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Antikriegs-
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vom:
30.08.2004


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Antikriegstag 2004:

  Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag zum Antikriegstag 2004 in Kassel

Vor 65 Jahren: 1.September 1939

Dr. Ulrich Schneider (Kassel)

- Es gilt das gesprochene Wort ! -

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Freunde,

"Ab 5.45 Uhr wird zurückgeschossen", so lautet die Propagandalüge des deutschen Faschismus zum Überfall auf Polen im September 1939. Es war eine doppelte Lüge. Der erste Schuss auf polnisches Territorium fiel bereits um 4.45 h und von "Zurückschießen" konnte keine Rede sein.

Dieser Überfall war lange geplant und generalstabsmäßig in Szene gesetzt. Trotz Nichtangriffsverträgen und öffentlichen Friedensbekundungen (,Parteitag des Friedens") wurde seitens der deutschen Wehrmacht und der NS-Regierung der Krieg systematisch vorbereitet.

Die Stationen sind bekannt.

Mit dem "Vier-Jahres-Plan" wurde 1936 das Ziel definiert, die deutsche Wirtschaft und die Wehrmacht in vier Jahren kriegsfähig zu machen.

Gleichzeitig wurden die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, das öffentliche Leben militarisiert und zentrale Konzentrationslager, wie z.B. Buchenwald, in denen im Falle eines Krieges politische Gegner und nicht zur Volksgemeinschaft Zählende interniert werden sollten, errichtet.

Außenpolitisch begann man den Spielraum durch die Übertretung der Festlegungen der Versailler Verträge zu erweitern - toleriert durch die französische und britische Politik. Diese "Appeasement - Politik" fand ihren schändlichen Höhepunkt im Münchener Diktat von 1938, mit dem die CSR gezwungen wurde, Teile ihres Territoriums an das faschistische Deutschland abzutreten. Am Ende stand im März 1939 die Okkupation der Tschechei. Doch damit war der territoriale "Appetit" des NS-Regimes und der hinter ihm stehenden politischen und wirtschaftlichen Kreise nicht gezügelt. Nun sollte es weiter in Richtung Osten gehen.

Die militärischen Planungen für diesen Fall "Weiß" wurden hier in Kassel umgesetzt, im Oberkommando der Wehrmacht, das seinen Sitz im Generalkommando beim Bahnhof Wilhelmshöhe hatte. Zur unmittelbaren Kriegsvorbereitung hatte man diesen Bau als Zentrale des Heeres Ende der 30er Jahre neu errichten lassen.

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Und noch eines sollte in diesem Jahr nicht vergessen werden:

Beteiligt an den Kriegsplanungen waren auch Offiziere, die vor wenigen Wochen als "Helden des Widerstandes" anlässlich des 60.Jahrestages des 20.Juli 1944 geehrt wurden. So wichtig diese Aktion, dieses Datum in der deutschen Geschichte war, es sollte nicht vergessen werden, dass in ihrem militärischen Teil besonders diejenigen daran beteiligt waren, die selbst aktiv an dieser Kriegspolitik mitgewirkt haben. Erst als die militärische Überlegenheit der alliierten Truppen besonders durch die Bombardierung der deutschen Städte für alle offenkundig wurde, sich die alliierten Truppen auf deutsches Territorium zu bewegten, entwickelte sich Skepsis, Hilflosigkeit, jedoch viel zu wenig Widerstand gegen das faschistische Regime.

Aber - darauf möchte ich an diesem Ort, dem Mahnmal für die Opfer des Faschismus, in aller Deutlichkeit hinweisen - es gab auch in Deutschland der 30er Jahre Kriegsgegner. Zumeist waren es einfache Frauen und Männer, vorwiegend aus der Arbeiterbewegung, die nicht erst gegen den Krieg kämpften, als er verloren war. Sie klärten die Bevölkerung über die Kriegspolitik auf, sie warnten vor den Folgen der Aufrüstungspolitik und möglicher militärischer Abenteuer.

Als Beispiel für deren Handeln möchte ich aus einem Flugblatt zitieren, das ein "Aktionsausschuss deutscher Sozialdemokraten und Kommunisten" im Herbst 1939 in Deutschland verbreitete. Darin heißt es:

Die Hitler - Regierung habe "planmäßig auf diesen Krieg hingearbeitet! Der Hitlerregierung allein fällt dieser neue Weltkrieg (denn ein solcher wird es werden) zur Last!

Jetzt kann Deutschland nur noch durch das Volk selbst gerettet werden! Ein Sieg Deutschlands ist ausgeschlossen gegen die Übermacht der ganzen übrigen Welt. Die Niederlage und der Zusammenbruch sind unabwendbar. ... Daher muss gleich zu Beginn des Krieges das Denken und Handeln jedes verantwortungsvollen Deutschen beseelt sein von dem alle umfassenden Ziel: Sofortigen und schnellsten Schluss mit dem verbrecherischen Hitler-Krieg, der unser Land und Volk zu vernichten droht!"

