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Hiroshima- / Nagasakitag 2008

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Redebeitrag für die Hiroshima.Gedenkveransatltung am 6. August 2008 in Kiel

Sehr geehrter Herr Tschorn, lieber Benno Stahn, liebe Friedensfreundinnen und -freunde,

Siegfried Lauinger (in Kiel)

US-Raketenabwehr und Atomkriegsgefahr

- Es gilt das gesprochene Wort -

- Sperrfrist: 6.8., 19 Uhr -

bei den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki starben 155.000 Menschen sofort, weitere 110 000 innerhalb weniger Wochen. Jedes Jahr zählen die Opferverbände in Japan ca. weitere 2500 Opfer dazu, 63 Jahre nach dem furchtbaren Geschehen.

Wir internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges haben angesichts der Zerstörungskraft von Atomwaffen eine ernüchternde Botschaft: im Falle eines Atomkrieges können wir nicht helfen! Die Lebenden werden die Toten beneiden.

Angesichts dieser desolaten Prognose gibt es nur ein wirksames Mittel: es muß alles getan werden, um den Einsatz von Atomwaffen zu vermeiden, ja alle Atomwaffen komplett zu vernichten.

Ein hoffnungsvoller Ansatz dazu war der Abschluß des sog. INF-Vertrages 1987 zwischen der damaligen Sowjetunion und der USA, in dessen Folge alle Mittelstreckenraketen mitsamt ihren nuklearen Sprengköpfen auf beiden Seiten kontrollierbar vernichtet wurden und auf die Produktion und Stationierung dieser Waffen künftig verzichtet wurde. Dies war ein echter Abrüstungsvertrag.

Ein weiterer Vertrag war der sog. START I -Vertrag, in dem sich die beiden Kontrahenten Sowjetunion und USA auf eine Obergrenze von Interkontinentalraketen beschränkten; war der sog. ABM-Vertrag, in dem die Sowjetunion und die USA auf die Errichtung eines Raketenabwehrsystems verzichteten.

Der Sinn all dieser Verträge war, die Parität zwischen den Kontrahenten festzuschreiben und das "Gleichgewicht des Schreckens" aufrechtzuerhalten.Den ABM-Vertrag haben die USA 2002 gekündigt, und aufgrund einer neueren Entwicklung drohen auch die genannten anderen Verträge, und noch einige mehr, außer Kraft gesetzt zu werden und ein neues Wettrüsten, auch mit Nuklearwaffen, bedroht Frieden und Sicherheit und verschärft die Gefahr des Einsatzes von Atomwaffen.

Atomkriegsgefahr heute? Zwanzig Jahre nach Ende des Kalten Krieges?

Wenn schon von Atomwaffen ausgehende Gefahren, dann doch wohl nur durch terroristische Schurkenstaaten oder durch Fanatiker vom Schlage Osama bin Ladens. So jedenfalls lesen wir es in den Zeitungen und hören es in den Nachrichten.

Zauberworte wie "Kampf gegen den Terror", "Schurkenstaaten" etc. scheinen inzwischen ein Freibrief zu sein für allerlei Maßnahmen, die Politiker in Europa und Amerika ersinnen.

Gegen die Schurken haben Innenminister, auch bei uns in Deutschland, Maßnahmen zur inneren Sicherheit erfunden, die, was die Einschränkung der Bürgerrechte betrifft, ihresgleichen in der Geschichte suchen. Gegen die Schurken haben Sicherheitsdienste mit Hilfe von gewissenlosen Medizinern und Psychologen Maßnahmen erfunden, mit Hilfe derer menschliche Seelen in den Käfigen von Guantanamo zerstückelt werden können und deren körperliche Hüllen dann zu allen fragwürdigen Geständnissen bereit sind.

Und um die USA gegen die atomaren Gefahren zu wappnen, die angeblich von Schurkenstaaten, wie dem Iran ausgehen, hat sich die westliche Supermacht einen Raketenabwehrschirm ausgedacht.

Deshalb heißt das Projekt auch "National Missile Deffense". Einsatz und Kontrolle dieses Waffensystems liegt alleine bei der USA.

Dementsprechend verhandeln die USA auch ganz alleine mit den Regierungen von Polen und Tschechien um die Zustimmung zur Errichtung wichtiger Komponenten des geplanten Abwehrsystemes auf deren Staatsgebiet. Weitere Stationierungsorte im Rahmen des Abwehrsystems sind in Alaska, in Kalifornien und auf hoher See.

Offiziell sollen die geplanten Installationen in Osteuropa Raketenangriffe aus dem Iran abwehren. Betrachtet man die Angelegenheit jedoch etwas genauer, kommen an dieser Version erhebliche Zweifel auf.

Denn der Iran besitzt weder Raketen, die die USA erreichen können, noch könnte er sie in absehbarer Zeit mit Atomsprengköpfen bestücken.

Selbst wenn man annehmen würde, wie dies einige Militärs tun, der Iran besäße Atomraketen, käme es der Selbstvernichtung gleich, einen Angriff gegen die USA und deren Verbündete zu starten.

Darüber hinaus, das zeigt ein Blick auf den Globus, gäbe es geeignetere Gegenden als Tschechien oder Polen um sich gegen iranische Raketenangriffe abzusichern.

Ich trage Ihnen jetzt zwei Thesen vor, in deren Ausführung sie auch sehen werden, weshalb heute, an einem Tag, an dem wir den Opfern der Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki gedenken, das Nachdenken über das Nationale Raketenabwehr System der USA gerechtfertigt ist.

