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Februar 1998


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Komitee für Grundrechte und Demokratie:

"Das Frieden so schön sein kann, habe ich nicht gewußt"

Andreas Buro

Kinderfreizeiten in Ex-Jugoslawien sind wichtige Friedensarbeit

Dies sagte ein 12-jähriger Junge, der an den diesjährigen Ferienfreizeiten für Flüchtlings- und Waisenkinder des Komitees für Grundrechte und Demokratie teilnahm. In diesem Jahr konnten etwa 2.600 Kinder, finanziert über Patenschaften aus Deutschland, an der kroatischen und montenegrinischen Adria-Küste Urlaub von den Lagern und den bitteren Nachkriegsverhält- nissen machen. Seit 1994 organisiert das Komitee solche Freizeiten, an denen sich bisher 7.600 Kinder aus moslemischen, serbischen und kroatischen sowie gemischten Familien beteiligt haben.

Liest man in den Briefen der Kinder an ihre Paten und Patinnen, so kann man ahnen, was der Ferienaufenthalt an Befreiung von niederdrückendem Leben in den Lagern bedeutet, und welche neuen Perspektiven eines freundschaftlichen Lebens über ethnische Grenzen hinweg sich ihnen eröffnen. Einer der ehrenamtlichen Betreuer, Vilim Mergl, gebürtiger Kroate aus Vukovar, der seit 30 Jahren in Deutschland lebt, berichtet: Im letzten Jahr weigerten sich die kroatischen Lehrer noch, mit den Muslimen gemeinsam ans Meer zu fahren, in diesem Jahr sind sie jedoch dabei. Zwar reisten die Gruppen wieder in getrennten Bussen an und wohnten in verschiedenen Pavillons, doch merkten die Jungen beim Fußballspielen schnell, daß es nicht darauf ankommt, wer Kroate oder Moslem ist, sondern wer wie gut zusammenspielt. Ähnlich erging es den Lehrern beim Kartenspiel. In den letzten Tagen gab es sogar gemeinsame Tischrunden beim Spiel und Gespräch. Diese Situation ist zu Hause in Gornji Vakuf noch nicht vorstellbar." Gornji Vakuf wird wegen seiner politischen Verhältnisse oft auch Klein Mostar" genannt. In diesem Jahr waren jedoch sogar der Sohn des muslimischen und die Tochter des kroatischen Ortsvorstehers in der gemeinsamen Freizeit. Werden sich nicht hundertfache Gespräche in den Familien über die Unsinnigkeit der Trennung und Feindschaft der Volksgruppen ergeben?

 zum AnfangKlaus Vack, der Beauftragte des Komitees für die Arbeit im ehemaligen Jugoslawien, faßt seine Erfahrungen in dieser Hinsicht zusammen: Das Ambiente der Kinderfreizeiten ist besonders dazu angetan, daß Kinder gut miteinander auskommen, auch wenn es offizielle Politik und meist auch der Wille der Erwachsenengesellschaft ist, die geschaffenen Feindbilder aufrecht zu erhalten. Trotzdem gehen wir davon aus, daß wenigstens etwas von dem, was wir an friedlichem Beisammensein und an Denkimpulsen in Richtung Gewaltfreiheit den Kindern vermitteln konnten, nicht wieder vollends verloren geht. Wenn die Kinder wieder nach Hause kommen, werden Freundschaften über ethnische Grenzen hinweg in der Tat das Thema Nr. 1 in Familie, Nachbarschaft und in den Schulen sein. In der moslemisch-kroatisch geteilten Stadt z.B. sind von den Kinderfreizeiten so starke Impulse ausgegangen, daß die Hauptstraße, die bislang die Stadt Gornji Vakuf trennte, von immer mehr Menschen von beiden Seiten, also nicht nur von Kindern, kaum mehr respektiert wird."

Bei der Gestaltung der Kinderfreizeiten legte das Komitee größten Wert auf eine enge Zusammenarbeit mit lokalen Friedens- und Menschenrechtsgruppen in Bosnien-Herzegowina, der BR-Jugoslawien und Kroatien. Sie hatten maßgeblichen Einfluß auf die Auswahl der Kinder.

