25 Jahre Tschernobyl

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24.04.2011


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25 Jahre Tschernobyl

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Redebeitrag für die Demonstration am AKW Bilblis am 25. April 2011

Zeitbombe Atomenergie

Regina Hagen (in Biblis)



- Es gilt das gesprochene Wort -

- Sperrfrist: 25. April, Redebeginn: ca 13 Uhr -



hibakusha - [Wiederholung in japanischen Schriftzeichen] -, das ist das japanische Wort für die »Opfer der Atombombe[n]« von Hiroshima und Nagasaki. Die hibakusha waren im August 1945 neben der Hitze, der Druckwelle und dem hellen Blitz vor allem der radioaktiven Strahlung ausgesetzt. Die Überlebenden leiden bis heute an den Folgen.

Fast 66 Jahre später rückt in Japan eine zweite Übersetzung in den Blick. hibakusha - [Wiederholung in japanischen Schriftzeichen] -, das heißt auch »strahlenverseuchte Person«. Die hibakusha von heute sind die Opfer der Atomkatastrophe von Fukushima, die sich vor unseren Augen weiter entfaltet und sich Monate, Jahre, Jahrzehnte auswirken wird.

Das Erdbeben im Meer vor Sendai am 11. März und der nachfolgende Tsunami haben weite Landstriche Japans vollständig zerstört. Dort sieht es ähnlich aus wie in Hiroshima und Nagasaki nach dem Abwurf der Atombomben. Jetzt kommt zu der Zerstörung Tag für Tag mehr Strahlung dazu und breitet sich immer weiter aus. Wir wissen, dass wie in Tschernobyl auch in Japan unzählige Menschen unvorstellbar lange Zeit an den Folgen der Strahlung leiden werden.

Nuclear Power Powers the Bomb

Atomenergie und Atomwaffen haben aber mehr gemein als die Strahlung: Sie basieren auf der gleichen nuklearen Kette.

Zum 25. Jahrestag von Tschernobyl schrieben kürzlich neun TrägerInnen des Nobelpreises für Frieden - sechs Frauen und drei Männer -die Staats- und Regierungschefs der 31 Staaten an, in denen nukleare Leistungsreaktoren betrieben werden oder entsprechende Pläne bestehen.

Sie schreiben: "Die Befürworter von Atomenergie müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass Programme zur Erzeugung von Atomenergie die Zutaten liefern, die für den Bau von Atomwaffen benötigt werden." i Und sie weisen darauf hin, dass es im Konflikt um das Atomprogramm im Iran genau um diesen Zusammenhang geht.

Die internationale Ärzteorganisation IPPNW fand für diese Ambivalenz von Atomtechnologie bereits vor Jahren einen trefflichen Spruch: "Nuclear Power Powers the Bomb!" Oder auf Deutsch: Atomenergie und Atomwaffen, das sind zwei Seiten der selben Medaille.

Die nukleare Kette

Der Weg zu Atomstrom und zur Atombombe beginnt am selben Ort: in der Uranmine. Schon beim Schürfen des Erzes, das Uran enthält, werden die Bergleute, die Anwohner der Mine und die Umwelt verseucht und verstrahlt. In Deutschland wurden die Uranbergwerke geschlossen, und die Umwelt wird mit Milliardenaufwand saniert. Jetzt kommt das Uran für die deutschen AKWs aus dem Ausland, aus dem Niger zum Beispiel, aus Australien oder Kanada. Dort liegen die Uranminen meist auf indigenem Land. Ist das Leben der Indigenen weniger wert sei als das Leben der Menschen in Gera? Das ist eine Schande und schon für sich ein Grund, die Nutzung von Atomenergie zu stoppen!

Zahlreiche Schritte sind nötig, um das Uran nutzbar zu machen. Alle hinterlassen Berge und Seen strahlenden und giftigen Mülls.

Einer der Schritte ist die Anreicherung. Dabei wird Uran für die Brennelemente gewonnen - oder für den Bombenbau. Der Unterschied liegt nicht in der Technik, sondern nur im Tun. Machen wir uns nichts vor: Urananreicherung wurde nicht ersonnen, um uns mit Strom zu beliefern, sondern um an das Material für die Bombe zu kommen.

Folglich muss eine Forderung von uns sein: Deutsche Urananreicherung stoppen! Die Urananreicherungsanlage in Gronau muss ebenso wie die AKWs stillgelegt werden!

