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Antikriegs-
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vom:
08.09.2004


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Antikriegstag 2004:

  Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede zum Antikriegstag in Heilbronn am 1. September 2004

Sehr verehrte Mitbürger und Mitbürgerinnen, liebe Kollegen und Kolleginnen, liebe Freundinnen und Freunde,

Bärbel Danner (Heilbronn)

- Es gilt das gesprochene Wort! -



wir versammeln uns heute zum Antikriegstag Antikriegstag. Dieser Tag konfrontiert uns mit einem Ereignis unserer Geschichte: am frühen Morgen des 1. September überfällt Deutschland Polen und beginnt damit einen Krieg, der über 50 Millionen Menschen das Leben kostet. "Nie wieder Krieg" hat es kurz danach aufgrund dieser Erfahrung geheißen - Menschen vergessen schnell. Denn wenig später steht Deutschland wieder unter Waffen. 1957 findet deshalb der erste Antikriegstag statt - heute jährt er sich zum 47. Mal. Das Erinnern am heutigen ersten September hat also Tradition - und auch das Vergegenwärtigen. Dies gehört zum Erinnern dazu: aus der Geschichte zu lernen und Konsequenzen daraus zu ziehen für Gegenwart und Zukunft . Haben wir etwas gelernt - die Konsequenzen gezogen - sind wir endlich friedlicher geworden? Die Bilanz sieht traurig aus. Zu den bereits vorhandenen Kriegs- und Krisengebieten kommen ständig neue hinzu. Die Rüstungsausgaben der Industrienationen steigen. Gleichzeitig wachsen Hunger und Armut in der Welt zu. Immer mehr Menschen werden von dem Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen ausgeschlossen.

Eines hat sich auch nicht verändert: Die modernen Kriege der globalisierten Welt bestätigen die Grunderfahrungen der meisten bewaffneten Auseinandersetzungen zu allen Zeiten. Zu diesen Grunderfahrungen zählen Einsichten wie: Gewalt ruft neue Gewalt hervor. Krieg bedeutet Not und Elend. Statt mit Konferenzen und Verhandlungen friedliche Lösungen herbeizuführen, sprechen die Waffen. Der Friede ist der Friede der Stärkeren. Denn die Sieger glauben im Recht zu sein, nur weil sie die überlegene Kriegsmaschinerie besitzen. Um so größer ist auch heute in allen Teilen der Welt das Bedürfnis nach Frieden und Sicherheit. Aber: Ist mein Friede, meine Sicherheit auch die der anderen? Schon 1955 hat sich der damalige Abgeordnete Gustav Heinemann in einer Rede kritisch mit der Einbindung Deutschlands in den westlichen Militärblock auseinandergesetzt.

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Antikriegs-
tag 2004
Er sagt: "Sieht man denn nicht, dass die dominierende Weltanschauung unter uns gegenwärtig aus drei Sätzen besteht: Viel verdienen - Soldaten, die das verteidigen - und Kirchen, die das absegnen."

Ich befürchte, dass sich an dieser Grundüberzeugung im Wesentlichen nicht viel geändert hat. Immerhin folgen die Kirchen der Absegnung dieses Verteidigungszieles nicht mehr uneingeschränkt. Aber Sicherheitspolitik heißt immer noch: Absicherung der Macht. Sicherheitspolitik heißt - in Zeiten von Hartz IV Absicherung des Reichtums von immer wenigeren. Sicherheit heißt: Absicherung der Vorherrschaft, der Hegemonie. Das bestätigt das Verteidigungsministerium. In den "Verteidigungspolitischen Richtlinien" des Verteidigungsministeriums vom 21. Mai 2003 heißt es. "Ungelöste ethnische, religiöse, wirtschaftliche und gesellschaftliche Konflikte wirken sich im Verband mit dem internationalen Terrorismus, mit der international operierenden Organisierten Kriminalität und den zunehmenden Migrationsbewegungen unmittelbar auf die deutsche und europäische Sicherheit aus. Ihnen kann nur durch ein umfassendes Sicherheitskonzept und mit einem System globaler kollektiver Sicherheit begegnet werden." Es gehört eine gute Portion Menschenverachtung und Zynismus dazu, sich von Flüchtlingen genauso bedroht zu fühlen wie von Kriminellen und Terroristen.

