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Antikriegs-
tag 2004


vom:
02.09.2004


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Antikriegstag 2004:

  Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede für den Antikriegstag, 1. September 2004 in Biberach / Riß

Liebe Mitstreiter und Mitstreiterinnen für eine friedlichere und friedfertigere Welt -

Wolfram Frommlet (Biberach)

Zu Beginn meiner Rede nur wenige Gedanken zu jenem Datum, das dem diesjährigen Antikriegstag eine deutsche historische Dimension gibt:

Vor 65 Jahren der Überfall der Nazitruppen auf Polen; vor 90 Jahren - so ist häufig zu lesen, vor 90 Jahren "brach" der 1. WK aus. Dass sich diese Verschleierungsfloskel nach wie vor hält zeigt den oft leichtfertigen Umgang mit dem Krieg. Er brach nicht aus, er wurde geplant, wie alle davor und wie alle danach. Es gab Interessenten, Spekulanten, Gewinner, die sich namentlich benennen lassen, damals wie heute. Verluste wurden mit Gewinnen verrechnet. Für einige hat sich der I. WK gerechnet, wie alle, die folgten. Der Krieg 1914, wie alle die folgten, wurde nicht von dummen, sondern von hochintelligenten Menschen, von einer politischen, technologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Elite vorbereitet und durchgezogen. Das sollte man sich in Erinnerung rufen, wenn - worauf ich kommen werde - so enthusiastisch momentan in Deutschland über Elitenbedarf diskutiert wird.

Der I. WK 1914 war, gemessen an seiner Zeit mehr noch als der folgende II., eine überragende Leistung Menschen, Produktion, Erfindergeist, Kultur zu mobilisieren:

72,4 Millionen Soldaten rund um den Globus - damals bei einer Weltbevölkerung von nur drei Milliarden Menschen! 856 Millionen Schuss Artilleriemunition, die Gesamtzahl der Munition im mehrstelligen Milliardenbereich, auf heutige Werte umgerechnet wurden 600 Milliarden Dollar durch Kanonenrohre verfeuert; 5,4 Millionen "Eiserne Kreuze" verteilt, dies alles für Tod, Vernichtung, Entmenschlichung, 8,86 Millionen getötete Soldaten, fast sechs Millionen zivile Tote, Hyperinflation, verbrannte Erde.

Was könnten wir daraus lernen?

dass Kultur, Bildung und Religion sich hocheffizient einsetzen lassen, Zig-, ja Hunderte von Millionen Menschen für Barbarei, für den Krieg zu mobilisieren. Dass, bereits vor 90 Jahren, die Industrienationen gigantische technische und wirtschaftliche Leistungen vollbringen konnten - aber eben nicht für die Menschlichkeit, sondern für Unmenschlichkeit. Vor 90 Jahren wurden mit bescheidensten Mitteln ganze Nationen für das Verbrechen Krieg mobilisiert, mit fortgeschrittener Technologie dann in Nazideutschland, danach - als ob es die Hetzmedien nicht gegeben hätte!! - auch im kolonialen Frankreich, Belgien, den Niederlanden und England gegen die Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, Rassismus, Hass pur. Und erfolgreich.

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Antikriegs-
tag 2004
Können wir, mit den heutigen unvergleichlich schnelleren, billigeren Kommunikations-technologien, mit unvergleichlich größerem Zugang zu allen Kulturen, zu fast jeder Form des Wissens weltweit, können wir eine Kultur des Friedens schaffen, die so viele Menschen, gemessen an der Weltbevölkerung, zu Liebe, Koexistenz, Bewahrung der Schöpfung und Frieden mobilisiert wie zu Hass und Rüstungswahn?

Wie muss sie aussehen? Wie müssen wir sie organisieren, denken, leben, vorleben?

Millionen wurden mit Mutterorden, Eisernen Kreuzen, Ehrenspangen geködert, für die sie sich nichts kaufen konnten - von Ypern bis Dien Bien Phu. Welche Ehrungen für Menschlichkeit, welche Abzeichen müsste eine zivile, friedensfähige Gesellschaft verleihen, für die sich lohnte zu leben, statt zu sterben? Welche Werte müssen wir auszeichnen, welche zivilen Auszeichnungen müssten wir erfinden, dass Menschen sie mit Stolz tragen!

Was müssen wir lernen aus diesen 90 Jahren "Kriege der Moderne"?

Dass alle westlichen Universitäten, wozu ich auch die Russlands zähle, auch nach zwei Weltkriegen ohne Unterbrechung die wissenschaftlich-technischen Eliten des Krieges, der Barbarei ausgebildet haben - nach der Erfindung von Nerven-, Senf- und anderen Giftgasen, nach Zyklon B und der Atombombe ungebrochen weiter:

Agent Orange, Agent Blue für Vietnam, Napalm, die Giftgase für Saddam Hussein, ganze Arsenale chemisch-biologischer Kampfstoffe, HighTech Waffen, Psychologische Kriegsführung, psychologisch ausgetüftelte Folter - Konstrukteure, Ingenieure, Ballistiker, Chemiker, Mediziner, Psychologen - die Liste jener Berufe die die modernen Kriege ermöglichen, ist so endlos wie ihre Produkte.

Oft vor unserer Haustür: im Daimler Konzern, bei Heckler & Koch, Junghans, Dornier, MTU, EADS und den vielen, bei denen wir nur zivile Forschung und Produktion vermuten.

Wie viele Chalets, Mercedes der Edelklasse, Porsche Cayenne und Segelyachten sind die moralabtötende Entlohung für diese beruflichen Karrieren? Deutschland auf Platz Drei der weltgrößten Waffenlieferanten! Wie viel sind es in England, Frankreich, den USA?

Gesellschaftliche Ächtung träfe in diesen best ausgebildeten, akademischen Kreisen vermutlich einen Vergewaltiger, einen vom dem man wüsste er fliege zum Kindersex nach Sri Lanka. Würde man den zur Party einladen? Aber diese Herrschaften werden umschwärmt.

