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Hiroshima- und Nagasaki-Tag 2004


vom:
06.08.2003


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Hiroshima- und Nagasaki-Tag 2004:

  Hintergrundinformationen

Quelle: Frankfurter Rundschau - Dokumentaion - 06.08.03

Es wächst die Gefahr, dass ein neues nukleares Wettrüsten beginnt

Joseph Rotblat

Die USA weigern sich, den Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen zu erfüllen, und provozieren damit nicht nur andere Staaten

Am 6. August 1945 warfen US-Militärs eine Atombombe auf Hiroshima, am 9. August eine auf Nagasaki. Beide japanischen Städte wurden dem Erdboden gleichgemacht, und bis heute leiden die Menschen an den verheerenden Folgen der nuklearen Waffen. Seither kämpfen Menschen gegen diese furchtbaren Vernichtungswerkzeuge. Internationale Verträge wurden geschlossen, um die Nichtverbreitung zu garantieren. Doch nicht alle Staaten halten sich daran, rügt Joseph Rotblat. Seinen hier gekürzt dokumentierten Vortrag hielt er am 19. Juli 2003 bei der 53. Pugwash Conference on Science and World Affairs in Halifax, Kanada. Die Tagung stand unter dem Motto "Menschliche Sicherheit fördern: die Rolle von Technologie und Politik". Die Übersetzung besorgte Regina Hagen.



Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit Atomwaffen, vor allem mit den Gefahren, die sich aus der Atomwaffenpolitik der Regierung von (US-Präsident) George W. Bush ergeben. Und ich sollte wohl gleich zu Beginn klarstellen, dass ich der Außenpolitik der gegenwärtigen US-Regierung äußerst kritisch gegenüberstehe. In der aufgeladenen Atmosphäre der vergangenen Monate, die vor allem durch die Irak-Debatte bestimmt war, wird jeder, der die Regierung Bush kritisiert, sofort als antiamerikanisch gebrandmarkt und muss aus dieser defensiven Position heraus zuerst betonen, dass er nicht antiamerikanisch ist.

Lassen Sie mich also deutlich sagen: Ich bin nicht antiamerikanisch. Ich finde ganz im Gegenteil, dass die Politik der Regierung Bush antiamerikanisch genannt werden muss, weil sie nach meiner Meinung nicht die Haltung der Mehrheit der US-Bevölkerung widerspiegelt. (...)

Was mich an dieser Politik so ärgert, ist die eklatante Scheinheiligkeit. Die USA ernennen sich selbst zum Weltmeister in Sachen Demokratie, zwingen aber anderen diktatorisch ihren Willen auf. Sie propagieren vorgeblich Rechtstaatlichkeit, verletzen selbst aber ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen. Sie setzen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (UN), die lediglich ihre Rechte im Rahmen verbindlicher Vereinbarungen wahrnehmen, unter Druck, gehen aber selbst ohne Zustimmung des Sicherheitsrates militärisch gegen einen anderen Mitgliedstaat der Vereinten Nationen vor. (...)

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Hiroshima- und Nagasaki-Tag 2004
Bushs Kabinett kritisiert die UN vor allem als ineffektiv, nutzlos und schwach, unfähig zu entschiedenem Handeln. Diese Art Kritik wird üblicherweise von totalitären Regimen an Demokratien geübt. Ausgiebige Diskussionen und langwierige Verhandlungen gehören nun mal zur Demokratie, in der die Bedürfnisse und Hoffnungen vieler Gruppen oder Nationen friedlich miteinander versöhnt werden müssen. Die Regierung Bush hat damit nichts im Sinn, obwohl sie doch behauptet, Demokratie fördern zu wollen.

Ich finde, eine solche Politik ist in einer zivilisierten Gesellschaft nicht akzeptabel, da sie langfristig den Zusammenbruch der Zivilisation provoziert. (...)

