Antikriegs-
tag 2009

update:
29.08.2009


 voriger

 nächster

Antikriegstag 2009

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede 31.08. 2009 ver.di/Kooperation für den Frieden

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Reiner Braun (in Berlin)



- Sperrfrist: 31.08., Redebeginn: ca 18 Uhr-

- Es gilt das gesprochene Wort -



"seit 5.45 wird zurückgeschossen". Mit dieser über den Großdeutschen Rundfunk verbreiteten Lüge begann der 2. Weltkrieg.

Das erste Opfer eines Krieges war und ist die Wahrheit, damals und heute, in den aktuellen Kriegen z.B. gegen den Irak oder in Afghanistan.

Es war und bleibt eine Lüge, dass am Hindukusch unsere Freiheit verteidigt wird.

Es geht auch bei diesem Krieg um Interessen: Interessen der ersten Welt an der Sicherung der Ressourcenwege für Gas und Öl und an strategischem Einfluss in einer der wichtigsten Regionen der zukünftigen Weltordnung.

Jeder Soldat mehr (allein bis zu 21.000 durch die USA, weitere durch andere NATO-Länder, Ausweitung des deutschen Engagements durch Truppen und Equipment) bedeutet eine noch weitere Intensivierung des Krieges nicht nur in Afghanistan sondern auch in Pakistan.

Krieg in dieser Region ist das Spiel mit dem Pulverfass einer hochgerüsteten Atomwaffenbestückten Region.

Der Krieg kann nicht militärisch gewonnen werden. Jede Ausweitung, jede neue Offensive dreht die Spirale von Vernichtung, Zerstörung, Tod und Hass weiter, schafft aber niemals Frieden.

Das Wort zivil in der Doppelnutzung zivil-militärisch, das besonders die Bundeskanzlerin wie ein deutsches Markenzeichen vor sich herträgt, ist eine Lüge und Mogelpackung, es heißt in der Realität nichts weiter als militärische Kriegführung in geschickterer (Akzeptanz) Verpackung, unter Missbrauch ziviler Kräfte und eines friedlich klingenden Wortes. Früher nannte man so etwas ehrlicher "psychologische Kriegführung".

Immer wieder wird gesagt: wenn die Truppen abziehen bricht "das Chaos aus, übernehmen die Taliban die Macht".

Eine Analyse was sind "Taliban", und was davon ist ein breit getragener Volkswiederstand gegen eine Besatzungspolitik wird nicht geleistet. Immer mehr Zeichen deuten darauf hin, dass wir mit dem NATO-Krieg, gerade den Boden für diejenigen bereiten;

dass wir die Bevölkerung, aus Hass und Verzweiflung gegen "unseren Krieg", in die Arme derer treiben, von denen wir sie gerade "befreien" wollen.

Es klingt auch ein kolonialistischer Ton in diesem Argument mit. Vielleicht teilweise unbeabsichtigt, wird ein "Argument" wiederbelebt, das gegen den antikolonialen Befreiungskampf der Völker Afrikas und Asiens verwendet wurde.

Ich möchte schon an "die Internationale" erinnern: die besingt, dass Völker sich nur selbst befreien können - es hilft ihnen keine - auch keine noch so wohl gemeinte militärische "Hilfe". Dies bleibt auch dann richtig, wenn die Befreiung manchmal eine schmerzhafte Geburt ist.

Deswegen heißt Frieden und zivile Lösungen für dieses leidgeprüfte Land zuerst: Abzug aller Besatzungstruppen, Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan.

Ich fordere die Abgeordneten des Bundestages auf, keiner Verlängerung der Mandate für die deutschen Truppen zuzustimmen und sich aktiv für die zivile, friedliche Konfliktlösung einzusetzen.

Die Nationale Friedens-Jirga Afghanistans und die Kooperation für den Frieden haben dazu einen Friedensplan ausgearbeitet und es ist mit einem Teilwaffenstillstand in einer einzelnen afghanischen Provinz ein winzig kleines erstes positives Zeichen gesetzt worden - ein Zeichen, das Schule machen sollte.

Afghanistan wird Obamas Vietnam und in Deutschland das Leben weiterer junger Menschen kosten, wenn wir nicht rasch den Abzug der Besatzungstruppen durchsetzen.

Dafür werden wir auch im Herbst wieder mobilisieren - auch wenn es schwer fällt.



Liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor wenigen Wochen jährten sich zum 64. mal die größten Terroranschläge der Geschichte: die Atombombenabwürfe der Vereinigten Staaten von Amerika auf Hiroshima und Nagasaki.