Zuvorderst von sich christlich deklarierenden Politikern. Eine der ekelhaftesten Erscheinungen in Nachkriegsdeutschland sind jene Spendengelder, an die sich niemand erinnern kann, aus Waffenschiebereien, aus Waffendeals. Dass auch nur einen Moment in diesem Land überlegt wurde, einen der Hauptbeteiligten zum Bundespräsidenten küren zu lassen, ist unerträglich.

Die Rechtfertigungen der Konstrukteure des Todes werden dieselben sein wie immer:

wenn es wir nicht tun, dann tun es andere; sie haben Familie, der Pool im Garten ist nicht abbezahlt, die Kinder auf dem Internat, was sonst sollten sie mit ihrem Wissen tun? Handmixer entwerfen mit Rührbewegungen im _ Takt?

Keine gesellschaftliche Ächtung der Individuen, der Konzerne und nicht jener Lehrstühle, an denen solches Wissen vermittelt wird. Versagt haben ganz offensichtlich die Human-, die Sozialwissenschaften, für die in technisch-naturwissenschaftlichen Fakultäten und Disziplinen an kaum keiner Universität Bedarf ist.

Aber vielleicht ist dies völlig idealistisch gedacht? Vielleicht funktionieren sie gar nicht als Korrektiv? Eichmann war ein begabter klassischer Pianist, Heydrich spielte Kammermusik.

Vielleicht kann man ja wochentags cruise missiles entwickeln und am Wochenende in die Tate Gallery gehen und Abbado beklatschen. Wie bringt man intelligente Menschen davon ab, für den Krieg zu arbeiten? Welche Chance hat Kultur denn überhaupt? Keine wohl gegen Kohle, unendlich viel Kohle.

Und noch eine Frage, 90 Jahre nach dem Beginn des 1. Großen Krieges der Moderne:

Ist die Demokratie gescheitert am Krieg? Und mit ihr einige der wichtigsten Institutionen westlicher Gesellschaften? Ja, in erheblichem Maß:

Die Mehrheit der amerikanischen Kongress-Abgeordneten sind Lobbyisten der Großindustrie - bei einem Gutteil vermischen sich zivile und militärische Forschung; die anderen - allen voran die Energiekonzerne - sind und waren das Rückgrat der imperialistischen Aggressionen. In keinem westlichen Staat wird die Rüstungsindustrie kontrolliert, die Konzerne entwickeln was sie wollen - in Frankreich mit traditionell höchster Unterstützung, ob durch Giscard d`Estaing oder einst den "Sozialisten" Mitterand, dessen Sohn - mit dem Spitznamen "Papamadit - Papa hat mir gesagt" - die legendären Waffendeals in afrikanischen Diktaturen ausklüngelte; auch die deutschen Exporte haben vor keiner Diktatur Halt gemacht - Kuwait, Saudi Arabien, Indonesien, Apartheid Südafrika - und so weiter. Undurchsichtig überall die Kooperationen zwischen universitärer Forschung und Konzernen. Die amerikanischen Gewerkschaften verteidigen die Besitzstandswahrung ihrer Mitglieder, und die wollen nur eines: alles und von allem mehr. Also, wenn es ihre Saturiertheit garantiert, oder Arbeitsplätze - auch Rüstung. Thatcher hat die Gewerkschafts-Linke zerschlagen, die antimilitaristische, sie hat sich nicht erholt. Und jetzt, wo eh um jeden Arbeitsplatz gerungen wird bei uns, wird nicht mehr gefragt, was denn produziert wird. Hauptsache, es wird. Darüber werde ich noch sprechen.

Erschreckend wenig hat sich geändert seit den Zeiten königlicher und kaiserlicher nationalistisch-jubelnder Hofberichterstattung, seit den Zeiten zentralistischer Sprachregelung unter einem Propagandaminister Goebbels:

Berlusconi, eine allseits geliebte Figur, auf dessen festungsartigem Landsitz der Führer einer ehemaligen Arbeiterpartei, ein gewisser Tony Blair, seine Ferien verbringt, Berlusconi, an dessen Seite ein anderer Führer einer ehemaligen Arbeiterpartei, ein gewisser Gerhard Schröder, nicht weniger gesichtsfüllend lacht als neben seinem Duzfreund, dem Kriegstreiber Putin, jener Berlusconi also unterscheidet sich von einem Goebbels primär dadurch, dass er als Präsident einer Demokratie sich nicht nur seine eigenen Mediengesetze schafft, mit einem willfährigen Parlament, die Medien von jeder Antikriegshaltung reinigt, sondern dass er sie, im Gegensatz zu Goebbels, auch besitzt. Das sind inzwischen in Italien fast alle. Die Katholische Kirche, aus jesuanischer Sicht eigentlich der Wahrheit wie dem Frieden verpflichtet, schweigt dazu.

Der amerikanische Sender CNN ist freiwillig, ohne jede staatliche Intervention, seit den Zeiten eines General Schwarzkopf, zu einem Propagandasender von White House und Pentagon geworden. Der australische Medienmogul Rupert Murdoch hat es geschafft, sogar die ehrwürdige Londoner "Times" zu einem rechten Kampfblatt zu machen, was zeigt, wozu selbst gebildete Journalisten bereit sind. Murdoch, ein rechter Scharfmacher, ein radikaler Neokonservativer und Freund von Reagan, Thatcher, den Bushs, einer der alles hasst was nach Globalisierungskritik, Ökologie, Friedensbewegung, Basisdemokratie aussieht, Murdoch erreicht rein rechnerisch viereinhalb Milliarden!! Menschen mit seinen rechten, kriegshetzerischen und oft fanatisch antidemokratischen Medien wie der amerikanischen Station Fox News; mit 9 Satelliten-, 40 FS-Sendern, über 100 Kabelkanälen, 175 Zeitungen, der 20th Century Fox, 40 Buchverlagen. Das sind die neuen Dimensionen globaler Mobilmachung gegen jede Art friedliebender Zivilgesellschaft! In Frankreich greift der mächtigste, umsatzstärkste Rüstungsunternehmer Serge Dassault nach dem Presseimperium Socpress, zu dem u.a. die überregionalen Zeitungen "Le Figaro" und "L`Express" gehören.

