60 Jahre
Hiroshima


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Hiroshima- und Nagasaki-Tag 2005

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Redebeitrag zur Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag Hiroshima am 6. August in Ravensburg

Liebe Freundinnen und Freunde,
sehr geehrte Damen und Herren,

Wolfram Frommlet (in Ravensburg)

Der 8. Mai 1945 wird gefeiert als Sieg der Zivilisation über die Barbarei.

Nie wieder Auschwitz, war als Aufforderung an die gesamte Menschheit damit verbunden.

Ein kleiner Sieg. Denn drei Monate später, heute vor 60 Jahren, am 6. August 1945, der Sieg unmenschlicher technischer Intelligenz über Vernunft und Diplomatie, über Gewaltlosigkeit.

Der 6. August 1945 war ein Quantensprung in der Fantasie von Naturwissenschaftlern und Machtpolitikern mit Auswirkungen, wie sie die Menschheit nie bedroht hat. Dazu heute einige Anmerkungen und Überlegungen.

Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki beruhten auf Lügen, die sich leider bis heute in vielen Köpfen halten. Bis heute verteidigt das offizielle Amerika - das der Pentagon Politik und der Rüstungsstrategen diese Lüge: dass die Bomben notwendig waren, um das Leben potentiell Tausender von japanischen und amerikanischen Soldaten zu schützen, um einen kriegslüsternen japanischen Kaiser und seine Militärs in die Kapitulation zu zwingen. Dass es sich um einen gerechten Krieg, um eine gerechte Maßnahme gehandelt habe.

Die Wahrheiten kennen wir inzwischen bis ins Detail:

Japans Armee war am Ende, die Generäle zum Putsch gegen den Kaiser bereit, zur Kapitulation. Washington wusste, dass auch Russland Japan den Krieg erklären würde - das wäre unwiderruflich das Ende der japanischen Kriegsmöglichkeiten gewesen.

Nur wollte Truman nicht, dass auch Russland, der kommunistische Erzfeind, Anteil an Japans Kapitulation hätte.

Hunderte amerikanischer Wissenschaftler hatten eine Petition an Präsident Truman geschickt, mit der Bitte, der Warnung, die Atombombe nicht einzusetzen. Er bekam diese Petition nie zu sehen. Was zeigt, wie viel Kontrolle Berater über demokratische Präsidenten haben.

Die Hunderttausende von Toten von Hiroshima und Nagasaki - ausschließlich Zivilisten -, so grauenvoll wie die Leichenberge unter den zerbombten deutschen Städten, oder London, oder Coventry -, hätten, wie Leichenberge in deutschen KZs, hätten doch Mahnung sein müssen für die Menschheit. Für die Politik! Sie waren es nicht.

Zehn Jahre nach Hiroshima und Nagasaki hatten die Machtpolitiker in den USA den Rüstungswettlauf mit der Sowjetunion begonnen. "The cold war"; Der Kalte Krieg. Im Zentrum - die Weiterentwicklung der Atom-, wenig später der H-, der Wasserstoffbombe.

1955 veröffentlichten Albert Einstein, Bertrand Russell und andere führende westliche Wissenschaftler und Philosophen ihr Manifest gegen die atomare Aufrüstung. Die Aufklärung, so konnte man den Eindruck gewinnen, hatte nie stattgefunden. Weder in Moskau noch in Washington nahm man sie zur Kenntnis.

Schlimmer noch: England und, 1966 Frankreich, entwickelten ihre eigenen A- und H-Bomben. Der Irrsinn der vier Großmächte stimulierte auch andere - erst China, dann Israel, später Indien, Pakistan, vermutlich nun auch Nord-Korea.

2057 Tests - 2057!! - wurden bis 1998 gezündet. Millionen Megatonnen nukleares Material wurde in jenen Himmel entlassen, in dem, zumindest doch nach dem Verständnis der mehrheitlich christlichen Politiker, Wissenschaftler und der Bevölkerung der USA, Frankreichs und Englands Gott residiert, der Schöpfer der Erde und des Universums.

Aus Sicht jeder Religion war jeder Test eine Gotteslästerung, wie sie Menschen zuvor nie begangen haben. 2057 Mal. Krank, pervers, irrsinnig, bar jeder zivilisatorischen Errungenschaft, gleich welcher Kultur; abartiger, böser als die Konstrukteure von KZs und Gasöfen, weil sich noch schneller eine noch gigantischer Menge Menschen damit töten ließe, ist das, was Tausende von brillanten naturwissenschaftlichen Hirnen seit 1998 erfunden haben: Bomben, von denen die extremsten die über Tausendfache Sprengkraft derer von Hiroshima & Nagasaki haben, Atomraketen mit der 30-fachen Sprengkraft. Die amerikanische Atomrakete Minuteman III reicht für 25 Hiroshimas. Weltweit lagern 7. 500.000 Kilotonnen Sprengkraft - genug für 275 II. Weltkriege.

