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Die europäische Konstitution des Neoliberalismus

Heiner Busch

Noch im Dezember 2003 schien der Verfassungsentwurf des EU-Konvents gescheitert. Die Medien, allen voran die bundesdeutschen, kochten vor Wut über die schlechten Europäer aus Spanien und Polen, die einseitig an nationalen Interessen festhielten, wo doch alle andern nur das Ganze, das ganz neue Europa im Auge hatten.

Inzwischen ist die spanische Regierung unter Aznar gegangen worden - eine Einigung rückte wieder in Aussicht. Die Außenminister verhandeln erneut, nicht über die Inhalte der Verfassung, sondern vorrangig über Verfahren bei Mehrheitsentscheidungen. Am 17. Juni werden die Staats- oder Regierungschefs die Verfassung diskutieren und wahrscheinlich unterschreiben. Danach werden die Parlamente der nun 25 Mitgliedstaaten das Werk ratifizierenund das wars. Wir müssen uns auf die Hinterbeine stellen, um unsere Opposition zu dem so verfassten Europa zur Geltung zu bringen.

Verfassung ohne Demokratie

Seitdem die damalige Europäische Gemeinschaft sich Mitte der 80er Jahre das Ziel gab, den Binnenmarkt zu vollenden", ist das Feld dessen, was heute EU-europäische Politik darstellt, massiv gewachsen. In gerade einmal 15 Jahren erfolgten drei wesentliche Änderungen des grundlegenden EG- bzw. EU-Vertrages: 1987 die Einheitliche Europäische Akte, 1992 der Vertrag von Maastricht und 1997 der von Amsterdam. Die institutionellen Verfahren insbesondere der Gesetzgebung sind kaum mehr überschaubar. Auch angesichts der Erweiterung auf 25 Mitgliedstaaten schien eine Erneuerung unumgänglich.

Die Einsetzung des Konvents über die Zukunft Europas" im Dezember 2001 schien daher die Chance zu bieten, das vielbeschworene Demokratiedefizit" auszugleichen. Schon das Wort Verfassung" enthält ein Versprechen: Es ist historisch verbunden mit Gewaltentrennung, mit Rechtsstaatlichkeit, mit Öffentlichkeit und politischer Teilnahme, mit Demokratie und mit Menschenrechten.

Die Zusammensetzung des Konvents aus nicht gewählten RepräsentantInnen hätte die Erwartungen jedoch begrenzen müssen. Das Gremium hatte eine Überdosis an etablierter Politik: 16 VertreterInnen des Europäischen Parlaments, zwei aus der Kommission. Dazu je drei Personeneine von der Regierung und zwei vom Parlament entsandtaus den Mitgliedstaaten und den Beitrittsländern (sowie der Türkeiletztere nur als BeobachterInnen). Selbst bei den ParlamentarierInnen war damit kaum zu erwarten, dass sie etwas anderes repräsentieren würden als die Mischung aus konservativer und sozialdemokratischer Mitte", ergänzt vielleicht durch ein paar verstreute Liberale. Die Exekutive musste bei dieser staatstragenden Mischung dominieren.

Die Verpackung ...

Beginnen wir mit dem Formalen: Der Entwurf umfasst 466 zum Teil sehr ausführliche Artikel mit unzähligen Verweisen untereinander. Einfach so" kann man diesen Entwurf nicht lesen. Um so weniger, als sich darin unmöglich aufgeblasene, nirgendwo konkretisierte Grundsätze" mit einem genauen, fast technisch-präzisen Handlungsprogramm mischen, das kaum eine Chance auf eine abweichende Gestaltung des politischen Inhalts der EU eröffnet. Nicht in den Grundsätzen" und der zahmen und bedeutungslosen Grundrechte-

Charta, sondern in diesem Handlungsprogramm und im exekutivlastigen Arrangement der Institutionen ist der eigentliche Inhalt der Verfassung auszumachen.

Die wirklich habhaften Grundrechte sind die vier Freiheiten" des Binnenmarktes, deren Formulierung seit 1987, seit der Einheitlichen Europäischen Akte, dem Binnenmarktstatut, die gleiche ist. Es geht um die Bewegungsfreiheit des Kapitals, der Waren, der Dienstleistungen undin eingeschränkter Formder Personen, sprich: der Arbeit, in einem Raum ohne Binnengrenzen. Frei zirkulieren und sich niederlassen können in diesem Raum nur die EU-BürgerInnen. Selbst die neuen aus dem Osten und dem Süden Europas dürfen dieses Recht erst in ein paar Jahren voll in Anspruch nehmen. Wer von außen über die Festungswälle der Union kommen will, zum Arbeiten oder um Schutz vor Verfolgung zu suchen, wird diese Lizenz zur freien Zirkulation nur sehr schwer erlangen können.

... der Inhalt ...

Dass die Binnenmarktpolitik nicht nur nach innen gerichtet ist, auf den Abbau einzelstaatlicher (Handels-)Hemmnisse, die konsequenterweise auch eine fortschreitende Privatisierung noch verbliebener öffentlicher Dienste bedeutet, haben bereits die vergangenen Jahre gezeigt. Der Sinn des Binnenmarktes ist die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt. Vereinheitlichung im Innern und Expansion nach außen haben aber auch Konsequenzen für jene Teile der EU und der Verfassung, die sich als der Anfang einer Staatsgewalt bezeichnen ließen.