Und selbst die Ikone einst unabhängigen Journalismus, die British Broadcasting Corporation, BBC, hatte "embedded journalists" im Irak, die - ich hörte es selbst - in Kriegsreportagen in britischen Tanks saßen und von "our soldiers" und "we are moving now towards Baghdad..." sprachen. Daran gemessen sind die Medienverhältnisse in Deutschland und der Schweiz geradezu traumhaft. Dennoch! Wie viele Journalisten ekeln sich vor der zunehmenden und systematischen sprachlichen Verschleierung des Krieges, wie viele klären ihre Rezipienten auf, was sprachlich hier abläuft? Einige Beispiele aus westlichen Medien: die Panzerabwehrraketen am Golf hatten einen "Heat-Gefechtskopf" ein netter Begriff dafür, dass Splitter mit ca 100.000 bar in das Innere eines Panzers geschossen werden; "Kollateralschäden" wurden die zivilen Toten der US-Bombardements in Serbien genannt, "ethnische Säuberungen" - oft ohne Anführungszeichen - der Genozid, "die NATO führte einen sauberen Krieg" auf dem Balkan, "soft targets" sind Menschen, "hard targets" Gebäude für Raketenbeschuss; "force packages" ein niedliches Wort für "Kampfflugzeuge", "smart bombs" denken neuerdings mit; die gigantische US-Bombe BLU - 82 hat den militärischen Spitznamen "daisy cutter", wörtlich: Gänseblümchen-Abschneider, die mit 8,2 Tonnen Sprengstoff gefüllte Bombe MOAB - Fachbegriff: Massive Ordnance Air Blast - wurde von den Jungs mit der Lametta am Revers zur "mother of all bombs", das erinnert an die "Dicke Berta" aus dem 1. WK. Die paar Kriegsreporter, die dann doch nicht richtig "imbedded", eingebettet waren, "they were killed under friendly fire!", die starben immerhin durch die eigenen Jungs.

Diese Beispiele ließen sich weiter führen, wie mittels Sprache der Krieg zum Lutschbonbon wird. Wie er akzeptabler Teil unserer Alltagskultur wird.

Dies einige knappe Querverbindungen von den Anfängen des Antikriegstages (dessen Ursprünge ja auf englische Pazifisten wie Bernard Shaw und die deutsche Berta von Suttner zurückgehen) zur heutigen Situation. Eine letzte historische Anmerkung: es wäre interessant mal aufzulisten, wie viele deutsche Städte mit Plätzen und Straßen die Erinnerung an Kriegstreiber wach halten, und wie viele an die Gegner, die Verächter des Krieges - Kästner, Tucholsky, Ossietzky, oder Berta von Suttner. Wie tief verankert in der Alltagskultur die Sympathie für den Krieg ist.

Deshalb lasst mich nicht über den Krieg, sondern über den Frieden reden, in dem wir doch leben. So hören wir doch immer wieder die Frohe Botschaft am Jahrestag der Nazi-Kapitulation, bei Volkstrauertagen :60 Jahre Frieden in Westeuropa, Todfeinde sind Freunde geworden. Noch nicht ganz im ehemaligen Jugoslawien, aber wird schon. Putin, ein ehemaliger Geheimdienstoffizier, mit Koffern voller Leichen im Keller, Putin ist ein Freund der Deutschen. Will nix als Frieden. Wird schon, wird schon zurecht gebombt in Tschetschenien, muss man verstehen. Die anderen haben angefangen.

Aber sonst? Sind wir nicht in der glücklichen Lage, dass die Zeile aus dem Antikriegs-Gedicht von Matthias Claudius auf uns zutrifft:

" ´s ist Krieg! ´s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,

Und rede du darein!

`s ist leider Krieg - und ich begehre

Nicht schuld daran zu sein!"

Nein, sind wir nicht. Wir haben keine Rüstungs-Aktien von Raytheon oder Boeing, an Weihnachten 20 Euro für "Menschen für Menschen", Beamtenwitwen spenden 30, Ärztegattinnen 50. Wir geben 0,28 % unseres nationalen Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe. Vereinbart von allen Industriestaaten waren mal 0,7%. Na denn - Wir sind kein armes Land. Das ist ´ne Menge Geld! Norwegen gibt 0,92% - aber die haben Öl. Wir nicht. Mehr wäre auch nicht gut, weil es bei den Armen eh nicht ankäme, sondern von den Herrschaften da unten in Rüstung gesteckt würde. Was keiner hier will, keiner je wollte. Um Gottes Willen! Friede auf Erden.

Nur Montag ist Kampftag.

Lidl gegen Aldi, Neukauf gegen Walmart. Schlecker gegen Tchibo. Happy Saft, 2 Liter 1,49. Hähnchen Kilo 1,53. 30% billiger hier, 28% billiger dort. Kaffee, Schoki, Brötchen, Milch, Fleisch, Gartenmöbel, Eierkocher, Deostifte, Klovorleger, Olivenöl, Schampus und Bier.

Und Papiertaschentücher für die Tränen, die einem kommen möchten. Über das, was mit den Herstellern gemacht wird von diesen Ketten? Sklavenhaltermethoden im 21. Jahrhundert?

Nein, Tränen über die Armut, die man, wenn man sich mal eine halbe Stunde auf diese Parkplätze stellt, sieht. Sozialabbau, hier kaufen die Opfer!

Da muss man hin. Was will man machen - man muss. Wegen der Grünen Gesundheitsreform, verarmte Ärzte und Zahntechniker, wegen der Ökosteuer, weil die Pensionen gekürzt werden, die Eigenheimzulage, das Weihnachtsgeld - eine Nation kämpft ums Überleben.