Wer im Suff einen Menschen tot fährt, sitzt, zu Recht, Jahre lang im Gefängnis. Ich erspare mir den nächsten Satz.

Was haben diese naturwissenschaftlichen Verbrechen an der Menschlichkeit an Toten nach Hiroshima und Nagasaki gekostet? Die Zahlen in diversen Gutachten international renommierter Institute und Kommissionen variieren, aber alle gehen in die Millionen, als Folge der atomaren Verseuchung der Meere durch Unterwassertests, der Atmosphäre durch die überirdischen. Millionen Krebstote. Wer wollte dies anzweifeln?

Welch` eine Perversion! 17.500 Atomwaffen sind weltweit sofort einsetzbar. Etwa 11.000 in der Reserve. 96% im Besitz nicht der uns ja so gefährlichen Dritten Welt, sondern zweier angeblicher Demokratien - der USA und Russlands. Wer kontrolliert diesen Irrsinn? Das "Volk", die Parlamente?

Wie viele Millionen Tote haben diese Waffen, hat ihre Entwicklung verursacht, auch ohne dass eine von ihnen eingesetzt wurde? Weil die Zigmilliarden für ihre Entwicklung und Herstellung fehlten für die Entwicklung einer umweltschonenden, zukunftsfähigen Technologie, weil sie fehlten für Zigtausende von Schulen in der Dritten Welt ebenso wie in den Slums Amerikas, in denen Kinder hätten lernen können, Konflikte gewaltlos zu lösen, Berufe zu lernen, Arbeit zu schaffen, die die Welt menschlicher, gerechter, freundlicher gemacht hätte - statt zu einem Waffenlager machtbesessener Psychopathen, zu einem atomaren Müllhaufen, dessen Verfallszeit noch Hundert Generationen gefährden wird.

Kein Tag, an dem wir uns nicht weltweit, zu Recht versteht sich, empören über Terrorismus.

An den unmenschlichsten Terror einer westlichen Macht, den Werten westlicher Zivilisation verbunden, an eine der abscheulichsten Menschenrechtverletzungen der Neuzeit möchte ich heute, am 60. Jahrestag der Hiroshima-Bombe erinnern.

Frankreich, La Grande Nation, Wiege der Aufklärung, der Allgemeinen Menschenrechte, l`humanité, fraternité, egalité, dieses Frankreich testete seine Atombomben erst unter freiem Himmel über Polynesien, lieferte die Bevölkerungen von Muroroa, Fagantaufa und der ganzen Region dem atomaren Niederschlag aus. Nach weltweiten Protesten - der Sozialist Mitterand ließ durch den Geheimdienst das Segelschiff "Rainbow Warrior I" von Greenpeace versinken, nach Protesten wurde eben unterirdisch getestet. In dieser höchst fragilen, vulkanischen Region. Zeitbomben für alle Ewigkeit, weil jedes Erdbeben in dieser Region die unterirdisch eingeschlossenen Atomblasen ins Meer entlassen kann.

Frankreichs Politiker und Wissenschaftler belogen die Menschen Polynesiens, belogen die französische Nation. "C`est magnifique", rief Präsident de Gaulle beim Anblick eines gigantischen Atompilzes über Muroroa. Großartig.

De Gaulle und seine Nachfolger antworteten Kritikern, warum Frankreich denn nicht in Frankreich getestet habe, mit beispiellosem Rassismus und kolonialer Arroganz - aber ja, sie hätten in Frankreich getestet.

Wie bitte? Diese Inseln waren und sind doch "territoires d`outre mére" " nein, keine Kolonien, kein besetztes, geraubtes Land - nein, "überseeische Gebiete", Teile des Mutterlandes. Bis heute und bis heute hat die Grande Nation an die verseuchten Opfer, die Hinterbliebenen der Krebstoten, an die noch lebenden Krebs-, Leukämiekranken, an die behindert geborenen Kinder, keinen Francs, keinen Euro Entschädigung gezahlt.

Was mich als Mann an den Verbrechen dieser Wissenschaftler und dieser Politiker so entsetzt, so nachdenklich macht und was nicht nur für mich als Mann die zentrale Lehre aus der "Bombe" ist - sondern eine Lehre sein müsste für alle Männer der Welt:

Keine Frau ist mir bekannt, die an der Entwicklung dieses technischen Wahnsinns mitgearbeitet hat, keine Frau hat je eine Bombe gezündet, den Befehl gegeben, sie über fremdem oder eigenem Territorium zu testen.