Die militärische Stärke der USA ist tatsächlich Furcht einflößend. Seit dem Ende des Kalten Krieges haben die Amerikaner ein gigantisches militärisches Potenzial aufgebaut. Unter Nutzung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und technologischen Fortschritte - und finanziert durch einen astronomisch hohen Verteidigungshaushalt - haben sich die USA zur größten jemals existierenden Militärmacht entwickelt, mit Fähigkeiten, die diejenigen aller anderen Staaten zusammengenommen fast übersteigen. Gegen diese Macht hatte das irakische Militär mit seinen veralteten Panzern und ohne den Schutz einer Luftwaffe keine Chance. (...)

Die offizielle Begründung für den militärischen Angriff auf Irak - die Beseitigung von Massenvernichtungswaffen - hat sich als vollkommen unhaltbar herausgestellt, da trotz der intensiven Suche zahlreicher von den USA ernannter Experten bislang keine solchen Waffen gefunden wurden. Je mehr Zeit vergeht, ohne dass Massenvernichtungswaffen gefunden werden, desto mehr wird versucht werden, dieses Thema herunterzuspielen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Krieg unter falschen Voraussetzungen begonnen wurde. (. . .) Die Ereignisse der vergangenen Monate sind ein schwerer Rückschlag für alle, die glauben, dass wir uns von den Prinzipien der Moralität und der Herrschaft des Rechts leiten lassen sollten. Momentan scheint eher die Regel "Macht geht vor Recht" zuzutreffen. Und indem sie sich dieser Regel beugen, könnten die Regierungen vieler Länder dazu tendieren, eine pragmatische Politik zu verfolgen. Sie könnten zum Eingeständnis gezwungen sein, dass momentan nur eine Supermacht existiert, und sie könnten sich genötigt fühlen, die Rolle der USA als Weltpolizisten als gegeben hinzunehmen.

Das kann aber keine Dauerlösung sein. Selbst wenn die Amerikaner diese Rolle mit weniger Arroganz füllen würden - ein System mit eingebauter Ungleichheit kann nicht stabil sein. Es provoziert geradezu Groll, einen Groll, der sich auf unterschiedliche Art seinen Weg bahnt, unter anderem auch durch wachsenden internationalen Terrorismus. Dieser wiederum zwingt den "Polizisten" zu Gegenmaßnahmen, wodurch die Ungleichheit noch akuter wird. Das wäre das Ende von Demokratie in der Welt, wie wir sie heute kennen.

Einsatz von Atomwaffenist unmoralisch

(...) Die vollständige Abschaffung von Atomwaffen war schon immer das Ziel von Pugwash, in Übereinstimmung mit dem Aufruf im Russell-Einstein-Manifest. Wir verfolgen dieses Ziel aus moralischen Gründen, weil ethische Kriterien in Pugwash seit jeher eine große Rolle spielen: Wir halten jeglichen Einsatz von Atomwaffen für unmoralisch. Aber bei unseren Zielen geht es uns auch um etwas viel Grundlegenderes: das Überleben. Jeder Einsatz von Atomwaffen birgt die Gefahr von Eskalation und bedroht damit unser Weiterleben. Der Einsatz von Atomwaffen ist aber ausdrücklich ein Element der politischen Grundsätze der Regierung Bush.

Diese Linie wurde in mehreren Erklärungen verkündet, die meisten davon wurden 2002 veröffentlicht. Von besonderem Interesse sind dabei die folgenden Dokumente:

 Nuclear Posture Review (Überprüfung der Nuklearwaffendoktrin) vom Januar 2002

 Nationale Sicherheitsstrategie der USA vom September 2002

 Nationale Strategie zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen vom Dezember 2002

 Nationale Politik zur Abwehr ballistischer Raketen vom Mai 2003.

Die zu Grunde liegende Potik hat offenbar zwei Ziele: zum einen eine defensive Strategie, um die USA unverwundbar gegen Angriffe von außen zu machen; zum anderen eine offensive Strategie, um einem unfreundlichen Regime mit militärischen Aktionen, einschließlich dem Einsatz von Atomwaffen, zu drohen, wenn es selbst versucht, Massenvernichtungswaffen zu erwerben.

Um Ersteres sicherzustellen, wurde entschieden, der Raketenabwehr eine hohe Priorität zu geben. Als ersten Schritt haben die USA den Raketenabwehrvertrag gekündigt, der bis dato als Fundament des Rüstungskontrollsystems galt. Für Raketenabwehr, der in einer Welt voller potenzieller Bedrohungen durch Massenvernichtungswaffen besondere Bedeutung zugesprochen wird, wurde der Etat enorm erhöht.

