutschen Bundestag so unerträglich schwer. Sie sind heute zu einer Belastung für die deutsche Afghanistan-Politik geworden.“ Der Bundeskanzlerin warf er vor: „Sie mussten vor Jahren von uns dazu getrieben werden, endlich einmal unsere Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan zu besuchen. Ehrlich gesagt: Das ist beschämend.“[v]

Die kommende ISAF-Mandatsverlängerung
Im Herbst 2009 geht die zentrale Auseinandersetzung um das ISAF-Mandat, das inzwischen um Tornados, eine schnelle Eingreiftruppe und zuletzt ein AWACS-Mandat angereichert wurde. Wie positionieren sich die GRÜNEN hier?

Ende Oktober berät eine BDK in Rostock über den Afghanistan-Krieg, um den Abgeordneten eine Handlungsanweisung für die ISAF-Abstimmung im Bundestag mit zu geben[vi]. Auf der einen Seite steht dabei die GRÜNE Friedensinitiative (GFI), die den kurzfristigen Abzug der NATO sowie der anderen westlichen Truppen aus Afghanistan für „friedenspolitisch alternativlos“ hält und auf Aktivitäten der Friedensbewegung orientiert. Sie fordert: „Im Herbst 2009 wäre darum die richtige politische Entscheidung, die deutschen Truppen bis Ende des 1. Halbjahres 2010 abzuziehen. Nur ein solch kurzfristiges Abzugsdatum gewährleistet, dass die Bundeswehr an den Kriegshandlungen 2010, die vermutlich wie in den letzten 30 Jahren nach der Schnee­schmelze einsetzen, nicht mehr teilnimmt. Dieses Signal soll die anderen NATO-Staaten […] bewegen, ihre Truppen ebenfalls abzuziehen.“

Dagegen steht ein Antrag des Bundesvorstandes, der klar Kante zeigt und sich zur Fortführung des Afghanistan-Krieges bekennt. In scharfer Form wird ein Sofortabzug  abgelehnt. Das sei ein „Brandbeschleuniger sondergleichen“. Denn: „Ein verantwortlicher Abzug braucht Zeit und eine gründliche Vorbereitung. Das geht nicht in wenigen Monaten.“ Im Jahr 2010 soll „ein ziviler Aufbau- und militärischer Abzugsplan“ entwickelt werden. Wer soll das tun? Nicht die GRÜNEN selbst, sondern die Aufgabe wird an „die internationale Gemeinschaft und ihre afghanischen Bündnispartner“ delegiert. In der „Legislaturperiode 2009 bis 2013“ soll „der schrittweise Abzug der internationalen Truppen in die Wege geleitet werden“. Das ist vollständig kompatibel mit dem McChrystal-Plan, der zunächst einmal eine kräftige Aufstockung der westlichen Truppen in Afghanistan vorsieht, und dem Beschluss des UN-Sicherheitsrats vom 8.10.2009. Dieser verlangt, „dass die ISAF weiter gestärkt werden muss […] und fordert in dieser Hinsicht die Mitgliedstaaten auf, Personal, Ausrüstung und andere Ressourcen zu der ISAF beizutragen“[vii] Mit anderen Worten: Die Truppenstärke von ISAF soll weiter gesteigert werden. Den Löwenanteil werden die USA beisteuern (bis zu 45.000), in Deutschland ist eine Anhebung der Obergrenze auf 7.000 in Gespräch – das wären fast 50% mehr als aktuell. Da der GRÜNE Bundesvorstand keine konkrete Zahl für eine Obergrenze der einsetzbaren Bundeswehr-Soldaten nennt, gleichzeitig diverse positive Bezüge auf die US-Strategie herstellt, kann die neue Bundesregierung bei ihrem ISAF-Antrag im Bundestag (inklusive einer Erhöhung der Obergrenze) mit GRÜNER Unterstützung rechnen. Insofern ist die Abgrenzeritis der GRÜNEN Führung gegenüber der Afghanistan-Politik der Bundesregierung („Militärfixierung der bisherigen Bundesregierung“, FDP als „Wortführerin eines offensiveren militärischen Vorgehens der Bundeswehr“) recht absurd.

Die Forderung nach einem „beherzten Kurswechsel“ in der Afghanistan-Politik sollte die politischen BeobachterInnen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Positionen der GRÜNEN Führung und der Merkel-Bundesregierungen in der Substanz nicht unterscheiden: Ein Abzug aus Afghanistan kommt erst dann in Frage, wenn die Kriegsziele erreicht sind und sich die afghanischen Bündnispartner im Bürgerkrieg allein behaupten können. Wann das der Fall sein wird, ist natürlich völlig unklar. Der Chef des britischen Generalstabs, General Sir David Richards, rechnet beispielsweise mit weiteren 30-40 Jahren Krieg[viii]. Dann wäre es eventuell 2050 so weit, also erst 30 oder 40 ISAF-Abstimmungen im Bundestag später.

Fazit
Der Abschied der GRÜNEN vom Afghanistan-Krieg wird also noch auf sich warten lassen. Der Widerstand ist hier auch besonders groß – vielleicht größer als bei CDU/CSU, FDP oder SPD. 50% der GRÜNEN WählerInnen sind gegen ein Abzug, während die Mehrheit der Bevölkerung bekanntlich dagegen ist.[ix] Gleichzeitig ist die Kriegsunterstützung bei den GRÜNEN ideologisch besonders aufgeladen. Dass die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt werde, spielt in innerparteilichen Debatten kaum eine Rolle. Vielmehr geht es um Mädchenschulen, Menschenrechte, Demokratie und Solidarität mit den Afghanen. Die Einsicht, dass man in Afghanistan nicht „zu Gast bei Freunden“ ist, hat sich bei den GRÜNEN bisher nicht durchgesetzt. Das GRÜNE Afghanistan-Brett ist sehr dick, man wird lange bohren müssen.

 

Anmerkungen
[i] Rostocker BDK-Beschluss von 2001.

[ii] Vergl. Uli Cremer: Neue NATO: die ersten Kriege, Hamburg 2009, S.87ff

[iii] Plenarprotokoll 16/2 Seite 49

[iv] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,499907,00.html – gefunden 15.10.2009

[v] http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Afghanistan/bt-debatte2.ht... – gefunden 15.10.2009

[vi] Die Anträge an die Rostocker BDK 2009 finden sich unter: http://www.gruene-partei.de/cms/default/rubrik/16/16995.antraege.htm - gefunden 15.10.2009

[vii] Resolution 1890(2009); Quelle: http://www.un.org/Depts/german/sr/fs_sr_zwischenseite.html

[viii] “Britain's Afghan role could last "30 to 40 years"”, http://www.reuters.com/article/newsMaps/idUSTRE5765ZQ20090808 - gefunden 12.10.2009

[ix] http://www.tagesschau.de/wahl/umfragen/deutschlandtrend860.html - gefunden 15.10.2009

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Uli Cremer ist Mitgründer der GRÜNEN Friedensinitiative und veröffentlichte 2009 das Buch „Neue NATO: die ersten Kriege“.