Es ist höchste Zeit, dass die Naturwissenschaften weiblicher, und, so hoffe ich, menschlicher, friedlicher werden.

Die Gefahr der Atomwaffen ist größer denn je - weil auch in sogenannten Schwellenländern inzwischen ausreichend wissenschaftliches Potential vorhanden ist, sie zu entwickeln, sie herzustellen, weil es, aus der ehemaligen Sowjetunion, ausreichend arbeitslose Wissenschaftler für den internationalen Bedarf gibt; weil in den USA bereits "mini nukes" bei der Armee vorhanden sind, uranangereicherte Panzerabwehrraketen - flexibler, dynamischer einsetzbar, fällt auch nicht so auf wie die Riesendinger.

Deshalb fordert die deutsche Sektion von Pax Christi



die sofortige und vollständige Abschaffung der Atomwaffen im Sinne des Atomwaffensperrvertrages, des NonProliferationTreaty und des Abschlussdokumentes der Überprüfungskonferenz von 2000.



pax christi wendet sich entschieden gegen die Aufnahme nuklearer Optionen in die deutsche und europäische Sicherheits- und Verteidigungsstrategie



den Abzug der in Deutschland lagernden Atomwaffen


Ähnliches, vor allem aber die Ächtung und Vernichtung dieser Waffen fordern an diesem Tag Millionen in allen Kulturen und Regionen der Welt - Christen in Deutschland und den USA, die amerikanischen Bischöfe, wie wir heute in den Medien lesen können; Buddhisten in Japan, Juden in Israel, Hindus in Indien, Muslime in Pakistan, Pazifisten, Wissenschaftler, Alte & Junge, Männer & Frauen.

Wir lassen uns nicht länger belügen, dass Waffen den Frieden sichern.

Noch tun wir dies in vielen Ländern gegen die eigenen Regierungen - Aber es gibt Zeichen der Hoffnung: dass Indien und Pakistan über Frieden reden, über atomare Abrüstung, dass Irans neuer Präsident Mahmadi-Nedschad eine Welt ohne Atomwaffen will. Einen Iran ohne Bombe. Gibt es einen Grund ihm nicht zu glauben, aber Bush, Rumsfeld oder Rice, nach den Irak-Lügen?

Wir sind eine weltweite Bewegung, zu der große wie kleine Nicht-Regierungsorganisationen gehören, Kirchengemeinden, Frauenorganisationen, Tausende von Kommunen.

An dieser Stelle - gegenüber dem Rathaus - möchte ich die weltweite Bewegung "Mayors for Peace", Bürgermeister für den Frieden, unter Führung des Bürgermeisters von Hiroshima, Tadatoshi Akiba, als ein grenz- und kulturüberschreitendes Beispiel des Widerstandes erwähnen. Und mit Freude, und im Namen des Ravensburger Bündnisses für Frieden und Gerechtigkeit, dass dieser Bewegung auch der Ravensburger Oberbürgermeister, Hermann Vogler, beigetreten ist. Eine kleine Plakatausstellung finden Sie im Rathaus.

Friedlich genutzte Atomtechnologie - Tschernobyl, Pittsburgh, Sellafield, um nur die schlimmsten Beispiele zu nennen - ist eine tödliche Bedrohung für die Menschheit, Atomwaffen um so mehr. Für zahllose Generationen nach uns. Es gibt zukunftsgerechte Energieformen, es gibt Antworten zu den Gewaltfantasien der kranken Hirne.

Deshalb ist es großartig, dass im Mai dieses Jahres in New York Jugendliche bei der Überprüfungskonferenz des Atomsperrvertrages vor den Vereinten Nationen sprachen. Stellvertretend für Jugendliche aus der ganzen Welt, die monatelang per e-mail sich ausgetauscht hatten, Tina Keim aus Schwäbisch Gmünd, 19 Jahre, und Natalie Wesley, 26, aus Australien. Auszüge auf ihrer Rede, aus ihren Forderungen werden anschließend Jugendliche aus dem Kreis Ravensburg lesen.

Ich darf Sie noch einladen zu einer Hiroshima-Veranstaltung " heute Abend in der Evangelischen Stadtkirche, 20 Uhr - Texte von Robert Jungk, Carl Amery, Günther Anders und dem Hiroshima Piloten Claude Eatherley, Musik von Bach, Hindemith und Arvo Pärt. Der Eintritt ist frei.

Ich danke Ihnen für Ihre Anwesenheit.



E-Mail: wolfram.frommlet@t-online.de

Website: www.frommlet-wolfram.de
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