60 Jahre
Hiroshima


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Hiroshima- und Nagasaki-Tag 2005

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Rede zur Gedenkstunde am 6. August 2005, 11 Uhr, in Fürth

Hiroshima 2005 - Gedenken im Fürther Stadtpark

Pfarrer Stefan Koch (in Fürth)

Der Morgen war still, der Ort kühl und angenehm. Da zerreist ein Lichtblitz den Himmel. Ein Mensch erinnert sich, dass der Blitz von Osten nach Westen ging, von der Stadt nach den Bergen. Ein flammendes Stück Sonne, ein riesiger Feuerring, der die ganze Stadt umfasste. Eine gewaltige weiße Wolke stieg aus dem Zentrum. Sie wurde immer größer und in ihrem Inneren schwoll ein gigantischer Feuerball an. Unter dem Feuerball erschien eine schwarze Wolke, verbreitete sich über die Stadt, kroch an den Bergen entlang und zog über das Ohtatal in Richtung Hesaka - Wälder, Wege, Reisfelder, Bauernhöfe und Häuser verhüllend. Ein orkanartiger Sturm wirbelt Staub und Dreck in der Stadt empor ...

6. August 1945, 8 Uhr 15 - das Datum brennt sich in die Geschichte ein. Hiroshima wurde zur atomaren Wüste. Der Bomberpilot funkte zur Start- und Landebasis auf der Insel Tinian: "Ziel nach Sicht mit guten Ergebnissen bombardiert." Der Waffenspezialist ergänzte stolz: "Ergebnisse eindeutig. In jeder Hinsicht erfolgreich." Den CoPiloten beschlich angesichts der ungeheueren Detonationswolke, deren Kontur vom Himmel abstach, ein banges Grauen: "Mein Gott, was haben wir getan?", ein Wort, bis heute erinnert und z.T. beschworen.

Der zweite "big bang", wie J. Robert Oppenheimer das Ereignis nannte (als wäre es ein schöpferisches Urgeschehen), fand am 9. August 1945 statt. Nagasaki wurde das Opfer der Plutomium-Bombe "fat man", die sogar die Wirkung der Hiroshima-Bombe mit ihren 12,5 Kilotonnen Sprengkraft (in herkömmlichem Trinitrotoluol TNT ausgedrückt) mit 22 Kilotonnen deutlich übertraf. Das Material für die dritte Bombe, deren konventionelles Gehäuse bereits nach Tinian geschafft worden war, lag im amerikanischen Wendover/Utah bereit. Und die Waffentechniker sicherten noch eine Erhörung der monatlichen Produktion zu.

Alleine die Auswirkungen beider Explosionen waren ungeheuerlich. Feuersbrunst, termische Strahlung, Stoß- und Druckwellen in der Luft in Schallgeschwindigkeit überlagerten und verschränkten sich. Stahlgerippe- sowie Stahlbetonbauten bis zu einer Entfernung von eineinhalb Kilometern zum Detonationspunkt, einfache Häuser im Umkreis von drei Kilometern konnten den Hitze- und Stoßwellen nicht standhalten. Doch die viel weitergehende und deshalb eigentliche Gefahr für die Menschen lag in der freigesetzten Anfangsstrahlung, die in der ersten Minute nach der Detonation emittiert wurde, und in der Rückstandsstrahlung der längerfristig induzierten Radioaktivität. Die ungeheuere Strahlenbelastung hatte die schlimmsten Folgen für die nichts ahnenden Menschen, die der Wirkung der Atombombe ausgesetzt waren; bedrohlichste Folgewirkungen noch, als die materiellen Zerstörungen längst beseitigt waren. Statistiken und Zahlen geben keine rechte Auskunft von dieser Realität der Vernichtung, von den Dimensionen der dauerhaften Verbrennungen, von den genetischen Schäden, aber auch den Ängsten der Betroffenen. Die Überlebenden konnten nicht sicher sein, wirklich überlebt zu haben, der schleichende Strahlentod erreichte sie allerorten, noch nach Jahrzehnten.

Insofern habe ich kein gutes Gefühl bei der gegenwärtigen internationalen Debatte "60 Jahre Kriegsende", insofern sie sich auf den Opferbegriff bezieht und - abgekürzt wiedergegeben - fragt, ob die traumatische Erfahrung von Hiroshima und Nagasaki etwas mit der Art und Weise zu tun hat, wie Japan mit seiner aggressiven Militär- und Kolonialgeschichte umgeht bzw. umgegangen ist. Nicht nur als Pfarrer habe ich mit der Opfervorstellung ein Problem, die hier im Hintergrund steht. Als Christ kann ich und will ich nicht davon ausgehen, dass Menschen und ihr Opfer das letzte Wort sind, nicht in der Welt und schon gleich gar nicht bei Gott, dem Schöpfer und Erhalter der Welt, sondern ich weiß und bekenne, dass Gott selbst ein Ende gemacht hat und immer wieder gemacht haben will damit, dass Menschen ihr Leben lassen müssen in Krieg, Zerstörung und Schuld.