Die größten Änderungen ergaben sich allerdings aus den offensiven Aspekten der Doktrin. Der neue Nuclear Posture Review beschreibt eine Strategie, die bei der konventionellen Kriegsplanung auch nukleare Fähigkeiten berücksichtigt. Die frühere Abschreckungsdoktrin, bei der der tatsächliche Einsatz von Atomwaffen nur als allerletztes Mittel vorgesehen war, also erst, wenn alles andere versagt hatte, wurde nun über Bord geworfen. In der neuen Doktrin sind Atomwaffen ein reguläres Element der Militärstrategie. Sie würden in einem Konflikt geradeso wie irgendein anderer Sprengkörper eingesetzt. Damit verschiebt sich die ganze Begründung von Atomwaffen. (...)

Die Umsetzung dieser Politik hat bereits begonnen. Die USA entwickeln unter dem Namen "robust nuclear earth penetrator" einen neuen Atomsprengkopf mit niedriger Sprengkraft, der besonders tief in Beton eindringen soll. Er soll Bunker mit dicken Betondecken durchschlagen, in denen Massenvernichtungswaffen lagern oder die Führungsschicht des Feindes Schutz sucht.

Der US-Senat beschloss für dieses Projekt bereits eine Aufhebung des langjährigen Verbots, Atomwaffen mit niedriger Sprengkraft zu entwickeln. Andere Sprengkopftypen sind ebenfalls in Planung.

Aber diese neuen Waffen muss man testen. Momentan gibt es einen Vertrag, der Tests von Atomwaffen verbietet (mit Ausnahme von subkritischen Versuchsanordnungen), der umfassende Teststoppvertrag, den die USA zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert haben. In Anbetracht der Geringschätzung der Regierung Bush für das Völkerrecht bräuchte es wohl nicht viel, um Tests der neuen Waffen anzuordnen. Ja, die Wiederaufnahme von Atomwaffentests wird sogar schon wieder offen befürwortet.

Wenn die USA die Test wieder aufnehmen, wäre das ein Signal an andere Atomwaffenstaaten, das Gleiche zu tun. China würde fast sicher wieder testen. Nach der US-Entscheidung zur Entwicklung von ballistischen Raketenabwehrsystemen fühlt sich China äußerst verwundbar und versucht vermutlich, diese Verwundbarkeit durch die Modernisierung und Ausweitung seines nuklearen Arsenals zu verringern. (...)

Gefahr eines neuennuklearen Wettrüstens

Andere Länder mit Atomwaffen, beispielsweise Indien oder Pakistan, könnten das von den USA aufgestoßene Fenster der Gelegenheit zur Modernisierung ihrer Arsenale nutzen. Die Gefahr eines neuen nuklearen Wettrüstens ist äußerst real.

Die Entwicklung der neuen Bombe gibt noch aus einem weiteren Grund Anlass zur Sorge: Sie würde die Unterscheidung zwischen nuklearen und konventionellen Waffen verwischen. Das Hauptmerkmal von Atomwaffen ist ihre enorme Vernichtungskapazität, an die auch die Wirkung von existierenden chemischen und biologischen Waffen bei weitem nicht heranreicht, obwohl diese doch auch zu den Massenvernichtungswaffen zählen. Deshalb hat sich ein Tabu herausgebildet, Atomwaffen im Kampf einzusetzen, ein Tabu, das seit (den Atombombenabwürfen) von Hiroshima und Nagasaki (im August 1945) gehalten hat. Wenn aber am unteren Ende des nuklearen Waffenspektrums eine Atombombe gebaut werden kann, die sich quantitativ nicht wesentlich von anderen Bomben unterscheidet, dann verschwindet auch der qualitative Unterschied. Die nukleare Schwelle würde überschritten, und Atomwaffen würden allmählich als normales Kriegswerkzeug angesehen, obgleich die Gefahr für das Fortbestehen der Menschheit durch diese Waffen weiterbesteht.