Klassenlos vereint, klassenlos verarmt. Erschreckend. Landcruiser und Family Vans, Mercedes S-Klasse und Golf-Cabrio, erstaunlich, was die Armen, die hier zu kaufen gezwungen sind, für Autos fahren müssen, um Palettenweise das Hundefutter zu verstauen.

Die Menschen hinter den Einkaufswagen sehen friedlich aus und zufrieden. Dankbar, für die paar Cents, die sie gespart haben und die sie nun in die Riesterrente stecken können und die den Enkeln zugute kommen wird.

Montag ist Kampftag? Immer ist Kampftag. Jeden Tag ist Kampftag. Wie im Krieg.

"Besiege deine Gegner. Fange mit dem Durst an". Sprudelwerbung. Eine militaristische Sprache. Nicht von Durst stillen ist die Rede - eine befriedigende Handlung, ein Begriff der mit Zufriedenheit zu tun hat.

"Verlangen Sie nur das Nötigste - nämlich alles." Werbung für ein neues Chrysler Modell.

Das erinnert an den Kampfruf im Berliner Sportpalast - "Wollt ihr den totalen Krieg?". Jaaaa.

Wollt ihr den totalen Konsum? Wollt ihr alles? Jaaaa. "More and More", heißt denn passend auch eine Textilkette. Oder, eines der zynischsten Beispiele für den täglichen Kampftag in der Konsumgesellschaft, der Werbeslogan der Münchener Merkur Bank: "Jedem das Seine".

Wer hat diesen Spruch doch noch mal benutzt? Den Deutschen was ihnen zustand: alles. Den anderen was ihnen gebührte: die Sklaverei.

Wie bitte? Ich werde geschmacklos? Ich konstruiere Zusammenhänge, die es nicht gibt?

Die Zeit der Kolonialwarenläden ist vorbei! Wo bewaffnete Aufseher auf den Plantagen faulen Negern als pädagogische Maßnahme die Hände abhackten, wie damals in Belgisch-Kongo. Also bitte! Heute geht`s ganz anders zu auf der Welt.

Wir haben die Welt gerechter gemacht - in drei sogenannten Entwicklungsdekaden.

2,8 Milliarden Menschen leben in absoluter Armut - das ist knapp die Hälfte der Menschheit. Das muss man mal positiv sehen - die andere Hälfte lebt nicht in Armut. Jammert aber trotzdem. Das ist doch was. Die sind für die anderen das Vorbild, eine Art Leitkultur - schaun` Sie - 80 Millionen Deutsche verbrauchen so viel Energie wie eine Milliarde Inder - na, das sollen die uns erst mal nachmachen, und die Chinesen. Dann reden wir wieder übers Klima. Dann brauchen wir keinen Krieg mehr. Dann erledigt sich die Menschheit auch so. Schaun ´mer mal.

Uns geht`s - trotz lebensbedrohender Einschnitte durch Rot-Grün - noch ganz ok, weil wir günstig einkaufen können. Aber wir wollen dass die anderen, die in den fremden Kulturen, auch ihren Spaß haben.

Wir haben die Nachfolge Jesu praktiziert - und die Speisung der Zehntausend auf die ganze Welt ausgedehnt: wir haben aus Wasser CocaCola gemacht und aus einem Hamburger wurden Millionen - und wir haben sie an die Armen gegeben - jetzt gibt es auch MacDonalds, WalMart und Kentucky in Moskau, in Beijing, in Jakarta.

Und Ikea. Und BMW-Läden, shops, pardon! - in Beijing und in Soweto, vor den Toren Johannesburgs. Und nun all die deutschen Ketten von Polen, Estland, Lettland bis Slowenien. Und Müller Milch! Warum haben die Massen getanzt in der Nacht auf den 1. Mai 2004, in allen neuen EU-Staaten im Osten? Megaverstärkt auf Beethovens "Alle Menschen werden Brüder...." Ja, Aldibrüder, Schleckerbrüder. Dass die Menschen klüger werden steht nicht bei Beethoven. Aber glücklich. Die stürmen die neuen Dinger, da herrscht noch Kauflust, können wir uns ´ne Scheibe abschneiden. Freedom and democracy. Frieden und Freiheit. Die Menschen haben genug vom Krieg.

Es gibt einen herrlichen Cartoon von Sempé. Riesiger Haufen Scheiße, voll mit Fliegen. Drunter steht: "Leute, fresst Scheiße. Eine Million Fliegen kann sich nicht irren."

Millionen Konsumenten können sich nicht irren. Es herrscht Frieden. Und ich sage, es herrscht Krieg. Im Frieden. Der Frieden ist der Krieg.

Wo einst die europäischen Handelskontore, die Kolonialgesellschaften sich niederließen, wurde platt gemacht - Kulturen, Traditionen, die Natur. Die Produkte, Tee, Kaffee, Tabak, Seide und Gewürze, waren einst nur für eine kleine reiche Schicht. Als die Arbeiter aufbegehrten, hat man sie anfangs zusammen geprügelt, dann aber rasch gelernt: man ließ sie teilhaben an den Früchten des Kolonialismus. Partizipation - besser: Pazifizierung der Arbeiterklasse und der Mittelschicht über die globalen Ausbeutungsstrategien. So hat ihn die Mehrheit erfolgreich mitgetragen. Den Krieg gegen die Dritte Welt.

Sukzessive wurden in den Industriegesellschaften erst Bedürfnisse geschaffen und dann - beachten Sie das Wort! - "befriedigt". Der Trick dabei: nicht alle gleichermaßen befriedigen, und mehr Bedürfnisse, mehr Angebote, als Befriedigung. Dadurch bleiben die Leute "unzufrieden" - kommen nicht zur Ruhe, sind getrieben, der Kapitalismus bleibt in Bewegung. Menschen, die mit sich in Frieden leben, zufrieden sind, kaufen nicht oder wenig. Frieden ist das letzte, was der Kapitalismus braucht. Zufriedene Menschen sind nicht expansiv, nicht von Angst getrieben. Von der Angst, sie könnten weniger haben als der Nachbar, sie könnten etwas verpassen, zu kurz kommen, nicht alles gehabt haben was zu haben war.

