Komitee für Grundrechte
und Demokratie



Andreas Buro wird 75


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Andreas Buro wird 75

 

Andreas Buro & die Friedensbewegung

Als Friedensforscher in Bewegung

Mani Stenner & Martin Singe

Wir, die wir diesen kleinen Beitrag schreiben, haben Andreas Buro zu Beginn der "neuen" Friedensbewegung Anfang der 80er Jahre kennengelernt. Zu dieser Zeit hatte Andreas schon eine friedensbewegte Vergangenheit aus Zeiten hinter sich, die wir selbst eher aus dem Geschichtsunterricht denn aus eigener Wahrnehmung kannten: Der Kampf der Friedensbewegung gegen die Wiederbewaffnung und gegen die Atombewaffnung in den 50er Jahren, die Ostermarschbewegung,die Vietnamkriegs-Proteste und die Auseinandersetzungen um die Notstandsgesetze in den 60er Jahren - all das waren für Andreas schon lebensprägende Ereignisse bzw. Bewegungen, die er - wie die Ostermarschbewegung - aktiv mitinitiiert bzw. koordiniert hatte.

Anfang der 80er Jahre gab es nach dem sogenannten NATO-Nachrüstungsbeschluss von 1979 einen neuen Aufschwung der Friedensbewegung gegen den atomaren Rüstungswahn. Um die Proteste zu bündeln und nicht nur lokal, sondern auch bundesweit zum Ausdruck zu bringen, gründeten rund 30 Friedensorganisationen den Koordinierungsausschuss der Friedensbewegung, in dem Andreas Buro das Komitee für Grundrechte und Demokratie vertrat. Er war einer der wenigen Friedensforscher, die sich auf die Niederungen der Bewegung und deren wahrlich oft unerquickliche Debatten einließ, während die meisten Vertreter der Friedensforschung in ihren universitären Elfenbeintürmen sitzen blieben - bis sie schließlich staatskonform aufgesogen wurden. Andreas dagegen ist der anstrengenderen Ebene der Realpolitik von unten treu geblieben und hat dort mit seiner friedensforscherischen Kompetenz inspirierend gewirkt, so auch in besagtem Koordinierungsausschuss. Dieser Ausschuss organisierte u.a. die Bonner Großdemonstrationen 1981, 1982 und 1983 gegen die NATO-"Nachrüstung" mit atomaren Mittelstreckenraketen. Diese wurden trotz allen Protestes und Widerstandes Ende 1983 stationiert: Pershing II in Mutlangen, Neu-Ulm und Heilbronn, Cruise Missiles im Hunsrück. Viele Leserinnen und Leser werden sich an die gewaltfreien Aktionen und Sitzblockaden der Friedensbewegung aus den 80er Jahren gegen A- und C-Waffen erinnern (Mutlangen, Hasselbach, Fischbach), zu deren Gelingen das Grundrechte-Komitee wesentlich beigetragen hat.

Die Planungen und Strategiedebatten im Koordinierungsausschuss der Friedensbewegung waren häufig von hintergründigem parteipolitischen Interessengezänk überschattet; dennoch brachte man immer wieder Kompromisse zustande, die dann von allen getragen und auch umgesetzt wurden. Andreas Buro hat dabei stets ausgleichend und integrierend gewirkt, nicht indem er Gegensätze verschleierte oder verwischte, sondern indem er oft neue, die verkantete Diskussion aufbrechende und über diese hinausreichende Vorschläge in die Debatte brachte. Diese Kompetenz, kontroverse Positionen durch weitergreifende Ideen, in denendie Gegensätze "aufgehoben" werden, zu versöhnen, hat Andreas bis heute gewahrt - und sie wirkt auch in aktuellen friedenspolitischen Debatten immer wieder segensreich.

Verankert an der Basis

Selbstverständlich wirkt Andreas nicht nur auf der friedenspolitischen Debattierebene, sondern ist selbst regelmäßig bei Aktionen vor Ort oder steht in Kommunikation mit kleinen Gruppen aus der Bewegung. Ob es die Demo für Asylrecht in Worms oder die attac-Demo in Köln oder die resist-Demo in Frankfurt ist: Andreas ist selbst vor Ort und demonstriert mit. Ohne dass er sich auf Redelisten drängt, wird er immer wieder sehr gerne als Redner zu solchen Anlässen eingeladen. Selbst bei diesen kundgebungsbedingten asymmetrischen Kommunikationsformen gelingt es ihm meist, die Zuhörenden in kleine Denkbewegungen zu verwickeln. Kein Weg ist ihm zu weit, wenn selbst kleinste Gruppen ihn zu einem Referat zu aktuellen Friedensfragen einladen. Dabei erleben ihn viele nicht als selbstgewiss Dozierenden, sondern als Fragen Stellenden, auf Fragen Hörenden, als eine Person, die im Dialog immer auch selbst Lernender bleiben will. So ist es dieselbe Kommunikationsfähigkeit, die seine aktive Präsenz vom Friedensnetz Hintertaunus bis zum bundesweiten Netzwerk Friedenskooperative auszeichnet.