Mit dieser unerträglichen Assoziationskette werden Flüchtlinge und Migranten offiziell zu einer Bedrohung erklärt, gegen die militärisch vorzugehen ist. Abgesehen von der Perversion des Denkens, die damit in den "Verteidigungspolitischen Richtlinien" zum Ausdruck kommt, wird deutlich, wie unterschiedlich Sicherheitsbedürfnisse sind und was dafür eingesetzt wird. Flüchtlinge riskieren für ein besseres und angstfreies Leben auf seeuntüchtigen und überfüllten Booten ihr Leben. Unsere Sicherheit wird von hochgerüstetem Militär hergestellt. Militär sichert Reichtum und Wohlstand. Militär soll künftig dafür sorgen, dass wir uns mit Not und Elend der Flüchtlinge nicht auseinandersetzen müssen. Denn auf Wunsch des Innenministers Otto Schily sollen Flüchtlinge zuerst in Camps in Nordafrika abgefangen, festgehalten und überprüft werden. Sicherheit für Europa besteht in der Durchsetzung eigener Interessen. Unrecht, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge und ihre Sicherheit spielen in den sicherheitspolitischen Erwägungen unseres Landes keine Rolle. Aber solange das Bedürfnis nach Sicherheit die Aufrechterhaltung des Unrechts mit einschließt, ist die Sicherheit eine trügerische - und geht zu Lasten anderer. Gibt es eine Alternative? Friede und Sicherheit, die nicht auf Kosten anderer hergestellt sind? Friede, der nicht auf Unterdrückung beruht? Sicherheit, die nicht nur die Wahrung eigener Interessen im Blick hat? In der Bibel wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit. "Das Tun der Gerechtigkeit wird Friede sein und ruhige Sicherheit auf Dauer." Das hat der Profet Jesaja festgestellt, ein berühmter Kritiker der Herrschenden seiner Zeit. Gerechtigkeit ist dabei kein zusätzlicher Wert.

An der Frage nach Gerechtigkeit entscheidet sich, welcher Friede gesichert wird - und ob es ein Friede auf Dauer ist, der Sicherheit gewährleistet. Das Zitat von Jesaja macht auch deutlich, was sich im normalen Leben bestätigt: dass die Gerechtigkeit umsonst nicht zu haben ist. Für sie muss gearbeitet werden. In der politischen Umsetzung kann dies auf vielfache Art geschehen: der Wohlstand wird nicht auf Kosten anderer abgesichert, Hunger und Armut werden aufgehoben werden, wirtschaftliche Abhängigkeit wird geringer. Dies sind übrigens auch Prüfsteine, an denen sich jede Art von Politik messen lassen muss. Eine Entschließung der IG Metall zur Gesellschafts- und allgemeinen Gewerkschaftspolitik hat im Grund genau dies zum Inhalt. Da heißt es: "Die Sicherung des Friedens, die Eindämmung des internationalen Terrorismus, die Beachtung demokratischer Grundrechte sowie die Abwehr von Rechtsextremismus und Rechtspopulismus sind unabdingbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zukunftsentwicklung." Und nun kommt das entscheidende - ich zitiere: "Frieden und Sicherheit können dauerhaft nur auf der Grundlage nachhaltiger Entwicklung und gerechter Verteilung gesichert werden." Darauf kommt es an. Auf die gerechte Verteilung von Resourcen und Rechten - auf praktizierte Gerechtigkeit. Davor, vor der Gerechtigkeit brauchen wir keine Angst zu haben - wie vor den ganzen sozial- und sicherheitspolitischen Lösungen, die die Politik zurzeit präsentiert. Der Weg der Gerechtigkeit geht nämlich nicht über Leichen - er spaltet auch nicht die Gesellschaft oder treibt den Spaltkeil noch tiefer. Er hat Shalom, Gottes Frieden zum Ziel. Dies ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Shalom meint einen Frieden, der darin besteht, dass alle genug haben zum Leben, dass alle die Rechte haben, die ihnen ein menschenwürdiges Leben garantieren. Shalom bedeutet, dass den Menschen genüge getan wird, dass sie deshalb vergnügt sein können, weil ihnen selbst und den anderen Genüge getan wird.

