Antikriegstag 2006


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Antikriegstag 2006

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede zum Antikriegstag am 1.9.06 in Köln

Sehr geehrte Damen und Herren,

Frederike Weltzien (in Köln)

Ich bin 1957 geboren in Deutschland in einem Gartenhäuschen in der Nähe von Stuttgart. Meine Eltern sind beide dem großen Krieg entkommen, dem 2. Weltkrieg. Es gab kein bedrohlicheres Wort in meiner Kindheit als das Wort "Krieg". Mit 4 Jahren kam ich das erste Mal in den Libanon.

Dort ist die Düsternis des Krieges von meinen Eltern abgefallen, sie erlebten die Offenheit des internationalen Lebens im Libanon, die Spannung zwischen den Kulturen, Westlicher Lebensstil und Orientalische Lebensweise, die aufeinander stoßen, so dass es zu dieser interessanten und aufregenden Mischung kommt.

Sie erlebten die pralle Vielfalt der Religionen, die es gelernt haben miteinander zu leben, deren friedlicher Alltag jedoch immer wieder von Gewaltausbrüchen erschüttert wird. Immer wieder ein Versagen der religiösen Inhalte und Denkweisen an den Realitäten von Politik und Lebensangst.

Der Boden im Libanon war nie sehr sicher, immer schwankte er und immer wieder lernten wir voller Erstaunen wie viel Schwankungen ein solcher Lebensboden auch verkraften kann. Wie oft konnte im letzten Augenblick wieder eine Balance hergestellt werden, die den Ausbruch von Gewalt verhinderte.

Im Bürgerkrieg ging jede Balance verloren, die Menschlichkeit verkroch sich in die hintersten Winkel der Wohngebiete, wo Menschen sich in ihrem gegenseitigen Leid noch beistanden.

Das Land das ich liebte zerfiel, die Menschen, die ich kannte zerstreuten sich. Keiner meiner ehemaligen Schulkameraden lebt noch im Libanon.

Eines der letzten Bilder, das ich in mir trage bevor wir damals den Libanon verließen ist zunächst das Geräusch von israelischen Bomberjets und der Anblick wie Bomben ausgelöst werden und von den Flugzeugen herab in die Palästinenserlager flogen. Ich war so weit entfernt, dass ich nicht persönlich bedroht war aber so nah dran, das ich es mit bloßen Augen sehen konnte. Im Radio folgten die Meldungen über Tote und Verletzte und die Aufrufe Blut zu spenden.

Dieser Anblick, der in sich nichts grausiges enthält, ein Flugzeug und noch eins und noch eins und diese schwarzen Eier die durch die Luft fliegen - aber das Wissen um Angst, Panik, Schmerz, Rauch, Blut und Tod - eine Mischung die die größte Verzweiflung auslöst. Ohnmacht, ich stehe da und schaue zu und weiß, ich weiß was passiert zwei Kilometer von mir entfernt und kanns nicht hindern.

Eine Mischung die mich in ihrer Unerträglichkeit auch heute noch an den Rand des Wahnsinns treibt.

So lagen wir im Bett, im 8. Stock unseres Gemeindehauses, ungefähr sechs Wochen ist es her als die Bomber wieder über uns dröhnten und die Detonationen unser Haus erschütterten, die erste Bombennacht dieses neuen Krieges.

Der alte Wahnsinn....

Bei einem meiner Besuche in Israel 1988 stand ich über dem Kidrontal. Ich glaube ich dachte an den alten Propheten Elia.

Da ergriff mich ein Wissen.

Ein schreckliches Wissen. Ich spürte den Arabisch Israelischen Konflikt in all seiner Tiefe, die alten Wunden, die Bedrohung, der die jüdische Bevölkerung versuchte zu entrinnen und die Verletzungen der arabischen Bevölkerung, derer die verjagt und vertrieben worden waren.

Ich stand dort und spürte das Wort "Krieg" das Schreckenswort meiner Kindheit.

