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Antikriegs-
tag 2004


vom:
01.09.2004


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Antikriegstag 2004:

  Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede zur Gedenkveranstaltung auf dem Friedhof Jammertal in Salzgitter am Antikriegstag 2004

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, verehrte Gäste und Friedensfreunde,

Margot Michaelis (Salzgitter)

ich freue mich sehr, dass ich gebeten wurde, im Auftrag der Gewerkschaften heute über das Stadtmonument zu Ihnen sprechen zu dürfen und ich möchte mich für diese Einladung bedanken. Denn mit den traditionellen Aktivitäten zum ersten September, mit seinen Gedenkstätten, wie auch mit dem Denkmal nimmt Salzgitter einen besonderen Platz in der Bewegung für Frieden und Antifaschismus ein.

Am ersten September, dem Tag des Überfalls der Hitlerarmee auf Polen, 65 Jahre nach dem Beginn des 2.Weltkrieges, ist das "Monument zur Stadtgeschichte" ein geeigneter Ort sich zu versammeln. Denn hier wird künstlerisch veranschaulicht, dass sich die Geschichte Salzgitters auf Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft gegründet hat.

Es war nicht einfach eine glückliche Fügung, die es ermöglichte, dass im Jahr 1995 - 50 Jahre nach dem Krieg - das Denkmal von Prof. Jürgen Weber in Salzgitter eingeweiht werden konnte. Nach der Phase des allgemeinen Verschweigens und der Abwehr von Schuld im Kalten Krieg wurde vielerorts um die Erinnerung an die Geschichte des Faschismus gestritten - auch in Salzgitter. Der ehemalige Häftling in Salzgitter/Drütte Pierre Maurice Restonaix beklagte 1995: "Es sollten 40 Jahre vergehen, bis man offiziell von Drütte hören sollte. 40 Jahre!" (S.58/Doku AK/Stadtgeschichte)

Es bedurfte harter Auseinandersetzungen und des Willens politischer Kräfte, damit ein in dieser Form in Deutschland einmaliges Bekenntnis zur eigenen Geschichte mitten in der Innenstadt Salzgitters realisiert werden konnte. Es ist undenkbar ohne die engagierte Arbeit der Gewerkschafter und der Bürger, die den Arbeitskreis Stadtgeschichte getragen haben und ihn noch tragen. Und die Realisierung des Mahnmals steht wohl in engem Zusammenhang mit der Durchsetzung der Gedenkstätte im ehemaligen KZ Drütte, die 1994 eingeweiht wurde.

Mit dem Braunschweiger Bildhauer Jürgen Weber, der selbst noch um einzelne Szenen politisch ringen musste, hat man dieses außerordentliche Werk hier mitten in der Stadt realisieren können. Zwischen Ladenzeilen, lauten Auslagen und Eiscafé ruft es nun den Vorbeihastenden zu: "Erinnere Dich".

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Antikriegs-
tag 2004
Aber wozu sich erinnern? Leben wir nicht in der Gegenwart?

Haben wir nicht heute genug Probleme? Soll selbst beim Einkaufen noch der Vergangenheit gedacht werden? Ja und noch einmal ja!

Denn es gibt einige sehr einfache Gründe, warum die Erinnerung an die Geschehnisse zur Zeit des Faschismus in Salzgitter und in allen damals von Deutschland in einem verbrecherischen Krieg besetzten Gebieten wichtig ist.

Dazu nur einige Beispiele.

  Gerade Anfang Juli ist ein letzter Prozess gegen den so genannten "Henker von Genua", mit Namen Friedrich Engel, eingestellt worden. Engel ist für den grausamen Mord an mehreren hundert Zivilisten in Italien verantwortlich und konnte Jahrzehnte lang vollkommen unbehelligt in Hamburg als Kaufmann leben und wird dies nun als Rentner weiter tun.

  In einer soziologischen Studie, die unter dem Titel "Opa war kein Nazi" veröffentlicht wurde, wird gezeigt, wie trotz einer politisch korrekten Aufarbeitung - etwa in heutigen Schulbüchern - ein "Familiengedächtnis" wuchert, das die die Geschichte verzerrenden und verharmlosenden Lebenslügen einer verstrickten Generation noch an ihre Enkel und Urenkel wirkungsvoll weitergibt.

  Und noch in einer Abhandlung zur Geschichte des Bergbaus in Salzgitter aus den 90erJahren ist zum Thema Zwangsarbeit zu lesen, dass in Havalah Zwangsarbeiter wenig effektiv, unqualifiziert und wenig motiviert gewesen seien!

Reste der Barbarei finden in dieser und ähnlicher Form trotz eines großen Wissens um die Vergangenheit immer noch unbehelligt im kollektiven Gedächtnis Platz. Von bewusster Leugnung des Geschehens durch neonazistisches Gedankengut einmal ganz abgesehen.