Aus ihren Reihen und ihrem Umfeld kam der größte Teil der BetreuerInnen, so daß diese die Kinder vielfach bereits kannten und gegenseitiges Vertrauen vorhanden war. An den insgesamt 11 Teilfreizeiten war das Komitee nur bei 7 Freizeiten mit jeweils 3-4 deutschen BetreuerInnen vertreten. Unter den BetreuerInnen gab es ein hohes Maß an Professionalität. PädagogInnen, SozialarbeiterInnen, PsychologInnen, SchwimmlehrerInnen und viele Berufe mehr waren vertreten. Wichtig war selbstverständlich die Fähigkeit und Bereitschaft, auf die Nöte und Bedürfnisse der Kinder eingehen zu können. Mit diesem Konzept war das Ziel verbunden, gesellschaftlich wichtige Erwachsene in den Prozeß der Überwindung der nationalistischen Barrieren einzubeziehen. Ferner sollte es eben nicht ein deutsches Projekt" sein, sondern ein gemeinsames Vorhaben, durch das auch die Fähigkeiten innerhalb der früher jugoslawischen Länder gestärkt würde, miteinander in konstruktiven Projekten der Versöhnung umzugehen.

Wie sehr auch die BetreuerInnen durch die Ferienfreizeit bewegt wurden, klang oben schon an.

 zum AnfangPfarrer Hubertus Janssen, der für die Region Limburg-Weilburg die Freizeitvorbereitung organisierte, dort 40.000 DM an Spenden gesammelt hat, und dann die Freizeit mit 400 serbischen Kindern in Bijela/Montenegro mit betreute, berichtet von einem ehemaligen bosnisch-serbischen Soldaten, der sehr engagiert in der Betreuergruppe mitarbeitete. Dieser sagte von sich selbst: Bei meinem Abschied aus der serbischen Armee und mit der Aufnahme des Psychologiestudiums ... bin ich in eine ganz andere Welt eingetreten, mit allen persönlichen Konflikten, die ich mitgebracht habe. In dieser Hilfsgruppe Zdravo da ste" (Es soll Euch gut gehen) habe ich dann entdeckt, wie man völlig anders miteinander und mit den Menschen und Konflikten umgehen kann. Die Arbeit mit den Kindern hat mir geholfen, auch viel von mir selbst zu verstehen. Ich arbeite mit Kindern, aber die arbeiten auch mit mir. Dieser Krieg gehört zu meiner persönlichen Vergangenheit, die ich nicht verdrängen will, womit ich und meine Landsleute leben müssen. Jetzt haben wir die Aufgabe, daran zu arbeiten und die richtige Schlußfolgerung zu ziehen und etwas Neues aufzubauen. Die Arbeit mit den Kindern gibt die Energie, daran zu arbeiten."

Die Freizeit in Bijela mit vornehmlich serbischen Kindern und BetreuerInnen aus der Region Banja Luka und aus den Flüchtlingslagern der BR-Jugoslawien zeigt fast alle typischen Merkmale dieser Freizeiten. Boris Frentzel, ein Student aus Michelstadt, veranstaltet seine Jonglier-Werkstatt. Wilfried Kerntke, Konflikberater aus Offenbach, Sandra Hickstein aus Berlin und die BetreuerInnen der Friedensinitiative von Zdravo da ste" stiften an zu Schiffsausflügen, Kinderolympiaden, Schwimmunterricht, Kinderdiscos und immer wieder zu workshops zur psychosozialen Stärkung der Kinder durch Malen, Spielen und gemeinsames Gespräch.