Die uralte philosophische Erkenntnis, "cognito ergo sum", ich denke also bin ich, ist ersetzt worden durch die fundamentalistische Wahrheit "ich kaufe also bin ich."

Oder, der Spruch von "my home is my castle" etwas anders formuliert: Wir haben ncihts gegen den Feudalismus, wenn wir alle wie Könige leben können.

Und Könige haben bekanntlicherweise Beutezüge unternommen, um ihre Bedürfnisse "befriedigen" zu können, sie haben Diener gebraucht, Zulieferer, die Peripherien, in denen produziert wurde, was am Hofe verprasst wurde. Die Frage ist nun: wer sind die Diener für die Könige, wo finden die Beutezüge statt?

Wir wollen nur das Nötigste - und zwar Alles. Jetzt und immer. Ohne Jahreszeiten, ohne Mangel, ohne Bescheidenheit. Bohnen aus Kenia, Erdbeeren aus Chile, Seide aus Indien, Coltran aus dem Congo im Handy, die Welt im Supermarkt. Die Welt ein Supermarkt.

Für Klopapier und Verpackungsorgien, für Steaks und Schweinefutter, für Soja und Maniok, für Zuckerrohr und Kaffee, für Gartenmöbel und die Edelmetalle in den PCs werden die Regenwälder von Sumatra, Papua-NewGuinea, von Brasilien und Zentralafrika abgeholzt, Indigene Völker vertrieben, ihr Land umgepflügt, niedergebrannt.

Um immer gigantischere "family cars", protzigere tonnenschwere "utility vans" oder Cherokee Jeeps herzustellen - welcher Zynismus, dass ein Fahrzeug aus dem Militär den Namen eines von seinem Land verjagten Volkes trägt! - werden Staudämme gebaut, Menschen wie Ratten vertrieben. 30 Millionen Menschen sind in zwei sogenannten "Entwicklungsdekaden" allein im Nordosten Brasiliens ihres Landes vertrieben worden, heimatlos, obdachlos, für Plantagen, für sogenannte "cash crop" Kulturen für unsere Supermarktketten. Rund 50 Millionen für Staudämme in Indien - für unser westliches Konsum- und Wachstumsmodell, das die dortige neue Elite nun nachahmt, weil wir es ihnen doch erfolgreich vorgelebt haben.

Es herrscht Krieg gegen Millionen - für unsere jeden Montag, jeden Kampftag billiger werdenden Produkte.

Die sukzessive Zerstörung des Sozialstaates ist nur die Spitze des Eisberges.

Was in Ausmaßen, wie sie die Welt noch nie erlebt hat, momentan stattfindet ist die Zerstörung von Heimaten, von indigenen Völkern, von Bauerngesellschaften, von Millionen Dörfern, von Jahrhunderte alten Landkulturen, von Handwerk, von traditionellem Wissen, die - wörtlich - Entwurzelung halber Kontinente, "uprooting of peoples and nature"; die Vertreibung und Proletarisierung von Zig Millionen Menschen durch den Umbau der Welt in eine globale Nutzfläche durch eine globale Klasse von CEOs, von neuen Feldherrn einiger Welt-AGs - CocaCola, DaimlerChrysler, Monsanto, Novartis, Exxon, Shell, Unilever, Nestlé, United Fruit - um nur einige zu nennen. Wo sie auftreten, wo sie investieren, ist der Mensch eine Ware, ist die Natur eine Ware. Georg Büchner Forderung wird ins Gegenteil verkehrt, in:

"Friede den Palästen, Krieg den Hütten!" .

Gemessen daran sind die Kolonialgesellschaften wie Provinzfürstentümer.

Wie Söldnerheere im 30jährigen Krieg ziehen die Aufkäufer der Energie-, Textil-, der Zucker-, Kaffee- oder Papierkonzerne von Land zu Land, hinterlassen verbrannte Erde, ausgeblutete Menschen, Freihandelszonen, mit städtischem Proletariat, das auf das Land, vom dem es weggelockt wurde, nicht mehr zurück kann, wenn sich ein Konzern im nächst billigeren ansiedelt.

S` ist Krieg, und ich begehre, nicht Schuld daran zu sein.

Aber nein doch! Was wissen wir schon! Man hört ja nix, wie damals, mit den Zwangsarbeitern. Schuhe, Kleidung, Nahrung, alles wird immer billiger, irgendwie, wieso? Vielleicht weil die Besitzer der Ketten auf ihren Gewinn verzichten, oder die Bauern eben preiswerter leben als wir, oder die Arbeiter und Angestellten auf den Mutterschutz verzichten und sich selbst um die Rente kümmern. Mein Gott, dachten wir, irgendwie wird das doch seine Richtigkeit haben.

Die Konsumenten in den Gesellschaften des umgehemmten neoliberalen Konsumismus tragen alle Symptome des Krieges in sich: er enthemmt sie, nimmt ihnen jede Moral, Schamgrenze, macht sie blind gegenüber denen außerhalb des eigenen Territoriums, macht sie zu Tätern und Opfern zugleich, weil der Krieg alle Werte zerstört, sind sie sinnentleert - nur deshalb macht er noch einen Sinn. Sinnentleerte Existenzen schafft der neoliberale Kapitalismus, die totale Entfremdung von der Arbeit, von jeder Identität, weil für die moderne Arbeitsgesellschaft, für den dynamisch-flexibel-allzeit einsetzbaren Menschen Identität nur hinderlich wäre. So wird der Konsum, wie der Krieg, der einzige Ersatz für Lebenssinn, statt des "Abenteuers" Krieg nun eben das "event". Dafür geht man - nein, rast man - schon mal über Leichen.

Was entsteht, in beiden Arten von Krieg, sind menschliche, seelische Wracks.