Die Opfer brauchten nicht gefragt zu werden, ob sie sich erinnern wollen, für sie ist diese Erinnerung tief eingebrannt. Selbst wenn sie oft nicht darüber sprechen können. Und wie schmerzlich diese Erinnerungen für sie waren und sind, kann man in zahlreichen biographischen Dokumenten auch in Salzgitter nachlesen.

Eine Schülerin, die sich mit einer solchen Biografie befasst hat, hat sich die Frage gestellt, wie es möglich ist, für die Heutigen einen Weg aus dem nicht revidierbaren Geschehen zu finden. Sie hat es in ein Bild gefasst - das heißt "Erinnerung". Wir sind es zuerst den Opfern schuldig aber ohne diese Erinnerung wird es für uns weder einen Weg zum Besseren geben noch den in ein demokratisches Europa. Dies hat Professor Weber gegenüber Schülern kürzlich anschaulich erläutert. Denn was er in seinem Monument dargestellt hat, die gewaltsame Aushebung von Zwangsarbeitern in Polen, das hat sich als traumatische Erinnerung in das Familiengedächtnis der Betroffenen eingeprägt, wie dann das folgende Leid in den Lagern der Nationalsozialisten.

Und wenn heute aus Vertriebenenkreisen öffentlich und in dreister Frechheit an Polen oder Tschechien Forderungen der Wiedergutmachung gestellt werden, wird klar, wie schnell Geschichte uminterpretiert werden kann und die Schuldigen sich scheinbar in Opfer verwandeln.

Deshalb ist es gut, dass hier ein Denkmal steht, das stört, das nicht bequem ist, das aufrüttelt. Es will nicht gefallen. Denn wahrhaftige Erinnerung an jene Zeit ist nichts Bequemes, sie ist kein Stuhl, in den man sich setzen kann.

Weber macht in dieser komplexen Darstellung die Stadtgeschichte bis fast in die Gegenwart zum Thema, wobei es ihm aber auf den Beginn ankommt, die Gründung auf Zwangsarbeit für einen verbrecherischen Krieg.

Wir sehen in den vier Basisreliefs als Voraussetzung zur Stadtgründung harte Arbeit unter Tage im ersten Motiv und dann die drei großen künstlerischen Bearbeitungen der Zwangsarbeit. Weber zeigt die Brutalität, mit der deutsche SS-Soldaten in Polen Menschen, die sich in den Wäldern versteckt halten, zur Zwangsarbeit verschleppen. Militärische Gewalttätigkeit und rohe Übermacht, ja das Eindringen der Uniformierten in das Leben der Opfer, werden drastisch verdeutlicht. Die Täter sehen wir meist von hinten prall und unangenehm, sie bedrängen ihre Opfer, und im Gegensatz zu ihnen zeigen sie kaum Individualität. So auch im zweiten Bild, wo ein überlieferter Vorgang aus dem Stahlwerk zu sehen ist. Es ist eine öffentliche Erhängung im Werk, mit der Häftlinge bestraft wurden, die Sabotage durchführten oder auch nur der Sabotage verdächtigt wurden. Die ausgemergelte Gestalt des Häftlings, der in eine Decke gehüllt die Ecke bildet, er, der die Kameraden absichert, wirkt gleichzeitig wie ein stummer Mahner, ein Rufer an die Nachgeborenen. Er führt in das nächste Bild, in dem Frauen den Häftlingen heimlich Brot zustecken. Die nunmehr öffentlich erscheinende und damit auch endlich öffentlich gemachte ursprünglich heimliche Szene der Caritas will darauf aufmerksam machen, dass auch unter extremer Gewalt humanes Handeln möglich und eigentlich die einzige Alternative ist. Einfache Menschen, ein kleiner aber ebenso gefährlicher Widerstand wird hier gewürdigt, der anders, nämlich unmittelbar menschlich, motiviert ist als die Ereignisse des 20.Juli.

Darüber erhebt sich dann, in weißen Marmor geschlagen, das Stahlwerk, der Reichtum Salzgitters, gegründet auf dem Leid der Opfer. Und auch die sich darüber entwickelnde Darstellung der Flüchtlinge, die unter schlimmen Umständen in die Stadt kommen, ist eben untrennbar verknüpft mit der Basis des Werks, sodass nicht Ursache und Folgen getrennt werden können. Und das gilt auch für die Darstellung der Abwehr der Demontage, die dann folgt.

Doch geht es in diesem Denkmal nicht einfach um ein Abbild von Geschichte oder eine Art Illustration historischer Wahrheit. Es wäre kein Kunstwerk, hätte es nicht eine weitergehende Botschaft. Weber beschreibt nicht einfach, er nimmt Stelllllung, indem er nicht nur die Opfer ehrt und die Täter anprangert, sondern zugleich auf den Zusammenhang von Kriegswirtschaft, Krieg und Zwangsarbeit aufmerksam macht. Aber zudem enthält das Ganze ein Stück Utopie.