Im Detail schildert Helga Dieter, die mit Meg und Stefanie aus Neuseeland und zweimal 20 BetreuerInnen 2 Ferienfreizeiten mit Kindern aus Tuzla und Umgebung betreute, die Vielfalt der Aktivitäten für die Kinder. Wichtig war, daß diese ganz selbstbestimmt im Rahmen des vereinbarten Tagesablaufes ihre Kurse und Aktivitäten wählen konnten: Die Wahl solcher Kurse aus einer breiten Palette durch die Kinder ist in einem Erziehungssystem neu, das traditionell eher auf repetitives Lernen abgestellt ist und auch bei bestem Willen und Engagement nicht über das Material, das zu kreativem Lernen erforderlich ist, verfügt. Dies war auch für die LehrerInnen neu und herausfordernd." Die Ernsthaftigkeit mit der die Kinder ihre Wahl diskutierten und schließlich trafen, aber auch wieder korrigierten, mußte als ein riesiger Schritt zur Selb- ständigkeit verstanden werden.

Helga Dieter berichtet über einen Rundgang durch die Kurse: Auf der zentralen Terrasse spielte Dzeneta Klavier, ein kleiner Chor umringte sie und studierte Lieder ein. Eine Gruppe bastelte mit Sanela üppige Blüten aus Kreppapier. Am Tisch davor lernten einige Kinder, sie waren in der Regel zwischen 12 und 14 Jahren alt, von Alisa, Wasserfarben zu mischen. In der Ecke stopften Mädchen mit Leila Stoffreste in die Einzelteile von Puppen. Samir und Alma schnitten Kostüme zu, die dann von den künftigen Piraten angemalt wurden. Aid und Almasa spielten mit den Kindern Gesellschaftsspiele. Meg aus Neuseeland verständigte sich prächtig beim Knüpfen von Freundschaftsbändchen, wobei ihre Schülerinnen diese Kunst zum Teil besser beherrschten als die Lehrerin. Ihre Mutter Stefanie saß mit einer Gruppe auf den Steinen hinter der Bar und spielte Memory in englisch. Im Stockwerk darüber wurden Rock`n Roll Figuren in Zeitlupe geübt.

 zum Anfang 1,2,Step"-Namik ist bosnischer Meister dieser Disziplin. In der Theatergruppe wurde ich mit ausladenden Gesten von Drazenko, einem Schauspieler aus Tuzla und seinen gelehrigen SchülerInnen begrüßt. Am Strand buddelten Kinder mit Edina unter den Steinen nach Muscheln, mit denen später Schmuckkästchen verziert werden sollten. Unter den Bäumen jonglierten Kinder mit Boris und Annette. Jungen spielten mit Enis Fußball, während sich für Volleyball nur Mädchen interessierten, die Ismet anleitete. Nur Lubica habe ich bei ihrer Arbeit nicht gestört.

Als Kindertherapeutin wollte sie mit einer kleinen Gruppe sprechen und spielen." Wie Hubertus Janssen findet auch Helga Dieter in ihrem Wohnbereich in Frankfurt-Rödelheim die Unterstützung einer Bürger- und Stadtteilinitiative. Diese hatte erreicht, daß Rödelheim eine Stadtteilpartnerschaft zu Tuzla-Simin-Han zu entwickeln versucht, einem Vorort, der zu 95% von Flüchtlingen, meist aus Zvornik und Srebrenica, bewohnt wird. In Rödelheim waren 100 Patenschaften, also 25.000 DM gesammelt worden. Helga war so in der Freizeit gleichzeitig das Bindeglied zwischen dem Komitee, dessen Arbeitsausschuß sie angehört, und Tuzla. Dort ist nämlich die Mutterorganisation" der Rödelheimer Initiative Amica e.V." (Hilfe für Frauen im Krieg, Tuzla und Freiburg) mit einem friedenspolitischen Projekt angesiedelt. Dieses Beispiel zeigt bereits die vielfältigen Aktivitäten, die von Friedens- und Menschenrechtsbewegungen in Deutschland, aber auch von vielen ähnlichen Gruppierungen in ganz Europa und darüber hinaus ausgehen. Kenner dieser Szene sind immer wieder erstaunt, daß in dieser enormen Vielfalt von Initiativen der zivilen Konfliktbearbeitung"doch eine so gute Zusammenarbeit angesichts der sehr unterschiedlichen Situationen und Voraussetzungen möglich ist. Freilich haben viele der helfenden Gruppierungen durch ihr jahrelanges Engagement eine reiche Erfahrung gewonnen.

