25 Jahre Tschernobyl

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24.04.2011


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25 Jahre Tschernobyl

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Redebeitrag für die Demonstration am AKW Eesenshamm am 25. April 2011

Liebe Freundinnen und Freunde,

Christoph Bautz (Eseneshamm)



- Es gilt das gesprochene Wort -

- Sperrfrist: 25. April, Redebeginn: ca 13 Uhr -



"Wenn wir ohne Atomstrom auskommen wollen, werden wir unseren Lebensstandard und unsere Arbeitssituation in Deutschland nicht halten können." Diese dumm dreiste Warnung hat sich Volker Kauder, Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag nicht vor Fukushima, irgendwann in der Atomdebatte letzten Jahre verstreut. Sie ist genau zwei Wochen alt.

Es ist genau diese ideologische Verblendung. Es sind genau diese Scheuklappen, warum wir heute - fast 25 Jahre nach Tschernobyl - immer noch und schon wieder gegen diesen Wahnsinn auf die Straße gehen. Und von Schwarz-Gelb verlangen: Steigt endlich aus! Schaltet endlich ab! Sofort und endgültig!

Die Berichte und Bilder aus Japan schockieren. Die schleppende Erweiterung der Sperrzone. Die Skrupellosigkeit, mit der japanische Spitzenpolitiker kamerawirksam in kontaminierte Erdbeeren und Tomaten aus der Region Fukushima beißen - und die Bevölkerung auch noch auffordern, verstrahltes Obst und Gemüse zu essen. Die Unfähigkeit der Regierung und des Betreibers Tepco der Lage Herr zu werden. Und der schlimme Verdacht, dass das eigentliche Ausmaß der Katastrophe immer noch verschwiegen, vertuscht und herunter gespielt wird.

All das erinnert mich, erinnert sicherlich auch viele von Euch, an Tschernobyl. Und mir geht immer wieder die Frage durch den Kopf: Warum?

Warum wieder?

Warum wurden in den letzten 25 Jahre keine ausreichenden Konsequenzen gezogen?

Warum setzen uns Atomkonzerne und Regierungen rund um die Welt immer noch diesem tödlichen Risiko aus?

Die Antwort auf diese Frage, die empört, die macht wütend. Wir sind stinksauer auf die Regierung Merkel, die mit den Stromkonzernen einen Atom-Deal aushandelte, der uns 30 oder 40 weitere Jahre dem tagtäglichen tödlichen Risiko aussetzt. Wir sind wütend auf eine Regierung der Konzerne, für die die Profite der Atomkonzerne alles und die Sicherheit der Bevölkerung rein gar nichts zählte.

"Fukushima ist eine Zäsur in der technisierten Welt", verkündete die Kanzlerin angesicht der Bilder der explodierenden Reaktoren und ließ sieben Reaktoren für drei Monate abschalten. "Wir haben verstanden!" verkündete Guido Westerwelle nach unserem Protest der 250.000 und dem Paukenschlag der Landtagswahlen.

Doch um so weniger der Fokus der Medien auf Fukushima liegt, umso mehr beginnen etliche Koalitionäre zurückzurudern. Da ihnen die Argumente fehlen, versuchen sie es mit dem Schüren von Ängsten.

"AKWs ausschalten macht uns abhängig von viel gefährlicherem importierten Atomstrom aus Frankreich und Tschechien, aus Fessenheim, Cattenon und Temelin."

Selbst Pinocchio würde sich für solche Äußerungen schämen. Es sind doch die vier großen Atomkonzerne, die entscheiden, Atomstrom im Ausland einzukaufen. Die hiesigen Kraftwerkskapazitäten reichen selbst zu Hauptverbrauchszeiten, um den unseren Strombedarf komplett zu decken, wenn wie derzeit acht Reaktoren abgeschaltet sind. Und selbst der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung belegt, dass auch die anderen Kraftwerke schrittweise bis 2015 komplett abgeschaltet werden können, ohne dass es Atomstromimporte braucht.

Die Stromlücke, die bei einem Ausstieg nur durch Atomstromimporte gefüllt werden kann, diese Stromlücke, die ist eine Stromlüge! Die Regierung macht gerade für 3 Monate vor, dass man abschalten kann. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass sie es auch endgültig macht!

"AKWs ausschalten lässt den Strompreis explodieren!"

Ja in der Tat, Atomkraftwerke stellen Strom billig her. Aber er kommt nicht billig bei uns an. 2 bis 3 Cent pro KWH kostet der Atomstrom die Konzerne in der Erzeugung - aber sie geben den Strom für 5 bis 6 Cent pro KWH ab. Kein Wunder, dass jedes betriebene AKW den Betreibern täglich 1 Million Euro Gewinn in die Kasse spült. Und das ist auch der Grund, warum das von Schwarz-Gelb selbst in Auftrag gegebene Szenarien-Gutachten zur Laufzeitverlängerung im letzten Herbst zu dem Schluss kam, dass bei einem raschen Atomausstieg die Preise kaum steigen werden.

Eins ist klar: Wenn die Haftung für Atomunfälle eingepreist wäre, wenn die Entsorgung Jahrmillionen Jahre strahlenden Atommülls eingepreist wäre, wenn der Rückbau der Anlagen eingepreist wäre und die hierfür vorgesehenen Rücklagen besteuert würden - dann, ja dann wäre Atomstrom nicht billig, sondern unbezahlbar! Wir sind nicht länger bereit, Euren Atomstrom zu subventionieren! Unsere Ansage an die Konzerne ist: Wir dulden nicht länger, dass Ihr für Milliardenprofite mit unserer Sicherheit, unserer Gesundheit, unserem Leben spielt! Euer tödliches Spiel ist ausgespielt!

