60 Jahre
Hiroshima


 voriger

 nächster

Hiroshima- und Nagasaki-Tag 2005

 Reden/Berichte/Kundgebungsbeiträge

Ansprache auf der Gedenk- und Mahnveranstaltung für die opfer von Hiroshima 2005 in Bonn-Beuel am 6. August

Liebe Friedensfreunde,

Robert Nicoll (in Bonn)

- Es gilt das gesprochene Wort. -

wir haben uns heute hier versammelt anläßlich des 60. Jahrestags der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Insbesondere seit dem 11. September 2001 ist die Welt unsicherer geworden, nicht zuletzt durch die militärischen Abenteuer der USA und ihre Drohgebärden gegenüber Iran und Nordkorea. Die neue Präventivstrategie der USA sieht das Führen von sogenannten Abrüstungskriegen, auch unter Verwendung von Nuklearwaffen, vor.

Die Renuklearisierung der Weltpolitik ist in vollem Gange. Die nackten Zahlen belegen dies deutlich: Zu viele Kernwaffen befinden sich im aktiven Alarmzustand; alleine die acht bekannten Atommächte (neben den großen fünf USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien auch Indien, Pakistan und Israel) verfügen über ein Arsenal von 31 000 Sprengköpfen, 95 Prozent davon im Besitz von USA und Russland.

Die Ende Mai in New York zu Ende gegangene Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV) ist kläglich gescheitert. Nach vier Verhandlungswochen verabschiedeten die Vertreter der 188 Vertragsstaaten ein Abschlussdokument, das nicht eine einzige inhaltliche Aussage enthält.

Mit dem Scheitern der Tagung hat die internationale Gemeinschaft leichtfertig die Chance vergeben, das wichtigste Abkommen gegen die Verbreitung von Kernwaffen an die neue internationale Lage anzupassen. Das nukleare Nichtverbreitungsregime ist durch das Konferenzergebnis zwar nicht unmittelbar geschwächt, aber wichtige Maßnahmen zur Reform des 35 Jahre alten Vertrages können bis auf weiteres nicht umgesetzt werden. Klare Signale an die Regelbrecher Iran und Nordkorea gingen von New York nicht aus, und auch auf die einzigen außerhalb des Vertrages stehenden Länder Indien, Israel und Pakistan wurde kein deutlicher Druck ausgeübt, ihre Atomwaffen aufzugeben und dem Vertrag beizutreten.

Die Hauptverantwortung für das Konferenzergebnis tragen Iran und USA. Sie blockierten die Konferenz, um Kritik an ihren eigenen Atomprogrammen zu vermeiden und können mit dem Ergebnis zufrieden sein. Allerdings waren auch nur wenige andere Vertragsmitglieder willens, sich gegen diese selbstsüchtige Politik zu wehren.

Verlauf und Ergebnis der Überprüfungskonferenz zeigten deutlich auf, warum der NVV in der Krise ist: Wichtige Staaten sind nicht mehr bereit, sich an den im Vertrag angelegten Tauschhandel - atomare Abrüstung der Kernwaffenbesitzer gegen nukleare Enthaltsamkeit der anderen Vertragsmitglieder - zu halten. Immer mehr Staaten stellen die Wirksamkeit der im Abkommen verankerten Normen generell in Frage. Von wem neue Impulse für die Rüstungskontrolle ausgehen sollen, bleibt auch nach der Überprüfungskonferenz unklar.

Während biologische und chemische Waffen umfassend geächtet sind, stellt sich die Lage bei den nuklearen Massenvernichtungswaffen anders dar. Der NVV erkennt die fünf Atomwaffenstaaten China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA an, verpflichtet sie aber zur nuklearen Abrüstung.

Die unbegrenzte Verlängerung des NVV 1995 war nur möglich auf der Grundlage des Versprechens der Nuklearwaffenstaaten, die nukleare Abrüstung voranzutreiben.

Statt dessen haben in New York alle Atomwaffenstaaten weitere Abrüstungsschritte von sich gewiesen. Ganz unverhohlen wollten die USA sich von ihren (ohnehin schwachen) Verpflichtungen zur nuklearen Abrüstung befreien. Washingtons Veto gegen jede Erwähnung der Abrüstungsversprechen, die Bushs Amtsvorgänger Bill Clinton bei den beiden letzten Überprüfungskonferenzen 1995 und 2000 eingegangen war, verhinderte fast drei Wochen lang die Einigung auf eine Tagesordnung.

Die Weigerung Washingtons, eingegangene Verpflichtungen zu honorieren, könnte andere Vertragsparteien veranlassen, sich nun ihrerseits aus bestimmten Bindungen zu befreien. Damit könnte sich die Politik der USA schnell als Bumerang erweisen.

Besonders allergisch reagierten amerikanische Diplomaten auf Vorschläge, den Atomteststopp-Vertrag endlich in Kraft zu setzen. 1995 hatten die Atomwaffenstaaten versprochen, für immer auf Atomtests zu verzichten. Der 1996 abgeschlossene Atomteststopp-Vertrag wird jedoch erst völkerrechtswirksam, wenn ihn die USA sowie zehn weitere kernwaffenfähige Staaten ratifizieren.

Die USA wollen sich weiterhin die Hintertür für eine Wiederaufnahme von Atomtests offen halten - nicht zuletzt, um bei Bedarf die Einsatzfähigkeit vorhandener und möglicher neuartiger Waffen wie nuklearer mini nukes oder bunker buster zu erproben und zu demonstrieren. Diese Vorhaben stehen in einem klaren Widerspruch zu dem Versprechen der Atomwaffenstaaten aus dem Jahr 2000, die Rolle der Kernwaffen in der Sicherheitspolitik zu verringern.

