25 Jahre Tschernobyl

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24.04.2011


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25 Jahre Tschernobyl

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Beitrag zur Kundgebung "25 Jahre Tschernobyl. AKWs endlich abschalten" in Brunsbüttel am 25. April 2011 (Ostermontag)

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

Jürgen F. Bollmann (in Brunsbüttel)



- Sperrfrist, 26. April 2011, 14 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -



wir feiern das Osterfest, das Fest des Lebens. Die Christinnen und Christen machen sich lustig über den Tod. Doch wir nehmen ihn nicht auf die leichte Schulter. Das Leben feiert seinen Triumph über den Tod, weil es einen starken Verbündeten hat: den Schöpfer der Welt selbst. Wer sich also auf den Weg des Todes begibt, wird es mit ihm zu tun bekommen. Er hat dem Tod die Macht genommen. Seitdem lassen wir uns nicht mehr schrecken mit Szenarien des Untergangs. Wir sind beseelt von der Hoffnung der Auferstehung, aus der die Kraft zum Leben kommt - auch angesichts so furchtbarer Zerstörungen wie wir sie seit 6 Wochen in Japan erleben und wie wir sie in Tschernobyl vor 25 Jahren, am 26. April 1986, erleben mussten.



Liebe Freundinnen und Freunde des Lebens,

wir sind am letzten Tag der Ostermärsche hier in Brunsbüttel versammelt, weil wir wissen, dass es unseres lebendigen Einsatzes bedarf, wenn im Jahr der Katastrophe von Fukushima und 25 Jahre nach dem GAU von Tschernobyl die Atomkraftwerke endlich abgeschaltet werden sollen. Und sie sollen abgeschaltet werden, weil es kaum noch jemanden gibt, der ernsthaft die Verantwortung dafür übernehmen will, wenn, aufgrund welcher Ereignisse auch immer, erneut ein AKW außer Kontrolle gerät und das Leben und die Perspektive Zigtausender zerstört. Auch unsere vielbeschworene Risikogesellschaft ist nicht länger bereit, mit dem Risiko AKW zu leben, genauso wenig will sie weiter mit der Bedrohung durch die Atomwaffen umgehen müssen.

Es geht dabei nicht darum, dass wir künstlich Angst schüren, wie mir kürzlich vorgehalten wurde. Wir nehmen aber die greifbare Angst an uns selbst und bei den anderen wahr. Wenn mir mein japanischer Freund aus Tokyo schreibt, dass sie derzeit nicht wissen, wie sie sich bei den zahlreichen Nachbeben richtig verhalten: vor die Tür gehen, damit ihnen das Dach nicht auf den Kopf fallen kann, oder doch lieber im Haus bleiben, damit sie nicht so direkt vom atomaren Fallout getroffen werden, dann ist das Angst, wie sie nur Menschen wirklich erleben können. Und mit dem Geschenk des Lebens sollten wir so umgehen, dass wir es zum Lobe unseres Schöpfers einsetzen.

Wir stehen hier am Zaun des abgeschalteten AKW Brunsbüttel. Unser Protest an diesem Ort wie an den anderen Standorten der deutschen AKWs hat eine lange Tradition. Genauer genommen: er speist sich aus verschiedenen Traditionen in der deutschen und europäischen Geschichte. Als wir 1981 die Geschichte des Hamburger Widerstands gegen den Bau von Atomkraftwerken aufschreiben wollten, wählten wir die Selbstbezeichnung Christoph Blumhardts für die in der Arbeiterbewegung des Endes des 19. Jahrhunderts engagierten Christen als Buchtitel: Wir sind Protestleute gegen den Tod.

Unser Protest steht in einer geschichtlichen Reihe. Den Vorfahren, die sich für das Leben eingesetzt haben, fühlen wir uns verbunden. Wir wissen, dass wir einen langen Atem benötigen. Aber diesen langen Atem haben wir auch. Und wir werden nicht eher ruhen, bis unsere Energieversorgung so umgestellt ist, wie es die kirchlichen Synoden seit 25 Jahren fordern: sauber von Atomtechnologie und das Klima schonend. Dies sind wir unseren Vorfahren, die uns ihre Verantwortung für das Leben weitergegeben haben, und unseren Nachkommen, denen wir unsererseits das Leben weitergeben, schuldig. Nicht nur ihnen gegenüber aber, sondern auch den inzwischen zu beklagenden Opfern von Harrisburg (1979) und Fukushima, deren Zahl noch gar nicht genannt werden kann, fühlen wir uns in der Pflicht. Es ist alles zu unterlassen, was neue Opfer dieser "Restrisiko-Technologie" schaffen könnte.

Das von der Bundesregierung verhängte Moratorium läuft schon in wenigen Wochen ab. Die von ihr eingesetzte Ethik-Kommission hat sich in der ethischen Bewertung der sogenannten Brückentechnologie nicht einigen können. Erleben wir nun eine Neuauflage der Reaktionen von 1979 und 1986, als das ganze Volk aufgeregt und verängstigt war und führende Politiker die schon damals überfällige Energiewende versprachen? Über zehn Jahre hatte es gedauert, bis der Ausstieg aus der Atomtechnologie vertraglich mit dem sogenannten Atomkonsens im Jahre 2000 geregelt war. Doch keine zehn Jahre später erlebten wir - die Synoden der evangelischen Kirchen und nicht nur sie waren konsterniert - die Rolle rückwärts. Inzwischen sind es nur noch die Ewiggestrigen, die an der "Restrisiko-Technologie" festhalten. Doch diejenigen, die ihren Fehler, der gerade zwei Jahre zurückliegt, einsehen, schrecken vor angeblich zu hohen Kosten des sofortigen Ausstiegs zurück. Die Kosten eines Fukushima oder Harisburg bei uns in Europa hat noch niemand ermitteln wollen oder können. Dennoch werden sie offensichtlich eher hingenommen. Wer weiß denn schon, wie unser Tanz auf dem Vulkan ausgeht? Von Japan kommt die Kunde, dass die Experten noch länger als ein halbes Jahr damit beschäftigt sein werden, die entfesselte Atomkraft einzufangen. Welche finanziellen und sozialen Kosten werden am Ende die Menschen in Japan tragen müssen?

Hier am Zaun des AKW Brunsbüttel fordern wir, dass dieses Werk nicht wieder ans Netz geht. An den anderen Atommeilern der Republik fordern unsere Geschwister das gleiche. Wir sind getragen von der Vision des österlichen Lebens. Wir wissen in aller Gelassenheit, dass sich unsere Hoffnung auf das Leben, das frei ist von Atomenergie und Atomwaffen, am Ende durchsetzt. Warum also nicht heute schon beginnen, die AKWs einzupacken?!

Ich danke für Ihre und Eure Aufmerksamkeit.



Jürgen F. Bollmann ist Propst und ständiger bischöflicher Stellvertreter im Sprengel Hamburg und Lübeck.

E-Mail: JF (Punkt) Bollmann (at) Kirche-Hamburg-Ost (Punkt) de

Website: www.nordelbien.de
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