Zudem, aus weltpolitischer Sicht: Dass Japan heute mit am Tisch der Diplomatie sitzt, wenn es um die Frage nach den heimlich hergestellten und öffentlich zur Drohkulisse aufgebauten bis zu fünf Atombomben in Nordkorea geht, und dass Japan dabei eine hilfreiche vermittelnde Rolle wahrnimmt, den nördlichen Nachbarn zu postatomarer Rationalität zu verhelfen, das sage ich ausdrücklich dazu. Für diesen und anderen friedliebenden Einsatz in der Weltgemeinschaft gebührt Japan unser ausgesprochener Respekt, Herr Generalkonsul.

Das Grauen der fortdauernden Wirkung der freigesetzten Strahlung wird dann zum Signum dieser Waffe, der Atombombe. Sie bedroht seit dem 6. August 1945 die Menschen. Die materiellen Schrecken waren nur der Anfang des Schreckens ohne Ende. Scheinbar gesunde Menschen, die schon an ihre Rettung geglaubt hatten, bekamen nach Tagen, nach einem Monat Blutungen und Fieber, die meisten von ihnen starben bald darauf. Später häuften sich die Missbildungen bei Neugeborenen, die im Bauch der Mutter den Strahlungen ausgesetzt waren. Jahrelang war der Prozentsatz von Leukämie und anderen Krebserkrankungen in Hiroshima und Nagasaki höher als in der übrigen japanischen Bevölkerung. Hinzu kam die soziale Diskriminierung: wegen des Verdachts auf Sterilität und Missgeburten konnten viele Opfer der Bombe später nicht heiraten, bei Arbeitgebern galten sie als krankheitsanfällig und fanden deshalb keine Anstellung. Die Bombe hat nicht nur Städte und zahlreiche Menschenleben vernichtet, sondern über viele Menschen - bewusst - ein unbekanntes, langdauerndes Leiden gebracht. Bewusst auch deshalb, weil in den Beratungen der Nobelpreisträger vor dem Einsatz der Atombombe bereits Opferzahlen in nicht nur fünfstelliger Höhe im Raum standen.

Generationen sind seit 1945 gezeichnet. "Hibakusha" werden die explosionsgeschädigten Menschen genannt, von denen Anfang der neunziger Jahre fast 400.000 lebten: seelisch und körperlich Behinderte und Geschädigte in ärztlicher Behandlung, zumeist in speziellen Atombombenhospitälern. 60 Jahre danach sind für sie nicht sechzig Jahre später. Sie leben seitdem mit ihren Erinnerungen und Beschädigungen und ihrer Geschichte. Und sie sind zu selten Gegenstand unserer Erinnerung.

Wenige Wochen nach der Bombardierung war ein (damals sehr renommierter) amerikanischer Journalist in Nagasaki unterwegs. Seine Berichte und Photos unterlagen zeit seines Lebens der Militärzensur, sie sind vom Sohn von George Weller aus Chicago wiederentdeckt und erst vor wenigen Wochen in Japan und in englisch auf der WWWebseite einer Zeitung dort veröffentlicht worden. Wellers Sohn fand, dass die Berichte seines Vaters, nachdem sie so lange vor der Veröffentlichung zurückgehalten worden waren, nun endlich bekannt werden sollten. George Weller berichtet am 8. und 9. September 1945 aus Nagasaki, was die Menschen damals wahrgenommen haben: "Niemand hier" (ich übertrage kurz selbst ins Deutsche) "in Nagasaki war bis jetzt in der Lage zu erkennen, dass diese Bombe anders war als andere, ausgenommen natürlich ihr so viel grellerer Lichtblitz und ihre so viel stärkere Wirkung".

Wie wenig war den Opfern klar, wodurch sie erlitten haben, was sie traf. Für sie war es der Krieg und seine Folgen. Und deshalb, bei allem riesengroßen, nie zu nivellierenden Unterschied, bei aller in Ungeheurere gesteigerten Verstörungsdimension der Atombomben, die seitdem in ihrer Größe ja auch nur noch im (in der Regel vielfach multiplizierten) Verhältnis zu Hiroshima und Nagasaki angegeben werden - die Mahnung von Hiroshima und Nagasaki bis heute geht noch weit über das hinaus, dass es in keinem Fall wieder zum Einsatz dieser und solcher Waffen kommen darf. Darüber sind sich die Menschen ja vielleicht sogar noch weltweit einig. Die Mahnung von Hiroshima und Nagasaki heute ist zudem, dass Bomben und Krieg überhaupt zu ächten sind, und hoffentlich gelingt der Menschheit das dann endlich, 60 Jahre nach dem Ende des großen Krieges, am 15. August dann auch im Pazifik.



Literatur und Quellen:



Bald, Detlef: Hiroshima, 6. August 1945, Die nukleare Bedrohung, 20 Tage im 20. Jahrhundert, München 1999, S. 7-15



Fackler, Martin: Hiroshima and the meaning of victimhood, International Herald Tribune, 6-7 Agust 2005, p. 2



Sanger, David A; Yardley, Jim: U.S. offers North Korea evidence of nuclear allegations, in: International Herald Tribune, 30-31 July 2005, p. 3



Story, Louise: 60 years later, reports of Nagasaki aftermath, in: International Herald Tribune, (Kopie ohne weitere Angabe)




Stefan Koch ist Studienleiter im Evangelischen Bildungswerk Fürth.

E-Mail: dekanat@dekanat-fuerth.de
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