Dafür gibt es einen weiteren Grund: Als Abfallsprodukt der Anreicherung fällt abgereichertes Uran an, das »Depleted Uranium«. Dabei handelt es sich um giftigen und strahlenden Müll, der ebenfalls Mensch und Umwelt verseucht. Das Material taugt nicht für die Atombombe, das Militär hat aber dennoch einen Einsatzzweck entdeckt: Man kann damit panzer- und bunkerbrechende Urangeschosse herstellen, wie sie im Irak und in Jugoslawien eingesetzt wurden. Jetzt wird über den Einsatz dieser Waffen im Libyenkrieg spekuliert.

Deutschland hat sich der Teilnahme an dem NATO-Krieg in Libyen verweigert. Und das ist gut so! Deutschland muss von seinen NATO-Partnern aber auch fordern, die Produktion und den Einsatz von Uranmunition sofort zu stoppen. Uranwaffen gehören geächtet - wie die Atomwaffen auch!

Mit dem Uran ist die nukleare Kette noch nicht beendet. Nach der Stromproduktion können abgebrannte und hoch verstrahlte Brennelemente in »Wiederaufarbeitungsanlagen« gebracht werden. Dort wird noch verwertbares Uran abgetrennt - und Plutonium. Plutonium ist kein natürlicher Stoff, er entsteht erst durch die Bestrahlung der Brennelemente im Atomreaktor. Plutonium aber ist neben Uran der zweite Stoff für die Bombe.

Abschalten.

Der Philosoph Hans Jonas prägte vor über dreißig Jahren in seinem Buch »Das Prinzip Verantwortung« den so genannten ökologischen Imperativ. Der geht wie folgt: "Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden." Ich interpretiere den Satz so: Wir dürfen keine Technologie einsetzen, die Schaden anrichtet, den wir in Zeit und Raum nicht eindämmen können. Tschernobyl und Fukushima zeigen aber, dass wir mit Atomtechnologie genau das tun.

Zwischen Karfreitag und Ostermontag finden in ganz Deutschland die Ostermärsche statt. Auf vielen Ostermarsch-Kundgebungen wurde und wird dieses Jahr auch die Atomenergie thematisiert. Was uns hier in Biblis mit den Kundgebungen an den anderen AKWs und mit den Ostermärschen in Dutzenden Städten verbindet, ist unser gemeinsamer Ruf nach der Stillegung aller Atomanlagen: Abschalten, abschalten, abschalten!

. und abschaffen!

Einmischen müssen wir uns aber nicht nur beim Thema Atomausstieg, sondern auch bei der Abrüstung von Atomwaffen. Zwanzig davon lagern noch in Deutschland, auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel. Das ist Teil der »nuklearen Teilhabe« der NATO. Vergessen wir nicht: Die NATO hat vergangenen November, 20 Jahre nach dem Ende des Kalten Kriegs, in ihrem Strategischen Konzept verkündet: "Die NATO wird ein nukleares Bündnis bleiben, solange es Kernwaffen in der Welt gibt."iii In unserem Namen beschloss die NATO das nicht! Wir fordern den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland und den anderen europäischen Ländern! Wir fordern ein Ende der nuklearen Teilhabe in der NATO! Wir fordern aktive Schritte der Bundesregierung zur nuklearen Abrüstung!

Vergangenes Jahr im März hat der Bundestag, und zwar mit den Stimmen der Koalition, einen Beschluss gefasst. Darin fordern die Abgeordneten unsere Regierung auf, sich "gegenüber den amerikanischen Verbündeten mit Nachdruck für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen". Ja, das fordern wir auch! Wir stimmen den Abgeordneten außerdem zu, wenn sie die Bundesregierung auffordern, sich an der "Diskussion über den Vorschlag für eine Nuklearwaffenkonvention zur Ächtung der Atomwaffen" zu beteiligen.iv

Deutschland kann Vorbild sein. Mehr: Deutschland muss Vorbild sein! Deutschland ist im politischen Weltkonzert eine wichtige Stimme, andere Länder schauen auf uns. Werden wir uns unserer Verantwortung gerecht: Steigen wir aus der Atomenergie aus - und aus unserer Mitwirkung an jeglicher Planung für einen Atomkrieg auch! Der große Friedensnobelpreisträger Joseph Rotblat, der für nukleare Abrüstung kämpfte, bis er mit 97 Jahren starb, schloss seine Reden immer mit dem Satz: "Remember your humanity!"

Vergesst Eure Menschlichkeit nicht - das soll uns Verpflichtung sein, heute, 25 Jahre nach Tschernobyl, in der siebten Woche der Fukushima-Katastrophe und in unserem weiteren Kampf gegen Atomenergie und Atomrüstung.

Abschalten und abschaffen!



Regina Hagen ist Atomwaffenexpertin. Vita siehe hier.

E-Mail: regina (Punkt) hagen (at) jugendstil (Punkt) da (Punkt) shuttle (Punkt) de
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