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Antikriegs-
tag 2004


vom:
08.09.2004


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Antikriegstag 2004:

  Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede anlässlich des Weltfriedenstags 2004 in Erfurt, Anger

Liebe Freundinnen und Freunde,

Hanne Adams (Erfurt)

Ich heiße Hanne Adams. Ich mache mit bei der Thüringer Friedenskoordination und bei der Friedensinitiative Hildburghausen.

1. September - Weltfriedenstag. Gedenken daran, dass Deutschland heute vor 65 Polen überfallen hat. Und nach den Gräueln des 2. Weltkriegs waren sich die Deutschen überwiegend einig: Nie wieder Krieg.

Und heute? In einem Werbeprospekt fielen mir kürzlich T-Shirts ins Auge mit dem Aufdruck WARRIORS ATTACK, mehrfach nebeneinander in verschiedenen Farben. - Und bei den Jugendlichen liegt Tarnkleidung im Trend. Und mancher sagt sich wohl, Soldat sein ist cool, die können immer in Tarnklamotten rumlaufen.

Heute will man uns glauben machen, dass militärische Konfliktlösungen das einzige Mittel sind, um die Welt in Ordnung zu bringen und zu halten. Uns glauben machen, dass wir reichen Nationen die Bürde tragen und das Recht haben, anderen Völkern unsere Lebensweise beizubringen. Denn wir sind die Guten.

Ein Blick in die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) vom Mai letzten Jahres macht das deutlich:

Eine der zentralen Aussagen betrifft das Einsatzgebiet der Bundeswehr: "Künftige Einsätze lassen sich wegen des umfassenden Ansatzes zeitgemäßer Sicherheits- und Verteidigungspolitik und ihrer Erfordernisse weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen." Laut Struck ist das Einsatzgebiet der Bundeswehr "die ganze Welt".

Passend dazu ist im Bundestag vor Kurzem über ein Entsendegesetz der Bundeswehr beraten worden, das sog. "Parlamentsbeteiligungsgesetz". Darin steht: "Bei Einsätzen von geringer Intensität und Tragweite kann die Zustimmung in einem vereinfachten Verfahren erteilt werden." Das bedeutet, dass nur dann, wenn innerhalb einer Woche nach Bekanntmachung des bevorstehenden Einsatzes eine Fraktion oder 5 Prozent der Mitglieder des Bundestages es verlangen, dieser darüber berät und entscheidet. Andernfalls gilt der Einsatz als genehmigt. In den VPR steht aber auch: "Eine rasche Eskalation von Konflikten, wodurch ein friedenserhaltender Einsatz in eine Operation mit höherer Intensität übergeht, ist nie auszuschließen." Das wäre dann ein Kriegseinsatz, über den nie im Bundestag beschlossen wurde.

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Im Grundgesetz steht: "Außer zur Verteidigung dürfen Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt." Struck definiert den Begriff "Verteidigung" neu: "Sie schließt die Verhütung von Konflikten und Krisen, die gemeinsame Bewältigung von Krisen und die Krisennachsorge ein. Dementsprechend lässt sich Verteidigung geografisch nicht mehr eingrenzen ..."

Verteidigung? In den VPR steht auch: "Um seine Interessen und seinen internationalen Einfluss zu wahren ... "stellt Deutschland in angemessenem Umfang Streitkräfte bereit ..." Zählt das auch zur Verteidigung?

Glaubt man den Bundeswehrangehörigen, die, wie kürzlich in Suhl, auf der Werbeausstellung "Unser Heer" die Jugendlichen für eine Bundeswehrlaufbahn interessieren wollen, dann sind die deutschen Soldaten ja nur zum Schützen und Helfen da. Ist das so?

Beispiel Afghanistan: In Kundus sind derzeit 250 deutsche Soldaten. Warum wird für die ein Militärstützpunkt für über 12 Mio Euro gebaut? (1) Wie kann die Bundesregierung solche horrenden Beträge von unserem Geld ausgeben, wo doch die Bundeswehr dort bei den meisten der dort arbeitenden internationalen Hilfsorganisationen nicht mal erwünscht war (2). Bevor das Militär kam, war Kundus nach Angaben dieser Organisationen ein sicherer Ort. Inzwischen ist das nicht mehr so. - Die Bewohner Afghanistans haben das Pech, dass ihr Land genau da liegt, wo die westlichen Industrienationen, allen voran die USA, dringend eine Pipeline zum Öltransport brauchen.

Heute kann es sich die Leipziger Messeleitung leisten, auf der Buchmesse einen Bundeswehr-Werbestand zuzulassen. Und sie kann es sich ohne merkliche Medienwirkung leisten, das rabiate Vorgehen der Feldjäger gutzuheißen, die dem Sprecher einer Demonstration gegen diesen BW-Stand ohne Vorwarnung ergriffen haben, ihn an Händen und Füßen gefesselt und zu Boden gerissen haben (3).