Auch aus Kassel fallen mir einige Namen von Kriegsgegnern ein, Menschen, die leider in den vergangenen Jahren verstorben sind, die jedoch einigen von euch noch lebendig in Erinnerung sein dürften.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit nenne ich hier nur Franz Buda, Willi Belz, Henner Bischoff, Karl Kuba, Max Mayr, Georg Merle, Erna und Willi Paul, Fritz Schmidt, Hans Spill und Willi Walberg.

Sie alle sind Teil einer Tradition, die zu den besten Teilen der Kasseler Geschichte gehört. Sie bewiesen durch ihre Haltung und ihr Handeln, dass Kassel nicht nur die Stadt der Tiger-Panzer und der Fieseler-Flugzeuge, die Stadt der Kriegsplanung und Kriegsvorbereitung war. Es sollte auch ein Anliegen der Friedensbewegung sein, dass deren Andenken nicht vergessen wird.

Wenn diese Antifaschisten vor 65 Jahren trotz faschistischer Propaganda, trotz Gestapo und Drohung mit dem KZ sich nicht davon abhalten ließen, ihre Haltung gegen den faschistischen Krieg öffentlich zu machen, sollte es für friedensbewegte Menschen unter den heutigen demokratischen Bedingungen ein vielfach Leichteres sein, gegen die Kriegspolitik die Stimme zu erheben.

Auch wenn die Regierenden in unserem Land mit ihrer Zustimmung zum Afghanistan-Einsatz und ihrer Unterstützung einer militarisierten Ausrichtung der EU ihre Bereitschaft zu Kriegspolitik zum Ausdruck gebracht haben, so ist doch andererseits nicht zu übersehen, dass in unserem Land Kriegseinsätze wie im Irak keine Zustimmung finden. Die Menschen in unserem Land wollten und wollen keine weitere deutsche Kriegsbeteiligung. Die sonst so "unverbrüchliche Freundschaft", die Vasallentreue der Bundesregierung gegenüber der amerikanischen Politik hat hier Risse bekommen. Diese Grundhaltung, diese Situation könnte ein Ansatz sein zu einer neuen internationalen Politik des Friedens zu kommen.

In einem Appell an Friedenskräfte, Parteien, Gewerkschaften und Kritiker der Globalisierung hat die "Internationale Föderation der Widerstandskämpfer" (FIR) zu Initiativen für eine neue internationale Friedenspolitik aufgerufen.

Sie erinnert daran, dass es vor gut 30 Jahren durch das politische Handeln der Völker und Staaten im KSZE - Prozess gelungen ist, in Europa die Kriegsgefahr zu beseitigen.

Ein solcher gesellschaftlicher Prozess sei auch heute nötig.

In dem Appell der FIR heißt es wörtlich:

"Wir erleben, dass Konflikte in der Welt in erster Linie militärisch gelöst werden. Verletzungen von Menschenrechten, selbst Massenmorde werden vor dem Hintergrund von Rohstoffinteressen bewertet. Es geht nicht mehr um "eine neue Welt des Friedens und der Freiheit", wie sie die Überlebenden, die Widerstandskämpfer, Deportierten und Internierten 1945 wollten. Es geht allein um Rohstoffreserven und die Durchsetzung von Machtinteressen. Das Selbstbestimmungsrecht von Völkern wird dabei missachtet.

Als "Botschafter des Friedens" rufen wir die UNO, die internationalen Organisationen und gesellschaftlichen Kräfte auf, Initiativen für eine neue internationale Friedenspolitik zu entwickeln. Dazu gehören die Anerkennung des Existenzrechtes aller Staaten sowie die Durchsetzung einer gerechten Weltwirtschaftsordnung.

Auch die Staaten der Europäischen Union können ihren Beitrag dazu leisten, wenn sie einer Militarisierung der Außenpolitik, wie sie in der neuen Verfassung zu finden ist, eine Absage erteilen."

In diesem Sinne nehmen die Mitgliedsverbände der FIR, zu denen auch unsere VVN - BdA gehört, ihre historische Verantwortung wahr, alles zu tun zum Erhalt des Friedens in der Welt beizutragen - und das ist - auf den kürzesten Nenner gebracht - die eigentliche Verpflichtung, die sich aus dem 1.September 1939 ergibt.


Dr. Ulrich Schneider ist Generalsekretär der Fédération Internationale des Résistants (FIR) und Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-Bd

E-Mail:   schneid@uni-kassel.de
Internet: http://www.fir.at
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