Visionär-radikal auf dem Grat

Man kann bei Andreas auch von einem vorausschauend-visionären Talent sprechen, das sich allerdings nie von der aktuellen Realität abkoppelt. Diese jedoch stets nur zu negieren - wie auch in friedenspolitischen Parolen oft üblich - "Nieder mit ...!", "Nein zu ...!", "Stopp von ...!" - reicht Andreas nie. Die Entwicklung und Darstellung konkreter politischer Alternativen sind Voraussetzungen, um zukunftsgerichtetes und hoffnungsvolles Engagement auslösen zu können. Die Versuchung zur Resignation angesichts der herrschenden Zustände ist allemal groß, ohne (Real-)Utopien und Visionen wäre sie total. Gegen solche resignativen Tendenzen setzt Andreas unermüdlich seine Vorstellungskraft für das Mögliche. Sein hauptsächliches Thema der letzten Jahre - der Übergang von militärischer zu ziviler Konfliktbearbeitung - veranschaulicht dies am besten. Die Methoden der zivilen, gewaltfreien Konfliktbearbeitung sind von Friedensforschung und Friedensbewegung sehr weit entwickelt und vielfach publiziert worden; sie stoßen inzwischen auch in gesellschaftlichen Kreisen, die über die Kern-Friedensbewegung weit hinausreichen, auf große Zustimmung. Dennoch arbeitet die herrschende Politik kontinuierlich, ja verschärft an den Voraussetzungen für kriegerische Auseinandersetzungen (vgl. US-Rüstungsvorhaben; EU-Militarisierung usw.).

Um der Zukunft in solchen Situationen die Türe offen zu halten, ist die Vorwegnahme von Elementen der Utopie notwendig: indem basispolitisch selbstbestimmt gewaltfreie Friedens- und Konfliktbearbeitungsprojekte in die Wege geleitet werden. Beispiele dafür sind die Unterstützung friedenspolitisch ausgerichteter Gruppen im Jugoslawien-Konflikt, der von Andreas initiierte kurdisch-türkische Dialogkreis, das Kinderfreizeitenprojekt des Komitees, Einsätze des Zivilen Friedensdienstes in Konfliktgebieten, Mediationsprojekte. Die von Andreas mitgegründete "Plattform Zivile Konfliktbearbeitung" versucht, solche Projekte kommunikativ und strategisch miteinander zu verknüpfen, um an der Optimierung von Modellversuchen zu arbeiten.

Natürlich muss Politik "von unten" auf die "von oben" bezogen bleiben, will sie doch langfristig gesellschaftlich umfassend zur Geltung kommen. Andreas Buro nennt diese Kunst, die Eigenständigkeit solcher Projekte und ihrerGrundidee gegenüber Versuchen staatlicher Vereinnahmung und Instrumentalisierung zu bewahren und dennoch die offensive Diskussion und den Streit um die "Besetzung" des politisch-öffentlichen Raumes mit diesen Utopien, eine "Gratwanderung von unten". Kein leichtes Unternehmen - auch wenn der Grat "unten" liegt, gibt es der Absturzmöglichkeiten viele. Aber der Blick auf die noch weitgehend unausgeloteten Chancen macht wache Augen, um rechtzeitig die drohenden Fallstricke zu erkennen und zu umgehen.