Seit 7 Jahren nun leben und arbeiten wir wieder in Beirut. Mein Mann, Uwe und ich sind Pfarrer der evangelischen Deutschsprachigen Gemeinde in Beirut und wir sind zuständig für die Deutschsprachigen in Libanon und Syrien.

7 Jahre lang haben wir den Aufbau im Libanon miterlebt und auch ein Stückweit mitgetragen, so weit es in unseren bescheidenen Möglichkeiten war.

Gerade im letzten Jahr war so etwas wie ein Aufschwung mit Händen zu greifen.

Es war das erste Jahr, nachdem die syrische Besatzung beendet worden war und die junge demokratische Bewegung versuchte einen Fuß in die politischen Festungen zu setzen und über politische Gräben zu springen. Es hatte ja nach der Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Hariri große Demonstrationen gegeben. Menschen aller Konfessionen hatten sich zusammengefunden um zu demonstrieren, wir lassen uns nicht wieder in den Bürgerkrieg treiben!

Später wandelten sich die Demonstrationen, sie wurden immer mehr zu einem Ausdruck des libanesischen Lebensstiles. Es entstand ein neues Bewusstsein, das ist unser Land, das ist unsere Besonderheit, die Lebendigkeit, die aus dem Zusammenleben der verschiedenen Kulturen und Religionen entsteht. Die Demonstrationen bekamen immer mehr den Charakter von Festen.

Demgegenüber aber marschierten auch die prosyrischen Gruppen im Lande auf. Sie organisierten gleich große Demonstrationen. Die Hizbollah war der Hauptmotor dahinter aber es fanden sich viele andere Shiitische und Sunnitische Gruppen mit ein, die für einen Libanon demonstrierten der einen Gegenpol zum Westen darstellen kann, der mit Selbstbewusstsein zu seinen islamischen Werten und Traditionen steht. Zwei Seiten des Landes standen sich auf einmal gegenüber und waren gleich stark. Gott sei Dank sagte ich immer wieder im letzten Jahr. Dadurch dass sie gleich stark waren, war klar nicht eine Seite konnte die andere unterordnen. Beide mussten lernen miteinander Libanesen zu sein.

Nach der Wahl im letzten Mai waren auch Vertreter beider Seiten im Parlament und in der Regierung.

Zunächst war die libanesische Regierung damit in eine Pattsituation geraten. Sie konnte nicht mehr agieren. Sobald die Forderung nach der Entwaffnung der Hizbollah laut wurde, verließen die Vertreter der Hizbollah das Parlament und ließen den Rest Entscheidungs- und Handlungsunfähig zurück. Das ging so weit, dass nicht einmal mehr die Entscheidung getroffen werden konnte die Gehälter an verschiedene vom Staat unterstützte Sozialwerke auszuzahlen.

Siniora rief daraufhin zu einem "National Dialogue" auf. Alle Regierungsgeschäfte wurden niedergelegt und die Vertreter der verschiedenen Gruppen, Parteien und Religionen und Konfessionen setzten sich um einen runden Tisch um herauszufinden, was die Ideen und Konzepte der Anderen sind und wie man zu einer gemeinsamen Konzeption und wohl auch Vision für dieses besondere Ländchen Libanon kommen kann.

Ein langwieriger Prozess und ein sensibler Prozess und vielleicht der einzige friedliche Weg in diesem politischen Dickicht. Aber ein Weg der Zeit braucht und unbedingt Schutz vor der Einmischung von Außen. Fast jede Gruppierung des Libanon hat ihre Unterstützer im Ausland,(die Shiiten eben den Iran und Syrien, die Maroniten die Franzosen, die Protestanten die Presbyterianischen Christen in Amerika etc..) Gleichzeitig versuchen diese "Unterstützer" ihre eigenen Interessen im Lande wirksam einzubringen.

Und so ist der Prozess gekippt, unterhöhlt worden mit den unterirdischen Waffenlagern der Hizbollah, gekippt am Tag der Entführung von den israelischen Soldaten und total zerbombt von dem israelischen Militäreinsatz.

Wie kann sich das Land davon wieder erholen?