Ein Hoffnungszeichen nach vier Verhandlungswochen war, dass unter den Teilnehmern weitgehende Einigkeit über die Reformbedürftigkeit des Vertrages bestand. Nicht nur Diplomaten, auch viele der fast 2000 registrierten Vertreter der Zivilgesellschaft hatten gute und praktikable Ideen nach New York mitgebracht, wie der NVV weiterentwickelt und gestärkt werden kann. Die Frage ist nun, wie bis zur nächsten Überprüfungskonferenz im Jahr 2010 die nukleare Abrüstung vorangebracht und die Vorschläge umgesetzt werden können.

Das Ziel ist klar: Atomwaffen müssen international geächtet werden. Nur wenn Kernwaffen keine Symbole nationaler Großmachtphantasien mehr sind, kann deren Verbreitung dauerhaft gestoppt werden.

Klar ist auch, dass Appelle an die Kernwaffenbesitzer, ihre Verpflichtungen zur nuklearen Abrüstung ernst zu nehmen, zwar weiterhin notwendig, aber nicht ausreichend sind. Daher wird es vermehrt darauf ankommen, dass die Nichtkernwaffenstaaten deutliche Zeichen gegen ein Comeback der Atomwaffen setzen.

Doch gerade solche klaren Signale der verbündeten Nichtatomwaffenstaaten gegen die Atomwaffenpolitik der USA haben in New York gefehlt.

Zu einer Ächtung von Kernwaffen und damit zur Stärkung des Atomwaffensperrvertrages können Deutschland und Europa einen zentralen Beitrag leisten. In der Bundesrepublik sowie in den NATO-Staaten Belgien, Großbritannien, Italien, Niederlande und Türkei lagern immer noch rund 480 US-Atombomben. In der Bundesrepublik sind nach Expertenschätzungen 150 amerikanische Atomwaffen auf den Luftwaffenstützpunkten Ramstein und Büchel stationiert. Ein Teil dieser Waffen würde im Ernstfall von deutschen Piloten mit deutschen Tornadobombern ins Ziel gebracht.

Dieses System der nuklearen Teilhabe gehört beendet, die US-Atomwaffen müssen aus Europa abgezogen werden. Sie erfüllen keinen Zweck, weder politisch noch militärisch. Eine Aufkündigung der nuklearen Teilhabe würde den USA zudem klar signalisieren, dass die Bundesrepublik mit der amerikanischen Atomwaffenpolitik nicht einverstanden ist.

Im Vorfeld der New Yorker Konferenz hatten Außenminister Joschka Fischer und Verteidigungsminister Peter Struck zugesagt, ein mögliches Ende der Stationierung von US-Atomwaffen auf deutschem Boden in der NATO zu thematisieren. In der Tat sprach Struck die Diskussion um die nukleare Teilhabe in Deutschland auf der Tagung der Nuklearen Planungsgruppe der NATO am 9. Juni an. Eine Debatte um die Rolle der Atomwaffen fand im Bündnis aber offensichtlich nicht statt. Immerhin hat die FDP, die möglicherweise den neuen Außenminister stellen wird, noch am 13. April in einem Bundestagsantrag gefordert, dass die Bundesregierung in Washington auf einen Abzug der US-Atomwaffen drängen solle.

Der 60. Jahrestag der Atombombenabwürfe steht daher im Zeichen des Appells an die jetzige und künftige Bundesregierung, sich aktiv für die Abschaffung aller Atomwaffen einzusetzen und damit in Deutschland anzufangen. Unterschriftenlisten sind hier vorhanden, ich bitte alle Teilnehmer sich einzutragen.

Diese Thematik sollte auch unbedingt im anlaufenden Bundestagswahlkampf thematisiert werden. Auch sollte die Rolle der vier Kriegsparteien SPD, Grüne, CDU/CSU und FDP im Angriffskrieg in Jugoslawien 1999 nicht vergessen werden und die seitdem immer umfangreicher werdenden militärischen Einsätze der Bundeswehr in allen Regionen der Welt.

Abrüstung, insbesondere atomare Abrüstung und Friedenspolitik sollte unser Beitrag im Bundestagswahlkampf sein.

Bevor ich zum Ende komme, möchte ich noch auf einige Aspekte der Friedensdeklaration 2005 des Bürgermeisters von Hiroshima, Tadatoshi Akiba, eingehen.

Zur Zeit tagen in Hiroshima die 1080 Mayors for Peace mit dem Ziel einen Aktionsplan zur Beseitigung aller Atomwaffen zu entwickeln. So soll der 1. Ausschuss der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Oktober einen Sonderausschuss ins Leben rufen, der auf das Ziel einer Atomwaffen freien Welt bis zum Jahr 2020 hinarbeiten soll.

Gleichzeitig erklären wir die 369 Tage bis zum 9. August 2006 zum "Jahr des Vermächtnisses, des Erwachens und der Verpflichtung". In diesem Jahr sollen weltweit Aktionen zur Ächtung der Atomwaffen durchgeführt werden.

Ich bitte nun der Opfer Hiroshimas und Nagasakis in einer Schweigeminute zu gedenken.



Anmerkung: Für die Ansprache wurden Teile des folgenden Artikels als Basis verwendet: Nukleare Schurken - Von Oliver Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik, Ausgabe 07/2005 - Seite 783 bis 787



Robert Nicoll ist aktiv bei der Friedensinitiative Bonn-Beuel.

E-Mail: robert.nicoll@lycos.de

Website: www.friedensinitiative.de
 voriger

 nächster




       
Bereich:

Netzwerk
Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
          
Themen   FriedensForum Ex-Jugo Termine   Aktuelles