Die mehr als 400.000 Toten, die traumatisierten Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki, die Hibakushas, sind eine bleibende und mahnende Erinnerung an die wenigen Minuten, grauenhaftester Zerstörung, verbrannten menschlichen Fleisches, tiefsten Leidens und des Auslöschens zweier Städte.

Die Lebenden werden die Toten beneiden!

Eindringlich erinnert dieser Ausspruch eines japanischen Arztes, nachdem er zwei Tage ununterbrochen aber weitestgehend erfolglos versuchte, menschliches Leid zu lindern oder zu verkürzen. Es bleibt unsere Verpflichtung: alles zu tun, die mörderischsten der existierenden Massenvernichtungswaffen von diesem Planeten zu bannen, bevor diese die menschliche Zivilisation zerstören.

Der IAEO Generalsekretär und Friedensnobelpreisträger El Baradei ermahnt uns immer wieder eindringlich, nicht zu vergessen, dass die Atomwaffengefahr wegen der Zehntausenden existierenden Atomwaffen aber auch wegen der Gefahren einer ungehemmten Weiterverbreitung größer ist als jemals zuvor.

Aber es gibt Zeichen der Hoffung: historisch zusammenfassend dokumentiert in den Reden von Barack Obama in Prag und Kairo; in der auch er, unser Ziel, eine atomwaffenfreie Welt einforderte.

Seitdem wird viel diskutiert: können wir ihm trauen, meint er es ernst oder ist dies nur ein neues Manöver des Imperialismus?

Es gibt meiner Meinung nach Gründe, warum auch Barack Obama, das Ziel der Friedensbewegung formuliert und gleichzeitig relativiert:



1.Die Mehrheit der Völker will keine Atomwaffen, die Bewegung dagegen wird in allen Ländern vielfältiger und breiter, erreicht selbst konservative, ja Kreise von Kriegsverbrechern und Rüstungsbefürwortern wie Henry Kissinger oder Helmut Schmidt. Dieser Weltwille ist ein Hintergrund der neuen Chance.



2.Neue strategische Überlegungen, mit der konventionellen und technologischen Überlegenheit der USA, besonders auch im Weltall, alte Ziele der Überlegenheit und der Gewinnbarkeit von Kriegen erreichen zu können, führen bei einigen amerikanischen Think Tanks und Teilen der außenpolitischen Eliten der USA zu der Überlegung auf die Atomwaffen zu verzichten.



3.Die im 21. Jahrhundert dominierende Art von asymetrischen Kriegen erfordern eine neue Bewaffnung der Armee.



4.Die Gefahren der ungehemmten Proliferation und eine Aufkündigung des ungerechten Zweiklassen-Staatensystems (Habenichtse und Nuklearwaffenmächte) vor allem in den "Schwellenländern", bewirken auch in etablierten politischen Kreisen ein Umdenken. Alle diese Länder verfügen über die wesentlichen Nukleartechnologien zum Bau von Atomwaffen.




Aber liebe Freundinnen und Freunde,

diese Welt ohne Atomwaffen gibt es nicht mit Reden. Wir werden sie erkämpfen müssen, gegen den härtesten Widerstand des militärisch-industriellen Komplexes aus Rüstungs-Industrie, Militärs und vielen nicht nur konservativen Unterstützern in der Welt.

Dieser Widerstand hat schon begonnen und Obama spürt ihn, nicht umsonst formulierte er den Nebensatz in seiner Rede, in dem er andeutet, er wird die atomwaffenfreie Welt möglicherweise nicht mehr erleben.

Die stattfindenden Modernisierungen, die Diskussion um die Atomwaffen als Präventivwaffe und die Ausweitung ihrer Einsatzoptionen in der Diskussion um die neue NATO-Strategie beweisen atomares Steinzeitdenken. Anstatt das NATO Bündnis nach 60 Jahren - und 20 Jahre nach dem Zerfall des Warschauer Paktes - endlich aufzulösen, soll es geostrategisch noch weiter ausgeweitet und weiter nuklearisiert werden.

Deshalb ein Satz an alle No-to-Nato-Mitstreiter:

wer der NATO die Atomwaffen nimmt, hackt ihr symbolisch gesprochen ein zentrales Bein ihrer (Abschreckungs-)Strategie ab - und bekanntlich kann man auf einem Bein schwer und selten auf Dauer stehen.



Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Wenn Obama die Welt ohne Atomwaffen wirklich will, dann braucht er die weltweite Friedensbewegung, dann sind millionenfache Demonstrationen und Aktionen für die Abschaffung aller Atomwaffen notwendig. Deswegen ist die Antwort auf die Frage, ob die Friedensbewegung unter Obama noch gebraucht wird, eindeutig:

jetzt erst Recht, um die Atomwaffen endgültig von diesem Planeten verschwinden zu lassen.

Der Weg zu einer Welt ohne Atomwaffen beginnt jetzt und ist konkret.

Wir fordern daher als erstes:

Abzug aller Atomwaffen aus Europa und Deutschland.

Des weiteren müssen sofort alle Raketenstationierungspläne in Tschechien und Polen beendet werden.

Jede Aufrüstung hat zu unterbleiben.

Das Ziel der Abschaffung der Atomwaffen muss immer auch konkret benannt werden. Wir verlangen erneut, Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention.

Die Nuklearwaffenkonvention ist die Messlatte, um blumige Worte an der Realität zu überprüfen.

Der erste Schritt dazu ist ganz einfach. Die NPT-Konferenz in New York im Mai 2010 verabschiedet ein Bekenntnis zu dieser Konvention und beginnt mit den Verhandlungen.

Bilaterale Verhandlungen sind gut, können Zwischenschritte ergeben, ersetzen aber niemals eine umfassende Konvention.

Für dieses Ziel werden wir uns vor und während der NPT-Konferenz weltweit engagieren.



Liebe FriedensfreundInnen und KollegInnen,

vergessen wir nicht, jedes Jahr geben die Regierungen der Welt mehr als 1 Billionen Dollar (die USA fast 50% davon) für die Rüstung aus.

Wir sehen mit großer Ablehnung auf den US-Rüstungshaushalt 2009/10, der noch einmal um 20 Milliarden Dollar steigt. Dieser Obama-Kriegshaushalt ist der höchste in der Geschichte, höher noch als bei George W. Bush.

Aufrüsten, um effektiver Kriege führen zu können, das ist keine Friedenspolitik. Diese Aussage gilt genauso für den Verteidigungshaushalt der Bundesrepublik Deutschland.

Wie viele Hungernde könnten von diesen Rüstungskosten satt werden, wie viele Kinder zur Schule gehen, wie viele Ärzte und Krankenschwestern beschäftigt, wie viele neue Kindergärten gebaut, wie viel menschliches Leid verringert werden?

Fragen sind in diesem Falle Anklagen. Gegen alle, die das unverantwortliche Treiben der weltweiten Rüstung mitmachen.

Diese Fragen sind aber auch Herausforderungen für uns - und dieses sage ich besonders auch an die Gewerkschaftlerinnen und Gewerkschaftler in diesem Raum: aktiver für Abrüstung einzutreten. Wer, wenn nicht wir, können eine Umkehr, können eine Wiederbelebung des Konversionsgedanken z.B. bei der Schifffahrts- oder der Flugzeugindustrie erreichen.

Auch die aktuelle tiefe kapitalistische Krise zwingt uns zu stärkeren Friedensanstrengungen. Es wäre historisch nicht das erste Mal, dass das Profit- System in einer seiner großen Krise seinen Ausweg auch in einem großen Krieg sucht.

Lasst mich noch einen Gedanken zur Friedensbewegung sagen:

Die Friedensbewegung ist eine konstante und zuverlässige politische, parteiübergreifende, zivile, gesellschaftlich verankerte, außerparlamentarische Kraft.

Wir sind nicht immer Millionen auf der Straße, wir sind aber immer da, wenn es gilt Krieg und Gewalt entgegenzutreten - heute und in der Zukunft. Und wir werden uns bemühen, auch jünger, noch internationaler, weiblicher und wieder stärker mobilisierungsfähig zu werden. Internationale Vernetzung ist dazu unabdingbar notwendig, die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften deutlich ausbaufähig.

Es war und ist richtig, was der letzte deutsche Friedensnobelpreisträger Willy Brandt so mahnend formulierte:

"Frieden ist nicht alles - aber alles ist nichts ohne Frieden"



Reiner Braun ist Geschäftsfüher der Juristen-Organisation IALANA und ein Sprecher der Kooperation für den Frieden.

E-Mail: hr (Punkt) braun (at) gmx (Punkt) net

Website: www.koop-frieden.de
 voriger

 nächster




       


Bereich:

Netzwerk
Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
        
Themen   FriedensForum Termine   AktuellesHome