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Hiroshima- / Nagasakitag 2008

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Redebeitrag zum Hiroshimatag 2008 am 6. August in Bonn

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Robert Nicoll (in Bonn)

heute jährt sich zum 63. Mal der Atombombenabwurf auf Hiroshima. Das Friedensgutachten 2008 der fünf führenden Friedensforschungsinstitute Deutschlands zeichnet ein ernüchternden Bild der aktuellen weltpolitischen Lage Festzustellen ist heute eine neue Hochrüstung. Nachdem schon im vergangenen Jahrzehnt die globalen Militärausgaben gestiegen sind, haben die Anschläge vom 11. September 2001 diesen Prozess noch beschleunigt. Die Hochrüstung ist Ausdruck von Machtambitionen und Demokratiedefiziten - verbunden mit autoritären Tendenzen im Innern. Der Dominanzanspruch der USA destabilisiert die Welt, indem er von aufstrebenden Mächten zurückgewiesen und zugleich imitiert wird.

Die USA sind der Manie der Unverwundbarkeit verfallen. Das Friedensgutachten schätzt dies wie folgt ein: "Die geplante Installation US-amerikanischer Anlagen zur strategischen Raketenabwehr in Polen und der Tschechischen Republik sowie die als Gegenmaßnahmen ausgegebenen russischen Reaktionen belasten die Beziehungen zwischen Washington und Moskau. Im Ost-West-Konflikt gewonnene Erfahrungen über sicherheitspolitische Stabilität werden ignoriert."
Dadurch bedingt zeichnet sich ein Ende der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa ab. Die derzeit laufenden Verhandlungen über die Fortführung des KSE-Vertrags sind bisher zu keinem Ergebnis gelangt. Im Fußball ist Deutschland nicht Europameister geworden, dafür aber beim Waffenexport. Deutschland und die EU-Staaten Frankreich, die Niederlande, Großbritannien, Italien, Spanien und Schweden exportieren zusammen mehr Rüstungsgüter in alle Welt als der Spitzenreiter USA. Damit heizt die europäische Rüstungsindustrie weltweit schwelende Krisen und Kriege an. Die deutsche Bundesregierung befleißigt sich gegenüber der Öffentlichkeit friedliebender Rhetorik. Schon die rot-grüne Bundesregierung hat ein umfassendes Aufrüstungsprogramm für Marine und Luftwaffe beschlossen, das von der großen Koalition konsequent fortgesetzt und erweitert wird. Beim Rüstungsexport umgeht die Bundesregierung systematisch nationale und europäische Richtlinien, die den Rüstungsexport in Krisengebiete unterbinden sollen.

Neben der konventionellen Aufrüstung findet auch eine Aufrüstung der Arsenale der Nuklearwaffenstaaten statt. Der in den 90er Jahren angestrebte Stopp der Kernwaffenmaterialproduktion ist in weite Ferne gerückt, der Teststoppvertrag ist immer noch nicht in Kraft getreten. Die aggressive Außenpolitik der USA, aber teilweise auch der EU, lässt immer mehr Staaten nach Nuklearwaffen streben. "Wenn das Nichtverbreitungsregime weiter erodiert, könnten auch weitere Aspiranten auf Atomwaffen aufkommen, die sich in ihrer Sicherheit bedroht sehen."(
)

Hierbei darf nicht unerwähnt bleiben, dass in Deutschland immer noch Atomwaffen lagern. Obwohl sich weit über 80 Prozent der deutschen Bevölkerung in Umfragen gegen Atomwaffen aussprechen, wissen viele Menschen nicht, dass in Deutschland noch immer Atomwaffen stationiert sind und Deutschland sich an der »Nuklearen Planungsgruppe« der NATO beteiligt. Die Bundeswehr hat dabei auf die 20 in Büchel gelagerten Bomben im Rahmen der so genannten "nuklearen Teilhabe" Zugriff und übt regelmäßig den Einsatz mit Atomwaffen.

"Im Ernstfall sollen die Atomwaffen durch Tornados der deutschen Luftwaffe zum Einsatz gebracht werden. Eine amerikanische Wartungs- und Sicherheitsmannschaft ist vor Ort stationiert. Jede der Atomwaffen in Büchel hat ein Vielfaches der Zerstörungskraft der Atomsprengsätze, die Hiroshima und Nagasaki zerstörten. Als Beitrag zur weltweiten Abrüstung und um glaubwürdig mit Staaten verhandeln zu können, die glauben, dass Atomwaffen ihnen Sicherheit bieten, soll Deutschland auf diese Waffen verzichten. Es ist doppelzüngig, von anderen zu verlangen, auf Atomwaffen zu verzichten,während Deutschland noch immer auf atomare Abschreckung setzt."(
) Wie jüngst bekannt wurde, stellt die Lagerung der Atomwaffen in Büchel ein hohes Sicherheitsrisiko dar. Und es liegt nicht an den USA, dass diese letzten Atomwaffen in Deutschland nicht abgezogen werden. Schließlich wurden auf Wunsch anderer Regierungen, z.B. der Griechenlands, die Atomwaffen sofort abgezogen. Es ist die deutsche Bundesregierung, die auf dem Zugriff auf diese Atomwaffen beharrt. Um der Forderung nach Abzug der Atomwaffen Nachdruck zu verleihen, findet am 30. August am Atomwaffenlager Büchel eine Großkundgebung statt.