Die neuen, die wirklichen Gröfaze, die "Größten Feldherrn Aller Zeiten" führen Krieg gegen sich selbst: "feindliche Übernahmen" heißt denn auch der Fachbegriff. Die Strategie von WalMart ist, jedes Jahr ein weiteres Land zu erobern. Ob Brillen, Textilien, Medien, Bier oder Nahrung - ein Vernichtungskampf. Die wenigen, die überleben, werden eine Entente cordial schließen - ihr Führungsanspruch ist die Weltbeherrschung. Welt-AGs.

Ein afrikanisches Sprichwort sagt: "Wenn Elefanten kämpfen, leidet die Erde."

Dieser Krieg beschränkt sich nicht auf die Peripherien, die Dritte Welt. Wir haben ihn nun vor der eigenen Haustür - in Oberschwaben ebenso wie im Mezzogiorno, in Irland wie in Spanien: So wie mit Kaffee-, Baumwoll- und Bananenpflanzern von United Fruit umgegangen wird, wird mit den Oliven- und Weinbauern in Südeuropa, in Südtirol, in Oberschwaben, wird mit den Obst-, den Milch-, den Getreidebauern bei uns umgegangen - Müller Milch, Aldi, Lidl, Metro, Kamps. Der Feind ist, was über Generationen Heimat war - sozialverträgliche, arbeitsintensive Landkultur, mittelständische Familienunternehmen, das Handwerk - alles, was keinen Gewinn bringt, was resistent sein könnte gegen die Turboentwicklung, was bewahrend wirkt.

Bauern-Sterben, Höfe-Sterben, Zerschlagung von genetischer Vielfalt - es sterben mit die alte Form der Kommunität, der Sozialbeziehungen. Jeder gegen jeden. Überlebenskampf. So denn überhaupt noch Platz ist für die Jungen - in 10 Jahren vermuten Experten, werden Regionen wie das Mezzogiorno oder die Niederlausitz menschenleer sein.

1949 gab es in der alten BRD 1,6 Millionen Höfe - heute sind es im vereinigten Deutschland kaum über 500.000. Nicht anders in England, in Irland, in Italien.

Was bleiben soll ist Agrobusiness, Gentechnologie. Das Ende der Schöpfung - die Welt gehört den Nahrungs- Chemie- und Saatgutkonzernen. Denen reichen Agrarproduktionszonen, das Pendant zu den Freihandelszonen. In denen wird - damit sich das sündhaft teure Gen- und Hybridsaatgut, die gigantischen Technologien amortisieren - Überschuss produziert. Fleisch, Butter, Milch, Weizen. Mit einem Minimum an Arbeitskräften. Vereinzelt unterstützt durch Brigaden von billigsten Wanderarbeitern

Daraus folgt ein weiterer Krieg: ein typisches Symptom - Krieg zerstört Heimaten.

Mit 230 Milliarden Euro pro Jahr in den westlichen Agrarstaaten subventioniert werden die Überschüsse die Dritte Welt exportiert. Europäisches Milchpulver für Jamaika, Butteröl für Indien, amerikanischer Weizen und Hühnerschenkel für Indien, Gen-Mais für Sambia, Rindfleisch für Westafrika: unter der Androhung ihnen Weltbankkredite oder ausländische Investitionen zu verweigern, erpressen die Agrargiganten über die World Trade Organisation, WTO, die USA, Kanada und Westeuropa die Regierungen des Südens, ihre Märkte zu öffnen, den einheimischen Bauern die Subventionen zu streichen -

Millionen Kleinbauern verrecken, weil sie mit den westlichen Agrarexporten nicht konkurrieren können, sie verschulden sich, verlieren ihre Heimat - nach meiner letzten Indienreise berichtete ich über Massen-Suizide unter indischen Bauern.

Aber auch darüber, dass indischen Bauernorganisationen die indische Niederlassung des amerikanischen Konzerns Monsanto stürmten.

Konzerne wie Monsanto und Cargill versuchen auf dem indischen Subkontinent, eine Patent Bill durchzusetzen, das Recht also, vom Basmatireis bis zum Koriander das Gen-Potential Indiens für ihre Labors zu patentieren. Mit denselben Methoden versuchen westliche Pharmakonzerne die Jahrtausende alte Ayurveda Medizin zu plündern.

700.000 Kleinbetriebe, 7.000 mittelständische und 10 Millionen Arbeitsplätze,

berichtete das indische Magazin "outlook" jüngst, sind in 5 Jahren in Indien ruiniert worden, weil sie mit den billigen Industrieprodukten nicht mithalten können.

Seit April 2000 gelten die "Regeln des freien globalen Marktes" in Indien, der Diktatur des GATS Abkommens, der Welthandelsbedingungen. Deshalb sind die einheimischen Firmen in Argentinien bankrott, ein einst blühendes Land von den Auslandsschulden zermalmt wie von Panzern fremder Aggressoren.

Die hochsubventionierte fremden Truppen - Massentod auf Raten: der Agrarökonom Professor Swaminatham rechnet vor - 80 Millionen Frauen mit einem Büffel oder zwei Kühen produzieren in Indien jährlich 75 Millionen Tonnen Milch. Dafür benötige man unter industriellen Bedingungen im Westen gerade mal 100.000 Bauern. Käme solche Milch, entsprechend verarbeitet auf den indischen Markt ( wie bereits auf Jamaica, in handlichen Milchpulver-Beuteln), wäre die Existenz dieser Frauen vernichtet.

Und nun in weiterer Krieg: der Griff global agierender Konzerne nach einem Grundrecht des Menschen, nach der Grundlage des Lebens: gepusht durch den globalen Lobbyistenclub der Turbokapitalisten, der westlichen Beutezug-Oberscharführer, gepusht durch die Welthandelsorganisation WTO, greifen Versorgungs- und Getränkekonzerne wie Suez/Ondeo, Vivendi, Evian, die Nestlé Tochter Perrier Vittel, Pepsi, CocaCola, die RWE Tochter Thames Water, die deutsche Aquamundo nach dem Trinkwasser, zuerst in der Dritten Welt, in Ansätzen auch bei uns. Wer sich dieses "saubere" Wasser nicht leisten kann, verreckt. Egal, weil es sich eh um die Armen handelt, Verschiebemasse, und von der gibt es mehr als genug. Doch nicht nur sie sind die Opfer der Globalisierung!