Denken und Handeln in Alternativen

Dass zivile Konfliktbearbeitung auch in konkreten gewalttätig eskalierten bzw. kriegerischen Konflikten möglich wäre, hat Andreas Buro mit seinen politisch-analytischen Ausarbeitungen für eine Versöhnung der Gesellschaften in der Türkei/Kurdistan oder auch in seinen alternativen Vorschlägen für eine friedenspolitische Konfliktlösung im sich auflösenden Jugoslawien deutlich gemacht. In frühzeitigen Konfliktstadien werden die Friedensbewegung und auch die kritische Friedensforschung jedoch kaum wahrgenommen - erst wenn das sprichwörtliche Kind in den Brunnen gefallen ist, schreien Politiker und Medien dann wieder lauthals und hämisch "Und wo war/ist die Friedensbewegung?" Die Friedensbewegung lässt sich in solchen eskalierten Situationen nicht einfach als Kriege beendender "deus ex machina" aus dem Hut zaubern. Aber daraus abzuleiten, dass kriegerisch-humanitäre Interventionen auf die aktuelle Tagesordnung gehören - wie es die herrschende Politik aktuell praktiziert -, ist ein Fehlschluss. Solche Politik nämlich hat es von Anfang an unterlassen, rechtzeitig auf sich abzeichnende Konfliktformationen zu reagieren und diese vorausschauend zu bearbeiten.

Entlarvung der "humanitären Intervention"

Andreas Buro ist dem nach Wegfall des Ost-West-Konfliktes - spätestens seit den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien - in Mode gekommenen Motto der "humanitären Intervention" von Anfang an argumentatorisch klar und eindeutig entgegengetreten. Er enlarvte scharfsinnig die Rede von der "humanitären Militärintervention" als einen neuen herrschaftlichen Versuch zur Akzeptanzgewinnung letztlich doch eigeninteressiert vorgenommener Militärinterventionen. Wer solche sogenannten humanitären Militärinterventionen prinzipiell anerkennt, der kann das politische Gewicht nicht mehr auf präventive Friedensarbeit richten, sondern muss sich auf die Bereitstellung militärisch überlegener Mittel konzentrieren. Die im Einzelfall notwendige Rechtfertigung von Militäreinsätzen führt regelmäßig zu Realitätsverlusten und Feindbildkonstruktionen (Schurkenstaaten; Hufeisenplan; 45 Minuten bis zur Bombe usw.). Schließlich gerät die menschenrechtlich notwendige Ziele-Mittel-Relation regelmäßig unter die Räder der intervenierenden Militärmaschine. Dies sind nur einige der Argumente, die Andreas Buro in seinen Plädoyers für einen aktiv-eingreifenden Pazifismus den humanitären Militärintervenierern entgegenhält.

Der Weg ist das Ziel

"Den anderen gewinnen, nicht aber besiegen!" - Unter dieser Überschrift veröffentlichte Andreas Buro einen Beitrag für die Festschrift zu Klaus Vacks 50. Geburtstag. Der Satz wäre zugleich geeignet, das Leitmotiv von Andreas` friedenspolitischem Engagement auszudrücken. Um andere zu gewinnen, sind langwierige und nicht leicht zu initiierende Lernprozesse notwendig. Andreas hat offensichtlich die seltene Begabung, solche Prozesse, die politisch-analytische, utopisch-visionäre und persönlich-lebensgeschichtliche Momente miteinander verknüpfen, bei anderen Menschen anstoßen zu können. Ihm geht es nie um das Auf- und Überstülpen der "reinen Lehre" oder politischer Dogmen. Wenn er von emanzipativen Lernprozessen spricht, meint er genau das Gegenteil von Trichterpädagogik, nämlich selbständiges, autonomes Lernen.

In seinem bereits 1982 veröffentlichten Buch "Zwischen sozialliberalem Zerfall und konservativer Herrschaft - Zur Situation der Friedens- und Protestbewegung in dieser Zeit" kommt Andreas Buro im Schlusskapitel auf den Zusammenhang von positiven Zielen und angemessenen Mitteln zu sprechen. Fertige Rezepturen oder Erfolgsgarantien für friedenspolitisch aktives Handeln kann auch Andreas Buro nicht bieten - außer dem hoffnungsvollen Motto "Der Weg ist das Ziel" oder wie er es im Schlusskapitel des genannten Buches formuliert hat:

"Die richtige Antwort auf die Frage, wie man es denn anstellen könne, ist wohl die aus dem Gedichtmärchen, wo der sterbende Vater seinen Kindern verrät, dass im Weinberg ein Schatz vergraben liege. Sie fragen ungestüm nach dem genauen Platz. Er antwortet lediglich: »Grabt nur danach!« Die Geschichte endet ermutigend. Sie berichtet, die Kinder hätten jahrein, jahraus im Weinberg gegraben - und diesen dadurch fruchtbar gemacht."

éManfred Stenner arbeitete in den 80er Jahren als Sekretär des Koordinierungsausschusses der Friedensbewegung und ist heute Geschäftsführer des Netzwerkes Friedenskooperative



E-Mail: friekoop@bonn.comlink.org
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