Dies gilt auch ganz besonders für das Komitee für Grundrechte und Demokratie, das seit 1991 mit lokalen Friedens- und Menschenrechtsgruppen im ehemaligen Jugoslawien sich gegen den Krieg verbündet hat. Es hat in dieser Zeit friedenspolitische, humanitäre und menschenrechtliche Unterstützung im Rahmen dieser Kooperation geleistet. Der materielle Wert dieser Hilfe beträgt, wie gerade Klaus und Hanne Vack auf der jüngsten Arbeitsausschußsitzung des Komitees mitteilten, die für das Komitee riesige Summe von 12,3 Millionen DM. Sie alle wurden aus Spenden für die jeweiligen Arbeitsprojekte aufgebracht.

 zum AnfangAuf dieser Sitzung des Komitee-Arbeitsausschusses wurde allen in den Freizeiten Engagierten, insbesondere aber Klaus und Hanne Vack für ihre großartige bisherige Arbeit im ehemaligen Jugoslawien gedankt. Hanne und Klaus können diese Arbeit, die sie bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit getragen haben, in dieser Weise nicht fortsetzen. Das Komitee will jedoch seine Arbeit in angemessenen und in den ihm möglichen Formen und Projekten weiterführen und darüber im November schwerpunktmäßig beraten. Es erhofft sich weiterhin die große Unterstüt- zung der Menschen in Deutschland, die bisher so viel beigetragen haben, um solche Projekte wie beispielsweise die Ferienfreizeiten für die vom Krieg getroffenen Kinder zu ermöglichen.

Bei seiner zukünftigen Arbeit wird das Komitee sicher an der Triade der Aufgaben - friedens- politisch, humanitär und menschenrechtlich - festhalten und versuchen, weiterhin in allen Landesteilen zu arbeiten. Die Begründung hat Wilfried Kerntke, einer der Betreuer während der Freizeit in seinem Bericht auf den Punkt gebracht: Die humanitäre Hilfe des Komitees für Grundrechte und Demokratie bedeutet eine dramatische Grenzüberschreitung, eine hinüberge- reichte Hand. Jeder einzelne Hilfswillige, der hierher kommt, jede mit Anstand übergebene Hilfeleistung bestätigt das Existenzrecht der Menschen hier und stärkt ihre Souveränität - auch gegenüber der eigenen Regierung. Die humanitäre Gleichbehandlung der Flüchtlinge aus allen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens durch das Komitee ist ein politischer Akt ersten Ranges und von hoher Bedeutung für die Versöhnung der verschiedenen Ethnien dort." Das aber ist die wichtigste Voraussetzung für einen Prozeß, der zu dauerhaftem Frieden und erneuter Zu- sammenarbeit in der Region führen soll.

(Nach Berichten der Betreuer am 16.9.1997 zusammengestellt von Andreas Buro )

Hinweise auf einschlägige Schriften des Komitees für Grundrechte und Demokratie

1 Kleiner Einblick - Kinderfreizeiten in Ex-Jugoslawien: Ferien vom Krieg" (Sommer 1997), Sensbachtal 1997, Einzelex. 3,- DM, 10 Ex. 15,- DM

2 Buro, Andreas: Totgesagte leben länger: Die Friedensbewegung. Von der Ost-West-Konfrontation zur zivilen Konfliktbearbeitung, Idstein 1997, ISBN 3-929522-42-X, 24,00 DM

3 Jahrbuch 1996/97 des Komitees für Grundrechte und Demokratie, Sensbachtal 1997, 30,- DM

Alle bestellbar gegen Vorkasse (Scheck, bar, Briefmarken): Komitee für Grundrechte und Demokratie, An der Gasse 1, 64759 Sensbachtal.

E-Mail:   Grundrechtekomitee@t-online.de
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