(...) Indien vertritt offiziell die Doktrin, Atomwaffen nicht als Erste einzusetzen. Wenn aber die USA - und Indien folgt im Wesentlichen der US-Nukleardoktrin - den präemptiven Einsatz von Atomwaffen in ihre Doktrin aufnehmen, würde dies Indien die Rechtfertigung geben, seinerseits Pakistan mit einem präemptiven Einsatz zu drohen. (...) Allerdings ist es vermutlich noch wahrscheinlicher, dass Pakistan versuchen würde, dem zuvorzukommen.

Taiwan liefert ein anderes Szenario für einen potenziellen Präemptivschlag der USA. Sollte sich Taiwan für unabhängig erklären, würde dies unweigerlich zu einer militärischen Invasion durch die Volksrepublik China führen. Da sich die USA zur Verteidigung Taiwans verpflichtet haben, könnten sie sich dann für einen Präemptivschlag entscheiden.

Und dann ist da noch das Problem Nordkorea, das Bush zur "Achse des Bösen" zählt. Gemäß Bushs Maxime, dass keinem als feindlich eingestuften Staat der Besitz von Massenvernichtungswaffen erlaubt werden darf, wird Nordkorea zur Einstellung sämtlicher Arbeiten an Atomwaffen aufgefordert werden. Es ist noch nicht ausgemacht, dass Kim Jong Il sich dieser Forderung beugt, und daraus könnte sich in diesem Teil der Welt eine kritische Situation entwickeln.

Große Sorgen macht in dieser Hinsicht auch die Entwicklung in Japan. Bislang hat sich Japan aus dem nuklearen Club herausgehalten, in Übereinstimmung mit Artikel 9 seiner Verfassung," ... das japanische Volk verzichtet für immer ... auf die Bedrohung mit oder den Einsatz von Gewalt zur Lösung internationaler Auseinandersetzungen". Allerdings gibt es jetzt, nicht zuletzt auf Drängen der USA und mit Rückendeckung von Premierminister Junichiro Koizumi, starke Tendenzen, die Verfassung so zu ändern, dass Japan ganz legal ein Atomwaffenstaat werden könnte.

Insgesamt hat die aggressive US-Politik unter Bush eine prekäre weltpolitische Lage geschaffen, in der die Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen zu Kampfzwecken deutlich gestiegen ist.

Ethische Erwägungenfallen unter den Tisch

(...) Ich mache mir aber Sorgen um das Kernproblem. (...) Wir gehen zwar selbstverständlich davon aus, dass der Einsatz von Atomwaffen unmoralisch ist, dieser Aspekt wird aber bei der Forderung nach nuklearer Abrüstung nur selten erwähnt. Wir müssen uns anhören, dass eine Kampagne auf der Basis moralischer Prinzipien von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, und wir fürchten, als naiv abgestempelt zu werden, als fern jeder Realität. Aus diesem Argument schließe ich, dass wir schon viel zu lange zugelassen haben, dass ethische Erwägungen unter den Tisch fallen. Wir sind doch daran gewöhnt, dass wir als unrealistisch abgetan werden, obwohl wir doch versuchen, sehr reale Gefahren abzuwenden - Gefahren, die sich aus der momentanen Politik der Regierung Bush ergeben.

(...) Weltfrieden kann ohne Einhaltung völkerrechtlicher Verträge nicht erreicht werden. In diesem Bereich gibt es vielfach absichtliche Vernebelung und Gehirnwäsche. Ich will das einem Beispiel erläutern, das den Kern des Problems betrifft, nämlich den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV, abgeschlossen 1968).

Pugwash war ganz zu Beginn stark in diesen Vertrag involviert, als wir ihn als wichtigen Schritt auf dem Weg zur Abschaffung von Atomwaffen ansahen. Lassen Sie mich die Schlüsselfakten zum NVV erwähnen, dem 98 Prozent aller Länder beigetreten sind. Gemäß dem Vertrag haben alle Nicht-Atomwaffenstaaten unterschrieben, dass sie vollständig auf den Erwerb von Atomwaffen verzichten. Im Gegenzug haben die fünf Staaten, die damals offiziell Atomwaffen besaßen (die Zuordnung erfolgte anhand von Atomwaffentests bis zu einem bestimmten Stichtag), sich zur Abschaffung ihrer Atomwaffen verpflichtet. Artikel VI lautet: "Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle."