Wie werden sich die Gruppen untereinander wieder zuordnen. Welche Stellung werden die unterschiedlichen Christlichen Gruppen einnehmen? Wie kann man sich zur Hizbollah verhalten, die jetzt als Sieger gegen die israelische Übermacht gefeiert werden und doch haben sie den Wahnsinn herausgefordert.

Wie kann man den Gedanken, das Ziel eines friedlichen Miteinanders der feindlichen Nachbarn noch denken, noch aussprechen, daran arbeiten?

Kann der kleingeistige und plumpe und fundamentalistische Militarismus der Hizbollah noch gestoppt werden?

Wer ist in der Lage in Israel den Glauben zu korrigieren, man könne sich nur durch Krieg den Frieden erkämpfen?

Immer wieder werde ich gezwungen in meinem Leben an diesen Ort über dem Kidrontal zurückzukehren und mich dem Schrecken zu stellen: "Es ist Krieg!"

Verzweiflung ergreift mich

Ich denke an die Kinder

Opfer

Das Gesicht unseres Söhnchens, 4 Jahre alt, beim Donner der Detonationen, jedes mal erbricht er sich.

Auf unserer Flucht über die syrische Grenze, ich habe noch nie so viele Kleinkinder, Kleinstkinder und Säuglinge auf engstem Raum beieinander gesehen.

Die Bilder von den toten Kindern.

Und immer noch sterben sie an den Clusterbomben die das tödliche Bömbchen wie Spielzeug verkleidet übers ganze Land verteilt haben. In den letzten 72 Stunden des Krieges, als der Waffenstillstand schon ausgehandelt war.

Die Logik des Krieges ist Zerstörung so viel wie nur irgend möglich.

Noch nie hat der Krieg ein anderes Ziel erreicht.

Krieg schafft Hass, fördert Extremismus und zementiert Feindschaften - so auch dieser Krieg.

Wir dürfen es nicht zulassen, dass im 21. Jhdt. Kriege wieder gerechtfertigt werden können mit dem Ziel, Frieden zu schaffen und Terrorismus zu bekämpfen. Das Gegenteil ist der Fall.

Es war ein sinnloser Krieg.

Seine Dynamik wuchs aus den alten Wunden.

Wenn nicht hier in der Tiefe nach Heilung gesucht wird, wenn nicht eine gerechte Lösung für die palästinensische Bevölkerung gefunden wird; dann werde ich bald wieder dort stehen über dem Kidron Tal, innerlich, in meinem Schmerz.

Mein Weg, mein Lebensweg mit dem Wissen um die Schrecken des Krieges ist ein grosses "Trotzdem". Hier bewundere ich die Libanesen wie sie nach diesen 4 Wochen Bombardement den Staub abschütteln und sich umschauen und sofort wieder anfangen mit dem Wiederaufbau. Welch eine Lebenskraft!

Hier sind wir mit unserer Gemeindearbeit mittendrin und Teil der libanesischen Gesellschaft. Nachdem mein Mann mit der Gemeinde den entkräfteten und verzweifelten Flüchtlingen auf den Weg ausser Landes geholfen hat, wird auch schon der Wiederaufbau eines Dorfes im Süden ins Auge gefasst, mithilfe von alternativen Energiequellen, Wind und Solarenergie soll ein Pilotprojekt gestartet werden, das vielleicht helfen kann unabhängiger zu werden von der Energiequelle Öl.

Und unser Kirchlein im Westteil von Beirut gelegen, Friedenskirche benannt, ein Ort des Gebetes. Es ist das Gebet, das uns stärkt zum großen "Trotzdem" anzutreten.

Im Gebet üben wir es uns zu weiten, unsre Ängste auszusprechen und abzugeben, uns aus Vorurteilen zu lösen und festzuhalten an dem Glauben dass ein Leben in Frieden möglich ist.

Eigentlich müsste ich jetzt meine Rede mit einem "Amen" beenden.



Vita siehe hier.

E-Mail: friedewelt@yahoo.com
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