Das Denkmal zeigt, dass der Mensch Mitgefühl haben kann, dass er sein Leben selbst in die Hand nehmen kann, dass er Widerstand gegen Gewalt leistet und es erhebt die Arbeit des Menschen als eine Utopie befreiter Arbeit auf die Spitze.

Der Probennehmer, wie er dort frei vor dem Himmel erscheint, steht für die Würde der Arbeit, die Bewältigung der Großtechnik durch den arbeitenden Menschen und den Wunsch nach selbstbestimmter Arbeit.

Wie in der Bauernsäule von Albrecht Dürer, wo ein Bauer die bisher dem Adel vorbehaltene Spitze einnimmt, stellt Weber den arbeitenden Menschen an die Spitze, nicht Politiker, Manager oder gar militärische Macht.

Gegen die Skulptur werden immer wieder künstlerische Einwände erhoben, vor allem, weil sich das Werk keiner der modernen Kunstsprachen bedient. Doch Weber hat bewusst eine Form gewählt, die sich jedem Vorübergehenden erschließen kann. Er hat eine Botschaft, die er verständlich vermitteln möchte.

Weber schreibt in seinem Buch "Das Narrenschiff" dazu: "Die von Konzernen geförderte Kunst darf nicht beunruhigen, weder zu Kritik noch zum Nachdenken anregen, das schadet dem Umsatz." und grenzt sich weiter ab gegen zu allgemeine, seiner Meinung nach unklare künstlerische Äußerungen zu diesem Thema. (Weber Narrenschiff, S. 429)

Das kollektive Gedächtnis bedarf gerade der Kunst, die eine wichtige Form kultureller Erinnerung darstellt. Und es ist gute künstlerische Tradition, die Opfer durch Kunst dem Vergessen zu entreißen. Künstler haben sich für den Frieden engagiert wie es Picasso zum Beispiel mit dem Bild "Guernica" gemacht hat oder Ossip Zadkine mit dem Denkmal "Die zerstörte Stadt" in Rotterdam. Damit schaffen Kunstwerke ein Gegenmodell zur Barbarei, sind sie Ausdruck einer humanen Welthaltung des Menschen, gleichsam seine humanste Seite.

Daher ist es ein gefährliches Anzeichen, wenn in Zusammenhang mit Kunst und Kultur nur über Kosten gesprochen wird. Der Mensch vergibt sich seiner Menschlichkeit, wenn er auf Kunst verzichtet, wenn wachsender gesellschaftlicher Reichtum sich nicht in wachsender Verbreitung von Kunst ausdrückt, wenn Kunst nur noch als Ware oder gar Aktie gesehen wird.

Wir brauchen die Kunst und vor allem Kunst, die Position bezieht, auch und gerade jetzt.

Zur Zeit geht es schon wieder um die Hegemonie über die Deutung des faschistischen Terrors, seiner Ursachen und Täter. Für oft raffiniert verschleiernde Deutungen werden gerade von jenen Konzernen, die bis heute von den Gewinnen durch Arisierung und Zwangsarbeit profitieren, Historiker und Medien aufgeboten. Denn es ist der Zeitpunkt gekommen, da die traumatischen Erinnerungen der Überlebenden ins geschichtliche Gedächtnis der nächsten Generation übergehen müssen.

Webers Monument klagt an, zeigt die unmittelbaren Täter, rüttelt auf. Über die Schriftbänder wie "Räder rollen für den Sieg" deutet es weitergehende Zusammenhänge etwa über die Kriegswirtschaft an. Es ist hier sicher vielen bekannt, das die "Reichswerke Herrmann Göring", wie die Stahlwerke mit einem Komplex von einverleibten Unternehmen damals hießen, einen wesentlichen Beitrag zur Kriegsproduktion leisteten.

Aus der Geschichte lernen, heißt auch vor ihrem Hintergrund die gegenwärtigen Entwicklungen zu bewerten.

Die Verbindung zur Gegenwart muss von jedem Betrachter aus dem geschichtlichen Zusammenhang neu gefunden werden. Dies sind wir den Opfern schuldig, aber auch unserer eigenen Menschlichkeit und Zukunft.

Wenn wirtschaftliche Einzelinteressen über den sozialen und kulturellen Bedarf aller gestellt und weltweit auch mit Militär verteidigt werden, wenn dazu die Bundeswehr zu einer Eingreiftruppe umgebaut und private und zivile Bereiche in militärische Nutzung einbezogen werden, wenn Folterungen zu Kollateralschäden von Krieg umgedeutet werden, dann ist es wichtig sich zu erinnern und einer wachsenden Militarisierung auch von hier aus entgegenzutreten.



E-Mail:   margot.michaelis@gmx.de
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