In dem Maß, wie an der Gerechtigkeit gearbeitet wird, können neben diesem Frieden auch andere Früchte wachsen: eine Sicherheit zum Beispiel, die nicht gekauft ist oder hergestellt wird, sondern gesicherte Arbeits- und Lebensbedingungen bietet. Wie viele könnten dann sicher und in Frieden leben, und müssten nicht mehr unter Einsatz ihres Lebens die Flucht riskieren. Leider gilt allerdings auch der Umkehrschluss: Wenn an der Gerechtigkeit nicht gearbeitet wird, kann Frieden nicht entstehen. Dies zeigt ein Blick in den Irak. Die irakische Bevölkerung erleidet nunmehr den dritten Krieg in den letzten zwanzig Jahren. Seit 1992 besteht darüber hinaus ein Wirtschaftsembargo, dessen Folgen ebenfalls die Zivilbevölkerung zu tragen hat. Über die Hälfte der Menschen im Irak kann nicht aus eigener Kraft existieren. Wie soll da Friede werden. Schauen wir weiter nach Tschetschenien. Seit Jahren tobt dort ein vergessener Krieg- so vergessen und verschwiegen, dass sich die Tschetschenen erst ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit bomben müssen "damit die Welt aufmerksam wird. Auch hier ist es nunmehr die zweite Kriegswelle. Auch hier leidet die Zivilbevölkerung. Es gibt extreme Menschenrechtsverletzungen. Statt die im Krieg zerstörten Wohnungen zu sanieren, zwingt die russische Baumafia die letzten Einheimischen zur Flucht aus den Städten. Wie soll da Friede werden? Dies zeigt auch ein Blick in den Nahen Osten. Der sogenannte Sicherheitszaun, in Wirklichkeit eine solide Mauer, wird mehrere hunderttausend Palästinenser heimatlos machen und ihre Lebensgrundlagen zerstören. Fruchtbares Land wird zum Bau der Mauer zwangsenteignet, Wasserressourcen werden abgegraben. Statt eines lebensfähigen palästinensischen Staates entsteht ein Geflecht aus Enklaven und Flüchtlingslagern.

Auch da wird mit Sicherheit kein Friede. Und diejenigen Staaten die sich leisten könnten - entziehen sich der Arbeit an der Gerechtigkeit. Entziehen sich ihrer Verantwortung. Amerika und Europa zum Beispiel. Als vermeintlicher und selbsternannter Weltpolizist beugt Amerika das Völkerrecht und sichert die eigene Hegemonie und den Zugriff auf wichtige Rohstoffe und Ressourcen. Im vereinten Europa steigen die Rüstungsausgaben. Eine rigide Asylpolitik hat die Flüchtlingsabschreckung zum Ziel und geht Hand in hand mit einer erhöhten Militärpräsenz an den Grenzen. Aber das muss glaube ich allen deutlich werden - besonders denjenigen, die in politischer Verantwortung stehen: Nur so viel Sicherheit und Frieden können entstehen, wie an der Gerechtigkeit gearbeitet wird. Gerade deshalb ist die Arbeit an der Gerechtigkeit ein wichtiger und lohnender Weg - weil er die Gewalt in einer gewaltsamen Welt verringert und mehr Menschen Lebensmöglichkeiten eröffnet und ein Auskommen in Sicherheit und Frieden. Noch eine kleine Beobachtung zum Schluss. Mit dem Frieden und der Sicherheit, die die Folge der Arbeit an der Gerechtigkeit sind, spricht der biblische Text auch von der Ruhe. Diese Ruhe hat in der Bibel etwas zu tun hat mit dem Sabbat, dem Sonntag, der freien Zeit, in der wir ausruhen können, Auftanken und nicht dem Diktat der Arbeit und der Wirtschaft unterworfen sind. An einem Tag nicht der Ideologie der permanenten Steigerung der Produktion, des permanenten Wachstums gehorchen müssen. Die Ruhe, die der Profet Jesaja als Frucht der Gerechtigkeit verheißt, ist aber auch nicht die Ruhe, von der die Herrschenden immer wieder behaupten, sie sei die erste Bürgerpflicht.

"Die Frucht der Solidarität wird Frieden sein und die Arbeit an der Gerechtigkeit ruhige, verläßliche Sicherheit." Erste Bürgerpflicht, erste Christenpflicht ist zuerst einmal ist die Arbeit an der Gerechtigkeit.

Der Antikriegstag bringt uns das ins Gedächtnis.


Bärbel Danner ist Gemeindepfarrerin in Schwenningen.

E-Mail:   danner_kuhn@web.de
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