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Hiroshima- und Nagasaki-Tag 2003


vom:
06.08.2003


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Rede am Hiroshima- und Nagasaki-Gedenktag 2003 (Köln [06.08.]/Düsseldorf [09.08.])

Hanna Jaskolski

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, liebe Menschen, die es wichtig finden, innezuhalten und sich zu erinnern!

Sie kennen alle den amerikanischen Ausdruck "Ground Zero". Er bedeutet sinngemäß: Nullpunkt, verbrannte Erde, Trümmerfeld. Heute bezeichnet er die Stelle, auf der bis zum 11. September 2001 die Zwillingstürme des World Trade Centers standen. Mit diesem Ausdruck ist die Erinnerung an den größten nichtmilitärischen Terroranschlag aller Zeiten verbunden, an den schrecklichen Tod zahlreicher Menschen und auch an die Folgen, die dieses Ereignis für uns alle gezeitigt hat.

Es ist ein merkwürdiger Namen, den man nach dem 11. September 2001 diesem Ort des Schreckens gab. War es eine spontane Namensgebung, wie behauptet wurde? Oder ahnte oder wusste der Namengeber, dass es schon einmal Ground Zero gegeben hatte: zu aller erst der Ort, an dem am 16. Juli 1945 um 5.29 Uhr in der Wüste von New Mexico die Testzündung der ersten Atombombe stattfand - der Beginn des Atomzeitalters -, und in der Folge davon die Orte der ersten Atombombenabwürfe auf japanische Städte, auf Hiroshima und Nagasaki? Das Oxford English Dictionary bezeichnet ground zero als "diejenige Stelle am Boden, über der eine Bombe, insbesondere eine Atombombe, explodiert". Bewusst oder unbewusst hat irgend ein Amerikaner die Katastrophe von Hiroshima vom 6. August 1945 als Parallele oder als Paradigma der Katastrophe des 11. Septembers verstanden und ihrem Ort den bereitstehenden Namen gegeben: Ground Zero. Der französische Philosoph André Glucksmann sagte ein Jahr danach: "So ist der 11. September auf die Ebene eines zweiten Hiroshima gehoben worden."(Die Welt vom 14.9.2002) Damit kann nicht der Umfang der Zerstörung und des Leides gemeint sein. Worin der Vergleichspunkt liegt, versuche ich im Folgenden deutlich zu machen.

In der Zeit des Kalten Krieges war der 6. August für viele Europäer nicht nur der Tag der Erinnerung an ein grauenvolles historisches Ereignis, sondern der Tag des Bewusst-machens der ständigen Bedrohung durch das riesige nukleare Waffenarsenal, das dem Gleichgewicht des Schreckens Geltung verschaffen sollte. Man vergegenwärtigte sich an diesem Tag, welche Konsequenzen ein bewusst oder unabsichtlich ausgelöster Atomkrieg für die Menschen in Europa haben würde, und man schaute nach Hiroshima und Nagasaki, um es dort beispielhaft zu erfahren, das, was am 6. und 9. August 1945 geschehen war und was all die vielen Jahre danach daraus folgte. Zwei Städte, in wenigen Sekunden vernichtet, zerschmolzen und verbrannt. Zwei Bomben, die mit einem Schlag zwischen 85 000 und 170 000 Leben auslöschten. Und auf Hunderttausende addiert sich die Zahl derer, die an den Folgen, vor allem an der radioaktiven Verseuchung, elend zugrunde gingen und immer noch leiden. Mit Recht hat man im Gedanken an die Vernichtungslager der Nazis von einem nuklearen Holocaust gesprochen.

Nach dem Ende des Kalten Krieges scheint die Furcht davor eingeschlafen zu sein. Man hörte von Rüstungsabbau, von freundschaftlichen Beziehungen der früheren Gegner und schwieg vom Gleichgewicht des Schreckens, obwohl es auch bei den Abrüstungsverhandlungen das Maß aller Dinge blieb. Übrig blieben in der Welt trotz Abrüstung 30.000 Atomwaffen, von denen 3000 in ständiger Alarmbereitschaft gehalten werden. Übrig blieb die NATO, die sich zu ihrem 50-Jahr-Jubiläum eine neue Doktrin gab, in der sie an ihrer erklärten Bereitschaft zum Ersteinsatz von Atomwaffen trotz der seit 1990 grundlegend veränderten Sicherheitslage ausdrücklich festhält und den Atomwaffeneinsatz darüber hinaus auch sogenannten "Schurkenstaaten" androht. Übrig blieben mit der NATO auch die Kommandozentralen und Luftwaffenstützpunkte für den Einsatz nuklearer Waffen, in Deutschland die US-amerikanische Kommandozentrale in Stuttgart-Vaihingen, abgekürzt EUCOM, die unterirdische NATO-Kommandozentrale in Linnich-Glimbach und die Flugplätze Ramstein und Büchel mit über 60 Atomwaffen, deren Einsatz mit Tornados auch von Soldaten der Bundeswehr ständig geübt wird. Ich verstehe nicht, warum Furcht und Angst eingeschlafen sind, warum sie nicht mehr zum Widerstand gegen die weitere Bedrohung durch den nuklearen Terror treiben. Sie sind hoffentlich nicht durch Resignation und Gleichgültigkeit verdrängt worden.