Denn ob Handwerk, Bauern, Mittelstand, hoch ausgebildete Fachkräfte, Industriearbeiter - alle stehen in den Chefetagen des Turbokapitalismus zur Disposition. Nahezu jedes Produkt, fast jede Art von Arbeit. Zumindest wird damit gedroht. Dann eben aus dem erweiterten EU-Osten - Milch, Puten, Hühner, Fertigteig oder Bauarbeiter. Die neuen Zehn unterbieten sich bereits in Steuervorteilen für westliche Investoren, wie bislang die Länder der Dritten Welt, um mit "wirtschaftlichen Sonderzonen" westliche Investoren anzulocken. Überall ein Generalangriff gegen die Errungenschaften der Gewerkschaftsbewegungen, gegen Sozialstandards, Gleichstellung von Frauen, Menschenrechte. Und, selbstverständlich, weil ebenfalls ein Kostenfaktor - geringere, oder gar keine Umweltstandards. Dies ist nun auch in Osteuropa zu erwarten. Nun hat das internationale Kapital einen Vier-Fronten-Krieg eröffnet:

die hochentwickelten Regionen Zentren gegen die strukturschwachen, beide ausgespielt gegen die in Osteuropa, die ausgespielt gegen die Dritte Welt - und schließlich die noch gegeneinander ausgespielt; die Schwellenländer bekriegen sich inzwischen bereits gegenseitig: Indien, China, Malaysia, als Beispiele.

Was ist die überall spürbare Folge? Ein typisches Phänomen von Kriegen: Angst. Angst, den - vielfach hohen - Standard radikal einschränken zu müssen, umziehen zu müssen, Heimat, Haus, Freunde zu verlieren, keine Arbeit mehr zu haben, die eigenen Kinder ohnehin nicht, Angst nicht dynamisch, fit, kreativ, einsatzbereit zu sein.

Angst macht anpasserisch, egoistisch, krank, lähmt das Sozialverhalten, raubt Visionen und solidarisches Handeln, macht einen offen für fundamentalistische, populistische Lügen, linke wie rechte und ebenso für neoliberale Heilsversprechen. Angst macht erpressbar.

Der letzte Aspekt der "zivilen Kriege":

Damit alles funktioniert wie es funktioniert, damit die Menschen glauben, diese Kriege seien eben der Lauf der Zeit, ändern lasse sich nichts; die Oben hätten immer gemacht was sie wollten, damit Widerstand nicht aufkommt und wenn, als wachstumsfeindlich dargestellt wird, und das ist das schlimmer, viel schlimmer als Esser, Ackermann und Merkel zusammen, damit niemand erfährt, wie viel alternatives, ziviles Wissen, humanitäres, soziales Wissen auf der Welt vorhanden ist, damit niemand auf die Idee kommt, eine friedliche, gerechtere, zukunftsfähige, freundliche Zivilisation sei denkbar, machbar, eine Globalisierung die die Erde für alle heute und morgen und übermorgen bewohnbar macht, damit sich Angst und Wut und Verzweiflung nicht in Widerstand verwandeln, braucht es, was jeder Krieg gebraucht und jeder bekommen hat: Ablenkung, Verdummung, Verblödung, ein Krieg gegen den Verstand, gegen kritische Rationalität, gegen Aufklärung, Zivilisation und Menschlichkeit, ein Krieg gegen die Seelen der Menschen.

Panem et circenses. Brot und Spiele. Das Brot sind die WalMarts, zur Massenbefriedigung; die Spiele ist, was Berlusconi, Saban und Murdoch finanzieren, das was an immer dümmlicheren Fernsehformaten aus den USA zu uns kommt, und all das, was schlimmer ist als unter den Nazis die systematische Volksverdummung aus den UFA Studios; je schlimmer der Krieg, desto lauter wurde gepfiffen, gejohlt und getanzt. Damals. Heute übernimmt die Ablenkungspropaganda RTL, Sat1, NeunLive, Endemol, Pro Sieben, Burda, Bauer, "Bild" und die "Bunte". Mit allen Nebenwirkungen des Krieges: Zerstörung jeder Moral, Scham, Menschlichkeit, Erniedrigung, totale Enthemmung niedrigster Instinkte.

Was sind die Antworten?

Wir müssen umdenken, radikal, und müssen bei uns selbst anfangen. Das beginnt beim Einkaufskorb, der mehr Macht hat als noch so viele Pace-Fahnen.

Wir müssen der Globalen Allianz der Neokonservativen, der Neoliberalen, der Nadelstreifen-Jet-Set-Milliardäre, diesen Menschen Arbeit und die gesamte Schöpfung fressenden Monstern, eine globale Allianz für Gerechtigkeit, Nachhaltiges Wirtschaften, Bewahrung der Schöpfung, eine Allianz für soziales, menschliches, kulturelles statt wirtschaftliches Wachstum entgegensetzen.

Wir brauchen eine umfassend radikale Wertediskussion, aber keine Elite-Universitäten, an denen die Handlanger für Vodafone, Daimler, Sony, Monsanto, EADS oder Nestlé produziert werden. Wir brauchen keine neue Eliten - wir brauchen andere. Und die gibt es, in den USA ebenso wie in Indien, in Europa wie in der Arabischen Welt. Das alternative Wissen, das die Welt nicht weiter zum Abgrund hin beschleunigt, sondern "entschleunigt". Die Visionen von sozialer Arbeit, von einem schonenderen Umgang mit menschlichen wie materiellen Ressourcen, die konkreten Utopien von nicht-entfremdeter, sinnentleerter Arbeit, von Technologie und Wachstum vor allem für die Dritte Welt, die dort der Mehrheit der Menschen eine Chance gäben und nicht der irrsinnige, wahnsinnige Transfer unseres Wachstumsmodells in den Rest der Welt - was unausweichlich Rohstoffkriege, Verteilungskriege zur Folge haben wird und noch größere Massenarmut. Über 150 Millionen verarmte, vertriebene, subproletarische Arbeitslose sind im Wachstums-China auf der Flucht, auf der Suche nach Arbeit. Aber mit deutscher Hilfe fährt eine Transmagnet-Bahn die neuen Reichen zum Flughafen von Shanghai.. Das ist Entwicklung!