Durch die Unterzeichnung und Ratifizierung des NVV sind die Atomwaffenstaaten rechtlich verpflichtet, ihre Atomwaffen abzurüsten. Die Falken in diesen Staaten versuchten aber, die Atomwaffen beizubehalten, und nutzten daher eine Zweideutigkeit in Artikel VI aus, aus der man schließen könnte, dass die nukleare Abrüstung an die allgemeine und vollständige Abrüstung gekoppelt sei.

Bei der Überprüfungskonferenz des NVV im Jahr 2000, die offiziell Teil der Vertragsumsetzung ist, wurde diese Zweideutigkeit in einer Erklärung aller fünf Atomwaffenstaaten beseitigt. Das Dokument bestätigt "die unzweideutige Verpflichtung der Atomwaffenstaaten zur vollständigen Abschaffung ihrer nuklearen Arsenale mit dem Ziel der nuklearen Abrüstung, zu der alle Vertragsstaaten gemäß Artikel VI verpflichtet sind".

Damit ist die Lage vollkommen klar. Die Politik von Bush, die auf die fortgesetzte Existenz (und den Einsatz) von Atomwaffen baut, steht in direktem Gegensatz zu den rechtlichen Verpflichtungen aus dem NVV.

Reden mit gespaltener Zunge

Aber die Regierung Bush hat es anscheinend hinbekommen, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass nur ein Teil des NVV gültig ist, nämlich der Teil, der sich auf die Nicht-Atomwaffenstaaten bezieht, und dass daher Staaten, die ihn verletzen - wie das jetzt Iran vorgeworfen wird - für Vertragsverletzungen bestraft werden müssen. Der Teil des NVV, der die Verpflichtungen der Atomwaffenstaaten betrifft, wird vorsätzlich ignoriert. Lassen Sie mich zwei Textauszüge zitieren, die kürzlich in großen britischen Zeitungen erschienen:

"Bei einem Treffen der IAEO (Internationalen Atomenergieorganisation) werden die USA heute darauf drängen, dass Teheran des Bruchs des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages beschuldigt wird. Der Vertrag beschränkt den Besitz von Atomwaffen auf Russland, Großbritannien, Frankreich, China und Amerika."

Die Betonung liegt dabei auf dem zweiten Satz, weil dieser den Zweck des NVV in sein genaues Gegenteil verkehrt.

Die andere Zeitung - keine geringere als The Times - berichtet in ganz ähnlichem Tenor: "Er wurde vereinbart, um die Verbreitung von Atomwaffen über die ursprünglich erklärten Atomwaffenstaaten USA, China, Russland, Großbritannien und Frankreich hinaus zu stoppen."

Die Verpflichtungen dieser fünf Staaten werden an keiner Stelle erwähnt.

Uns wird ständig erzählt, wie gefährlich Atomwaffen sind und dass sie keinesfalls in die Hände von unerwünschten Elementen oder von Schurkenstaaten fallen dürfen. (. . .) Was man uns nicht erzählt, ist, dass diese Waffen in der Hand befreundeter Nationen genauso gefährlich sind. Wir werden nicht daran erinnert, dass in voller Kenntnis dieser Gefahren sogar die USA sich verpflichtet haben, ihre Nukleararsenale abzuschaffen.

Wir kommen hier zum Kernpunkt, an dem ethische und rechtliche Aspekte miteinander verflochten sind. Der Einsatz von Atomwaffen wird von der Mehrheit der Weltbevölkerung als unmoralisch bewertet, vor allem weil sie unterschiedslos jeden treffen und eine beispiellose Zerstörungsgewalt entwickeln. Der Besitz - und damit auch der wahrscheinliche Einsatz - von Atomwaffen ist damit gleichermaßen unakzeptabel, ob es sich nun um "Schurken" oder um wohlwollende Regime handelt.