1. Die Installierung des Nationalen Raketenabwehrsystems der USA erhöht die Gefahren eines erneuten Wettrüstens mit Atomraketen und somit erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit eines atomaren Schlagabtausches;

2. Die Sicherheit von Europa, insbesondere von Mitteleuropa wird dadurch erheblich beeinträchtigt;.

In vielen Reden, Äußerungen von maßgeblichen amerikanischen Politikern und in strategischen Papieren, wie z. B. der sog. Bush-Doktrin wird deutlich:

Der vorbeugende Ersteinsatz von amerikanischen Atomwaffen gehört zu den strategischen Optionen der Supermacht;

Die USA streben die nukleare Überlegenheit gegenüber denkbaren Rivalen wie Russland und China an;

Um dies zu verwirklichen entwickeln sie die Möglichkeit möglichst ungeschoren davonzukommen: indem sie alles daran setzen einen entwaffnenden zielgenauen Erstschlag zu führen und verbleibende Restraketen die zur Vergeltung aufsteigen, mit Hilfe des zu installierenden Abwehrschirmes zu vernichten;

Und plötzlich ist aus dem so friedlich und defensiv daherkommenden Schirm ein Instrument des Angriffs und des Strebens nach Überlegenheit geworden!

Um einen effektiven Erstschlag führen zu können, der möglichst zielgenau die gegnerischen Raketen in den Silos vernichtet, ist eine große Anzahl von geeigneten Projektilen nötig. Der eingangs erwähnte Start I-Vertrag, der die Anzahl der interkontinentalen Trägerwaffen begrenzt, läuft nächstes Jahr aus und ein entsprechender Nachfolgevertrag ist nicht in Sicht. Zusätzlich gibt es deutliche Hinweise darauf, daß die USA die Zahl der atomaren Sprengköpfe vermehren und modernisieren.

Vermehrung der Atomsprengköpfe und ihrer Trägersysteme plus Raketenabwehrschirm addieren sich so zu der Erwartung einen erfolgreichen Erstschlag führen zu können. Natürlich nicht nur gegen Russland oder China, auch gegen unbotmäßige Schurkenstaaten.

Dies bedeutet nicht unbedingt, daß es zu diesem Erstschlag mit all seinen verheerenden Folgen kommen muß. Allein die Fähigkeit dazu ist ein politisches Pfund, mit dem sich trefflich wuchern lässt.

Nicht verwunderlich also, wenn sich der russische Nachbar verunsichert und bedroht fühlt, erklären die USA doch deutlich, daß sie an einem Kräftegleichgewicht nicht mehr interessiert sind, daß sie den Anspruch haben führende Weltmacht zu sein.

Entsprechend hektische Überlegungen werden deshalb auch von russischen Politikern und Militärs veranstaltet, wie dieser Bedrohung zu begegnen sei.

Wir lesen von Überlegungen russische Bomber auf Kuba zu stationieren, wir lesen von der Entwicklung neuer Raketentypen, die den Abwehrschirm umgehen können und wir lesen von Überlegungen den eingangs erwähnten INF-Vertrag zu kündigen und erneut Mittelstreckenraketen in großer Zahl gegen West- und Mitteleuropa zu richten. Dies wäre für das finanziell angeschlagene Russland die billigste und deshalb wahrscheinlichste Lösung. Deshalb sprechen sich die russischen Militärs auch immer offener für die Kündigung des INF-Vertrages aus.

Was aber bedeutet dies für uns Mitteleuropäer? Dies bedeutet, daß wir zum Faustpfand der amerikanischen Hegemonialbestrebungen werden und daß wir erneut in das Fadenkreuz russischer Atomraketen rücken.

Ein neues Wettrüsten scheint unaufhaltsam zu sein.

Europäische Regierungen scheinen in dieser gefährlichen Situation nur die Möglichkeit zu sehen die USA zu veranlassen, den Abwehrschirm auf Europa auszudehnen, was die Amerikaner aber erklärtermaßen nicht wollen oder daß Europa in Eigenregie sich einen eigenen Abwehrschirm schafft. Dies bedeutet gigantische Rüstungsanstrengungen (Schätzungen sprechen von 20 Mrd. EUR), deren Sicherheitsgewinn fraglich bleibt.

Es gäbe jedoch noch eine andere Möglichkeit: dem amerikanischen Bündnispartner energisch klar zu machen, daß die Errichtung eines Raketenabwehrschirmes nicht akzeptabel ist, weil wir eine Politik wünschen, die das Vertrauen zwischen den Völkern entwickelt und stärkt. Daß bestehende Verträge eingehalten werden müssen und daß weitere Verträge zur Rüstungsbegrenzung bis hin zur Vernichtung aller Atomwaffen unbedingt notwendig sind.

Letzte Woche widmeten sich die Kieler Nachrichten auf einer ganzen Seite den Visionen von Barak Obama und seinem Wunsch nach Abrüstung und Verbannung von Atomwaffen aus dieser Welt. Obama, der hierzulande als Hoffnungsträger einer friedlicheren Welt hochstilisiert wird, muß sich, wenn seine Visionen nicht nur heiße Luft gewesen sein sollen, ordentlich ins Zeug legen, um den Hardlinern in seiner Heimat Paroli bieten zu können. Mögen seine Visionen Wirklichkeit werden - und möge er handeln!



E-Mail: siegfried (Punkt) lauinger (at) gmx (Punkt) de

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