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02.09.2004


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Rede zum Antikriegstag in Braunschweig am 01.09.2004

Europäische Union rüstet auf - keine Lehren aus zwei Weltkriegen!

Ute Lampe

Die Europäische Union befindet sich an einem entscheidenden Wendepunkt der Geschichte ist im Vorwort der "Verfassung für Europa" zu lesen. Und dieser Wendepunkt sollte durch die Ausarbeitung eines "Verfassungsvertrages für Europa" unterstrichen werden.

Die letzten Jahrzehnte waren in der Tat prägend für Europa, sowohl in der politischen als auch in der wirtschaftlichen Entwicklung. So ist es gelungen den größten Teil der europäischen Staaten unter dem Dach der "Europäischen Union" zu vereinen. Diese Vorstellung war nach dem 2. Weltkrieg undenkbar, angesichts unzähliger Toter, des Leides und der Gräueltaten, die der Krieg gebracht hat. An dieser Stelle möchte ich insbesondere den Blick nach Frankreich wenden. Dort war es noch in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts unvorstellbar, dass es zu einer Annäherung, geschweige denn zu einer so engen Kooperation zwischen Frankreich und Deutschland kommen würde, wie sie heute exsistiert.

Nicht nur, dass es gelungen ist, sich in den letzten Jahrzehnten so weit anzunähern, Frankreich und Deutschland waren auch die maßgeblichen Initiatoren des "Europäischen Verfassungsvertrages", der auf dem EU-Gipfel im Juni diesen Jahres von den Regierungschefs angenommen wurde.

Diese Entwicklung der Annäherung zweier Staaten, die vor wenigen Jahrzehnten noch durch unüberbrückbare Gräben voneinander getrennt schienen, kann uns nur hoffnungsvoll stimmen.

Wie es auch hoffnungsvoll stimmt, dass sich 25 Länder Europas entschlossen haben, wie es in der Präambel des Verfassungsvertrages heißt: "...die alten Trennungen zu überwinden und immer enger ihr Schicksal zu gestalten."

Und weiter, dass - ein nunmehr geeintes Europa: "...Demokratie und Transparenz als Wesenszüge seines öffentlichen Lebens stärken und auf Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität in der Welt hinwirken will".

Das sind hehre und achtbare Ziele, die nur zu unterstützen sind. - Es ist durchaus lesenswert und bewegend, wie in dieser Präambel der Geist Europas skizziert wird.

Schauen wir allerdings in den Verfassungstext und auf die einzelnen Artikel der "Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik", so wird dieser Geist recht schnell entzaubert und er erscheint einem abschnittweise wie ein Spukgebilde.

Denn, was ist das für ein Geist,

 der da von "...Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung..." als Mittel friedensschaffender Maßnahmen spricht.

 der "...die Unterstützung für Drittstaaten bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet." zum Verfassungsrang erhebt. Der damit unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung Militäreinsätze von europäischen Streitkräften außerhalb Europas erlaubt und damit zudem globale Militärinterventionen legitimiert.

 Weiter werden in dieser Verfassung die Mitgliedstaaten zur schrittweisen Verbesserung der militärischen Fähigkeiten verpflichtet, was einer permanenten Aufrüstung und Rüstungsmodernisierung gleichkommt. Schlussendlich wird das Ganze durch ein verfassungsmäßig gefordertes "Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten" kontrolliert.

Es kann nicht im Sinne des europäischen Geistes sein, dass militärische Missionen und Aufrüstung zum Verfassungsrang erhoben werden.

Wir brauchen kein militärisches Gegengewicht zur Hegemonialmacht USA. Was wir brauchen ist ein Europa, dass sich der zivilrechtlichen Konfliktlösung verpflichtet fühlt.

Ein Europa, dass sich zum Völkerrecht bekennt und um die Einhaltung und die Umsetzung streitet. Und das auch gegen eine Militärmacht USA.

Wie wichtig es ist, gerade diesen Geist in der Verfassung zu betonen, hat der Irak-Krieg nur allzu deutlich aufgezeigt.

Denn trotz des gemeinsamen Hauses "EU" sind die Gemeinsamkeiten bei weitem nicht so ausgeprägt, wie es nach außen scheint. Dieser Krieg schien die Europäische Union zu spalten, die Verunglimpfung "Altes Europa" ist den meisten noch allzu gegenwärtig.