"AKWs ausschalten hängt uns international ab." Hier schlägt Münchhausen Purzelbäume. Das Gegenteil ist doch der Fall: Der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke droht unsere Vorreiterstellung bei den EE zunichte zu machen. Atomstrom verstopft die Netze und blockiert den weiteren Ausbau der Erneuerbaren. Atomkraft, ist keine Brücken-, Atomkraft ist eine Blockadetechnologie!

Wenn wir jetzt einige Milliarden mehr in EE, in bessere Netze, in Gebäudesanierung investiert werden, dann sind das keine verlorenen Milliarden, wie bei der Bankenrettung. Dann sind das Milliarden, die Arbeitsplätze schaffen, die volkswirtschaftliche Investitionen nach sich ziehen, die wieder zusätzliche Steuergelder einbringen. Was wir jetzt brauchen ist dynamischer Aufbruch, ist Gründergeist statt ideologischer Bedenkenträgerei.

Jetzt müssen wir eine grundlegende Energiewende schaffen. Denn eines ist klar: Wir wollen nicht raus aus der Atomkraft und rein in die Kohlekraft und damit die Gefahr des Atomtods durch die Gefahr des Klimawandels ersetzen. Und wir wollen nicht, dass unsere Energieversorgung weiter in den Händen von vier Großkonzernen liegt.

Die Zukunft die liegt in einer dezentralen Energieversorgung in der Hand vieler Bürger/innen und mittelständischer Unternehmen. Die Zukunft liegt in einen intelligenten Mix aus EE und flexiblen und hocheffizienten Gaskraftwerken, die ihre Leistung flexibel an die schwankende Stromerzeugung mit EE anpassen können. Wir wollen Sonne, Wind und Wasser statt den überkommenen Dinosauriertechnologie Atom- und Kohlekraft!

Der Atomausstieg, eine grundlegende Energiewende, das wird kein Selbstläufer. Bis zum Auslaufen des Atommoratoriums in acht Wochen, bis zur Entscheidung über den künftigen Atomkurs, stehen uns harte Auseinandersetzungen bevor. Es kommt weiter auf unseren Protest an.

Die Chance den Ausstieg durchzusetzen war noch nie so groß wie in den nächsten 8 Wochen. Ich denke wir alle sind hier um der Regierung, um den Ministerpräsidenten eine Botschaft mitzugeben: Wir bleiben jetzt dran. Wir lassen jetzt nicht mehr locker. Wir lassen keinen Rückwärtsgang mehr zu. Jetzt gibt es nur noch eine Richtung und die heißt: Aussteigen - und zwar jetzt und endgültig, Meiler für Meiler!

Zum einen muss es und gelingen, unseren Protest weiter in die Fläche zu tragen. Überall im Land sind in den letzten vier Wochen Mahnwachen, Aktionen und Demons wie Pilze aus dem Boden geschossen. Überall haben sich Menschen spontan zusammengeschlossen, sind auf die Straßen gegangen, viele davon zum aller ersten Mal in ihrem Leben.

An diese Dynamik, an diese Kraft können wir in den nächsten Wochen anknüpfen. Haltet Augen und Ohren offen, klinkt Euch ein, wenn Aktionen und Mahnwachen gibt, oder am besten organisiert selber mit. Und verankert die Anti-Atom-Bewegung weiter in der Breite dieser Gesellschaft!

Am 28. Mai, kurz vor der Entscheidung über die künftige Energiepolitik, wollen wir in 20 Städten mit weit über 100.000 Menschen bundesweit auf die Straße gehen und der Regierung klar machen, dass der öffentliche Druck für die Energiewende nicht abebbt, nur weil Fukushima nicht mehr ganz so im medialen Fokus steht. Hier im Nordosten heißt das, dass in Hamburg, Hannover und Bremen protestiert wird und ich setze drauf, dass Ihr dann alle wieder mit dabei seid!

Und: Wenn die Regierung am 15. Juni beschließt, AKWs wieder anzuschalten oder keinen ambitionierten Zeitplan hat, die anderen neun vom Netz zu nehmen, dann ist der Zeitpunkt gekommen, dass unser Protest zu Widerstand wird.

Viele Menschen der Kampagne X-tausendmal quer, die sonst gewaltfreie Sitzblockaden gegen den Castor im Wendland organisieren, wollen dann unter dem Motto "Schluss endlich" das Wiederanfahren der Reaktoren verhindern - in dem sie mit Tausenden Menschen sich vor die Zufahrtstore der AKWs setzen. Sie sagen: Wo Recht zu Unrecht wird, da wird Widerstand zur Pflicht!



Liebe Freundinnen und Freunde,

lasst uns in den nächsten Monaten die energiepolitische Machtfrage stellen - und für uns und die zukünftigen Generationen entscheiden! Ich setze auf Euren Mut, Eure Kraft und Eure Entschlossenheit.

Jetzt ist es an uns, den Ausstieg selbst in die Hand zu nehmen!



Christoph Bautz ist Geschäftsführer vom campact.

E-Mail: c (Punkt) bautz (at) campact (Punkt) de

Website: www.campact.de
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