Begleitet wird die nukleare Aufrüstung von einer Wiedererweckung des Wettstreits um militärische Dominanz im All. "Chinas erfolgreicher Antisa-tellitentest im Januar 2007 und der Abschuss eines defekten Spionagesatelliten durch ein Kriegsschiff der US-Marine im Februar 2008 haben das Thema in die Schlagzeilen zurückgeholt. Über vergleichbare militärische Fähigkeiten verfügen erst wenige Mächte. Hingegen wächst die Zahl der Staaten kontinuierlich, deren zivile Infrastruktur auf Technologien im All angewiesen ist. Sie wären einem Antisatellitenangriff schutzlos ausgeliefert. Abhilfe könnte ein umfassendes Verbot jeglicher Kriegführung im Weltraum schaffen. Unter Berufung auf eigene nationale Interessen stellen sich die USA der Aufnahme von Verhandlungen über die Eindämmung der Gefahren eines Rüstungswettlaufs im All entgegen."(
) Auch der neue so genannte "Grundlagenvertrag` der EU ist kein Schritt in Richtung Frieden. Einigkeit herrschte bei den Regierungsvertretern nämlich darin, wesentliche Teile der abgelehnten Verfassung unter einem neuen Etikett gegen den Willen der Völker Europas zu übernehmen: - die verbindliche Festschreibung neoliberaler Wirtschaftspolitik und als Konsequenz - die Verpflichtung zur Aufrüstung der EU, - die Absicht, weltweit militärisch zur Rohstoffsicherung zu agieren.

Dieser "Grundlagenvertrag` führt zu einer Militarisierung und weiteren Entdemokratisierung der EU. Diese Tendenzen sind auch deutlich in Deutschland zu erkennen. Innenpolitisch wird diese Politik begleitet von einer immer größer werdenden Antragsflut der Bundesregierung für neuen Gesetze zur inneren Sicherheit bis hin zu der permanent wiederholten Forderung nach Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Innern über die vor 40 Jahren beschlossenen Notstandsgesetze hinaus. In orwellschem Neusprech werden diese Forderungen mit durch nichts belegten Bedrohungen aller Art begründet. Die Minister Schäuble und Jung lassen nichts unversucht, die Akzeptanz für Bundeswehreinsätze im Innern zu fördern. Erst am 3. Juli 2007 erklärte Bundeskanzlerin Merkel bei der Vorstellung des neuen CDU-Programms, dass "die Trennung in innere und äußere Bedrohung überholt" sei. Ziel ist offensichtlich die Totalüberwachung aller Bürger und bei den absehbar zunehmenden sozialen Auseinandersetzungen als Folge der neoliberalen Wirtschaftspolitik der Einsatz der Bundeswehr. Heiligendamm war sicherlich schon ein Probelauf. In diesem Zusammenhang ist es interessant, auf die 1958 begonnene Kampagne gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr unter der Losung "Kampf dem Atomtod" hinzuweisen. Damals schrieb Hans Magnus Enzensberger in den Blättern für deutsche und internationale Politik:

"Seitdem und soweit die Deutschen das Recht und die Möglichkeit, sich politisch zu äußern, zurückgewonnen haben, ist es zu keiner stärkeren Kundgebung ihres Willens gekommen als in der Kampagne gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr. Die Bundesregierung scheint diese oppositionelle Bewegung nach Intensität und Umfang zu unterschätzen; wenigstens legt die Primitivität, mit der sie glaubt, ihre mißliebigsten Äußerungen abwürgen zu können, diese Ver-mutung nahe. Der Versuch, das Losungswort "Kampf dem Atomtod" wie einen Spieß umzudrehen und es als Motto für die Atombewaffnung zu verwenden, ist beispielsweise an Albernheit kaum zu überbieten. Gegen Volksbefragungen und Spendensammlungen mit Verbotsanträgen und Haussuchungen einzuschreiten, verrät ebenfalls nicht nur die Geringschätzung unserer staatsbürgerlichen Rechte, von der unsere Regierung durchdrungen ist, sondern auch eine Beurteilung der Lage, die vielleicht nicht ganz realistisch ist."(
) Ich denke, vieles von dem, was Enzensberger anspricht, ist auch heute noch und wieder aktuell. Wir fordern heute am Hiroshimatag vor allem die Beseitigung der bestehenden Atomwaffen, den Abzug der letzten 20 Atombomben aus Büchel, die Einstellung der Weiterentwicklung neuer Atomwaffen. Darüber hinaus wenden wir uns aber auch gegen jede Kriegführung mit konventionellen Waffen, wie etwa in Afghanistan und im Irak. Insbesondere das Bundeswehrkontingent ist sofort aus Afghanistan abzuziehen.

Ich bitte nun der Opfer Hiroshimas und Nagasakis in einer Schweigeminute zu gedenken.



Anmerkungen:

1. Friedensgutachten 2008 Zusammenfassung Punkt 1.3.
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2. Friedensgutachten 2008 Zusammenfassung Punkt 1.6.
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3. Vor der eigenen Haustür kehren! In: Ohne Rüstung leben. Informationen 125, 2/2008, S. 5

4. Friedensgutachten 2008 Zusammenfassung Punkt 1.7.
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5. Hans Magnus Enzensberger - Einige Vorschläge zur Methode des Kampfes gegen die atomare Aufrüstung. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. Heft 6/1958, S. 410 f.



E-Mail: robert (Punkt) nicoll (at) lycos (Punkt) de

Website: www.friedensinitiative.de
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