Doch nach mehr als einem Jahr Krieg in diesem Land, haben die Schrecken noch kein Ende gefunden. Jeden Tag sterben im Irak weiterhin unschuldige Zivilisten, werde Städte bombardiert und zerstört. Wurden Menschen in den Gefängnissen gefoltert und auf abscheuliche Weise erniedrigt und gedemütigt. Und das mit dem Anspruch, dieses Land demokratisieren zu wollen.

Immer wieder wird uns gezeigt, dass dieser Krieg vor den europäischen Grenzen nicht halt macht. Das zeigten unter anderem die Nachrichten in der letzten Woche, die von der Exekution eines italienischen Journalisten durch Iraker berichteten, die einen Abzug der italienischen Truppen forderten, was von der dortigen Regierung aber abgelehnt wurde. Das zeigt die Entführung von zwei französischen Journalisten, deren Schicksal noch ungewiss ist.

Auch Deutschland hätte dabei sein können. Erinnern wir uns nur an die Solidaritätsbekundungen einer Frau Merkel an die Adresse eines Herrn Bush.

Das die militärische Intervention nicht zur Befriedung von Konflikten führt, sehen wir aber nicht nur im Irak. Das sehen wir in Afghanistan und das haben uns jüngst die Auseinandersetzungen im Kosovo vor Augen geführt.

Obwohl in der Präambel von Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität in der Welt gesprochen wird, ist die europäische Realpolitik noch weit von diesem Anspruch entfernt. Denn als Antworten auf die globalen Herausforderungen und Bedrohungen wie

 Terrorismus,

 Verbreitung von Massenvernichtungswaffen,

 Scheitern von Staaten und

 Organisierte Kriminalität

lesen wir in der "Europäischen Sicherheitsstrategie", dass in der Auseinandersetzung mit diesen Bedrohungen die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen wird. Und damit ist das nichteuropäische Ausland gemeint.

Und wir lesen weiter, dass zur Bekämpfung des Terrorismus sowohl polizeiliche und justizielle als auch militärische und sonstige Mitteln erforderlich seien und: "In gescheiterten Staaten können militärische Mittel zur Wiederherstellung der Ordnung und humanitäre Mittel zur Bewältigung der Notsituation erforderlich sein."

Eine echte Analyse der Ursachen fehlt,

 dass der Terrorismus die Antwort auf Ungleichheit, Armut und mangelnde Aussicht auf Entwicklung ist,

 dass gescheiterte Staaten und organisierte Kriminalität nur allzu oft das Produkt westlicher Wirtschafts- und Interessenpolitik ist,

 dass die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen nicht eingedämmt werden kann, solange es Atomstaaten gibt, die meinen Sonderrechte zu genießen und deshalb mit zweierlei Maß messen. Zu diesen Atomstaaten gehören auch Mitglieder der Europäisches Union wie Frankreich und Großbritannien, die weiterhin an der Forschung und Entwicklung von Atomwaffen arbeiten. Und solche durch die Entwicklung so genannter "Mininukes", oder auch Bunkerbrecher genannt, wieder salonfähig machen wollen.

Solange keine Gleichberechtigung zwischen den Staaten hergestellt wird, ist der Wunsch nach Frieden in der Welt Makulatur. Solange die Abrüstung von Massenvernichtungswaffen nicht für alle Staaten gleichermaßen gilt, bleibt das Streben nach Solidarität in der Welt eine Luftblase. Solange Europa nicht ernsthaft an einem sozialen und wirtschaftlichen Ausgleich zwischen den reichen und den armen Länder arbeitet, werden die Bedrohungen und Herausforderungen eher größer als kleiner.

Die europäische Bevölkerung hat vor und während des Irak-Krieges deutlich gezeigt, dass sie militärische Prävention und Interventionen als Mittel der Politik ablehnt. Und das ist es, was dem Geiste Europa gerecht wird.

Wir fordern deshalb eine Verfassung, die den Namen "Europäische Verfassung" verdient, die sich zu einer friedlichen Koexistenz mit den Völkern der Welt verpflicht und sich für eine gleichberechtigte Partnerschaft unter den Staaten einsetzt, die die generelle Durchsetzung internationalen Rechts fordert, die den Krieg ächtet, sich zur zivilen Konfliktlösung verpflichtet und die Einrichtung eines "Amtes für zivile Konfliktlösung" verlangt.



E-Mail:   ute2_lampe@web.de


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