Die Abschaffung von Atomwaffen ist seit ihrer Gründung das erklärte Ziel der UN, und Jahr um Jahr werden von einer großen Mehrheit der Generalversammlung entsprechende Resolutionen verabschiedet. Diese Resolutionen werden von den Atomwaffenstaaten genauso ignoriert wie alle anderen Versuche, dieses Thema in einem eigens dafür eingesetzten Gremium zu behandeln, nämlich der Abrüstungskonferenz in Genf.

Wir müssen hartnäckig darauf hinweisen, dass Amerikas Haltung zum NVV ungeheuerlich ist. Die USA haben einen völkerrechtlichen Vertrag unterzeichnet und ratifiziert, in dem sie sich zur Abschaffung von Atomwaffen verpflichten, und dennoch verfolgen sie eine Politik, die die Beibehaltung dieser Waffen auf unbestimmte Zeit erforderlich macht.

Wir müssen diese grundsätzlichen Widersprüche in der Politik der USA betonen. Die USA müssen wählen: Wenn sie ihre Atomwaffen beibehalten wollen, dann sollten sie aus dem NVV austreten (was wahrscheinlich zu deutlich mehr Atomwaffenstaaten führen würde). Andernfalls müssen sie die Vertragsklauseln des NVV einhalten und ihre Nukleararsenale abschaffen. Tertium non datur. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht.

Ich glaube, dass eine Kampagne zur Aufklärung und Beeinflussung der öffentlichen Meinung rund um den NVV eine große Erfolgschance hätte.

(...) Lassen Sie mich nun mit einigen einfachen Bemerkungen eher allgemeiner Natur schließen, die aber für die in meinem Vortrag aufgegriffenen Probleme von großer Relevanz sind. Ich glaube an das inhärent Gute im Menschen. Welchen Sinn hätte es, die Menschheit am Leben zu halten, wenn das nicht wahr wäre! Aber dann muss es unsere Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass dieser Glaube allgemeine Anerkennung findet.

Wir machen unsere Außenpolitik immer noch nach dem veralteten Prinzip, dass unser Überleben militärische Stärke voraussetzt. Das ist ein Überbleibsel aus der Frühzeit, als der Mensch sein Überleben und das Überleben seines Geschlechts nur mit Hilfe von Gewalt sicherstellen konnte. Dabei werden die radikalen Änderungen, die sich aus den wissenschaftlichen und technischen Fortschritten ergeben, vollkommen übersehen - Änderungen, die eine solche Überlebensstrategie überflüssig machen. Bei fairer Verteilung würden unsere Ressourcen trotz des raschen Anwachsens der Erdbevölkerung zur Deckung sämtlicher Grundbedürfnisse der ganzen Menschheit ausreichen.

(...) In einer Welt voller Massenvernichtungswaffen, deren Einsatz zum Ende der ganzen Zivilisation führen kann, können wir uns keine polarisierte Gesellschaft mit der inhärenten Drohung mit militärischen Auseinandersetzungen leisten. In diesem technologischen Zeitalter ist eine globale, gerechte Gesellschaft, der wir alle als Weltbürger angehören, lebensnotwendig.



Der Autor

Professor Sir Joseph Rotblat wurde 1908 in Polen geboren. Der emeritierte Physikprofessor veranlasste im Zweiten Weltkrieg an der Universität von Liverpool ein Projekt zur Entwicklung der Atombombe und beteiligte sich später am Manhattan-Projekt der USA in Los Alamos. Als feststand, dass Deutschland nicht an der Bombe arbeitet, verließ er das Projekt - bis zu den Atombombentests als einziger Wissenschaftler.

Seither widmete er sein Leben der Aufgabe, die Gefahr eines Atomkriegs abzuwenden und für die Abschaffung von Atomwaffen zu werben. 1995 erhielt er gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation Pugwash Conferences, die er 1957 mitbegründete, den Friedensnobelpreis.

Kontakt zu Pugwash: eMail:
neuneck@public.uni-hamburg.de oder http://www.pugwash.de



Quelle:
http://www.fr-aktuell.de/startseite/startseite/?cnt=264845



E-Mail:   info@fr-aktuell.de
Internet: http://www.fr-aktuell.de
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