Wir können nicht so weitermachen wie bisher, und erwarten, dass die anderen uns nicht bis zum globalen Suizid kopieren. Wir müssen gemeinsam die Modelle der Langsamkeit entwickeln, des Kleinen, nicht des Großen.

Das Wissen, den Mut, die Visionen gibt es - in erfreulicherweise wachsendem Ausmaß - in Tausenden von Nichtregierungs-Organisationen, in alternativen Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Nicht beim Wirtschaftsgipfel der Weltfresser in Davos, sondern beim Gipfel der Weltbewahrer in Porto Allegre sind die Antworten auf die modernen Kriege zu finden, die Stimmen jenes Wissens, das die Welt nicht ruiniert.

Eine davon möchte ich hier kurz zu Wort kommen lassen - die indische Schriftstellerin Arundathi Roy, die am Beispiel des indischen Narmada-Staudammes den Wachstumsfetischismus der neuen indischen Eliten als Krieg gegen die Armen beschreibt:

Tag für Tag, Fluss um Fluss, Hügel für Hügel, Rakete um Rakete, Bombe um Bombe werden wir gebrochen. Und wir merken es kaum. Megadämme sind in der Nationalen Entwicklung was Atombomben für das Militär sind. Beide Waffen zur Massenvernichtung.

Die Intelligenz ist durcheinandergerührt worden, die einst fähig war, das Ei dem Huhn, die Milch der Kuh, Nahrung dem Wald, Wasser dem Fluss, Luft dem Leben und Erde dem menschlichen Sein zuzuordnen.

Können wir dies wieder auseinander rühren?

Vielleicht. Zentimeter um Zentimeter. Bombe um Bombe. Damm um Damm.

Wir müssen ganz neue Kriege auf ganz neue Art kämpfen.

Vielleicht ist es das, was das 21. Jahrhundert für uns auf Lager hat - das Große zu bekämpfen - die Großen Bomben, die Großen Dämme, die Großen Ideologien " die Großen Widersprüche. Vielleicht wird das 21. das Jahrhundert des Kleinen?"

Und wir sind Teile des Kleinen - die müssen wir weltweit vernetzen, uns austauschen, Wissen, Erfahrungen mit Formen des Widerstandes, des so kleinen Wortes NEIN weiter geben - dafür müssen wir wohl einen kleinen Teil unserer Freizeit, unseres Urlaubs opfern. Wenn wir alle dies tun, wird die Last auf den Schultern der wenigen Aktiven leichter.

Wir haben eine gemeinsame Verpflichtung: diese Erde den nachkommenden Generationen zu erhalten - mit tausend verschiedenen Arten sie zu bebauen - mit tausend Formen zu kochen, zu essen, auf ihr zu tanzen, zu singen, zu lieben, zu heiraten und in den Tod begleitet zu werden - Jeder Dialekt, jede Sprache, jedes Dorf, jede Reis- jede Hirsesorte, jedes Lied, das uns diese neuen Herren rauben, egal wo auf der Welt, müssen wir als Teil von uns begreifen.

Und wenn wir, wie Arundathi Roy es fordert, ganz neue Kriege auf ganz neue Art kämpfen müssen, müssen wir lernen ganz neue Bündnisse zu schließen - Bauernorganisationen und Gewerkschaften, Umwelt-, Menschenrechts-, Frauen- und Dritte-Welt-Bewegungen, Kirche von unten, Wissen von unten und Wissen von oben.

Vielleicht aber müssen wir auch, um mutiger zu werden, freier in unseren Entscheidungen, um öfter nein sagen, uns verweigern zu können, uns ein wenig entschlacken, einen bescheideneren Standard leben - weil der uns unabhängiger macht.

Die Mehrheit von uns lebt, absolut gesehen und gemessen an der Mehrheit der Weltbevölkerung ohnehin, in enormer Sicherheit. Daran gemessen wagen wir wenig, machen viel zu selten den Mund auf. Vielleicht sollten wir nochmals nachlesen, welche Formen Zivilen Ungehorsams unter der Apartheid in Südafrika, unter der britischen Gewaltherrschaft von Gandhi in Indien, von Martin Luther King in den USA oder von der Landlosen-Bewegung in Brasilien entwickelt wurden.

Zum Schluss, und als Ermutigung deshalb einige Aufforderungen des brasilianischen Bischofs und Befreiungstheologen Pedro Casaldáliga :

 Weil wir als christliche Botschaft weitergegeben haben, was in Wirklichkeit bloß die herrschende Kultur war

 Weil wir so oft Soldaten und Diktaturen gesegnet haben..

 Weil wir Jahrhunderte lang mit dem Kapitalismus zusammengearbeitet haben und heute gegenüber dem Neoliberalismus Stillschweigen bewahren

 und schweigen zur verbrannten Erde, zu Antipersonenminen; und Elendssiedlungen;

 *Weil die Option für die Armen für uns wieder das Grundmodell des Lebens ist,

 *weil wir der Globalisierung der Gewinne die weltweite Entwicklung von Solidarität entgegensetzen werden,

 weil wir trotz der Mächte der Finsternis und der dunklen Nacht der Armen in dieser Stunde des Neoliberalismus noch träumen und kämpfen und die Flagge der Utopie nicht eingeholt haben und weil das Leben den Tod besiegt

singen wir mit denen die Mut und Visionen einer menschlicheren Welt haben, Lieder der Hoffnung und der Liebe

Ich danke euch. Shalom.



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