Das gilt zunächst für den Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts", eine Floskel, die seit dem Amsterdamer Vertrag die Zusammenarbeit auf (vor allem) asyl- und migrationspolitischem Gebietsowie bei der Grenzsicherung einerseits und der polizeilich-strafrechtlichen und mittlerweile auch geheimdienstlichen Tätigkeit bezeichnet. Einheitliche Standards für Asylverfahren und die diversen Formen minderen und temporären Schutzes vor Verfolgung hatte schon der Amsterdamer Vertrag gefordert. Gleiches gilt für die Bedingungen, sonst legal in die EU hineinzukommen. Diese Regeln sind seit einigen Jahren in der Mache. Neuer ist die Forderung nach einem integrierten Grenzschutzsystem an den Außengrenzen". Anfang dessen ist die grenzpolizeiliche Agentur", für die die Kommission im Jahr 2003 einen Vorschlag präsentiert hat.

Auf der polizeilichen Seite im Innern finden wir hier insbesondere Europol. Nach der Europol-Konvention war dieses Haager Amt zunächst als keineswegs unproblematische Informationssammelstelle geplantein riesiger Datenapparat. Mit dem Amsterdamer Vertrag begannen die Schritte in Richtung einer operativen Zusammenarbeit. Europol soll an Ermittlungen in den Mitgliedstaaten beteiligt werden, hieß es in diversen Entwürfen der letzten Jahre. Die Verfassung" geht darüber hinaus: Europol soll Ermittlungen und operative Maßnahmen durchführen. Ein kleiner, aber sehr wichtiger Unterschied. Eurojust ist erst vor zwei Jahren errichtet worden, jetzt kann" gemäß der Verfassung daraus eine Europäische Staatsanwaltschaft gebastelt werden. Im Straf- und Strafprozessrecht kann" es Angleichungen geben, Mindestnormen, zentraler Grundsatz aber ist die gegenseitige Anerkennung aller richterlichen Entscheidungen. Wenn ein Richter in Spanien festnehmen" sagt, heißt das auch in Deutschland festnehmen". So entsteht zwar nicht ein Raum der Freiheit, aber einer der vermeintlichen Sicherheit und des Sicherheitsrechts.

Die Zielvorgaben in der militarisierten Außenpolitik waren schon im Amsterdamer Vertrag weitgehend enthalten. Sie reichen von humanitären" und Katastrophenhilfeeinsätzen bis hin zuKampfeinsätzen ... einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen". Das alles natürlich auch zur Terrorismusbekämpfung. Aus einer engeren Zusammenarbeit von einigen Mitgliedstaatenauch hierkann", d.h. soll, eine gemeinsame Militärpolitik werden. Dafür müssen auch die rüstungswirtschaftlichen Voraussetzungen geschaffen werden, weshalb die Verfassung diesmal dazu verpflichtet, ein Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten" einzurichten und mit der Industrie zusammenzuarbeiten.

und die institutionellen Verstrebungen der Verfassungskiste

Schon im Normalfall ist das Institutionengerüst der EU exekutiv dominiert. Der Europäische Rat gibt die Linie vor. Die Kommission macht Gesetzgebungsvorschläge, die dann vom Ministerrat und vom Parlament verabschiedet werden müssen. Ein eigenes Vorschlagsrecht hat das Parlament nicht. Es darf nur mitbestimmen. Angesichts der fehlenden EU-Öffentlichkeit, dem Umstand, dass die ParlamentarierInnen in erster Linie VertreterInnen ihrer nationalen Parteien sind und auch von den BürgerInnen einzelstaatlich getrennt gewählt werden (eine Deutsche kann nicht für eine französische Partei stimmen, ein Spanier nicht für eine deutsche), ist dieses Parlament repräsentativ schwach auf der Brust. Kein Vergleich zum Ministerrat oder zur Kommission, die ihren gemeinsamen bürokratischen Interessen folgen können.

Wenn es um die polizeiliche oder militärische Sicherheit geht, istdieser Normalfall außer Kraft gesetzt. Hier beginnen lange Stunden der Exekutive:

In der polizeilichen Inneren Sicherheit unterscheidet die Verfassung zwischen gesetzgeberischen und operativen Aufgaben. Letztere werden schlauerweise einem Ausschuss" des Ministerrates anvertraut, in dem alle zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten" und die einschlägigen Ämter, Einrichtungen und Agenturen" Platz nehmen sollen. Eine Art Schatten-Innenministerium. Das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente werden auf dem Laufenden gehalten". Sie erhalten informatorische Brosamen vom Tische der Herren, zu sagen haben sie nichts. Gleiches gilt übrigens für Gesetze, die das Operative betreffen.

In der militärischen Äußeren Sicherheit ist das Europäische Parlament ganz weg vom Fenster. Hier fasst der Ministerrat bzw. der Europäische Rat all seine Beschlüsse" definitiv alleine. Er stützt sich dabei auf ein Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee" und einen Militärausschuss", beide existieren schon jetzt. Die EU-Exekutive ist hier auch nicht die Kommission, sondern der Außenminister, der wiederum vom Europäischen Rat gewählt wird.

Von all den schönen Kriterien, die eine Verfassung so wünschenswert machen würden, bleibt nichts außer heiße Luft. Der Konvent sah es laut Vorwort als Aufgabe seines Verfassungsentwurfs an, den Bürgern das europäische Projekt und die europäischen Organe näher zu bringen." Wir Bürgerinnen und Bürger sollten uns tatsächlich den Verfassungsentwurf mindestens einmal näher zur Brust und dann schnell wieder davon Abstand nehmen.

(Siehe auch: Die europäische Konstitution des NeoliberalismusFür eine demokratische europäische Verfassungsbewegung; Herausgeber: Komitee für Grundrechte und Demokratie und Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein, ISBN 3-88906-108-7, 140 Seiten, Preis: 10 Euro, zu bestellen bei: Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7-11, 50670 Köln, Tel.: 0221-9726930, info@grundrechtekomitee.de)



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