Noch eine andere Facette des Themas Militarisierung liegt mir am Herzen:

Wir sind im Begriff, die Entscheidungsbefugnis unseres Parlaments über Rüstungsausgaben und Militäreinsätze abzugeben, nicht etwa an das Europäische Parlament - das wird laut EU-Verfassungsentwurf nur "zu den wichtigsten Aspekten und den grundlegenden Weichenstellungen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik regelmäßig gehört." und "über ihre Entwicklung auf dem Laufenden gehalten.", nein, an den europäischen Ministerrat und an die neu zu schaffende "Europäische Agentur für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten".

Innerhalb der EU wird es einen elitären Club geben, die Staaten mit sog. "ständiger strukturierter Zusammenarbeit". Nur die Staaten gehören dazu, die sich zu besonderen Rüstungsausgaben und zusätzlichen möglichen Militäreinsätzen verpflichten. Deutschland wird mit dabei sein(4). Es ist oft Vorreiter .

Ein aktuelles Beispiel: Mehrere Länder haben sich verpflichtet, irakische Offiziere auszubilden, außerhalb Iraks. Deutschland hat schon damit angefangen, die Andern noch nicht.

Zusätzlich zur allgemeinen in der EU-Verfassung enthaltenen Aufrüstungsverpflichtung: "Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern." werden also weitere horrende Militärausgaben auf uns zukommen.

Europa wird zu einer Festung werden. Den Flüchtlingen aus Ländern, an deren Elend der Westen meistens eine Mitschuld trägt, soll in Auffanglagern außerhalb der EU-Grenzen nachgewiesen werden, dass ihre Ansprüche völlig unberechtigt sind. (Informationen zur gepl. EU-Verfassung gibt`s bei mir.)

Doch nicht nur die Einbindung der Bundesrepublik mittels EU-Verfassung in einen unüberschaubaren militärischen Komplex macht mir Sorgen. Bei Garantie des "freie(n) Personen-, Dienstleistungs-, Waren- und Kapitalverkehr(s)" sowie der Niederlassungsfreiheit sind die Mitgliedsstaaten "dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet". So werden nach und nach private Anbieter öffentliche Dienstleistungen im Sozial-" Gesundheits- und Bildungsbereich übernehmen und damit der öffentlichen Kontrolle entziehen. Hier werden also künftig Profitinteressen noch stärker zählen als die Bedürfnisse der Menschen.

Hierzu ein Beispiel: Ein Team kanadischer Wissenschaftler hat insgesamt 56 Mio Patientenfälle in 26 000 Krankenhäusern Nordamerikas untersucht und statistisch zweifelsfrei festgestellt, dass das Todesrisiko in gewinnorientierten Krankenhäusern signifikant höher ist als in nicht gewinnorientierten (5).

Was können wir nun aber tun? Den sog. "Guten" zur Macht verhelfen? Das bringt m.E. nichts, denn wer erst mal an der Macht ist, der ist nicht mehr gut.

Ein Patentrezept habe ich auch nicht. Ich versuche, mich da einzubringen, wo ich es für nötig halte. Z.B. mit einem Leserbrief, in einem Alltagsgespräch, und ich versuche, immer mehr ein Gespür dafür zu bekommen, wo Machtmechanismen am Werk sind, wo ich selbst Druck ausübe oder mich ohne Not irgendwelchem Druck beuge. Viele von Ihnen haben sicher gute Vorschläge.

Gerade darum, gemeinsam über eine lebenswerte Welt nachzudenken, soll es beim Ersten Sozialforum in Deutschland gehen, das im Juli nächsten Jahres in Erfurt stattfindet. Grundlage ist die Charta des Weltsozialforums von Porto Allegre. Wer mehr darüber wissen will, kann am Do 9. Sept. um 19 Uhr in das CVJM-Heim in Erfurt in der Gerberstr. 14 a kommen.

Wer beim Vorbereitungsprozess mitmachen will - als Gruppe oder Einzelperson -, kann am Wochenende 11./12. Sept. an einer Konferenz hier in Erfurt teilnehmen im Joh.-Lang-Haus, Allerheiligenstr. 9 in Erfurt, Beginn: Sa 11. Sept., 12 Uhr .

Danke für die Aufmerksamkeit



(überarbeiteter Redetext)



Anmerkungen:

(1)Dr. phil. Matin Baraki in Jena am 19.08.04. Dr. Baraki ist Lehrbeauftragter für Internationale Politik an den Universitäten Marburg und Kassel und Afghanistan-Experte.

(2)WELT vom 29.08.03

(3)Erklärung des Verlags Ossietzky und Anderer vom 28.03.04

(4)vgl. EU-Verfassungsentwurf: Protokoll über die ständige strukturierte Zusammenarbeit

(5)Broschüre der Friedenswerkstatt Linz: EU-Verfassung - Europa der Konzerne und Generäle?



E-Mail:   hanneadams@web.de
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