Aber nicht nur Furcht hat die Menschen ehedem geleitet, sich am 6. August jeden Jahres zu versammeln, sondern das Bedürfnis, der toten und der lebenden Opfer eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Trauer zu gedenken und zu protestieren gegen den Zynismus bestimmter Regierungen, auch demokratisch legitimierter Regierungen, Zehntausende und Hunderttausende am Krieg unbeteiligter Menschen durch Bomben aus der Luft zu verletzen und zu töten, auch Frauen und Kinder umzubringen mit der Absicht, den jeweiligen militärischen Feind durch Terror einzuschüchtern und zu schwächen - eine makabre Rechnung, die in Wirklichkeit nicht aufgegangen ist, weder in England durch Nazideutschland, noch in Deutschland durch Briten und Amerikaner, noch in Japan durch die Amerikaner. Bei genauerer Betrachtung bleiben Rachebedürfnis und Machtdemonstration die leitenden Motive für die millionenfache Vernichtung von Zivilpersonen. Das gilt in besonderer Weise für Hiroshima und Nagasaki.

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Hiroshima- und Nagasaki-Tag 2003
Es ist fast überflüssig zu sagen, dass die Massenvernichtung von Zivilpersonen seit je her den Regeln des humanitären Völkerrechts widersprach und widerspricht. Der internationale Gerichtshof in Den Haag hat 1996 in einem Rechtsgutachten sogar festgestellt, dass selbst die Drohung mit nuklearen Massenvernichtungswaffen völkerrechtwidrig ist. Offensichtlich macht es auch den demokratischen Staaten der NATO - und dazu gehört Deutschland - nichts aus, sich dem Vorwurf völkerrechtswidrigen Verhaltens auszusetzen. Man könnte resigniert die Frage stellen: Ist das Völkerrecht jemals respektiert worden, wenn es den Mächtigen im Wege stand? Wir sollten uns jedoch durch solche Bedenken und Zweifel von unserem berechtigten und notwendigen Widerstand nicht abbringen lassen. Indem wir der Opfer gedenken, mahnen wir die Regierenden, dem Wohl der Menschen zu dienen und nicht ihren Erfolgs- und Machtgelüsten.

Die Rede vom Ground Zero verknüpft den Terroranschlag vom 11. September ungewollt, aber unübersehbar mit der Terrorgeschichte des Zweiten Weltkriegs, die in der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki mit Atombomben ihren Höhe- und Umschlagpunkt erreichte. Der kriegerische Terror nahm am 6. August 1945 eine neue Qualität an: Von nun an stand die gesamte Menschheit und die gesamte Natur unter dem Damokleschwert der blitzartigen atomaren Vernichtung und der radioaktiven Verseuchung. Die Geschichte des Kalten Krieges ist die Geschichte eines wahnsinnigen Rüstungswettlaufs konkurrierender Weltmächte zu immer größeren nuklearen Zerstörungskapazitäten, die am Ende den mehrfachen Overkill für alles Leben auf unserer Erde ermöglichten. George Lee Butler, der ehemalige Oberkommandierende der US-Atomstreitmacht, bekannte in einer öffentlichen Rede:

"Wir sind im kalten Krieg dem atomaren Holocaust nur durch eine Mischung von Sachverstand, Glück und göttlicher Fügung entgangen, und ich befürchte, das Letztere hatte den größten Anteil daran."

Diese Bedrohung ist seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation abgemildert, aber nicht beseitigt. Neue Bedrohungen sind durch den Erwerb nuklearer Waffen durch kleinere Staaten entstanden. Trotzdem ist die Gefährdung durch Nuklearwaffen ein weitgehend unbewusstes Hintergrundphänomen unseres alltäglichen Lebens geworden. In den Vordergrund unseres Bewusstseins ist das getreten, was mit dem 11. September 2001 sichtbar geworden ist. Mit dem "zweiten Hiroshima", wie André Glucksmann gesagt hat, erreichte nun die terroristische Bedrohung eine wiederum neue Qualität: Zu den staatlichen Akteuren terroristischer Gewalt traten nun private oder quasiprivate Akteure in Konkurrenz, zunächst durch die Anwendung dessen, was man bisher konventionelle Gewalt genannt hat, möglicherweise aber auch durch den Einsatz von nuklearen Massenvernichtungswaffen. Das hat sich lange vorbereitet. Jetzt erst ist es gewiss. "Ground Zero" - das erinnert uns daran, dass wir alle ausnahmslos aus heiterem Himmel auch von Akten des privatisierten Terrors tödlich bedroht sind.

Mit dem Ground Zero von Manhattan ist der Ground Zero von Hiroshima wieder in unser Bewusstsein gerückt. Unsere Politiker sind aufgefordert, jetzt endlich aus der Erfahrung der Katastrophe die richtigen Konsequenzen zu ziehen, nicht einen endlosen Krieg gegen den Terrorismus zu führen, sondern eine Weltfriedenspolitik in Gang zu setzen, die jedwedem Terrorismus mit nichtmilitärischen Mitteln entgegentritt und die Grundlagen eines friedfertigen Zusammenlebens der Menschheit erarbeitet. Zu dieser wahrlich harten Arbeit fordern wir heute die Regierenden und alle Menschen auf. Dazu gehört wesentlich die totale Abrüstung der nuklearen Massenvernichtungswaffen, wie sie ja auch von Staats wegen im Nichtverbreitungsvertrag festgeschrieben ist. Wir wollen, dass es niemals mehr einen neuen Ground Zero gibt!



E-Mail:   hjaskolski@t-online.de
Internet: http://www.jaskolski.de
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